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FANNY

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Fannys Mutter war Handarbeiterin. Seit Fanny sich erinnern konnte, hatte die Mutter an feinen Brautausstattungen gearbeitet Einen Vater kannte Fanny nicht. Sie war die älteste von vier Geschwistern.

Die Leute sagten von Fannys Mutter: Man weiß nicht, wie es zugeht bei dieser stillen Frau; sie ist so brav und rechtschaffen, und von einem liederlichen Lebenswandel könnte selbst ihr ärgster Feind nichts merken – und doch haben sich im Laufe einiger Jahre vier Kinder angesammelt, und einen Vater sah man nie …

Der Bahnadjunkt, ein besserer Mensch, bemerkte einmal: Ist sie nicht wie eine brave, gute Henne, die still und vernünftig dahinlebt, niemand etwas zuleide tut … Keiner hat etwas bemerkt, und eines Tages hat sie liebe, kleine Hühnchen um sich.

Fannys Mutter war eine ehrliche Frau. Ihre vier Kinder erhielt sie durch ihrer Hände Arbeit. Die Kinder gediehen gut. Zwei erlernten schon ein Gewerbe. Der Fünfzehnjährige wurde Mechaniker; die siebzehnjährige Fanny, die manches von der Mutter geerbt zu haben schien, wurde Stickerin. Schon als neunjähriges Kind hatte sie der Mutter geholfen, wenn diese »Postarbeit« gehabt. Nun war es selbstverständlich, daß sie Stikkerin wurde. Was sollte man ein Mädchen lernen lassen?, hatte sich die Mutter seufzend gefragt. Es gab überall so viel Gefahren.

Die Berufe Kindermädchen, Kellnerin waren vielleicht noch das Schlimmste. Sollte eine Mutter siebzehn Jahre lang Tag und Nacht bis zum Umsinken und halbblind sich gearbeitet haben, um am Ende ihr Kind irgendwo schutzlos hinauszustellen, wo jeder angetrunkene Bürger sie in den Arm kneifen konnte. Auch Maschinenstickerin, Buchbinderin waren keine guten Aussichten.

Und auf Ladenmädchen, Verkäuferin legte die Mutter nicht viel Wert; das waren unsichere Beschäftigungen. Vornehm hingegen war der Beruf einer Gobelinstickerin – dazu eignete sich Fanny am besten.

Und jetzt war sie schon das dritte Jahr dabei und freigesprochen.

In der Werkstätte waren außer Fanny noch vierzehn Arbeiterinnen beschäftigt.

Manchmal versuchten es einige der Mädchen, schüchtern zu singen. Aber sie fanden bald, daß das nicht ging. Sie stickten nach riesigen Gobelinvorlagen und mußten zählen – einen Irrtum hatten sie schwer zu büßen. Darum war auch meist eine große Stille im Raum.

Sie konnten auch während der Arbeit nicht ihren Träumen nachhängen. Diese stecknadelkopfkleinen Querstiche nahmen ihre ganze ungeteilte Aufmerksamkeit für sich in Anspruch.

Sie arbeiteten neun Stunden im Tag. Dann waren ihre Augen wie blind. Wenn sie in das helle Licht sehen sollten, schmerzte es. Alle Mädchen litten an den Augen. Alle hatten geschwächte Sehnerven.

»Wenn Sie vierzig Jahre alt sein werden, wird Ihre Sehkraft vollständig geschwunden sein«, sagte der Arzt zur ältesten Arbeiterin, die jetzt fünfunddreißig war.

Die Mädchen dachten nicht daran, aufzuhören und eine andere Arbeit zu suchen. Es war eben ihr Schicksal, daß sie an Augenschwäche litten.

Fanny erzählte zu Hause ihrer Mutter: »Wir haben einen großen Auftrag bekommen: ein Engländer, der eine Amerikanerin geheiratet hat, läßt sein Schloß mit Gobelins schmücken.«

Und die Mutter nickte stolz und zufrieden über ihr Kind, dessen Handarbeit sogar bis nach England ging …

An einem Sonntagnachmittag wurde Fanny von einer Freundin abgeholt.

Der Mutter wurde gesagt: Spaziergang – und vielleicht ein wenig zuschauen in einer Tanzschule.

»Sei mir nur pünktlich vor zehn Uhr wieder zu Hause«, rief die Mutter ihr nach.

Auf dem Wege kicherten die beiden. Sie beeilten sich, sie liefen fast. Ja, es war höchste Zeit, daß das Leben begann. Siebzehn Jahre waren bereits vorbei.

Travestie der Liebe

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