Читать книгу Now and then - Ella C. Schenk - Страница 7

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Geschichten erzählen die größten Wunder.

Sie entführen uns in Träume, die wir auch am Tage leben können.

Fabelhafte Welten, in denen wir mit Leib und Seele alles sein,

tun und machen können, was wir wollen.

Ein Leben führen, nach dem unser Herz begehrt.

Ich frage mich, wieso diese Geschichten nicht real werden können.

Was hindert uns daran, die unendliche Fantasie des Geistes umzusetzen? Wahrscheinlich ist es die Furcht vor dem Ungewissen.

Aus Angst bleibt man am Ufer sitzen, ohne es je versucht zu haben. Und dann wird der Traum plötzlich zum Albtraum.

Olivia

Ich hielt es nicht mehr aus. Meine Emotionen wüteten in mir, doch ich konnte ihnen keinen freien Lauf lassen. Irgendwie fühlte ich mich taub und abgeschnitten von mir selbst. Es war mir unmöglich, auf das, was geschehen war, körperlich entsprechend zu reagieren. So viele Gedanken wirbelten in meinem Kopf und keinen einzigen konnte ich richtig fassen.

Holprig stand ich auf und torkelte ins Badezimmer. Doch auch der eiskalte Wasserstrahl vertrieb diese verwirrende Trance nicht. Ich band mein dunkles Haar zu einem lockeren Knoten und zog mir ein schwarzes Strickkleid über, dazu passend eine dicke Strumpfhose, da der Herbst sich schon seit Tagen von seiner windigsten Seite zeigte. Meine braune Ledertasche bestückte ich mit Joeys Tagebuch, ein paar leeren Zetteln und Stiften.

In Situationen wie diesen half mir nur eines: Meine hetzenden Gedanken auf Papier zu bringen und nicht allein zu sein. Schreiben war in diesen Momenten mein einziger Filter, um mein Innerstes nach außen zu kehren. Und das musste ich jetzt tun, bevor ich durchdrehen würde.

Ich kannte mich.

Schon zweimal hatten mich Situationen derart aus der Bahn geworfen, dass ich handelte, ohne nachzudenken.

Und davor hatte ich Angst. Große Angst.

Ich hatte die Person, die ich liebte, in den Abgrund gestürzt, obwohl sie nichts dafür konnte. Die Liebe zu mir hat sie innerlich getötet.

Mum.

Meine Schultern sackten tiefer und mein Blick glitt zu dem dicken Lederarmband an meinem linken Handgelenk. Manchmal wünschte ich mir wirklich, ich könnte die Zeit zurückdrehen.

Dann hätte ich Joey zum Arzt geschleppt, bevor ihre Kopfschmerzen begonnen hätten, und Richard hätte ich ebenfalls einweisen lassen, damit er nie eine Herzattacke hätte erleiden müssen. Jon hätte ich nicht einmal in die Nähe meines Herzens gelassen. Und Remy sowieso nicht. Und Harrold, dieses Arschloch … in meinem Kopf spulten sich so einige Szenen ab, und keine davon war legal.

In einer gerechten Welt hätte dieser Mistkerl sterben sollen, und nicht Joey oder Richard. Doch das reale Leben war nun mal kein Wunschkonzert, das hatte ich schon lange eingesehen.

Ich sah zu meinem kleinen Wandspiegel, welcher so gar nicht in mein Schlafzimmer passte. Sein Rahmen bestand aus einem abgeblätterten hellen Holz, auf welchem in jeder Ecke mindestens zwanzig bunte Perlen klebten, die im Licht schimmerten. Das Einzige, was dem Spiegel in meinem sonst so minimalistisch eingerichtetem Zimmer Konkurrenz machte, war der grün-gepunktete Vorhang an meinem Erkerfenster.

Widerwillig schmunzelte ich, als ich an den Tag zurückdachte, an dem Joey mir diese zwei »Antiquitäten« montierte. Sie meinte, mein Zimmer könnte durchaus mehr Farbe vertragen. Sie hatte recht – wie so oft.

Ich schüttelte den Kopf und betrachtete mich in diesem Spiegel voller Erinnerungen an meine große Schwester. Doch als sich meine braunen Augen auf meine kleine Zahnlücke hefteten, erstarb mein Lächeln prompt, da mir sofort Jon in den Sinn kam, der diese Lücke einst geliebt hatte.

Jon.

Um Himmels willen.

Hitze kroch meinen Hals empor.

Was zum Teufel, verdammt nochmal, machte er nur hier?

Und genau zu einem Zeitpunkt, an dem mein Leben das absolute Chaos war. Anscheinend reichte es nicht, dass Remy mich seit Monaten erpresste, mir jedoch bis heute keinen Grund dafür nannte. Oder dass dieser Julian Reynolds mir auflauerte und mir drohte, sollte Remy sich nicht aus seinen Angelegenheiten raushalten.

Ich verschloss meinen Mund zu einer starren Linie.

Was glaubte der denn? Als wenn Remy auf mich hören würde! Ich hatte doch absolut keinen Schimmer, um was es hier wirklich ging.

Ich senkte meine schweren Augenlider und zählte langsam bis zehn und wieder zurück

Eines nach dem anderen. Tief durchatmen, Olivia!

Es half – ein wenig.

Ich drückte mein Rückgrat durch, krallte meine Nägel so fest in meine Handinnenflächen, dass es wehtat.

Keiner sagte mir etwas. Keiner vertraute mir. Also musste ich selbst die Antworten finden, die ich brauchte.

Spontan beschloss ich, ins Diner zu gehen. Von Aaron wusste ich, dass die Jungs dort heute poltern würden. Und egal wie laut mein blutendes Herz auch schreien würde, ich würde mir Remy vornehmen. Entweder er erzählte mir alles, oder ich würde zur Polizei gehen.

Mal sehen, wie er auf Erpressung reagierte.

Im Pine´s war die Hölle los.

Da die hintere Hälfte der Bar, in welcher sich das Diner befand, bereits aufgrund des Polterns unzugänglich war, musste ich direkt an der Theke Platz nehmen, da sonst nichts mehr frei war.

Joeys Büchlein ließ ich in meiner Tasche, da der Tresen überfüllt war mit kleinen, leeren Tequilagläsern. Hin und wieder lagen auch angebissene Zitronen dazwischen. Doch Hodge – der bärtige Barchef – hatte offenkundig alle Hände voll zu tun. Eine Mädelsgruppe neben mir schien heute den Geburtstag einer ihrer Freundinnen zu feiern. Sie alle trugen eine Schärpe, auf der eine rote 21 prangte. Und das Geburtstagskind selbst trug zu dieser auch noch einen roten, glitzernden Zylinder. Es schmerzte wahrlich in den Augen, als ich ihr zusah, wie sie bereits den zehnten Tequila kippte und es sie jedes Mal darauf heftig schüttelte. Sie trug zu diesem roten Accessoire ein grelles gelbes Minikleid und diese Kombination der Farben war eindeutig zu viel des Guten.

Blinzelnd ließ ich meinen Blick weiterziehen und hoffte auf keine Folgeschäden meiner Augen.

Hodge schmiss gerade eine Flasche in die Luft, um sie danach gekonnt aufzufangen. Eine weitere Mädlsrunde seitlich hinter mir johlten laut auf vor Entzückung, was von Hodge mit einem charmanten, schiefen Lächeln belohnt wurde. Als er auch noch passend zu einem Rocksong mitsang, fiepten sie auf.

Seiner neuen Flamme jedoch, diese Kellnerin mit den langen schwarzen Haaren, unzähligen Tattoos und mehreren Piercings im Gesicht, schien nicht begeistert davon. Mit einem Lappen in der Hand gestikulierte sie wütend in seine Richtung. Doch er bemerkte es nicht einmal, obwohl sie nicht weit weg von ihm stand. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Tricks vorzuführen.

An meiner Unterlippe nagend beobachtete ich die beiden und fragte mich, was den tätowierten Barchef wohl so an ihr faszinierte. Im Gegensatz zu Eliza strahlte sie keinen Deut Herzlichkeit aus. Sie sah eher aus, als würde sich in ihrem Gesicht ein Gewitter zusammenbrauen – mit Donner und Hagel und anschließender kompletter Verwüstung.

Ich zuckte ertappt zusammen, als sie mich beim Starren erwischte. Sofort schlenderte sie hinter Hodge vorbei auf mich zu.

»Willst du was, oder wieso glotzt du mich an?« Ihre Stimme klang, als würde sie alle fünf Minuten an einer Kippe hängen.

»Äh, nein. Doch. Und ich habe dich nicht angestarrt, ich … meine, ich hätte gerne einen Orangensaft«, stammelte ich.

Doch ab meinem »nicht angestarrt« drehte sie sich von mir weg, öffnete mit einem lauten Knall den Geschirrspüler, und begann ihn auszuräumen.

Wow.

Es war eindeutig Zeit, mich woanders hinzusetzen. Hoffnungsvoll sah ich durch die Bar. Und ein paar Verrenkungen später hatte ich Glück. Ein Pärchen legte Geld auf den Tisch, schlüpfte in ihre Jacken und stand auf. Keine zwei Atemzüge später hatte ich es mir auf dieser Holzbank nahe dem Eingang gemütlich gemacht.

Elizas freundliche Kollegin Amy nahm just meine Bestellung auf und zog mit gerötetem Kopf weiter. Heute war wirklich viel los. Dennoch kramte ich Stift, Zettel und Joeys Tagebuch hervor und rutschte ganz nah an die Fensterscheibe. Kaum war alles vor mir ausgebreitet, wummerte mein Herz gegen eine dicke Eisschicht, die ich gedanklich darum gebettet hatte.

Tief durchatmend stellte ich mir vor, dass diese frostige Mauer all meine Gefühle wie Schmerz, Demütigung und Trauer von meinem restlichen Körper fernhielt, damit diese mich nicht vollends von innen auffraßen.

Den ganzen Weg hierher hatte ich mir diesen Schutzwall aus klirrender Kälte gedanklich aufgebaut. Wie es weiterging, wenn diese aufbrach, und sie irgendetwas zum Einstürzen brachte, das wusste ich noch nicht. Doch was ich wusste, war, dass ich dem Ganzen ein wenig Luft machen musste. Und das würde ich nun mit dem Schreiben tun – in Gesellschaft, da so weniger die Gefahr bestand, zusammenzubrechen. Ich schlug ein Bein über das andere, senkte meinen Kopf und schrieb los, ohne großartig nachzudenken.

Es ist dein Schmerz, dein Leiden, dein Groll und dein Klagen der Seele. Doch wieso umkreist mich deine Schwärze, nimmt mir meine Atemluft, verschnürt mir meine Kehle?

Du gehst fort, wendest dich ab, von dem Ort der Trauer. Doch noch so weit weg umkreisen mich deine Gefühle wie eine erstickende Mauer.

Ich versuche, mich zu wehren, vor dieser Angst und Trauer, die sich verbreitet in meinem Herzen. Ich will mich endlich abschotten vor deinen erschütternden, zerreißenden Schmerzen. Doch du lässt mich nicht. Greifst nach mir mit Fingern, die sich in mein Innerstes schneiden.

Was willst du nur? Siehst du nicht, dass ich deine Probleme nicht tragen kann?

Sie lassen mich nur eines: Leiden.

Erkennen heißt, wachsen und lernen.

Leben heißt, Herzblut zu vergießen.

Doch in einer Weise, die dir Harmonie schenkt, nicht etwas, das dich lässt verdrießen.

»Bist du depressiv, oder was?«

Ich schreckte hoch und positionierte sofort meinen rechten Unterarm über das eben Geschriebene, während ich nach meinem ungebetenen Mitleser suchte.

Bernsteinfarbene, spöttisch zusammengekniffene Augen nahmen mich ins Visier.

Ich räusperte mich kurz und versuchte meinen Puls wieder zu beruhigen, der durch meinen Körper donnerte.

»Sydney, richtig?«

Sie verschränkte die Oberarme vor der Brust.

»Olivia, richtig?«, konterte sie kühl.

Ich nickte, griff hastig nach meinem Zettel und verstaute ihn zurück in meine braune Ledertasche, die am Boden an meinen Beinen lehnte. Als ich meinen Kopf wieder hob, krachte ich vor lauter Schusseligkeit auch noch gegen die Tischkante.

»Autsch!« Ich rieb mir über die pochende Stelle.

Sydney hatte inzwischen einfach gegenüber von mir Platz genommen, und schaute mich weiter mürrisch an.

»Stehst du auf Aaron?«, stellte sie mir die absurde Frage.

Fast musste ich auflachen. »Wie bitte? Und ja, du darfst hier sitzen, du kleine Anschleicherin.«

Ich versuchte mich an einem freundlichen Lächeln, doch ließ es schnell sein, da der Gesichtsausdruck von meinem Gegenüber alles andere als reizend war.

»Erstens habe ich mich nicht angeschlichen, du warst einfach sowas von vertieft in deine gefrusteten Worte«, sie zuckte mit den Achseln, »und zweitens musst du doch Liebeskummer haben, oder wieso schreibst du so etwas – denn drittens: Falls es um meinen Bruder geht, wäre die Frage doch berechtigt, nicht? Schließlich bist du auch letztens höchst verstört mit Herzchen in den Augen vor seiner Tür aufgetaucht?«

Sie hob fragend eine Augenbraue und lehnte sich frech ein wenig näher zu mir.

Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus. Von dieser Göre würde ich mich sicher nicht provozieren lassen.

Amy kam wieder vorbei und stellte meinen Orangensaft vor mir ab, während Sydney sich ein Glas Wasser bestellte. Ich musterte dieses scharfzüngige Mädchen.

Sydneys blondes, seidiges Haar ging ihr bis zu den Schultern und umrahmte ihre feinen Züge.

Abgesehen von den hohen Wangenknochen und den Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken war sie Aaron wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie trug ein blau-schwarzes Flanellhemd, was ihr ein wenig zu groß war und das sie mehrmals immer wieder an den Ellbogen nach oben schob. So wie auch jetzt gerade.

Sie schnaubte. »Das Hemd ist von meinem Lieblingsladen aus Texas. Ich habe noch mehrere davon mitgebracht. Also würde ich dich bitten, mir meines zu belassen, und es mir nicht mit den Augen ausziehen. Du bist nicht mein Typ, sorry.«

Es kostete mich wirklich Mühe, ihr daraufhin nicht die Meinung zu geigen. Doch ein Zähneknirschen bekam sie allemal, bevor ich meine Hände auf den Tisch ablegte und ganz langsam den Kopf schief legte.

»Ich habe dich nicht gebeten, dich zu setzen und schon gar nicht lasse ich mich von dir anfauchen. Wir kennen uns kaum, und …«

»Jaja, schon gut!« Sie unterbrach mich und setzte plötzlich ein Grinsen auf, das ich so spitzbübisch nur von Eliza kannte.

Ich kniff die Augen zusammen: »Hast du mich gerade absichtlich versucht zu ärgern?«

Sie schielte an mir vorbei.

Natürlich.

»Sorry, Olivia. War nicht so gemeint. Mir ist einfach nur höllisch langweilig.« Amy brachte ihr das Glas Wasser, an welchem sie kurz nippte, dann fuhr sie fort: »Aaron geht mir größtenteils aus dem Weg, seit ich bei ihm eingezogen bin«, sagte sie seufzend. »Was ich ja irgendwie auch verstehen kann, da mir schon bewusst ist, dass ich ab und an ´ne kleine Nervensäge sein kann. Aber hey, so bin ich nun mal.« Sie kratzte sich den Hinterkopf und wirke dabei ein wenig verloren.

»Hast du ihm denn schon den Grund genannt, wieso du aus heiterem Himmel bei ihm aufgetaucht bist?«

Würde mich selbst schließlich auch interessieren.

Eine leichte Röte überzog ihre Wangen.

»Ähm, nein. Wieso auch?« Nun nestelte sie auch noch an den zu langen Ärmeln herum. Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe. Eine Antwort war wohl nicht nötig. Sie seufzte erneut laut auf und warf dabei die Hände in die Luft. »Ja, schon klar. Ich würde mich an seiner Stelle auch nicht beachten.«

»Aber deine Familie weiß schon, dass du hier bist, oder?«

»Ich habe sie vom Flughafen aus angerufen, ja!« Ihre Wangen wurden nun tief rot.

Mein Kinn klappte nach unten. »Halleluja. Also nichts für ungut, Sydney, aber das ist echt eine beschissene Nummer, die du da abgezogen hast.«

Sie legte ihre Stirn in Falten und wurde prompt bockig. »Na und? In ein paar Wochen ist alles wieder vergessen, da gehe ich hier auf die Highschool und steig wieder bei den Cheerleadern ein. Zu Hause war ich schließlich Captain! Dann passt wieder alles. Punkt. Aus.«

Sie wusste doch selbst, dass das so absolut nicht passte.

Ich ebenso, aber ich enthielt mich einer weiteren Meinung. Schließlich war es nicht meine Familiengeschichte.

Und im Grunde war sie selbst nur höchst verunsichert, das spürte ich. Was wohl in Texas passiert war, dass sie sowas abzog? So schnell würde die Kleine nicht mehr abreisen, da war ich mir sicher.

Und irgendwie tat sie mir ja auch leid.

Da fiel mir etwas ein, um es Sydney hier womöglich ein wenig zu erleichtern, sollte sie tatsächlich bleiben dürfen.

»Wenn du magst, stelle ich dir zwei Freunde von mir vor. Tina und Trev. Die zwei wirst du sowieso spätestens in der Schule kennenlernen. Es wäre doch bestimmt leichter für dich, wenn du zuvor schon etwas Anschluss finden könntest?«

Ich hob meinen Saft und nahm die ersten wohltuenden Schlucke, verschluckte mich aber, als Sydney sich plötzlich mit dem Oberkörper auf den Tisch legte und mich an sich zog. Fast verschüttete ich das Getränk.

»Das wäre toll, danke«, murmelte sie, schoss wieder zurück, lehnte sich an die Bank und verschloss sich vor mir.

Mein Hüsteln und das anschließende »Gern geschehen« gingen beinahe im dumpfen Bass unter, der plötzlich viel lauter als zuvor durch die Bar wummerte. Ich sah auf die silberne Uhr, die neben einer alten E-Gitarre an der Wand hing, und staunte nicht schlecht. Wo war nur die Zeit hin? Das Poltern würde gleich beginnen.

»Für wen waren eigentlich diese traurigen Worte bestimmt?«, fragte sie ernst.

Sie wiederholte die Frage, da ich nicht gleich antwortete, weil ich gerade mein Handy in die Hand nahm und sah, dass Dad mich schon fünfmal versucht hatte, zu erreichen.

»Für alle und niemanden«, nuschelte ich nur. Halbsitzend, halb stehend fluchte ich kurz und wandte mich Sydney zu. Ich versuchte mich heraus zu reden. »Ähm, vergiss es einfach wieder. Ich gehe kurz nach draußen. Muss telefonieren, gut?«

Sie nickte und widmete sich ihren Fingernägeln.

Draußen angekommen, atmete ich geräuschvoll aus und sammelte mich. Erst dann rief ich Dad an – er nahm jedoch nicht ab. Seufzend steckte ich das Handy in die kleine eingenähte Tasche meines Strickkleides und sah mich um.

Die Schatten der anbrechenden Nacht krochen bereits durch die Straßen und die Laternen begannen leicht zu dimmen. Es herrschte reger – und wie immer – laut hupender Verkehr, mehrere Spaziergänger kreuzten meinen Blick. Trotz, dass es November war, war es nicht kalt – nur windig. Die letzten Wochen hatte sich die Sonne kaum unterkriegen lassen, als wäre sie noch nicht bereit, sich dem anbahnenden Winter unterwerfen zu wollen.

Ich hoffte, dass es morgen bei Kats und Mase´ Hochzeit auch so sein würde. Kat erzählte mir zwar, dass sie zu ihrem langärmeligen weißen Kleid eine mit Perlen bestickte Jacke hatte nähen lassen, dennoch wollte sie die Fotos ohne diese machen. Denn ihr prachtvolles Kleid hatte am Rücken und den Seiten wunderschöne, leicht goldschimmernde Blumenmuster.

Mein Handy surrte und zerstäubte die Erinnerungen im Nu. Ich fischte es aus meinem Kleid hervor und entsperrte es. Dad simste und fragte, ob ich seinen Hausschlüssel unbeabsichtigt eingesteckt hätte.

Nein, hatte ich definitiv nicht. Dies schrieb ich ihm sogleich retour, wie auch, dass sich ein Zweitschlüssel bei Maria befand, sollte er seinen nicht mehr finden. Er antwortete nicht mehr, so steckte ich mein Handy wieder ein. Würde er mich und meinen Schlüssel noch brauchen, dann wusste ich, er würde anrufen.

Ich drehte mich gerade zu der schwarzen Eingangstür der Bar um, als lautes Gejohle von der gegenüberliegenden Straßenseite meine Aufmerksamkeit erregte. Mit einem leichten Bauchrumoren drehte ich mich um und: Bingo! Die Polterrunde kam an – und wie!

Der Bräutigam saß auf Jers Schultern und brüllte wie ein Gorilla quer durch die Gegend. Dazu schlug er sich die Fäuste immer wieder auf die Brust. Und jep, je näher sie kamen, desto logischer wurde mir diese Aktion.

Denn ein paar der Gruppe steckten doch tatsächlich in einem Ganzköperaffenkostüm, lediglich ihre Gesichter waren von keinem schwarzen Fell umgeben. Dafür hatten sie eine aufgemalte Banane auf der rechten Wange. Mase hatte zudem eine aus Blättern gefertigte Schärpe um seinen Oberkörper gewickelt, an der doch tatsächlich einige Bananenschalen hingen.

Igitt!

Anscheinend verzog ich mein Gesicht, denn Jer schrie, als er vor mir zum Stehen kam: »Du musst dich nicht ekeln vor unserem Tarzan! Die Bananas sind ganz frisch. Wir haben sie erst zuvor gegessen!« Er fuhr sich mit der Zunge über seine Lippen und die anderen grölten los.

Lächelnd und dennoch ein bisschen angespannt blickte ich in die Gesichter der Feiernden. Doch nein. Remy, Jon und Aaron waren nicht dabei. Prompt zog sich mein Magen verärgert zusammen, wenngleich eine gewisse Erleichterung mich durchflutete.

Heute wird er mir nicht entwischen. Komme, was wolle.

Ich räusperte mich kurz. »Wie ich sehe, fehlen noch ein paar. Kommen sie nach?«

Jer wusste sogleich, wen ich meinte. »Remy verspätet sich, und Aaron …«

»Ja?«, fragte ich und zog meine Augenbrauen in die Höhe, weil er so herumdruckste.

»Ja, also Aaron klärt Jon gerade darüber auf, was er als Trauzeuge morgen alles zu beachten hat.« Er drehte seinen Kopf hilfesuchend nach oben zu seinem Bruder, doch der grölte wieder irgendetwas in der Gegend herum. »Aber auch sie kommen noch ins Diner.«

Ich nickte nur. War klar, dass es so kommen würde. Jon war heimgekehrt, und würde – neben Jer – auch den Part des Trauzeugen übernehmen.

Jer sah mich mit einem Hundewelpenblick an, so als hätte er mir eine Hiobsbotschaft übermittelt.

Ich lenkte daraufhin sofort ein: »Das ist doch logisch. Aber weißt du, wo Remy steckt?«

Ich schluckte ein paar Mal angestrengt.

Jers Miene entspannte sich ein wenig. »Er hat gesagt, er müsse im Büro noch etwas regeln.«

Gut, dann würde ich ihm dort einen Besuch abstatten.

»Danke! Und jetzt«, ich ging auf die Tür zu, öffnete sie mit einer ausholenden Armbewegung, »ab mit euch nach drinnen. Die erste Runde geht auf mich!«

Ich warf ihnen ein gepresstes Lächeln zu, denn innerlich war ich wieder bis zum Reißen gespannt. Morgen müsste ich tatsächlich Jon wiedersehen. Irgendwie konnte ich das noch immer nicht ganz glauben.

Jer ließ Mase von seinen Schultern, und einer nach dem anderen drückte mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie nach drinnen verschwanden.

Ich roch den Alkohol deutlich an jedem Einzelnen. Ich folgte dem Letzten – Kev, Mase´ Arbeitskollege – in die Bar und ging schleunigst zurück zum Tisch, wo sich zwar noch meine Tasche befand, aber von Sydney keine Spur mehr war.

Ich zog ein paar Geldscheine hervor, ging zum Bartresen und drückte sie Hodge in die Hand. »Ich denke, das müsste für mindestens zwei Runden Bier reichen, oder?«

Er sah mich fragend an und ich formte mit meinem Mund lautlos das Wort: »Poltern.«

Hodge antwortete mit einem »Alles klar« und zählte nach.

Beim genaueren Hinsehen erkannte ich, dass er zwei Knutschflecke an seinem Hals hatte. Ich lugte zu seiner Freundin, die gerade höchst konzentriert einen Drink zubereitete.

»Eigentlich reicht es sogar für drei Runden«, klärte er mich auf.

»Gut, dann bring den Affen mal die erste.«

Ich zwinkerte ihm zu und suchte während des Hinausgehens die Bar nach Sydney ab, doch ich konnte sie nirgends entdecken.

Schade.

Ich hätte ihr noch gerne meine Handynummer gegeben, für den Fall, dass sie etwas benötigen sollte.

Draußen angekommen lief ich schnurstracks über die Straße zu einem freien Taxi. Ich nannte dem Fahrer die Adresse von Remys Büro.

Heute würde ich ihn nicht mehr von der Angel lassen. Ich hatte die Nase voll von diesen undurchsichtigen Halbwahrheiten.

Now and then

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