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1.4.6. Versorgungssysteme

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Vom System der Sozialversicherung mit seiner Orientierung an Erwerbstätigen (und deren Familien), der Finanzierung in erster Linie aus Beiträgen und der Organisation in Form der Selbstverwaltung unterscheiden sich die in der Zweiten Republik nach Vorbild des Invalidenentschädigungs gesetzes von 1919 etablierten Versorgungssysteme in mehrfacher Hinsicht: Sie werden in Staatsverwaltung geführt, aus öffentlichen Mitteln finanziert und sind auf österreichische Staatsbürger beschränkt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Kriegsopferversorgung, die Heeresversorgung, die Opferfürsorge und die Versorgung von Verbrechensopfern (siehe dazu 60 Jahre Kriegsopferversorgung in Österreich, 1979; Tomandl 1979, 2019; Kern 2008; Sozialstaat Österreich 2018; Sozialleistungen im Überblick 2019).

Die lange Zeit bedeutendste Versorgungsleistung stellt die Kriegsopferversorgung dar. Diese bezieht sich auf Gesundheitsschädigungen, die Österreicher/innen als Folge der Kriegsdienstleistung oder der militärischen Besetzung Österreichs erlitten, und auf die daraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Leistungen umfassen eine Beschädigtenrente und Zulagen. Die Beschädigtenrente ist einkommensunabhängig. Ihre Höhe hängt vom Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit und dem Alter ab. Darüber hinaus sind für Schwer- und Schwerstbeschädigte diverse Zulagen und Beihilfen (z.B. Pflege-, Alters- und Erschwerniszulage) vorgesehen. Im Fall der Zulagen werden das Einkommen des Betroffenen und ein Teil des Einkommens des Partners/der Partnerin angerechnet. Die Kriegsopferversorgung sieht zudem Hinterbliebenenleistungen (Witwen- und Waisenrente, Sterbegeld, Elternteilrente) vor. Von der Kriegsopferversorgung und den damit eng verbundenen Wiedereingliederungsmaßnahmen (Invalideneinstellungsgesetz 1946) für Kriegsgeschädigte (z. B. Beschäftigungsquoten) gingen wichtige Impulse für die Langzeitpflege (Pflegegeld) und die moderne Behindertenpolitik aus (Obinger/Grawe 2020).

Die besondere Bedeutung der Kriegsopferversorgung zeigte sich nicht nur am anfänglichen Mittelaufwand (1950: 40% der Sozialausgaben des Bundes), sondern auch an der großen Zahl von Leistungsempfänger/innen: 1950 bezogen 510.474 Personen oder fast acht Prozent der Bevölkerung entsprechende Leistungen. In den nachfolgenden Jahrzehnten reduzierte sich diese Zahl durch Tod der Empfänger oder Verlust der Anspruchsberechtigung (Waisen) deutlich (1979: 201.560) (Bundesministerium für Soziale Verwaltung 1979, 47). Mit Stand Jänner 2019 gab es 2.348 Bezieher/innen einer Beschädigtenrente.

Ziel der Leistung der Heeresversorgung (seit 2015 Heeresentschädigung) ist es, Gesundheitsschädigungen auszugleichen, die Staatsbürger in Erfüllung ihrer Wehrpflicht oder als freiwillige Präsenzdiener, als Zeitsoldaten oder im Milizdienst erlitten haben. Die Leistungen umfassen Renten (bei mindestens 25% Minderung der Erwerbsfähigkeit) und eine Palette einkommensunabhängiger Zusatzleistungen sowie Hinterbliebenenrenten. Am Stichtag 1. Jänner 2017 betrug die Zahl der Versorgungsberechtigten 1.808 Personen (siehe Sozialstaat Österreich 2018).

Eine Ergänzung des Spektrums der Leistungen des Versorgungssystems brachte die 1972 eingeführte Versorgung von Verbrechensopfern (Verbrechensopferentschädigung). Damit ist Opfern von Verbrechen (und ihren Hinterbliebenen) ein eigener Versorgungsanspruch eingeräumt, der sowohl auf Gesundheitsschädigungen als auch (einkommensproportional) auf Einkommensausfälle bezogen ist. Als Leistungen sind sowohl der Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges, die Heilfürsorge als auch Rehabilitationsmaßnahmen vorgesehen. Im Jänner 2019 gab es 204 Leistungsbezieher/innen.

Das Ziel des 1945 provisorisch und 1947 neu geregelten Opferfürsorgegesetzes sind die Entschädigungen für Personen, die im Zweiten Weltkrieg beim Kampf für ein freies, demokratisches Österreich Schaden genommen haben oder in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 politisch verfolgt worden waren. Die Leistungen bestehen neben diversen Begünstigungen in einer Opferrente, die für verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden gebührt, und eine Unterhaltsrente, die der Sicherung des Lebensunterhalts dient und einkommensabhängig ist. Darüber hinaus sind ebenso wie bei den anderen Leistungen Hinterbliebenenversorgungsleistungen vorgesehen. Im Jänner 2019 bezogen 917 Personen derartige Leistungen (Sozialleistungen im Überblick 2019).

Sozialstaat Österreich (1945–2020)

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