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1.2 Bewusstes Leben

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Menschliches Leben ist, wie tierisches Leben, für sich seiendes Leben. Es ist nicht nur ein objektiver, final strukturierter Prozess und auch nicht nur ein funktional-selbstbezüglicher, auf das Wohl und Weiterbestehen des Organismus gerichteter, ihm zugute kommender Verlauf. Es ist für sich in dem Sinne, dass es dem lebenden Subjekt explizit gegeben ist, als Gegenstand vor Augen steht, so dass es sich bewusst auf sein Leben beziehen, sich zu ihm verhalten kann. Dieses bewusste Verhalten zu seinem Leben hat eine theoretische und eine praktische, eine kognitive und eine voluntative Dimension. Menschliches Leben ist von Beginn an ein sich spürendes, sich gewahrendes, sich selbst erfahrendes Leben. Phänomenologische Beschreibungen haben die basale Selbstaffektion und Selbstwahrnehmung aufgezeigt, die dem lebendigen Existieren je schon innenwohnt. Die Intentionalität, die das Merkmal bewussten Lebens bildet, geht nicht auf im Gerichtetsein auf äußere Gegenstände, sondern enthält immer auch das Für-das-Subjekt-Sein dieses Bezugs; Bewusstsein von etwas geht mit dem zumindest impliziten Bewusstsein seiner selbst einher. Darüber hinaus aber gibt es das ausdrücklich dem eigenen Selbst, der seelischen Befindlichkeit und dem eigenen Körper zugewandte Bewusstsein, wie es namentlich in einer von der Leiblichkeit ausgehenden Analyse betont wird. Das Lebendigsein des Menschen ist nicht nur ein objektiver Befund, sondern verbindet sich von vornherein mit dem subjektiven Zustand des Bewusst-Seins, des Wachseins als Basis jeder spezifizierenden Selbstwahrnehmung und Verhaltensweise.

Jenseits der Basis der Bewusstheit und elementaren Selbstwahrnehmung – die im Wesentlichen ein Erkennen im Modus der Passivität, des Erlebens und Affiziertwerden ist – ist menschliches Leben kognitiv auf sich bezogen, indem es Wege der expliziten Erkundung seiner selbst beschreitet. Es sind Wege der Erforschung, der Interpretation und des Bemühens um Verständnis, auf denen das Leben mit sich selbst vertraut wird, sich in seiner strukturellen Verfassung wie seiner je besonderen Bestimmtheit kennenlernt. Zur menschlichen Existenz gehört das Bedürfnis nach Selbsterkenntnis, das sich in verschiedenen Bereichen und variierenden Formen äußert. Eine integrale Selbsterfassung und Selbsttransparenz kann geradezu zum Ideal einer reflektierten Lebensführung werden.

Dabei geht solche Transparenz über das Registrieren und kategoriale Ordnen vorgefundener Bestände des Lebens hinaus. Erkenntnis bemüht sich um ein erklärendes Verstehen und geht über in die interpretierende Auslegung vollzogener Handlungen und gemachter Erfahrungen, mündet in eine Selbstauslegung, in deren Medium das Leben sich Gestalt gibt und zum konkreten Dasein des Einzelnen oder der Gruppe wird. Der Mensch ist das sich selbst interpretierende Lebewesen1 und hebt sich darin, sowohl kraft seiner Nicht-Festgelegtheit und Freiheit wie durch die Leistung der eigenen Formgebung, von anderen Lebewesen ab. Zur Diskussion steht dabei nicht nur die Frage nach der Wesensbestimmung, nach dem, was der Mensch ist, sondern ebenso die Gerichtetheit und konkrete Gestaltung des Lebensprozesses. Der Mensch ist nicht nur das sich erkennende, sondern das sich über sich verständigende, sich suchende, sich orientierende und sich Bestimmtheit gebende Lebewesen. Menschliches Leben ist vom komplexen Prozess des Verstehens und Sich-Verstehens nicht ablösbar, in welchem es allererst seine Bestimmtheit und konkrete Form findet. Zum Tragen kommt ein Grundgedanke der Existenzphilosophie, demzufolge der Mensch nicht in einer vorausliegenden substantiellen Wesensbestimmung, sondern im Vollzug seines Lebens über sich Aufschluss erhält.2 Die Frage nach dem Selbst findet ihre Antwort nicht über eine Begriffsdefinition, sondern im Prozess des Lebens als einem Vollzug der Selbsterkundung, der kreativen Selbstdeutung und der unabgeschlossenen Verständigung über sich selbst.3

Nun ist solche Selbstverständigung ebensosehr eine Selbstaufklärung des Menschen darüber, was er ist, wie darüber, wer er sein will, ein Akt der Selbstfindung wie der Orientierung und willentlichen Bestimmung seiner selbst. Die Selbstbezüglichkeit menschlichen Lebens ist auch auf der reflektierten Ebene, jenseits der vitalen Selbstaffirmation, Ausdruck eines Interessiertseins am eigenen Sein und des Besorgtseins um sich. Es geht, so Heidegger, dem Menschen in seinem Leben um sein Leben4, nicht nur um das Weiterexistieren, sondern um die Art und Weise des Lebens; nach Aristoteles hat Leben sein inneres Ziel im guten Leben. Es ist, wie Dieter Henrich ausführt, das je eigene Leben, welches ausmacht, was der einzelne für sich selbst ist, das er verstehend zu durchdringen und als das seine anzueignen, letztlich nicht nur zu vollziehen, sondern zu führen hat: Das Wissen des Menschen von sich und sein Sich-Verhalten zu seinem Leben durchdringen sich wechselseitig.5 Sowohl sein Leben zu führen wie sich im Leben über sich selbst zu verständigen stehen für jene herausgehobene Reflexivität, welche das menschliche Leben als solches auszeichnet. Es ist eine Reflexion, in welcher der Mensch sich nach Henrich auf sein Leben als ganzes bezieht und letztlich, in einer Sammlung des Lebens, auch mit der Frage konfrontiert, wieweit er sein Dasein nur als Faktum anzunehmen oder es in einer letzten Lebensaffirmation zu bejahen hat.6 Sich-Verstehen aus dem Zusammenhang des Lebens, Sich-Verständigen über den Grund und das Ganze des Lebens und bewusstes Führen seines Lebens sind Momente des einen, umfassenden Vollzugs menschlicher Existenz.

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