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Ich habe mir die Latte immer schön hoch gelegt, damit ich auch dann gut sein konnte, wenn ich sie verfehlte. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass ich zu viel oder zu wenig wollte. Wenig wollen gibt ein gutes Gefühl und ist irgendwie weise. Den Bescheidenen umflort die Verschwiegenheit des besseren Wissens und deutet auf geheime Größen hin. Doch wie soll man bescheiden sein, wenn es um alles geht? Ich meine, wie soll man wenig wollen, wenn es nur alles oder nichts gibt?

Gott im schwarzen Himmel, bin ich froh. Ich hätte auch andere Wege gehen können. Aber, eben, man sollte keine anderen Wege gehen. Man sollte nur genau diesen einen gehen.

Wie seltsam das alles war, von Beginn an. Und ich mitten drin und ausreichend verrückt, es auch zu bedienen, ausreichend gegennormal, das Fraglose zu hinterfragen und dann auch noch Konsequenzen zu ziehen, obwohl ich schon einen Hauch dessen spürte, was da kommen würde. Aber gut.

Angefangen hat alles mit dem schwarzen Muster, das über den Himmel zog, als die Raben kamen. Einundzwanzig dieser riesigen Kohlraben waren wie Gewölk über dem Hügelkamm aufgetaucht und hereingeschwebt, koordiniert wie eine Mannschaft. Manche richteten ihre Köpfe nach einander und knurrten sich gelangweilte Kommentare zu, andere ließen Nebenbemerkungen fallen, ohne ihre Blicke vom Horizont zu nehmen. Ihr kehliges Gurgeln hallte durch den Graben – und entführte mich weit zurück.

Es war Kindheit, es war Winter, das Land war weißgrau verkrustet und hatte geschlossen. Ich blickte stumm in die Landschaft, meine Haube saß schief, meine Gedanken bohrten sich ins reglose Bild. Da zogen Raben durch den verlassenen Raum und sie klangen, als schabten sie mit einer hölzernen Raspel an der hohlen Luft. Als sie über mich hinwegflogen, drehte sich der Klangkörper ihrer Stimmen und war nun von hinten zu hören, wie er das Weite suchte und seinen Hall hinter sich herzog, während ich unten am Boden in der stehenden Stille zurückblieb.

Wie klingen Raben in der Stille eines Wintertages, fragte ich mich, und konnte nicht einmal sagen, ob da ein feuchtes Blubbern aus ihren Kehlen kam, oder ob man es besser trockenes Blubbern nennen sollte. Wenn es denn ein Blubbern war. Das war meine Frage: Wie oder wonach klingen Raben? Sie wurde zur ältesten aller Fragen, die ich je hatte.

Immer schon hatte ich es mit der Sprache der Tiere. Sie konnte etwas, das die Menschensprache nie konnte. Wenn ein Hahn krähte, spürte ich etwas. Es kam von ganz tief und schmeckte wie Erinnerung. Da war eine körperlich spürbare Gleichschaltung mit etwas diffus Bekanntem, aber nichts Konkretes. Wenn ein Mensch sprach, war es umgekehrt. Da wurde etwas Konkretes wachgerufen, ohne je diese gefühlte Entsprechung auszulösen. Na ja. Wie auch immer.

Meine Lust, den Klang der Raben in Wörter zu verwandeln, hat jedenfalls nie aufgehört. Noch heute höre ich ihre Rufe mit dem ganzen Körper, wenn es auch mit den Jahren immer schwächer wurde. Damals hörte ich sie als Schmerz, als ein zu Schmerz verdichtetes Verlangen, wiederzugeben, was ich erlebte, wenn ihre Rufe auf die Membran in meiner Brust trafen und ihr Echo in den Nervenbahnen verebbte.

Diese Lust hat mich nie anders als gekränkt zurückgelassen. Wie hätte ich sie auch bedienen sollen? Wie hätte ich etwas festhalten können, das ich nicht einmal angreifen konnte, etwas, das zudem immer gerade dabei war, sich zu verflüchtigen? Auch war mir diese Lust nie ganz geheuer. Sie kam aus einer Tiefe, die mir unheimlich war, weil sie tiefer schien, als ich selbst und sie sich dennoch in mir befand. So suchte ich nach treffenden Wörtern, ohne zu wissen, ob es sie überhaupt gab. Ich suchte nach Begriffen, die diesen Erinnerungsgefühlen nicht nur einen Namen geben, sondern die Gefühle selbst wieder wecken konnten. Meine Suche galt Wörtern, die den Klang der Raben isolieren und aus der Natur abbauen konnten, ihn gewinnen wie einen Rohstoff, haltbar und lagerungsfähig machen und in Bereitschaft halten, um jederzeit wiederverwendet zu werden.

Später, erwachsen, schüttelte ich langsam den Kopf, als mir klar wurde, dass ich es doch nur selbst gewesen war, was ich da im Nachhall der Rabenstimmen wahrgenommen hatte, wie einen Lufthauch, der verschwand, noch bevor ich ihn atmen konnte. Aber mein Vorhaben war unverändert. Ich wollte diesen Lufthauch anhalten, ihn einfangen und in Wörter sperren wie in kleine Käfige. Ich wollte diesen Lufthauch meiner Seele stabilisieren, indem ich ihn mit Wörtern schiente und verpackte, um ihn wiederholbar zu machen. Ich wollte Haltbargefühle erzeugen, Gefühlskonserven, die jederzeit und auch von vielen gleichzeitig geöffnet werden konnten.

Wie recht ich damals doch hatte, als das Land weißgrau verkrustet war. Ich war ein Seher. Ein Dichter im besten Sinn. Danach war ich nie mehr einer. Später begann ich einer sein zu wollen und dann begann ich mir einzubilden, einer zu sein, bis ich mir endlich einzubilden begann, keiner zu sein. Ist ja egal. Ich sag’ nur. Man muss ja kein Dichter sein, um sagen zu wollen, was man sagen möchte, und zwar genau das, was man sagen möchte, und nicht nur fast genau das.

Nun, Jahrzehnte später, waren diese schwarzen Gestalten also zurückgekehrt. Simultan wie ein Geschwader sanken sie in einer Kreiskurve in den Graben herein und begannen, prominent und arrogant, langsam über dem alten Bauernhof zu kreisen, der nach Jahren der Verlassenheit wieder Lebendigkeit zeigte. Sie sahen mich im Gras liegen. In ihren Kehlen blubberte es.

Was in aller Welt gaben diese Wesen von sich? Ein versöhnliches Sägen? Was war dieses Chrr, Chrr oder so? War das ein forschendes Kratzen? Dürres Geratsche? Chrr, Chrr. Hölzernes Nagen? Entspanntes Röcheln? Röchelten sie? Schnarrten sie? Knarrten sie? Murrten sie mit der selbstverständlichen Beleidigtheit unverschämter Einzelkinder? Passte ihnen gar nichts? Stänkerten sie gewohnheitsmäßig mit kargen Abfälligkeiten wie Ruheständler im Park? Knurrten sie knapp und kategorisch wie die Wächter einer dunklen Exekutive? Wiederholten sie ihre Äußerungen aus Zufriedenheit, weil sie funktionierten, oder aus Not, weil sie nicht funktionierten? Wiederholten sie sich überhaupt? Oder sagten sie laufend etwas anderes und nur mein Menschenohr nahm keine Unterschiede wahr? So wie ihr Rabenohr umgekehrt meine Aussagen als notorisch wiederkehrende Lautketten vernehmen musste, wie hängengebliebene Geräuschsequenzen, die zwar typisch nach Mensch klangen, aber keine Aufschlüsse zuließen, was sich im Inneren der Geräuschsequenzen abspielte, und ob es sich um österreichische, tibeto-birmanische oder lolo-burmesische Lautketten handelte. Egal. Im Ton der Raben vernahm ich zumindest keine Not. Sie klangen entspannt und am Punkt. Sie musterten mich.

Sicher, ich hätte das, was Raben von sich gaben, auch mit einer Notbezeichnung bekleben und einfach »rabeln« nennen können. Aber ich fand das unerträglich. Ich hätte damit grob anzeigen können, was ich meinte, aber nur, wenn ohnehin bekannt war, was ich meinte. Aber nichtssagende Namen für das Unbeschreibbare zu verwenden, konnte doch nicht der Sinn der Sprache sein.

So hatten sie es nämlich gemacht, die Namensgeber der Raben, als sie ihnen unterstellten, sie würden krähen. Die Diktion dieser Herrschaften war, der Rabe wäre mit äußerlich ähnlichen Vögeln verwandt und man könne daher alle miteinander unter flächendeckender Identitätsverwischung als Krähen bezeichnen. Einfach, weil »Kra« diesen Namensgebern eine angemessene Lautnachahmung schien und daher gut genug für ein Etikett. Sie beschrieben damit nichts. Sie tauften. Sie nannten diese Vögel »die Kra machen«. Fast mytho-poetisch, diese Hilflosigkeit. Egal.

Alle einundzwanzig Raben waren nun gelandet. In den Bäumen unterhalb der großen Wiese, die vom Bauernhaus weg ins Tal hinunter hing, hatten sie in gleichen Abständen voneinander Platz genommen und richteten ihre Aufmerksamkeit auf mich wie unsichtbare Scheinwerfer. Manche tauschten Blicke aus, bevor sie wieder mich ansahen. Ich war irritiert. Die Szene schien mir unwirklich und ich dachte, sie zu mystifizieren oder irgendwie anders zu überhöhen, doch bildeten die Mitglieder dieses seltsamen Senates eindeutig einen großen, formschönen Halbkreis mit mir exakt im Mittelpunkt gegenüber. Und sie lauschten. Der Wind legte sich. Vom gegenüberliegenden Hügel krähte ein Hahn.

Ich erhob mich aus dem Gras und blickte hinunter in das schwarz gefiederte Halbrund. Ich dachte, sieh einer an: Auch die Menschen benützen solche Talare, wenn sie beschlussmäßig Einfluss nehmen. Die Raben schwiegen, als wollten sie die Flüchtigkeit der Situation nicht stören. Vom Frauenberg her wehte Glockengeläut. Die Tagung, in die ich hier geraten war, schien mir kein bisschen abwegig und genau das beunruhigte mich. Aus dem Tierreich erhielt ich Nachhilfe in Fragen der Lautkommunikation und fand das ganz normal.

Was denke ich eigentlich, fragte ich mich, wenn ich auf der Suche nach richtigen Wörtern bin? Wenn ich also noch gar nicht denke, sondern nach den Bestandteilen des Denkens suche? Denke ich auch ohne Sprache? Aber ist Denken nicht Sprechen mit dem Hirn? Irgendwie musste es auch außerhalb der Sprache ein Denken geben, dachte ich, denn wie könnte ich sonst mit einem verwendeten Ausdruck unzufrieden sein?

Plötzlich, als wäre die Sitzung geschlossen, erhoben sich die Einundzwanzig fast gleichzeitig von den Baumkronen und das Geschwader zerstob in der Luft wie schwarzes Laub in einer Windböe.

Abara Da Kabar

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