Читать книгу Was die Spatzen im Zoo von den Dächern pfeifen - Ellen Driechciarz - Страница 19

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Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Sie müssen wohl eingeschlafen sein. Unsanft werden die Sperlingskinder von großen, kalten Wassertropfen geweckt. Erschrocken verziehen sie sich tiefer in die Hecke.

„Ein schöner Regenschauer“, freut sich Elise aufgekratzt. „Kommt wieder nach oben, wir wollen ein Bad nehmen“, ermuntert sie die Kleinen.

Zögernd hüpfen die Jungen zurück auf die Zweigspitzen an die Seite der Eltern. Dort oben bleiben sie einfach im Regen sitzen und lassen die Tropfen geduldig auf sich niederfallen. Gelegentlich verteilen sie das Wasser überall im aufgeplusterten Gefieder, bis es irgendwann nass genug ist. Dann bearbeiten die Haussperlinge ihre feuchten Federn gründlich mit dem Schnabel. Sie werden sauber geputzt, sorgfältig aufgelockert, ordentlich geglättet und tadellos in Form gelegt. Am Ende braucht das Gefieder nur noch vollständig zu trocknen und das reinigende Bad ist abgeschlossen. Sogleich fühlen sich die Sperlinge wie in ein neues Federkleid gehüllt.

Eine Weile bleiben sie noch auf den Zweigen hocken, aber den Spatzenkindern fallen schon wieder die Augen zu, denn auch das Bad hat sie auf angenehme Weise müde gemacht. Anton und Elise sind sich einig, dass sie am besten in ihre gewohnte Schlafhecke zurückkehren. Sogleich machen sie sich auf den Weg.

An der nächsten Weggabelung halten die Eltern jedoch noch einmal kurz an. Elise weist mit dem Flügel einen Besucherweg hinunter, den die Jungen bis jetzt noch nicht kennengelernt haben. Sie schauen neugierig in die angegebene Richtung und dann erwartungsvoll zu ihrer Mutter.

„Auf diesem Weg gelangt ihr zu Opa Gustav“, bekommen sie überraschenderweise zu hören und Elise fügt noch die genaue Wegbeschreibung hinzu. „Ihr müsst über zwei Kreuzungen hinweg bis zu einer weiteren Kreuzung fliegen. Dort biegt ihr rechts ab und folgt dem neuen Weg. Auf dieser Strecke schwirrt ihr an zwei Hecken vorbei, passiert drei große Buschgruppen und fliegt noch einmal an zwei weiteren Hecken entlang. Dahinter gelangt ihr an einen Picknickplatz für Besucher. Gleich gegenüber befindet sich die große Adlervoliere, in der Opa Gustav wohnt.“

Die Müdigkeit der Sperlingskinder ist wie weggeblasen. Das ist ja mal eine Neuigkeit. Nach kurzem Schweigen zwitschern Heiner und die Mädchen mit vielen Fragen aufgeregt drauflos.

„Wir reden im Nachtquartier darüber“, übertönt Anton die schnatternde Schar und versucht mit einem weiteren Einwand, ihren Eifer zu bremsen. „Für Haussperlinge ist es ein weiter Weg, auf dem man nicht bummeln darf.“ Keinesfalls sollen die Jungen die Entfernung zur Adlervoliere unterschätzen.

Auch in ihrem Unterschlupf kommen die Spätzchen nicht zur Ruhe, die Sehnsucht nach der Ferne ist auf einmal übermächtig. Elise weiß, sie hat ihnen den Grund dafür geliefert. Nun zappeln die Jungen wie auf glühenden Kohlen auf den Sitzplätzen herum und die Schnäbel gehen in einem fort. Heiner bittet Elise mehrmals, den Weg zur Adlervoliere zu erklären, denn er ist erst zufrieden, als sich dieser tief in sein Gedächtnis eingeprägt hat. Moni und Lisa zwitschern aufgeregt dazwischen. Sie haben sich den Weg schon bei der ersten Erklärung gemerkt. Doch auch für Tine wiederholt Elise alles noch einmal geduldig, denn keines ihrer Kinder soll benachteiligt werden. Auf diese Weise tönt bis spät in die Nacht ein lebhaftes Tschilpen aus dem Quartier der Spatzenfamilie. Aber dann kuscheln sich die Spätzchen glücklich aneinander und schlafen endlich ein.

Anton und Elise sinnen noch ein wenig über die Zukunft nach. Sie kennen den großen Traum ihrer Kinder von einer Reise durch den Zoo und haben sich längst damit abgefunden. Glücklicherweise konnten sie den Kleinen entlocken, dass sie mit ihrem Großvater auf Reisen gehen wollen. Unter seinen Fittichen werden sie gut aufgehoben sein.

Natürlich sind Heiner, Lisa, Moni und Tine mittlerweile alt genug, um sich ohne Eltern einem Spatzenschwarm anzuschließen oder eben um auf Entdeckungsreise zu gehen. Sie haben alles Lebensnotwendige gelernt und dabei eine sehr gute Figur gemacht. Anton und Elise können sie also mit ruhigem Gewissen in die abenteuerliche Spatzenwelt des Zoos entlassen. Sie dagegen werden sich einer weiteren Jungenaufzucht in der Brutkolonie am Ziegenstall widmen. Somit rückt für alle unausweichlich der Abschied näher, wobei die Jungvögel ungewöhnliche Abenteuer locken und auf die Eltern wieder der Alltag einer anstrengenden Brut wartet.

Am Morgen erwachen die Spatzenkinder gut gelaunt, aber es regnet wieder und augenblicklich sinkt die Stimmung. Anton und Elise trösten ihren missgelaunten Nachwuchs mit der Aussicht auf ein trockenes Frühstück. Alle sausen durch den regnerischen Morgen und erreichen rasch die geschützte Futterquelle in einem Stall. Nach einer gemütlichen und wirklich leckeren Mahlzeit zieht es die Familie zu einer gut beschirmten Hecke hinüber, um in deren Schutz weiter Pläne für die Zukunft zu schmieden. Am liebsten würden die Jungen ja sofort aufbrechen, aber die Eltern raten ihnen, noch etwas abzuwarten. Bei solch einem Wetter bleiben alle Haussperlinge lieber daheim und fliegen nur vor die Tür, wenn es nicht anders geht.

Heiner und Lisa verlangen den sofortigen Aufbruch, Moni und Tine sind hingegen angesichts des Regens unentschlossen.

„Mit ständig nassem Gefieder kommt ihr nicht weit“, belehrt Elise ihre Kinder.

Indes versucht Anton, die Spätzchen zu beruhigen. „Der Sommer hat doch erst begonnen und das Jahr ist noch lang.“

Elise gibt Anton recht und unterstützt seinen Versuch, die Spätzchen zu beschwichtigen. „Ja, es bleibt ausreichend Zeit, um alle eure Pläne zu verwirklichen.“

Nach einigem Hin und Her lassen sich Heiner und die Mädchen dann doch von den erfahrenen Alten zu einem Reiseaufschub bewegen.

Die unwillkommenen Regenschauer halten jedoch länger an als gedacht. Um dieser Sache dennoch etwas Gutes abzugewinnen, schlagen Anton und Elise ihrem Nachwuchs vor, den Regen zum Baden zu nutzen. Keiner kann wissen, wie oft sie in diesem Sommer überhaupt dazu Gelegenheit bekommen werden.

„Wir müssen nehmen, was wir kriegen können“, versucht Elise, die Kinder zu überreden.

Da lassen sich die Kleinen nicht lange bitten. Schnell finden sie großen Spaß daran, übermütig in den überall auf den Wegen entstandenen Pfützen zu planschen. Und es geht nicht nur ihnen so. Früher oder später treffen alle jungen Haussperlinge aus der Nachbarschaft an den Wasserlachen ein und veranstalten ausgelassene Wasserspiele, wie nur Kinder es können. Gern lassen die erfahrenen Alten den Jungen diesen Spaß. Sie selbst bleiben lieber in den Büschen hocken, mit ihren Gedanken schon beim bevorstehenden Brutgeschäft.

So ähnlich wie die Spatzen verhalten sich auch die Menschen. Viele bleiben bei Regenwetter zu Hause und nur hartnäckige Kinder überzeugen ihre Eltern von einem Zoobesuch. Damit das Wetter ihnen nichts anhaben kann, erscheinen die kleinen Zoobesucher mit einer kompletten Schlechtwetterausrüstung. Sie fühlen sich damit so sicher, dass sie ebenfalls mit dem allergrößten Vergnügen von Pfütze zu Pfütze hüpfen und das Wasser nur so spritzen lassen. Damit unterbrechen sie zwar hin und wieder den Badespaß der Zoosperlinge, doch irgendwann sind ja die Pfützen für die Haussperlinge wieder frei.

Auf diese Weise plätschern nicht nur Regentropfen vom Himmel, sondern auch die Tage einer ganzen Woche dahin. Für die Sperlingsfamilie Zeit genug, um gebührend voneinander Abschied zu nehmen.

Was die Spatzen im Zoo von den Dächern pfeifen

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