Читать книгу Was die Spatzen im Zoo von den Dächern pfeifen - Ellen Driechciarz - Страница 17
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Junge Haussperlinge erobern die Welt
Die erste Nacht ohne ihr kuscheliges Nest haben die Spatzenkinder gut überstanden. Doch erst spät am Morgen sind sie mit den Eltern im ungewohnten Nachtquartier aufgewacht. Nun rekeln und strecken sich alle genüsslich, schütteln eifrig ihr Federkleid auf und blinzeln dann zufrieden in den freundlichen Tag. Elise und Anton halten sich jedoch nicht lange auf, denn sie müssen wieder zur Nahrungsbeschaffung los. Die Aufgabe als Versorger ihrer Spatzenbrut ist noch längst nicht erledigt. Die vier unselbstständigen Spatzen werden von ihnen noch so lange geduldig verköstigt, bis sie gelernt haben, sich selbst zu versorgen.
Als Anton und Elise davonschwirren, schauen ihnen die Kinder vertrauensvoll hinterher. Sie haben jetzt nichts weiter zu tun, als zu warten. Eine Weile beschäftigen sie sich damit, in der Hecke umherzuhüpfen. Dann setzen sie sich in eine günstige Warteposition, schließen die Augen und genießen die warmen Sonnenstrahlen. Bestimmt sind die Eltern bald zurück.
In regelmäßigen Abständen kommen Anton und Elise mit Futter zu den Jungen zurück. Geschäftig fliegen sie hin und her, bis sie nach wenigen Tagen ihre Strategie ändern. Nun bleiben sie mit den Futterhappen in einiger Entfernung sitzen. Damit wollen sie die hungrigen Spätzchen zu sich locken, aber die haben schnell den Bogen raus. Unerschrocken folgen sie den Eltern überallhin und stärken dabei ihre Flugmuskulatur. Schon bald huschen sie gekonnt durch Hecken, schwirren elegant von Busch zu Busch, flattern hurtig über Besucherwege und sausen geschickt um Ecken herum, genau wie die Großen.
Auf ihren Flügen beobachten Heiner und die Mädchen alles um sich herum sehr aufmerksam und schon bald wissen sie, wo sich die Futtersuche lohnt und was es dort alles gibt. Und so ganz nebenbei lernen sie, endlich allein zu fressen. Sie futtern nun ebenfalls Sämereien und Körner wie alle älteren Spatzen.
„Insekten sind was für Knirpse“, verkündet Heiner hierauf frech und auch die Mädchen fühlen sich jetzt sehr erwachsen.
Insektennahrung steht der Vogelwelt nicht das ganze Jahr zur Verfügung, deshalb fliegen viele Vogelarten im Herbst in südliche Länder. Haussperlinge finden jedoch immer Futter. Aus diesem Grund bleiben sie ihrer Heimat selbst im Winter treu. Obendrein beschert ihnen die Nähe zum Menschen zusätzlich eine Reihe ergiebiger Nahrungsquellen. Jedoch geraten neuerdings die Hausnachbarn des Menschen immer mehr in Not. Das liegt daran, dass sich für beide die Lebensbedingungen geändert haben. Während die einen ein modernes Wohnambiente bevorzugen, darben die anderen in diesem Umfeld. Da fehlt es Haussperlingen nämlich an Futter und Nistmöglichkeiten für die Jungenaufzucht und auch sonst sind natürliche Nahrungsmittel rar. Deswegen sind Erfindergeist und Mut zur Anpassung gefragt.
Ein Leben im Zoo allerdings ist wie geschaffen für Haussperlinge, denn es bietet den kleinen, vorwitzigen Gesellen eine Vielzahl an Leckereien. Neben ihrer eigentlichen Nahrung, die sie im grünen Park natürlich überall finden, können sie sich entweder bei den Futtermitteln für die Zootiere bedienen oder sie leben von den anfallenden Krümeln, die ihnen Zoobesucher nur zu gern an Imbissbuden, Kiosken oder auf Gaststättenterrassen überlassen. Schon bald werden auch die vier Spatzenkinder diese reiche Palette an Futtermitteln kennenlernen.
Zunächst schwärmen Anton und Elise regelmäßig mit ihnen auf die umliegenden Tieranlagen aus. Die Spätzchen staunen nicht schlecht, denn die Zootiere teilen widerspruchslos ihre Mahlzeiten mit ihnen. Später suchen sie in den angrenzenden Grünanlagen nach den Sämereien von Wildkräutern, die auf gar keinen Fall auf ihrem Speiseplan fehlen dürfen und hervorragend schmecken. Bei dem nahezu verschwenderischen Futterangebot ringsum ist es kein Wunder, dass noch viel mehr Sperlingsfamilien im Spatzenrevier auf Nahrungssuche unterwegs sind. Heiner und seinen Schwestern gefällt diese Betriebsamkeit. Sie fühlen sich genau wie andere Haussperlinge erst in Gesellschaft richtig wohl. Und irgendwann, wie auf ein geheimes Zeichen hin, treffen sich die umherstreunenden Gruppen in einer der vielen Hecken und veranstalten dort gemeinsam ein Spektakel, wie nur Haussperlinge es können. Elise, Anton und die Kinder sitzen mittendrin und tschilpen ebenfalls, was das Zeug hält. Die Stimmen der Kleinen sind noch nicht so kräftig, aber sie machen das mit entschlossener Ausdauer wett. Anschließend ziehen die Familien, eine nach der anderen, zur beliebten trockenen Sandstelle im Wisentgehege. Dort steht für alle ein genüssliches Staubbad zur Gefiederpflege an. Manchmal ist das Sandbad jedoch belegt, denn auch die Wisente lümmeln gern an diesem Ort herum.
So plätschern die Tage im Gleichklang dahin. Doch dann erleben die Sperlingskinder unerwartet etwas Neues. Am Mittag schwirrt ein Spatzentrupp eilig an ihnen vorbei und verschwindet schnell aus ihrem Blickfeld. Sie schauen noch verwundert hinterher, als schon der nächste Pulk folgt, ebenso zielstrebig.
„Wo wollen denn alle hin?“, fragt Moni erstaunt.
„Es ist Wochenende“, ruft Anton freudig aus. Er weiß, wohin die Sperlinge unterwegs sind.
An den Wochenenden kommen mehr Besucher in den Zoo als an den Wochentagen. Dann bevölkern sie natürlich auch den Imbiss am Streichelgehege. Und bei großem Ansturm bleiben immer wieder Essensreste liegen, an denen sich findige Haussperlinge gütlich tun. Manche Gäste teilen sogar gleich ihr Essen mit den niedlichen Vögeln, denn das bereitet ihnen viel Vergnügen. Alte, erfahrene Haussperlinge kennen diese Glückstage und suchen gezielt den Imbiss bei der Nahrungssuche auf.
Heute ist es also wieder so weit. Für Anton und Elise die Gelegenheit, die Jungen, den anderen hinterher, zum Imbiss am Streichelgehege zu führen.
„Kommt, Kinder. Wir zeigen euch eine neue Futterstelle.“ Elise winkt den Kleinen, ihr zu folgen, und beschwingt machen sie sich auf den Weg.
Bislang sind den Spätzchen die fremdartigen Delikatessen unbekannt, jedoch soll sich das gleich ändern. Erwartungsvoll schwirren Heiner, Lisa, Moni und Tine den Eltern hinterher.
Zunächst setzen sich die Sperlingskinder in gebührendem Abstand zur unbekannten Futterstelle nieder. Von dieser Position aus wollen sie das Geschehen erst einmal beobachten, denn gelernt ist gelernt.
„Gut gemacht“, freut sich Elise und betrachtet ihren Nachwuchs stolz. Dann fordert sie die Kleinen auf, sich in das Gewirr aus Tisch-, Stuhl- und Menschenbeinen hineinzuwagen, denn dort liegen die anvisierten Happen.
Heiner schnappt vor Schreck nach Luft und auch Lisa bleibt der Schnabel offen stehen. Moni überlegt angestrengt, wie das gehen soll. Wenn sie dorthin wollen, müssen sie als Erstes ihre angeborene, aber in vielen anderen Situationen angebrachte Scheu überwinden. Das ist leichter gedacht als getan. Elise muss dem ängstlichen Nachwuchs richtig Mut machen, bis er bereit ist, ihr zu folgen. Sie zeigt den Kleinen genau, wie es geht, und nach einer Weile trauen sie sich und tummeln sich ebenso ausgelassen wie die anderen munteren Spatzen am Boden unter den Tischen. Dort fällt für jeden genügend ab. Dabei merken die Spätzchen schnell, wer am drolligsten herumhopst, bekommt von den Menschen die Köstlichkeiten sogar persönlich serviert. Heiner und Lisa sind ihnen gegenüber gleich sehr zutraulich und werden deshalb reichlich mit Futterbröckchen, die ihnen vor allem Kinder zuwerfen, belohnt. Weil Moni und Tine nicht so mutig sind, tragen Heiner und Lisa ihre erbeuteten Leckereien zu den beiden, um sie mit ihnen zu teilen. Geschwister müssen doch zusammenhalten. Jedoch überwinden auch die Zaghaften nach einiger Zeit ihre Furcht und holen sich das Futter selbst.
Ein Gutes hat der Menschenandrang am Kiosk. Je mehr Besucher da sind, umso ergiebiger ist das Angebot für die Haussperlinge. Doch irgendwann passt auch in einen noch so hungrigen Bauch nichts mehr hinein. Da machen sich Elise und Anton mit den Spätzchen zur Tiertränke am Ziegenstall auf, spülen alles mit mehreren Schlucken Wasser hinunter und flattern weiter in die Hecke am Haus. Eine Verdauungspause tut jetzt gut. Träge blinzeln sie in die Gegend und zwitschern diesmal nur leise vor sich hin.