Читать книгу Sehnsucht nach südlicher Sonne und schönen Mädchen - Teil 1 - Enno Woelbing - Страница 7
Kapitel 4
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Mitten im Winter bekam Cindy ihren neuen Pass als deutsche Staatsangehörige, und um Chris eine Freude zu machen, buchte sie eine zweiwöchige Reise in die Karibik – als Reiseziel auch von Timo wärmstens empfohlen, er kannte diese „schönste Ecke der Erde.“ Chris sollte endlich zu einem Riff tauchen können. Gleichzeitig begann hiermit die verborgene Vorbereitung auf eine Reise in ihre Heimat mit der Vermeidung oder der Milderung des zu erwartenden Kulturschocks für ihn. Timo hatte bei seiner ersten Reise keinen bekommen in ihrem Land, von dem er wenig, aber wenn, begeistert sprach.
Sie flogen nach Haiti. Chris war nicht in bester Stimmung, er wäre lieber in die entgegengesetzte Richtung geflogen. Diese schöne Insel bestand in seinen Gedanken mehr aus Voodoo, Schwarzer Magie und Zombies.
Das Hotel erwies sich als sehr gut, der Strand auch, sie sprachen französisch hier und das war ihm – rein sprachlich gesehen – nicht so angenehm. Er sprach sehr gut englisch, und so würden seine angestrebten Kontakte zur Bevölkerung der Insel nur in sehr begrenztem Maße stattfinden können. Aber das Essen war gut, die Getränke auch: tagsüber Gin-Fizz und abends Cuba-libre bei der landesüblichen, wohlklingenden afroamerikanischen Musik zu Limbo und Calypso. Erholung pur wovon eigentlich? Das, was Chris sich holen wollte oder gerne geholt hätte, war nicht zu bekommen. Cindy war überall dabei, sie verwöhnte ihn, ließ ihn verwöhnen und passte auf, dass er nicht belästigt wurde. Auch nicht von den Inselschönheiten. So weit ging die Verwöhnung dann doch nicht. Sie hatte alles tadellos organisiert, die Ausflüge ins Inselinnere, Feiern und Festlichkeiten, schön und bunt, schwarz und braun. Letzteres, wie er sich wünschte, außerhalb des bezahlten Reisewesens als Tourist.
Aber einmal entwischte er ihr. Sie fand ihn nach langem Suchen bäuchlings liegend am herrlichen Strand der Karibik unter wundervoll blauem Himmel und nur einer einzigen kleinen schneeweißen Wolke, vom frischen Wind im weißen Sand umweht, und von zwei duftenden schokoladenbraunen Inselschönheiten sehr in Anspruch genommen. Sie hatten nur Tangas an, ganz knappe. Eine saß breitbeinig auf seinen gebräunten Oberschenkeln und massierte ihn, und zwar so, dass er seine hellgrauen Augen verdrehte, die direkt zwischen zwei wundervollen tiefbraunen und schön gespreizten Schenkeln gerichtet waren. Da saß die andere mit fast nichts an vor ihm im warmen Sand, kurzes schwarzes Kraushaar, Augen wie Kohlen und Zähne wie weiße Perlen und versuchte ihn zu überreden, ihr handgefertigten Schmuck abzukaufen, den ihre langen Finger vor ihm hin und her baumeln ließen. Chris hatte Mühe, seinen Kopf hochzuhalten. Aus dieser misslichen Lage befreite ihn Cindy. Sie sprach – sie schimpfte „puta, puta“ in ihrer eigenen Landessprache mit den langbeinigen und vollbusigen Schokoladenschönheiten, die mit ihrem Schmuck, ihrem süßen Duft und nackten, rotierenden Popos schulterzuckend zurückblickend und zwei Fußspuren nebeneinander im feinen Sand hinterlassend, verschwanden. Zombies waren das nicht gewesen.
Der arme Chris. Cindy streichelte seinen erhitzten Kopf auf dem jetzt auch noch steif werdenden Nacken. Ihn so zu quälen. Und aufstehen oder umdrehen konnte er sich auch nicht. Sie rief noch einmal: „Puta, puta!“
Ein paar hellhäutige Touristen lachten, Cindy lachte auch, Chris lachte nicht.
Um ihn für sich behalten zu können, müsste sie mehr bieten. Diese Erkenntnis kam so plötzlich nicht, sie hatte sie bisher nur nicht zugelassen. Bieten – aber was? Sie sah die beiden nackten rotierenden Popos immer noch davoneilen, und sie sah die Blicke ihres Mannes, die ihnen folgten – auch immer noch. An einem der letzten Tage auf dieser schönen Insel in Westindien sah Cindy sich ihren schlafenden Gatten an. Westindien – in Indien war sie nie gewesen. Ein seltsamer, schneller Gedanke. Chris lag im Schatten unter einem Dach aus trockenen Palmenblättern, sie hockte neben ihm. Ein schöner Mann, ihre Männer waren alle schön gewesen, so groß wie er keiner. Er atmete ruhig und sein Lächeln verschönte noch sein freundliches Gesicht. Cindy seufzte und sah auf das nahe Meer. Das gleiche ruhige Rauschen – tags und nachts – der glatten langen Wellen des Windes und das der Wünsche. Ein weißer Strand mit auslaufenden Wellen, durchsichtig klar wie die Farbe des Sandes, hellem Grün und dunkler werdend bis zur Grenze des tiefen Blau, über dessen Tiefe mehrere kleine Segelboote trieben und am strahlend blauen Himmel eine einsame, kleine, weiße Wolke in paradiesischer Schönheit – und mittendrin lag Chris, ein Bild von einem Mann, der genau in dieses schöne Bild hineinpasste. Kein Wunder, dass sogar die Männer ihm nachsahen.
Cindys Augen liebkosten den braunen, immer noch jugendlich anzusehenden Körper mit den vielen kleinen, hellen Härchen auf ihm. Nur seine Narben waren davon frei, viele Narben – unvergängliche Zeugen einer zeitweise wilden Jugend. Sie liebte diesen Mann. Das wusste sie. Sie wusste auch, dass sie ihn immer behalten wolle, immer, um jeden Preis. Sie kannte sich, sie kannte sich gut, und sie verspürte ein leichtes Frösteln auf ihrer Haut. Da lag ihr Schicksal vor ihr im warmen Sand. Eine schöne Frau sah sich ihren schönen Mann an.
Und der sah sich später in der warmen Tropennacht seine schöne Frau an. Eine kleine Lampe spendete ihr Licht, dem nackten, duftenden Körper. Cindy schlief. Ihr Mund mit den vollen Lippen war ganz wenig geöffnet, ihr Atem ließ die Nasenflügel leicht vibrieren, und auf ihrem Gesicht, in glattes, schwarzes Haar gebettet, perlten kleine Tropfen, doch sie störten nicht den Hauch des glücklichen Lächelns. Sie lag auf dem Rücken, ihre Arme vom Körper gestreckt, die geöffneten Hände nach oben, so als bitte sie um eine weitere Umarmung. Hin und wieder bewegte sich einer ihrer schlanken und beringten Finger, ruckartig, ungleich und nicht im Einklang mit der atmenden Bewegung ihrer großen, wohlgeformten Brüste, braun wie der ganze frauliche Körper – nicht so braun wie die Frauen dieser Insel. Chris berührte ganz leicht die Innenseite ihres angewinkelten Schenkels bis hin zu ihrem schwarzen Schoß. Mit leisem Stöhnen streckte sie sich, seine Hand war zwischen ihren weichen Schenkeln. Als sie sich umdrehte, um auf dem Bauch liegend weiterzuschlafen, bewegte sich seine Hand nicht. Sie lag ganz einfach da auf der anderen Seite.
Sie hatten sich – und das mehrmals – zum ersten Mal auf dieser Insel geliebt – körperlich – so als hätten sie eine lange Zeit des Appetitholens dafür gebraucht. Er war ihrer Initiative, die immer wieder neu entstanden war, nicht mehr gewachsen gewesen.
Chris nahm seine Hand von ihrem Po und sah sie sich an – die Hand. Nein, er liebte sie nicht, er hatte sich vergewaltigen lassen von seiner Frau.
Das war kein Urlaub: organisierte Ausflüge, abgegrenzter Strand und sonst eingesperrt sein im Hotel bei Rumbarhythmen vom Calypso. Immer nur Sonntag ist ein schlimmer Alltag. Er war noch nicht ein einziges Mal zum Tauchen gekommen, er wollte es auch nicht. Das Hotel empfand er wie eine Reparaturwerkstatt für psychisch und körperlich angeschlagene Wohlstandsbürger, faul, fett, unzufrieden und ständig über irgendetwas meckernd. Genau die Gesellschaft, aus der sie kamen, aber die meinte er nicht, er meinte die Personen. Er lächelte als er einem abstrakten Gedanken nachging. Der war ihm gekommen, als er in sich hineinhorchte – nein, er nahm sich nicht zu wichtig – er war unter zu vielen Menschen, die alle eine gleiche Krankheit zu haben schienen. Und davon wollte er sich nicht anstecken lassen. Von der Krankheit des Müßigganges würde er sich fernhalten. Er lächelte immer noch und dehnte seine beiden Schultern mit ausgestreckten Armen, ein Kerl, der in seinen Vorstellungen ein ganzes Bordell kultivieren könnte. Er brauchte keine Ermittlungen anzustellen – bei sich selber, in sich selber – um zu anderen Erkenntnissen zu kommen: „Ich will nicht unbefriedigt bleiben, und ich werde nicht unbefriedigt bleiben.“
Bei diesen Worten stellte er sich nicht nur die Darstellung des Höhepunktes der geschlechtlichen Erregung vor.
Am nächsten Tag bat Chris Cindy, den Urlaub zu beenden. Sie stimmte, ihn überrascht ansehend, zu und fragte ihn nichts. Sich selber fragte sie etwas und wusste keine Antwort darauf. Gehorsam oder Dankbarkeit? Sie kannte den Unterschied. Sie wusste es und kannte es auch – das Gefühl der Dankbarkeit, dankbar zu sein – sie wusste, dass es positiv einzuordnen war – dieses wunderbare Gefühl - und somit eine gute Eigenschaft und Kraft ist. Jetzt fühlte sie sich, als ob sie etwas bezahlen oder vergelten würde. Was sie nicht wusste, vielleicht auch nicht wissen wollte: Viele Gemeinsamkeiten sind gut, gerade in einer Ehe. Aber es muss genügend Gegensätze geben.
Cindy war schon lange damit angefangen, in allem eine Gemeinsamkeit zu suchen, zu sehen und sie dazu zu machen. Sie wollte wohl aufpassen, dabei die Kontrolle zu behalten, sie hatte noch genügend Freiraum im Denken und Fühlen. Dachte sie – das Gesetz des Gebens missachtend, das Gleichgewicht der Waage zwischen Geben und Nehmen zu stören beginnend. Und sie wusste es.
Die Mellins flogen zurück nach Hause. Nach dem Start des Fliegers sah sie zurück, Cindy. Sie sah den Strand, sah ihn entschwinden. Die einsame, kleine, weiße Wolke über ihr sah sie nicht mehr. Der Flieger war noch nicht hoch genug.
Die Reise in die Karibik blieb ihr für immer als nutzlose Zeit in Erinnerung und er empfand sie ebenso.