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DREI MENSCHEN

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Fräulein N. N. hatte für sich und noch zwei Personen zu sorgen. Sie gehörten nicht zum engen Kreise ihrer Angehörigen oder Verwandten. Das alles hatte sich auf besondere Art gefügt. –

Fräulein N. N. war eben eines Tages aus der Kleinstadt in die Großstadt gekommen. In ihrem Heimatstädtchen hatte sie einen Gemischtwarenladen geführt, Kinder aufgezogen, gekocht, gewaschen, gebügelt – alles, was im fremden Haushalte zu tun war. Eines Tages war sie überflüssig und auf die Straße gesetzt worden. Nach kurzem Entschluß fuhr sie in die große Stadt, fand Unterkunft bei einer alleinstehenden Frau, einer Klavier- und Sprachenlehrerin, die an einem Augenübel litt. Tagsüber lief die Frau herum zu ihren Schülern, die in allen Winden zerstreut wohnten. Abends kam sie müde heim, zündete eine Kerze an, legte sich zu Bett.

In der Kammer wohnte Fräulein N. N., die eine Stelle als Aushilfsköchin in einem Gasthause gefunden hatte. Die frühere Köchin kam aber nach kurzer Krankheit wieder zurück, und man entließ Fräulein N. N. Acht Tage vergingen ohne Stelle. Da litt Fräulein N. N. viel Hunger.

Einmal am Abend rief die Lehrerin sie zu sich ins Zimmer.

»Was tun Sie in Ihrer Kammer?«

»Nichts, ich wollte mich soeben schlafen legen.«

»Essen Sie mit mir erst Abendbrot. Sie hatten einen Hering und Brot.

Am dritten Abend sagte Fräulein N. N.:

»Es geht nicht, daß ich Ihnen das bißchen Abendbrot wegesse. Morgen werde ich schauen, etwas Geld einzunehmen.«

Am andern Tage lief sie die Straßen ab, in viele Läden, in manche Gasthausküche guckte sie hinein, fragte, ob man niemand brauche.

Man brauchte sie nicht.

Da färbte sie am Abend ihr Gesicht mit rosa Papier, kräuselte ihr Haar, zog eine Locke verrucht in die Stirn und ging in einer Gasse spazieren, auf und ab. Und brachte einiges Geld mit.

Fräulein N. N. hatte ein Buch genommen, sie war eingeschrieben, geduldet, reglementiert. Wenn die Lehrerin vom Unterrichten heimkam, fand sie warmes Essen im Ofenrohr. Den Tisch sauber gedeckt. Fräulein N. N. kam erst gegen Morgen, wenn die Lehrerin sich auf den Weg machte.

Nach Ablauf eines Jahres erschien der Sohn der Lehrerin, bleichwangig, abgezehrt, in einem zerrissenen, schmutzigen Hemd, schäbigen Kleidern und Schuhen, und erklärte, er habe genug Entbehrungen im Gefängnis gelitten, jetzt wolle er sich bei seiner Mutter ausruhen und erholen. –

Die ersten Tage zeigte er guten Willen. Er machte sich im Hause nützlich, strich die Küchenmöbel grau an, kaufte blaue Farbe und tünchte die Wände in der Kammer. Als dies alles geschehen war, sagte er, nun werde er nur noch die alte Nähmaschine vom Roste putzen und ölen und fortan ausruhen.

Das tat er auch; lag den ganzen Tag auf dem Sofa und sang die traurigen Weisen des Gefängnisses.

Die langen Nächte hustete er heftig. Seine Mutter kam mit bloßen Füßen an sein Lager und wickelte ihn wie ein kleines Kind in ihr Wolltuch ein. Dabei flüsterte sie: »So – schlaf schön, mein Kind, bist ja wieder bei mir.«

Er klagte aber den ganzen Tag, er bekäme kein Bier, davon komme er noch ganz herunter. Ein Mann müsse doch täglich seine Flasche Bier haben; was wäre das sonst für ein Mann?

Ach, wie war er häßlich bis zur Lächerlichkeit. Nichts war am Platze in diesem Gesicht. Nicht Augen noch Nase noch Mund. Alles am schiefen, ungeeigneten Ort. Wenn Zorn ihn packte, sah er wie ein Teufel und nicht wie ein Mensch aus.

Und doch kam Nacht für Nacht die Mutter, von seinem bösen Husten geweckt, und hüllte ihn ein.

Ehe Fräulein N. N. abends ausging, setzte sie zwei Teller auf den Tisch und eine Flasche Bier.

Und als es immer schlimmer mit dem Augenübel der Lehrerin wurde, und sie zuletzt gar nicht mehr ausgehen konnte, sagte Fräulein N. N.: »Jetzt leben wir eben von dem, was ich verdiene.«

Die Lehrerin sagte: »Nun bin ich ganz blind geworden, aber ich kann ihn trotzdem nicht fortschicken, sonst stellt er etwas an und kommt wieder ins Gefängnis.«

»Wir wollen ihn hierbehalten«, sagte Fräulein N. N.

Und das ging so Jahre und Jahre.

Einmal kam Fräulein N. N. mitten in der Nacht von der Straße.

Die frühere Lehrerin saß gerade am Bette ihres Sohnes, dem heute die Brust sehr schmerzte. Soeben war er – in Schweiß gebadet – eingeschlafen.

Die zwei Frauen flüsterten miteinander:

»Ich werde heute nicht mehr ausgehen. Es ist kalt, es regnet, und niemand kommt.«

»Niemand kommt?«, fragt die Blinde.

»Niemand. Die lachenden Mädchen werden weggeholt, mich läßt man in meiner Ecke stehen.«

»Nein, nein – es ist besser, heute nicht mehr zu gehen.«

»Es ist häßlich kalt und Regenwetter, und sie lassen mich in der Ecke zurück. Die Jungen, die lachen können, nehmen sie mit sich. Ich möchte mich am liebsten gleich in die Kammer legen und dort verhungern, ehe ich noch einen Schritt auf das nasse Pflaster setze.«

Stille; in der blinde Augen lautlos weinten, eine kranke Brust pfiff. Kerzenlicht flackert in der Finsternis auf. Eine Stimme spricht:

»Wir müssen morgen den Doktor holen, er fiebert. Medizin, Lebertran muß gekauft werden. – Vorwärts, ich gehe wieder.«

Travestie der Liebe

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