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VOR DEM KINO

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Ich sah die beiden in der Straßenbahn.

Er – scharfgeschnittenes, junges Technikergesicht – fein angezogen. Spitze Lackschuhe. Rock – Hut – tadellos. Hellgelbe Wildlederhandschuhe. Seidenes Taschentuch. Sie – hasenverbrämtes graues, billiges Mäntelchen, konfektioniert – schlecht passend, Samthütchen neuester Mode. Ungeschminkte Lippen, ungepuderte Wangen, ungefärbtes Haar. Im blassen Gesicht dunkle, glückliche Augen.

Im geschützten Winkel des halbleeren Wagens finden sie zwei Plätze. Schüchtern schlägt sie ein Bein über das andere, deckt gleich das Kleid darüber. Und sieht ihn von der Seite an. Sie setzen ein Gespräch fort.

»– – Ich hasse es, dutzendmäßig behandelt zu werden. Mir einreden zu wollen, eine solche Handtasche wäre schön. Phrasen zu gebrauchen wie: Das ist sehr beliebt – wir haben schon viele Hunderte verkauft.«

»Ärgere dich deswegen nicht.«

»Einfach eine Gemeinheit, einem das zu erzählen – faustdicke Lügen.«

»Das macht ja nichts.«

»Wieso? Tut es dir nicht leid, daß ich dir die Tasche nicht gekauft habe?«

»Nicht ein bißchen.«

»Du siehst also ein, daß sie nicht schön war.«

»Ich sehe es ein.«

»Und daß sie nichts Ordentliches dort hatten.«

»Ja – gewiß –«


»In welches Kino wollen wir gehen?«

»In irgendeines, wo es dir gefällt.«

»Und nachher kommst du wieder zu mir?«

»Wenn du es willst – –«

»Nur so auf Besuch – nichts anderes.«

Sie schwieg.

»Mir kommt vor, du gingst nicht mehr so gern zu mir – –«

»Aber – –«

»Vielleicht irr’ ich mich.«

»Vielleicht irrst du dich.«

»Und du siehst mich dann wieder so fragend an.«

? – – –

»Jetzt wieder.«

»Macht es dich nervös?«

»Nicht gerade nervös – aber ich vertrag’ es nicht.«

»Du verträgst es nicht?«

»Nein, das vertrag’ ich nicht, so fragend angesehen zu werden, oder tut es dir vielleicht leid?«

Sie schüttelt zaghaft den Kopf.

»Das wollt’ ich eben wissen – denn weißt du – es wäre mir unangenehm – das Bewußtsein, daß du ein Opfer bringst.«

»Opfer? – nein – aber –«

»Aber?«

»Du mußt wissen, was ich meine. Sagen kann ich das nicht.«

»Du verlangst doch nicht, daß ich dir ewige Liebe schwöre?«

Schweigen.

»Ich hoffe, du bist nicht so altmodisch. Ich hab’ dich gern; du gefällst mir; das muß dir genügen.«

»Und die Zukunft?«

»Was für eine Zukunft? Was für lächerliche Grillen? Wir sind beide jung genug –«

»Sag’, was ist dein Vater?«

»Was hat das damit zu tun?«

»Ich möcht’ es wissen.«

»Direktor einer Aktiengesellschaft.«

»Was für Branche?«

»Kohle.«

»Ihr habt eine Villa?«

»Eine Sommervilla auf dem Lande.«

»Und deine beiden Schwestern wohnen ebenfalls im Sommer mit ihren Familien in Villen?«

»Hab’ ich es dir erzählt, wird es wohl so sein.«

»Und du wirst wahrscheinlich auch eine heiraten, deren Eltern eine Villa haben.«

»Ich denk’ noch nicht ans Heiraten.«

»Da muß ich dir auch sagen, wie es mit meinen Familienverhältnissen steht. Mein Vater ist Briefträger.«

Schweigen.

»Wir wohnen in der Vorstadt.«

»Ich weiß. Hab’ dich ja nach Hause begleitet. Was macht es mir, da du mir gefällst –«

»Und ich habe zwei Schwestern. Die eine ist Stickerin, die andere Näherin. Der Bruder ist Schlosserlehrling.«

»Ich kenne nur dich –«

»Ja, aber, ich muß an die Zukunft denken. Wir alle müssen arbeiten, uns gesund erhalten an Leib und Seele.«

»Mache ich dich krank?«

»Vielleicht.«

Er lacht.

»Ich versichere dir, daß du von mir nicht krank wirst. Bin vorsichtig. Lebe sehr hygienisch. Hätte dich auch vor acht Tagen im Kino nicht angesprochen, wenn ich nicht gewußt hätte, daß du ein anständiges Mädchen – – kann mich auf meinen Spürsinn verlassen.«

»Das meinte ich nicht.«

»Brauchst nicht rot zu werden. Kommt alles vor.«

»Ich meinte, ich könnte seelisch erkranken; es könnte mir ergehen wie meiner Freundin, die sich aus dem Fenster stürzte.«

»Weshalb?«

»Aus unglücklicher Liebe.«

»Ach so.«

»Ja, das meine ich.«

»Wieso?«

»Weil wir doch ein so ungleiches Paar sind.«

»Versteh’ ich nicht – wir beide sind jung, haben einander gern – ist das nicht genug?«

»Nein –«

»Weiß nicht, was du eigentlich willst? Ich hole dich täglich vom Geschäft ab; wir gehen ins Café, ins Kino, du kommst ein wenig zu mir – dann begleite ich dich vor zehn Uhr nach Hause – geschieht nicht alles, was du willst?«

»Was du willst.«

»Was wir beide wollen. Ich frage dich nochmals: Tut es dir leid? – Wenn es dir leid tut, dann – –«

Sie wird plötzlich todbleich – Lippen fahl, Augen wie gebrochen.

»Siehst du, daß du nicht mehr von mir los kannst. Erspar’ es künftig mir und dir, solche Gespräche über die Zukunft – – wo doch die Gegenwart für uns schön ist.«

»Nein.«

»Ist unsere Liebe nicht schön?«

»Für mich nicht. Da sie mir keinen Frieden und kein Glück gibt Ich bin viel zu unruhig, habe zu viel Angst – und weiß niemals, ob ich dich morgen wiedersehe.«

»Wenn ich dir verspreche, daß ich morgen wiederkomme, kannst du mir es glauben.«

»Aber eines Tages wirst du es nicht mehr versprechen.«

»Wie kann ich wissen, was eines Tages sein wird? Ich sagte dir bereits, ich kann nicht ewige Liebe schwören. Wenn du das von mir verlangst, ist es besser, du entscheidest dich …«

Die Straßenbahn hält vor dem Kino. Die beiden steigen aus. Der Mann voran schreitet zur Kasse. Das Mädchen stand einen Augenblick im Lichtschein der Reklamen – von grünen, gelben, roten Strahlen übergossen – unbeweglich, starr, mit halbgeschlossenen Augen wie eine Hypnotisierte.

Der Wagen fuhr weiter. Das Paar entschwand meinem Blick.

Travestie der Liebe

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