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TRAVESTIE DER LIEBE
ОглавлениеDiese Tragödie einer Frau sah ich an einem Abend in der Zeit von elf bis zwölf Uhr nachts in einem Café der »besseren bürgerlichen Gesellschaft« sich abspielen. In einem der vornehmen Ringcafés wäre es nicht verwunderlich gewesen; alle diese Cafés dienen nachts hauptsächlich dem Geschäfte der Liebe.
Aber in einem Café, das nur von Bürgern besucht wird – –
Doch ich will von Anfang an erzählen. Einige Minuten nach elf Uhr trat ein Fräulein, ein etwas ältliches Mädchen, ein. An ihrem Mantel mit Pelzkragen fehlte nicht das Modeblümchen.
Sie legte den Mantel ab, setzte sich an einen Tisch, bestellte ein Glas Tee.
Nun saß sie da in ihrem leichten, billigen Kleid aus Kunstseide, buntes Hütchen auf dem Kopfe. Das unschöne, spitze Gesicht mit den leeren Augen sah abgemagert, verfallen, verhungert aus.
Sie musterte alle Tische, an denen Herren saßen, mit dem gewissen scheuen Seitenblick der Straßenmädchen. Nach einer Weile stand sie auf, verschwand für kurze Zeit. Als sie wiederkam, sah sie ganz verändert aus: die Wangen rosa und weiß, die Lippen leuchteten rot, aus den schwarz unterstrichenen Augen sprühten die Blicke. Nur die Schulterknochen, die bloß und häßlich aus dem Ausschnitt herausragten, konnten nicht weggetäuscht werden; doch es fiel ihr etwas ein, sie schmückte sich mit einem schwarzen Spitzentuch Ach, wie erbärmlich war ihr Bemühen, die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen. Es wollte sie lange keiner ansehen, die meisten Bürger waren mit Frauen oder Tarockpartnern versorgt.
Endlich wurde die Tür aufgerissen. Ein schwarzer Kopf guckte herein. Die Augen des geschminkten Mädchens sprangen auf das Gesicht blieben dort haften, zogen den Mann herein, daß er an dem Tisch neben dem ihren Platz nehmen mußte.
Man sah es dem Mädchen an, daß eine glühende, fieberartige Stimmung über sie gekommen war. Unter dem rosa Puder färbte ihre Haut sich rot bis über den dünnen Hals, dunkelrot wie bei Schlagsüchtigen.
Die Bürger im Café begannen etwas zu merken und zu glotzen, und auch in ihnen regte es sich. Sie nahmen Anteil!
Aber das Mädchen war zu häßlich, das dämpfte ihre Lust, zu schauen.
Er war die Männlichkeit selbst. Seinen giftgrünen Wollschal trug er über die Brust gekreuzt. Er war mit einem nicht ganz sauberen Autopelzmantel bekleidet, trug eine verknüllte Werktagskappe in der Hand. Vielleicht war er arbeitslos, feierte und befand sich in verdrossener Stimmung, war bereit, sein letztes Geld durchzubringen, gleichviel wo und mit wem?
Das Mädchen am Tische sah ihn – um die Bürger unbekümmert – fest und beständig an. Es war ein trauriger Blick; er dachte an eine einzige Frage: wieviel wird er mir bezahlen?
Auch die Kellner sind aufmerksam geworden. Der Zahlkellner flüstert dem Fräulein an der Kasse etwas zu, worauf diese in den Spiegel blickt, um von dort aus dem schauerlichen Schauspiel zuzusehen: einem Handel zwischen zwei Wesen, wobei ein Körper die Ware ist. Der Mann mit dem grünen Schal sieht wie ein Zuhälter aus. Er hat eine herrische Stirn, feste, große, grobe Hände mit roten Fingern.
Er bestellt einen Schnaps und noch einen, ruft den Kellner, gibt ihm ein Zeichen. Der Kellner weiß sogleich, was der Gast befiehlt, stellt auch einen Schnaps vor das Mädchen hin. Sie verzieht den Mund zu einem verzerrten Lächeln, trinkt.
Der Kellner geht zwischen den Tischen hin und her, spricht halblaut mit den jungen Gehilfen.
Die »Volksstimmung« des Cafés wird mehr und mehr eine empörte. Alle scheinen unzufrieden. Eine junge, dicke Frau mit sehr lebhaft gemalten Farben tritt ein, legt den Mantel ab, setzt sich: Tutankhamen-Bluse, Seidenstrümpfe, neue Lackschuhe. Sie beginnt sofort umherzublicken.
Der Mann mit dem grünen Schal, dem im Augenblick eine Dicke besser gefällt, läßt seine Augen die Tutankhamen-Figuren eindringlich betrachten.
Auch die dicke Dame blickt, heftig angezogen, auf den grünen Schal. Da kommen die brennenden Augen vom anderen Tisch her wie Schlangen gekrochen. Die ganze Kraft der Kreatur liegt im Blick. Ihre Gebärde ist wie die eines Krüppels auf der Straße, der bettelt, der nichts anderes kann, als bittend, klagend seine trüben Augen erheben. Er aber ist erbarmungslos, sucht sich einen Platz für seine Augen, der ihn angenehmer reizt.
Wie verzweifelt ist das Mädchen, in ihrer Haltlosigkeit erhebt sie sich, verläßt ihren Platz, geht ein paar Schritte an den Tisch des Mannes. (Für die Anwesenden sollte es so aussehen, als bäte sie um eine Zeitung.) Sie streifte ihn, war ihm ganz nahe, wollte ihn durch ihre Nähe, durch ihr Parfüm betäuben. Im letzten Augenblick kam die Rettung. Ein Gast trat ein. Ein fetter, satter, von Geldbewußtsein strotzender Mensch mit flacher Stirn, kleinen Augen, breitem fleischigem Nacken.
Die Dicke hatte auf ihn gewartet; sie gingen nach rückwärts in eine Loge.
Der Mann mit dem grünen Schal bestellte heißen Tee mit Rum, vielleicht war es Grog. Sie saß nun da; eine selig lächelnde Karikatur. Es ging gegen Mitternacht. Die Bürger machten sich auf, heimzukommen – in ihre guten Pelze gehüllt –.
Im Café wurde es still und intim wie in einer kleinen Wohnung.
Man konnte die Gespräche der anderen hören: ein schweres Herz erzitterte, Mundwinkel verzogen sich in Qual, Röte der Scham kam und verging auf einem bleichen Gesicht.
Das waren die neuesten Gäste, die eingetreten waren. Sie hatten nichts mehr mit Ehrbarkeit und Bürgertum zu tun. Es kamen die Likör- und Absinthtrinker, die Gelegenheits- und Zufallsgäste von der Straße.
Ein Jüngling in sonderbarer Kleidung schob sich zu einem Fensterplatz. Er hatte bis zu den Ellbogen reichende Stulpenfechthandschuhe an. Ledermütze mit Kinnband auf dem Kopf – hübscher, zierlicher Junge, ein wenig geschminkt. Lächelnd sieht er hinüber zu dem Mann mit dem grünen Schal und beginnt ganz offen mit ihm zu kokettieren. Wieder geriet das Mädchen in furchtbare Aufregung, als sie den Burschen sah – und was er wollte. Aber der Mann zeigte ihm ganz deutlich, daß er ihn nicht wollte. Was war dieser mit dem grünen Schal für ein Satanskopf – Weiber wie Männer flogen auf ihn!
Auch den Zwischenfall hatten Gäste bemerkt. Sie saßen mit gespannter Aufmerksamkeit da und warteten, für wen er sich entscheiden würde.
Der Junge trank seinen Kaffee, lächelte enttäuscht und tänzelte auf seinen kurzhosigen Beinen wieder zur Tür hinaus. Das Mädchen atmet auf. Die schreckhafte Spannung auf ihrem Gesicht läßt nach.
Der Grüne ruft: Zahlen!
Da nimmt sie rasch ihren Mantel vom Rechen, streift die Handschuhe über, ergreift ihre Handtasche, ist zum Gehen bereit.
Aber der Mann hat noch einen Tee mit Doppelrum bestellt Demütig bleibt sie nun sitzen und wartet, bis er getrunken hat. Er läßt sich Zeit, wirft sogar hin und wieder einen Blick in das Witzblatt.
Das Mädchen sitzt geduldig da und wartet. Ein schweres Stück Arbeit für sie, einen Mann zu finden, der sie mitnahm. Ein Teil der Nacht war bereits vorbei; sie hatte noch nichts verdient.
Endlich gibt er ihr ein Zeichen, indem er das Kinn seitlich wirft. Sie versteht. Wie ein Hund versteht sie sich auf Gesten. Als erste verläßt sie das Café. Draußen auf der Straße muß sie noch eine ganze Weile warten, bis er gemächlich die Zeitung durchgesehen, langsam den Rock zugeknöpft hat und endlich kommt …