Читать книгу Now and then - Ella C. Schenk - Страница 5

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Ich sitze hier, führe den Stift in einem Heft, welches dir gehört und nicht mir. Dein blumiger Duft steigt mir in die Nase und ich stelle mir vor, wie du mir aufmunternd über die Wange streichelst.

Einmal. Zweimal.

Und jedes Mal, wenn ich dir hier schreibe, dir deine Gedanken beantworte, springe ich in diesen einen Traum.

In diese eine heile Welt, wo du lächelst, atmest, lebst.

Wo wir uns an den Händen nehmen und uns unsere Zukunft ausmalen – schillernd und bunt.

Ganz im Gegensatz zu der realen Welt. Denn diese ist düster und grau.

Olivia

Die Zeit stand still.

Ich blickte in diese grünen Augen, die weder zu Remy noch zu Eliza gehörten, und das machte mich bewegungsunfähig. Diese Augen, die mich vor Jahren schon in ihren Bann gezogen, denen ich alles von mir offenbart hatte, und die mich nun ansahen, als wäre ich ein Geist.

Und was hoffte ich doch, dass es im Moment so wäre.

Dann könnte ich mich unsichtbar machen, einfach verschwinden und diese zwei Brüder, denen ich mein Herz geschenkt hatte, stehen lassen.

Ohne ein Wort, ohne eine Gefühlsregung, ohne eine Auseinandersetzung. Ich hatte dafür einfach keine Kraft mehr. Nicht nach allem, was in letzter Zeit passiert war.

Doch ich tat es nicht – ich löste mich nicht in Luft auf, denn ich war eben nun mal kein beschissenes Gespenst.

Ich blinzelte ein paar Mal, um auch noch den letzten Zweifel eines Trugbildes auszuschließen. Doch er stand weiterhin vor mir und ließ mich in diesen Abgrund stürzen, der sich schon lange in mir aufgetan hatte.

Jons braune Haare hingen ihm nicht mehr wie früher ins Gesicht, und ein leichter Bartschatten zeichnete sich auf seiner unteren Gesichtshälfte ab.

Er sah verändert aus.

Älter.

Reifer.

Und obwohl er die Augen nicht zusammenkniff, hatte sich eine tiefe Furche inmitten seiner Stirn gebildet, welche einen Kontrast zu seinen Lachfalten bildete, die sich um seine Mundwinkel abzeichneten, obwohl er nicht den Hauch eins Schmunzelns zeigte.

Was brachte ihn einerseits so zum Lachen, und bescherte ihm andererseits diesen nachdenklichen Knick zwischen seinen Augenbrauen?

Ich hatte absolut keine Ahnung.

Und zwar deswegen, weil ich ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Erinnerungen wirbelten durch mich, als seine jadegrünen Augen langsam jeden Winkel meines Gesichts ergründeten.

Das erste Jahr damals war das schlimmste gewesen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich jemanden aus tiefster Seele hassen könnte. Doch Jon hatte dieses Gefühl in mir nicht nur hervorgebracht, nein, er hatte es zu einem lebendigen Wesen werden lassen, das sich in jede meiner Zellen gefressen hatte. Mein Herz war in tausend Teile zersprungen und jeder hatte sich wie ein giftiger Pfeil angefühlt, der mich innerlich aufspießte.

Ich lernte, dieses Gefühl zu erleiden. Zwar bedurfte es vieler Weinattacken, Wutausbrüche und Schreikrämpfe, bis ich diesen Groll langsam loslassen konnte, aber ich hatte es geschafft.

Und das mit Hilfe von ihm.

Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung.

In Remys Gesicht spielten die Emotionen verrückt. Seine Augen leuchteten, starrten und flehten mich an. Seine Nasenflügel blähten sich, weil er unruhig atmete. Und er brauchte gar nichts zu sagen. Sein gesamter Ausdruck signalisierte mir Schuld, Verrat, Wehmut und dass es ihm verdammt nochmal leidtat.

Als ich auf seinen Mund sah, diese sinnlichen Lippen, die mich schon so oft in den Wahnsinn geküsst hatten, öffnete er sie. Ich hörte nicht, was er sagte.

Aber ich wollte auch gar nichts verstehen. Keine Ausreden konnten das gutmachen, was er mir antat. Die letzten Monate über angetan hatte.

Diese ständigen Geheimnisse, das grobe, besitzergreifende Auftreten. Und vor allem seine vernichtenden Worte, die mich erniedrigten. All das ließ ich über mich ergehen, weil ich ihn geliebt hatte. Ein Teil von mir tat es ja noch. Und genau dieser krampfte sich nun vor Verrat zusammen.

Immer und immer wieder.

Sein Mund bewegte sich etwas schneller und als ich sah, wie er seine rechte Hand nach mir ausstreckte, wachte ich endlich aus dieser Starre des Entsetzens auf.

Er durfte mich nicht berühren. Nie wieder.

Es gab keine Hoffnung mehr für uns. Nicht die letzten Monate, nicht heute, und schon gar nicht in der Zukunft.

»Fass mich nicht an.« Ich sprach leise, doch betonte jedes Wort mit einer Schärfe, über die ich mich selbst wunderte.

Er schnaubte nur, drückte mich einfach an sich. So fest, dass mir im ersten Moment die Luft wegblieb. Natürlich war ihm meine Bitte egal. War sie ja immer.

»Olivia«, hauchte er und streichelte meinen Rücken hinab, versuchte, einen Rhythmus zu Stande zu bringen, doch schaffte es nicht. »Liv?«, wisperte er erneut, da ich mich weder bewegte, noch antwortete.

Als ich seine Lippen an meiner Schläfe spürte, fauchte ich: »Lass mich los. Sofort.«

»Nur, wenn du versprichst, nicht wegzulaufen. Ich kann das erklären.«

Er vergrub seine Nase in meiner Wange, holte tief Luft und zitterte dabei. Seine dunkelblonden Bartstoppeln kitzelten mich an meinem Ohr.

Gottverdammt, ich hielt diese Nähe nicht mehr aus.

»Ich sage es jetzt ein letztes Mal: Lass mich sofort los!«, keifte ich erneut.

Remy versteifte sich, atmete gepresst aus, ließ dann aber endlich von mir ab und sah mich verzweifelt an. Als er wieder den Mund öffnete, um weiter auf mich einzureden, kam Jon ihm zuvor:

»Lass es gut sein.«

Ein Schauer lief meinen Rücken hinab. Diese vertraute, tiefe Stimme, die es selbst noch nach Jahren schaffte, eine Gänsehaut auf meinen Armen zu erzeugen. Etwas schien in meiner Brust zu knirschen, als würde es brechen. Ein Ruck ging durch mich hindurch.

Ohne es kontrollieren zu können, bahnte sich ein Lachen meine Kehle empor. Laut, verrückt, heftig. Ich krümmte mich nach vorn, hielt mir den Bauch.

Das ist einfach alles zu viel!

Ich lachte nicht, weil ich die Situation zum Schreien komisch fand, sondern weil ich gerade komplett überfordert war.

Zitternd richtete ich mich wieder auf und wischte mir über die Augen, da meine Sicht sich immer mehr verklärte.

Remy und Jon bewegten sich keinen Zentimeter, geschweige denn, gaben irgendeinen Laut von sich. Sie starrten mich nur an, als wäre ich verrückt geworden. Und vielleicht war ich das ja auch?

Der nächste Lachanfall, der sich bereits anbahnte, blieb mir jedoch im Halse stecken, als plötzlich die Türklingel und ein lautes Klopfen durch den Flur hallte.

»Hallo? Liv? Bist du das? Was ist so witzig? Mach auf, ich glaube, die Tür klemmt! Hilf mir mal!«

Eliza.

Ich schnappte nach Luft und schielte zu Jon, der mit seinem ganzen Gewicht an der Tür lehnte. Seine Miene wandelte sich von Bestürztheit in Freude, als Eliza gedämpft weiter schimpfte. Er drehte sich um und öffnete sie. Das Nächste, was ich hörte, war ein schriller Schrei, der meine Ohren zum Klingeln brachte. Das Nächste, was ich sah, war eine Eliza, die sich ihrem Bruder in die Arme schmiss und ihn wie ein Tentakel umarmte.

»Jon!« Sie küsste ihn mehrmals auf die Wangen, während er sie langsam wieder auf die Füße stellte.

»Was machst du hier? Oh mein Gott! Ist Missy auch mitgekommen?«

Missy?

Schnell beugte er sich zu seiner Schwester hinab und flüsterte ihr etwas zu, das ich nicht verstand. Vielleicht gar nicht verstehen wollte. Wahrscheinlich war Missy seine Freundin. Natürlich! Er sah besser aus als je zuvor. War doch klar, dass er in einer Beziehung steckte.

Eine grässliche Sinnesempfindung breitete sich in meinem Magen aus, gesellte sich hervorragend zu den anderen verschissenen Gefühlen dazu, die in mir waberten.

Eliza nickte schwach, anschließend blickte sie zu mir. Sie ließ ihren geliebten Bruder los und kam hüpfend wie ein kleines Kind auf mich zu. Ihre langen blonden Haare fegten von einer Seite zur anderen.

»Liv! Jon ist wieder da!«, sprach sie das Offensichtliche aus und ihre Augen funkelten aufgeregt.

»Das sehe ich.«

Meine wiederrum mussten rot und geschwollen sein.

Eliza nahm meine herab baumelnden Hände und drückte fest zu. »Jetzt wird wieder alles so wie früher. Jetzt, wo Jon bleibt. Stimmt doch, oder?«

Sie drehte sich rasend schnell zu ihm und er nickte zögerlich, während er mir fest in die Augen schaute. Doch das unsichere Flackern darin konnte er nicht verbergen.

Ich schnaubte abfällig.

»Hey! Jetzt sei nicht so!« Eliza sah mich mit einem Stirnrunzeln an, ließ meine schwitzigen Hände abrupt los. »Du hättest ihn schließlich auch besuchen können über die Jahre, so wie wir alle es taten. Genug geschmollt, Olivia!« Die letzten Worte kamen nicht mehr so fröhlich über ihre Lippen, sie wirkten fast ein wenig harsch.

Und ich konnte ihr es nicht einmal verübeln.

Eliza hatte ja keine Ahnung, was Jon und ich geteilt hatten – welche Gefühle und Erfahrungen uns verbanden.

Ich löste meinen Blick von ihr und sah wieder zu Remy, der prompt die Luft anhielt.

Noch weniger Ahnung hatte Eliza, welch tiefe Liebe und Leidenschaft mich mit ihm verbanden, und welch niederschmetternden Ereignisse unser Innerstes zerrissen hatten. Sie glaubte nach wie vor, dass das letzte halbe Jahr nur die Farce einer Beziehung zwischen uns war, womit sie ja auch recht hatte. Schließlich hatte dieser Mistkerl mich erpresst, damit ich seine Freundin spielte. Nein, es waren die Jahre zuvor gewesen, in welchen er mir gezeigt hatte, zu welch tiefen Gefühlen er fähig war.

Er hatte mich damals gerettet. Und ich ihn. Uns verband etwas, das niemand je verstehen würde.

Wieder kam ein verzerrtes, groteskes Lachen über meine Lippen, das ich schnell hinunter schluckte.

All das hier war zum Kotzen.

Und dennoch riss ich mich zusammen und fragte: »Geht es dir gut, Eliza?«

»Ja natürlich«, antwortete sie spitz. »Warum?«

Ihr Gesichtsausdruck war weiterhin freudig erregt, doch gleichzeitig wirkte sie auch skeptisch. Wahrscheinlich wegen mir.

»Na, wegen Hodge.« Das letzte Wort flüsterte ich.

Zu mehr war ich nicht fähig. Meine Kraft schien mich zu verlassen.

Elizas Mundwinkel verrutschten zwar kurz nach unten, doch sie hatte sie gleich wieder im Griff. »Natürlich. Der ist doch selbst schuld. Idiot!«

Sie drückte ihren schlanken Rücken durch, drehte sich wieder zu Jon und himmelte ihn an. Remy beachtete sie nicht einmal – wie so oft. Schien, als würde sie mich nun doch nicht als Seelentrösterin brauchen, weswegen ich überhaupt hier auf sie gewartet hatte. Hodge – ihr Boss – hatte Eliza die letzten Monate schöne Augen gemacht, nur um sie von heute auf morgen gegen ein tätowiertes, unfreundliches Bargirl einzutauschen.

Aber sie kam klar.

Gut.

Denn ich wusste nicht, ob ich es tat. Ich strich Eliza über den Oberarm und huschte ohne einen weiteren Blick zu Jon oder Remy durch die Tür und rannte anschließend die Treppe nach oben, die unserer zwei Wohnungen verband.

Niemand hielt mich auf.

Als unsere Eingangstür ins Schloss fiel, glitt ich an dieser hinab und presste die Stirn an meine angewinkelten Beine. Meine dunklen Haare breiteten sich wie eine Schutzmauer um meinen Kopf herum aus. Ein Wimmern verließ meine Lippen.

»Kindchen?«

Ich hatte damit gerechnet, niemanden im Apartment vorzufinden, so schreckte ich hoch, als plötzlich Rosa vor mir auftauchte. Sie ging gebückt und ihre rechte Hand bebte ein wenig, als sie langsam von unserer Holzanrichte, die mittig im Raum stand, auf mich zukam.

»Rosa!«

Ich stand schnell auf und lief ihr entgegen. Mein Gefühlschaos begrub ich im gleichen Atemzug unter einer Decke der Verdrängung, die schon seit Jahren in mir hauste und mich schützte. Wenn ich etwas konnte, dann wohl das. Obwohl meine Eingeweide sich diesmal dagegen zu wehren schienen, denn alles schmerzte und zog an mir – allen voran mein bescheuertes Herz.

»Olivia, Liebes. Was ist denn los, dass du so betrübt am Boden sitzt?« Sie musterte mich besorgt und strich mir mit der linken Hand sanft über mein braunes Haar, als ich direkt vor ihr zum Stehen kam.

»Nichts. Es ist nichts. Mache dir bitte keine Sorgen um mich.«

Ich setzte all meine Konzentration in mein Lächeln, doch Rosa schüttelte den Kopf und ein angenehm fruchtiger Duft nach Orange stieg mir in die Nase.

Sie seufzte. »Du solltest dich jemandem anvertrauen, Olivia. Mir gefällt es nicht, wie du im letzten halben Jahr abgenommen hast und dich immer mehr zurückziehst.« Sie strich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Das bereitet mir wirklich Sorgen.«

Nein, bitte nicht Rosa auch noch!

Ich hatte doch schon genug Schuldgefühle, die auf meinen Schultern lasteten. Und diese wogen schwer. Wenn Dad nur wüsste, dass es meine Schuld war, dass Mum in der Klinik war. Oder von der Schwangerschaft … selbst Eliza wusste davon nichts! Sie wusste ja nicht einmal, dass ich mit Jon zusammen war und Remy …

Das wird sie mir nie verzeihen.

Ich holte zitternd Luft. »Bitte, Rosa. Mach dir keine Gedanken um mich. Die Uni schafft mich nur immens. Das ist alles.«

Rosa glaubte mir nicht, das sah ich ihr an. »Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst. Egal um was es geht.«

Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und ging in Richtung der weißen Sofaecke, auf der sie sich ächzend niederließ. Rasch folgte ich ihr und setzte mich neben sie.

»Das weiß ich doch. Nur fällt mir das alles nicht so leicht, weißt du?« Ich grub die Finger in meine graue Leggins und nestelte am Stoff herum.

Rosa schmunzelte nachsichtig. »Du warst schon immer ein wenig verschlossen, Olivia. Und seit Joeys Tod … ich hoffe, du wirst eines Tages jemanden finden, dem du dich bedingungslos und komplett öffnen kannst. Du hättest es verdient.«

Ein Stich ging mir durchs Herz. Denn ich hatte diesen Jemand schon kennengelernt, doch er hatte mich verraten. Mehrmals.

Ihr Blick schweifte an mir vorbei und ich wusste, an wen sie gerade zurückdachte. Ich räusperte mich. »Bald ist Richards Sterbetag. Brauchst du etwas, oder kann ich dir an diesem Tag irgendwie behilflich sein?«, fragte ich unsicher.

Rosa schloss die Augen. »Das ist lieb gemeint, aber Maria und die Kinder haben den Tag schon komplett verplant. Du könntest jedoch vorbeikommen und uns Gesellschaft leisten?« Mir war, als würde sie mir ein paar Mal aufmunternd zunicken.

»Was macht ihr denn?«

»Kochen, essen, Spiele spielen.«

Sie öffnete wieder ihre faltigen Lider, doch diesmal schienen ihre Augen sogar ein wenig zu strahlen.

»Ja, wieso nicht?«, sagte ich achselzuckend. Ablenkung würde mir bestimmt guttun. Denn irgendwie hatte ich so im Gefühl, dass die nächste Zeit alles andere als harmonisch werden würde. »Rosa?«

»Ja, Kindchen?«

»Geht es dir denn gut?«

Ihre rechte Hand schlotterte erneut und sie versuchte eindeutig, ein Husten zu unterdrücken. Rosa strich sich über ihre Oberschenkel, die in einer violetten Stoffhose steckten. »Ich denke, ich muss einsehen, dass ich wohl zu alt bin, um noch weiter in der Kanzlei zu arbeiten.«

Sie kniff kurz ihre schmalen Lippen aufeinander, und fuhr sich mit der linken Hand über ihren grauen Dutt, als würde sie dort Antworten finden wollen. Sie setzte ein paar Mal zum Wort an, sagte jedoch nichts. Ich ließ ihr die Zeit.

»Aber mir gefällt nicht, in welche Richtung die Firma einschlägt. Mehr als die Hälfte der Fälle drehen sich um Drogen, Missbrauch und Dealerei. Und dieser Richter Reynolds … ich weiß nicht, es entwickelt sich nicht so, wie ich und Richard es uns gewünscht hätten.« Mir war neu, dass Rosa auch so dachte. Meine Augen mussten groß sein, denn sie fuhr eilig fort: »Verstehe mich nicht falsch, Kindchen, ich vertraue deinem Dad zu hundert Prozent, aber …«

»Aber?«

Ich glaubte schon zu wissen, was jetzt kommen würde.

»Aber Harrold nicht. Nicht mehr. Er …«

Sie stoppte mitten im Satz, da die Türklinke hinabgedrückt wurde und Dad gehetzt eintrat. Wie so oft, traf sein Blick den meinen nur kurz, auch wenn er in diesen Sekunden viel Zuneigung hineinlegte. Seine Gedanken und seine Kraft galten seit Joeys Tod beinahe gänzlich der Kanzlei.

»Na, ihr zwei Süßen? Besprecht ihr Mädelskram?« Er zwinkerte in unsere Richtung, während er in die Küche ging und die Kaffeemaschine einschaltete.

Doch eine Antwort erwartete er anscheinend nicht, da er gleich weiterredete: »Rosa, ich habe nun alles beisammen. Wenn du möchtest, gehe ich den neuen Vertrag mit dir durch?«

»Das wäre wunderbar, Peter. Danke. Je eher wir es hinter uns haben, desto besser.«

Von was redeten die?

Während Dad sich einen Espresso zubereitete, gab mir Rosa die gewünschte Erklärung: »Ich werde Gebrauch machen von Richards Vertrag und die Kanzlei vollkommen deinem Dad übertragen. Wir haben vor seinem Ableben noch eine Übereinkunft aufsetzen lassen. Und diese gewährt mir die vollkommene Entscheidungsgewalt, wer die Firma leiten darf. Dein Dad bekommt zu seinen jetzigen 51, auch noch Harrolds 49 Prozent.«

Uff!

Damit hätte ich nie und nimmer gerechnet. Im ersten Moment wusste ich darauf nichts zu sagen. Das war die beste Nachricht, die ich seit Langem gehört hatte!

Der Knoten in meinem Magen begann sich ein wenig zu lockern.

»Glaube mir, es war keine leichte Entscheidung. Und wenn ich ehrlich bin«, sie seufzte kurz auf, »hätte ich nicht gedacht, jemals von diesem Recht Gebrauch machen zu müssen. Doch ich tue es für Richard. Ich möchte, dass seine Vision der Kanzlei wieder in Angriff genommen wird.«

»Soll heißen?« Ich rutschte auf dem Sofa ein wenig hin und her.

»Das soll heißen, dass Richter Reynolds die Kanzlei verlassen muss. Seit er dabei ist, ist Harrold nicht mehr er selbst.«

Mir wurde schlagartig kalt, als ich an die letzten Wochen zurückdachte. An das, was er mir, nachdem Ian gestorben war, im Bad gesagt hatte, wie er mich berührt hatte.

Ich schielte auf die ineinander verschränkten Hände auf meinem Schoß, doch Rosa hob meinen Kopf wieder an.

»Es wird alles gut, Kindchen. So ist es am besten.«

Schwach nickte ich.

Dad kam auf uns zu, diesmal mit einem Espresso in der rechten Hand und einem Glas Wasser in der linken.

»Komm, Rosa.«

Sie nahm seinen dargebotenen Unterarm und gemeinsam gingen sie Richtung Arbeitszimmer.

»Ah ja, und Liv!« Dad drehte sich noch einmal um, während er die Tür zum Büro mit dem Fuß aufstieß. »Sag mal, wann hattest du eigentlich vor, mir zu sagen, dass Jon wieder da ist?« Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit, so wie man es nur selten von ihm zu sehen bekam. »Ich habe vorhin im Flur einen Blick auf ihn erhascht.«

Rosa drehte sich mit nach oben gezogenen Augenbrauen ebenfalls zu mir.

Und da war er wieder – dieser Druck auf meiner Lunge. Mein linker Fuß begann nervös zu wippen, und ich schmeckte ein Hauch von Blut auf meinen Lippen, da ich meine Schneidezähne darin versenkte.

»Liebes?« Dad schüttelte lächelnd den Kopf. »So nervös, weil dein bester Freund wieder da ist? Du musst dich doch unendlich freuen. Dein Jon ist wieder da! Endlich!« Das letzte Wort betonte er extra laut, doch ich blieb stumm.

Da riss er panisch die Augen auf. »Oh Gott, du hast es noch nicht gewusst, oder? Jetzt habe ich die Überraschung verdorben. Ich Tölpel!«

»Dad. Nein. Ich habe ihn schon gesehen. Mach dir keinen Kopf, okay?«

Als ich aufstand, fühlten sich meine Beine an wie Pudding. Es wurde auch nicht besser, als ich mich zu meinem Wohnabteil aufmachte.

»Na dann ist ja gut!«, rief er mir hinterher. Ich reagierte nicht darauf, sondern öffnete die Tür zu meinem Flur, und glitt an dieser hinab.

Wieder versenkte ich den Kopf zwischen meine Knie.

Ich wartete auf die Tränen, die sich bereits in mir anstauten. Doch sie kamen nicht.

Now and then

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