Читать книгу Was die Spatzen im Zoo von den Dächern pfeifen - Ellen Driechciarz - Страница 7
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Es beginnt im Frühling
Außergewöhnlich laut schallt an diesem Morgen das Hämmern eines Spechtes durch den Zoo. Immer wieder trommelt der Bursche auf den Stamm einer alten Birke ein, huscht um den Stamm herum und klopft an anderer Stelle weiter. Weil zur Stunde noch eine besondere Ruhe herrscht, ist der Hall der hämmernden Schnabelhiebe weithin zu hören. Dabei ist die Luft kühl und klar und verspricht einen freundlichen Frühlingstag. Aber nach und nach gesellen sich weitere Geräusche zum Trommelwirbel des Spechtes, denn muntere Vögel stimmen ihr Morgenkonzert an. Etwas später lassen sich auch die ersten Zootiere vernehmen und dann ist die Geräuschkulisse wie an jedem anderen Tag.
Die große Birke steht seit Jahr und Tag am Ziegenstall und ihre eindrucksvolle Erscheinung bietet allem ringsum wie selbstverständlich Schutz und Zier. Vor allem die weiße Rinde verleiht dem Baum ein freundliches Aussehen, obwohl das Alter die Borke am unteren Teil des Stammes hat schwarz aufreißen lassen. Lange, noch blattlose Zweige hängen in üppigen Strähnen von den Ästen herab und rascheln leise im Wind. Sie mögen jetzt noch kraftlos erscheinen, aber schon bald werden aus prallen Knospen zartgrüne Blätter sprießen.
Es ist erst Anfang März, doch das Brutgeschäft der Haussperlinge ist in vollem Gange. Vorerst stört sie niemand dabei, denn die Zugvögel kommen einige Zeit später aus dem warmen Süden in den Zoo zurück. Aber unter ihnen gibt es ein paar Nistplatzkonkurrenten, die sich ebenfalls für Brutplätze, wie sie Spatzen bevorzugen, interessieren. Haussperlinge verbringen jedoch auch den Winter am heimatlichen Ort, wo sie selbst in der kalten Jahreszeit genügend Nahrung und trockene Unterkünfte finden. Natürlich nutzen die Spatzenpärchen den Zeitvorsprung im Frühling aus, um sich beizeiten in ihren Brutrevieren häuslich einzurichten. Und dort geben sie dann, für alle weithin hörbar, den Ton an. Der Schwarm vom Ziegenstall hat nun ebenfalls die Nischen und Höhlen unter dem Dach des Hauses in Beschlag genommen und in Spatzenmanier machen alle Vögel viel Aufhebens darum. Die Nistplätze sind hart umkämpft und jede Eroberung wird lautstark bekannt gegeben. Das ganze Theater bekommen im Moment freilich die wenigsten Zoobesucher mit, denn so früh im Jahr und bei unbeständigem Wetter lassen sich selten welche sehen.
Überall sind die Spatzen zunächst mit der Balz und dem Nestbau beschäftigt. Bei der Werbung machen die Männchen den Weibchen schöne Augen und werfen sich mächtig in die Brust. Sogar auf ihr Aussehen bilden sie sich etwas ein, obwohl es da nicht viel zu sehen gibt. Haussperlinge haben schlichte Gefiederfarben, jedoch erscheinen die Männchen mit ihrem aschgrauen Scheitel, den kastanienbraunen Streifen an den Kopfseiten und dem schönen schwarzen Brustlatz bedeutend attraktiver als die unauffälliger gefärbten Weibchen. Und voller Elan zeigen sie das jedermann.
Der von Sperlingsmännchen vorgetragene Gesang betört wohl auch nur Spatzendamen. Für menschliche Ohren hört sich das unmelodische Tschilpen nicht gerade schön an, aber ihr gefällt es. Vor der Hochzeit hüpfen die Männchen aufgeplustert und mit aufgeregt flatternden Flügeln um das auserwählte Weibchen herum. Doch oftmals streiten sich mehrere Herren heftig um eine Dame, sodass es bei der Partnerwahl ganz schön ruppig zugeht. Sind sich jedoch zwei einig, wird ohne Scheu vor aller Augen und ziemlich beharrlich die Paarung vollzogen.
An derlei ungestümen Hochzeitsbräuchen beteiligen sich Anton und Elise nicht mehr. Die beiden haben sich vor etlichen Jahren gefunden und sind seitdem ein Paar. Damals hat sich Anton sofort in das reizende, junge Spatzenmädchen mit der weißen Feder im Brustgefieder verguckt. Und diese kleine, von ihrem Vater geerbte Eigenheit liebt Anton bis heute. Er dagegen hat Elise mit seinem großen Geschick beim Nestbau beeindruckt und für sich gewonnen. Sie gehören zusammen, so wie sich auch andere Haussperlinge ein Leben lang treu bleiben.
Anton und Elise sind längst keine Anfänger mehr. Sie haben jahrein und jahraus zuverlässig für gesunden Nachwuchs gesorgt, sodass sie es heute im gesetzten Alter gemächlicher angehen lassen und sich vor allem auf das Wesentliche konzentrieren. Während sich andere Spatzenpärchen noch um die Nistplätze raufen, haben sich Anton und Elise schnell für einen Brutplatz entschieden und ihn gleich besetzt. Doch letztlich gibt es in der Nähe für alle genügend Nistmaterial und reichlich Futter für die Jungen. Auch spendet die große, anmutig wirkende Birke den Spatzennestern unter dem Dach Schatten und sorgt damit in heißen Sommern für angenehme Kühle. Doch vor allem lieben Anton und Elise die Aussicht. Von ihrem Nest aus können sie jederzeit das lustige Treiben der Ziegen und sogar das der Zoobesucher beobachten.
An ebendieser idealen Stelle hat der fesche Baumeister Anton seiner Elise auch diesmal wieder ein sehr kunstvolles Nest präsentiert. Er baut nicht einfach nur stabil, nein, er überrascht Elise gern mit ausgesprochen weichen Daunen als Polstermaterial und schmückt das Nest zusätzlich mit bunten Federn aus. Nur er weiß, wo man so schöne Federn findet. Obwohl die Nachbarn über so viel Luxus verwundert die Köpfe schütteln, genießt Elise diese Aufmerksamkeiten und richtet sich für das bevorstehende Brutgeschehen in der prunkvollen Unterkunft gemütlich ein.
In der Zwischenzeit hat Elise vier helle, unterschiedlich graubraun gefleckte Eier gelegt, die nun die volle Aufmerksamkeit der Spatzeneltern verlangen. Jetzt heißt es beharrlich brüten, denn nur aus gleichmäßig gewärmten Eiern schlüpfen kräftige Junge. Dazu wechseln sich beide Partner ab, aber Elise übernimmt, wie alle Spatzendamen, die Hauptarbeit.
Dann beginnt es zu regnen und das Wasser rinnt unaufhaltsam an den überhängenden Zweigen der Birke herab. Dem Baum verleiht das einen traurigen Ausdruck, der jedoch zum trübsinnigen Wetter passt. Das Nest aber liegt geschützt und trocken. Beim Brüten unterstützt Anton seine Elise tatkräftig und er bringt ihr jeden Tag eine neue, bunte Feder als Nestschmuck mit. Dafür fliegt er weite Wege in den Zoo hinaus. Aber weder diese Anstrengung noch das schlechte Wetter macht ihm etwas aus. Des Nachts schlüpft er mit ins Nest und zwitschert mit Elise in trauter Zweisamkeit. Gespannt erwarten beide das Ende der fast 14 Tage dauernden Brutzeit.