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Kapitel 2

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Im Flur der Kriminalpolizeiinspektion stellten sie fest, wie still es dort war.

»Wo sind die Kollegen?«, fragte Esther ihren Vorgesetzen.

»Anke ist krank«, kam es mürrisch zur Antwort.

»Was hat sie denn?«

»Windpocken!« Schnurs Tonfall ließ keinen Zweifel an seinem Frust. »Wenn man ein Kind hat, das in den Kindergarten geht, kommt so etwas leider vor. Und wir haben das Nachsehen.«

»Da fehlen aber noch ein paar«, erinnerte Esther Weis. »Ausgerechnet an dem Tag, an dem sich die neue Staatsanwältin vorstellen will, ist keiner da.«

»Erik Tenes ist auf dem Weg hierher. Er wird zusammen mit ein paar Beamten der Polizeidienststelle Saarlouis morgen früh die Suche auf dem Limberg fortsetzen.«

»Nach was suchen wir denn?«, fragte Esther.

»Nach einem Projektil oder nach einem angeschossenen Wild – was weiß ich, was sie dort finden werden«, brummte Schnur. »Nach Steiners Angaben ist dort ein Schuss mit Treffer gefallen – dem müssen wir nachgehen …«

Steiner stand mit Moritz an der Leine im Flur und wartete geduldig.

»Wer übernimmt Harald Steiner?«, stellte Esther die Frage, die sie noch viel mehr beschäftigte.

»Er muss seine Kleider für den Erkennungsdienst abgeben, was mir ungelegen kommt«, gab Schnur mürrisch zu verstehen. »Du weißt, dass ich einen Termin mit der neuen Staatsanwältin habe. So glänze ich schon bei unserer ersten Begegnung mit Verspätung. Na toll!«

»Ich würde dir Steiner abnehmen, aber ich glaube nicht, dass er damit einverstanden wäre.«

Steiner hatte das Gespräch mitgehört. Er trat auf Esther zu und meinte: »Warum sollte ich nicht damit einverstanden sein, mich vor Ihnen zu entkleiden? Sie sind mir bedeutend lieber als Jürgen Schnur, der alte Diener.«

Er folgte Esther in einen kahlen und unpersönlichen Raum.

»Hier?«

Esther zuckte mit den Schultern. Ihre Verlegenheit war größer als Steiners, was sie selbst überraschte.

»Sie wissen, dass ich Sie im Auge behalten muss, für den Fall …«

»Das ist mir sogar recht«, kam es zurück. »Ich will schließlich nicht, dass Sie nachher für einen Fehler haftbar gemacht werden.«

»Danke. Sie machen es mir leicht.«

Er schaute sie lange an. Sie hielt seinem Blick stand. Seine dunkelbraunen Augen wirkten klug und undurchdringlich. Sein Kopf glänzte kahl, bis auf wenige graue Stoppeln, die einen Kranz am Hinterkopf bildeten. Seine Gesichtszüge waren markant, seine Falten tief, was draufgängerisch an ihm wirkte. Nicht das kleinste Anzeichen von Unsicherheit erkannte sie an ihm, während er begann, sich seiner Kleider zu entledigen.

Nach und nach legte er die Stücke auf den Tisch, bis er völlig nackt vor ihr stand.

Sein Oberkörper war muskulös, seine Schultern breit. Er hatte einen Waschbrettbauch, wie Esther es nur von Reklameschildern kannte, und kräftige Oberschenkel. Obwohl sie wusste, dass es unhöflich war, ihn anzustarren, gelang es ihr nicht, ihren Blick abzuwenden.

»Darf ich mich wieder anziehen?«

Mit dieser Frage brachte er sie aus dem Konzept. Verwirrt nickte sie, stammelte ein »Natürlich« und merkte, wie sie augenblicklich rot im Gesicht wurde. Steiner dagegen war die Selbstsicherheit in Person.

Innerlich ärgerte sich Esther über ihr Verhalten. Hastig packte sie die Kleidungsstücke in eine Tüte und wollte das Zimmer verlassen, als ihr eine Frage einfiel: »Wer ist Bernd Schumacher?«

Anstatt zu antworteten, stellte ihr Steiner eine Gegenfrage: »Seit wann arbeiten Sie hier im Polizeidienst?«

»Seit sieben Jahren.«

»Dann wissen Sie natürlich nicht, wer Bernd Schumacher ist«, folgerte Steiner. Er zögerte eine Weile, bis er endlich weiter sprach: »Ich war bis vor fünfzehn Jahren Einsatzleiter des Sondereinsatzkommandos des Saarlandes. Mein letzter Einsatz galt Bernd Schumacher. Der Einsatz scheiterte, weshalb ich meinen Rücktritt erklärte.«

An diesen Worten erkannte Esther, dass der Fall interessant zu werden versprach. Steiner tat nichts, um den Verdacht von sich abzulenken, dabei drückten seine eigenen Worte schon ein Motiv aus, Bernd Schumacher zu töten.

Leise schloss sie die Tür hinter sich.

Ein paar Türen weiter breitete sich Aufregung im Büro aus. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: »Gleich kommt die neue Staatsanwältin.«

Erwartungsvoll lauschten sie den Schritten auf dem Flur, die immer näher kamen.

Dieter Forseti zupfte nervös an seiner Krawatte. Nach seinem Sprung vom Hauptkommissar zum Ersten Hauptkommissar war seine Karriere nicht mehr zu stoppen. Kurt Wollnys vorzeitiger Abschied in den Ruhestand hatte ihn unverhofft schnell zum Kriminalrat befördert. Hier stand er nun vor seinem ersten offiziellen Auftreten als Amtsleiter.

Die Tür ging auf.

Vor ihnen stand eine große, schlanke Frau mit roten Haaren, die in wilden Locken ihr schmales Gesicht umrahmten. Sie trug einen grünen, figurbetonten Hosenanzug, dazu Goldschmuck an Hals und Ohren. Überrascht und belustigt zugleich blickte sie in die Runde, bevor sie mit einer angenehm tiefen Stimme sprach: »Ein Begrüßungskomitee hatte ich nicht erwartet.«

Alle waren gefesselt von ihrem Anblick. Ihr Gesicht war blass und ungeschminkt. Hohe Wangenknochen und die lange, gerade Nase wirkten aristokratisch.

Es war Forseti, der sich wie immer am besten im Griff hatte. Er trat auf sie zu mit den Worten: »Ich bin Kriminalrat Forseti.«

»Ich bin Staatsanwältin Ann-Kathrin Reichert.« Sie reichte ihm ihre Hand.

Schnur gesellte sich dazu. »Jürgen Schnur. Dienststellenleiter. Ich freue mich, Sie als Nachfolgerin von Emil Foster begrüßen zu können.«

»Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit«, antwortete die Staatsanwältin mit ihrer auffallend dunklen Stimme.

»Da habe ich keine Bedenken«, gab Jürgen Schnur galant zurück.

Forseti übernahm den nächsten Teil der Empfangszeremonie. Er stellte alle Mitarbeiter vor. Ann-Kathrin Reichert begrüßte jeden mit Handschlag.

»Zum Einstand laden wir Sie zu einer Besprechung ein«, kam Schnur sofort zum Thema. »Leider müssen wir Sie gleich mit einer unangenehmen Angelegenheit überfallen und haben zu unserer Verteidigung noch wenig vorzubringen. Wir stehen ganz am Anfang.«

Ann-Kathrin Reichert lachte. Amüsiert schaute sie sich Schnur genauer an, bevor sie sagte: »Sie halten es nicht für möglich: Aber zum Arbeiten bin ich hier – nicht zum Vergnügen.«

Leises Gelächter ertönte.

Es war Forseti, der alle in Staunen versetzte. »Sicherlich! Aber ein wenig Vergnügen während der Arbeit hat noch keinem geschadet.«

War das der Forseti, den sie kannten?

Höflich zeigte er der Staatsanwältin den Weg zum Besprechungsraum. Gläser und Getränke standen bereit. Alles war bestens vorbereitet.

Die Staatsanwältin setzte sich neben Jürgen Schnur, der ihr den Stuhl hervorzog, um ihr Platz anzubieten.

Nach seinem kurzen Bericht forderte Schnur seinen Mitarbeiter Erik Tenes auf, das Ergebnis der Suche auf dem Limberg zu schildern. Es wurde weder ein angeschossenes Tier noch ein angeschossener Mensch dort gefunden.

Steiners Aussage, einen Schuss auf dem Berg gehört zu haben, stand somit in Frage.

Kullmann auf der Jagd

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