Читать книгу Keiner wird als Held geboren - E.R. Greulich - Страница 9
LEBEN KOMMUNISTEN - LEBT DIE PARTEI
ОглавлениеAnton fuhr vom Garagenhof, als Sendler mit seinem Ford kam und heftig winkte. Anton stoppte, Sendler stieg aus. "Sie wissen Bescheid?" fragte er, auf Anton zukommend.
"Zum Anhalter Bahnhof, Herrn Bilbisch abholen; guter alter Kunde, nimmt den Wagen diesmal pauschal für drei Tage; wünscht Tag und Nacht Bereitschaft. Nicht verärgern, Herr Bilbisch zahlt bar", schnarrte Anton herunter, die kindliche Stimme des Lehrmädchens nachahmend.
Sendler lachte. "Tüchtig die Rita, aber ich meine was anderes."
Anton horchte auf.
"Ganz alter Pg", fuhr Sendler fort, "macht auf jovial und ist scharf auf die sogenannte Volksmeinung. Redet oppositionell. Vielleicht ist's sogar echt, vielleicht aber ... Na ja, Sie sind nicht auf den Kopf gefallen. Machen Sie' s gut."
Im Wagengewimmel vorm Hauptausgang suchte sich Anton einen Platz. Er hatte noch über zehn Minuten Zeit und schlenderte durch das Portal mit den pompösen Säulen, stieg die breite Treppe hinauf. Umherschauen und die Ohren spitzen war ertragreicher als im Wagen zu dösen. Durch den Bahnhofslautsprecher wurde eine Verspätung des Münchener Zuges bekannt gegeben. Mit diesem Zug sollte Herr Bilbisch kommen. Der suchte also die Volksmeinung. Wie war sie wirklich? Keineswegs so, wie sie die Nazis darzustellen suchten. Aber auch nicht so, wie Anton sie gewünscht hätte. Fest stand, sie war nie so schwer zu erkunden gewesen wie jetzt. Alle Menschen schienen nur private Sorgen zu haben. Zum Beispiel jener Hoteldiener dort mit Schirmmütze und grüner Schürze, der seine Karre mit einem riesigen Koffer vor sich herschob, wie mochte er über die politische Lage denken? Überrascht kniff Anton die Augen zusammen, als der Mann näher kam. Kein Zweifel, das war Jule. Anton sah ihm starr ins Gesicht. Doch der Mann schien für nichts anderes Gedanken zu haben, als seine Last sicher durch das Menschengewühl zu bringen. Anton ging ihm langsam nach. Jule war älter geworden, aber wie er ging, die Schultern hielt, den Kopf bewegte, die kleinen, kaum wägbaren Dinge, all das hatte sich nicht verloren, war eher noch ausgeprägter geworden. Vor der Sperre lieferte der mit der grünen Schürze den Koffer an einen Gepäckträger ab. Als er, wieder ins Leere schauend, an Anton vorbeikam, stellte der einen Fuß vor das Rad. "Hoppla!"
Der Grünbeschürzte sah unwillig auf, Erkennen blitzte in seinen Augen, freudige Überraschung. Dann wurden seine Gesichtszüge wieder beherrscht, im Bruchteil von Sekunden suchten seine Blicke die Umgebung ab, und er sagte mit leisem Glucksen in der Stimme: "Mensch, Anton."
"Jule."
Julius Kerdelmann winkte kaum merklich mit dem Kopf in die Richtung des Ausgangs. Beide gingen schweigend nebeneinanderher und sahen sich immer wieder an wie zwei Brüder, die sich tot geglaubt und nun gefunden hatten.
Draußen dann drückten sie sich endlich die Hände, packten sich bei den Schultern.
"Wie sieht's aus, Jule?"
Julius Kerdelmann hob die Augenbrauen, atmete einmal tief ein, ohne zu seufzen. "Höchstens Drei bis Vier."
"Nanu, ein alter - äh - einer von uns und nicht hinter Schloss und Riegel, das ist doch heutzutage eher Eins bis Zwei."
"Ach, das Persönliche", sagte Jule, "aber sonst das andere. Die Bande hat zu viel Erfolge. Das schmeckt den Leuten wie Honig. Sie glauben nicht, dass sie mit Krieg bezahlen müssen."
"Den werden sie bald haben", bestätigte Anton.
"Und sie werden mitrennen wie die Hammel."
"Möglich. Doch jammern macht's nicht besser."
"Jammern?" Jule sah Anton erschrocken an, befürchtete, falsch verstanden worden zu sein. "Dann könnte man sich auch aufhängen. Aber wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken. Es ist verdammt schwer, die richtigen Wege zu finden, wie wir den - den Halunken besser ans Leder kommen." Er hatte die letzten Worte mit unbändigem Hass herausgestoßen. Anton lachte das Herz im Leibe. "Du warst doch draußen?" fragte er.
Jule sah wieder wehmütig ins Leere. "Bei ihrem Einmarsch in Prag haben sie mich erwischt. Dann Irrfahrt durch ein halbes Dutzend Gefängnisse, aber keinen Prozess. Sie konnten mir nichts nachweisen und haben mich entlassen. Ich stand auf der Straße mit nichts, so, wie ich damals wegmusste. Meine Frau war inzwischen gestorben, in meiner Wohnung saß ein Goldfasan."
Soso, entlassen, dachte Anton, und ein unbehaglicher Gedanke kroch ihn an. Er unterdrückte ihn und fragte: "Solltest du nicht versuchen, wieder raus ... "
"Ich bin nicht mehr gefährdet als andere auch. Mit tausend Wenns im Rucksack ist schlecht marschieren. Unter solchem Gepäck stöhnen manche Genossen. Es ist genauso schädlich wie Leichtsinn oder Illusionen."
"Ah, da ist ja die Firma Sendler", rief ein kleiner geiernasiger Mann mit grauer Reisemütze und dicker Aktentasche. Den Lodenmantel trug er über dem Arm. Er steuerte auf den Horch zu.
"Deine Adresse", zischte Anton kaum hörbar.
Ohne Hast gab Jule ihm die Hand. "Dann mach's gut, alter Junge. Ruf mich mal an, Hotel 'Anhalter Hof'!" Gleichmütig schob er mit seiner Karre davon.
"Sicher Herr Bilbisch?" begrüßte Anton den Kleinen und öffnete den Schlag. "Mein Name ist Born."
"Schön Herr Born, ich fahre Vordersitz" , sagte Bilbisch und nannte eine Nummer in der Saarlandstraße. Anton bugsierte den Wagen durch das Gehaste vor dem Bahnhof, bog in die breite Straße ein und hielt bald wieder. "Ich bin gleich zurück", sagte Bilbisch, als er ausstieg.
Anton sann dem Wiedersehen mit Jule nach. So viele Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Dennoch hatte Jule rückhaltlos gesprochen. Ihm war gar nicht der Gedanke gekommen, dass er, Anton, abtrünnig sein könne. Und Jule verdiente das gleiche Vertrauen. Sein persönliches Schicksal bedrückte Jule, den etwas schwerfällig wirkenden Ostpreußen, nicht halb so wie die allgemeine Lage. Wer sah das dem kleinen Hausdiener in der grünen Schürze an?
Anton war fest überzeugt, dass Jule Verbindungen zur Partei hatte, und er erwartete ungeduldig das nächste Zusammentreffen. Gleich nach Bilbischs Abreise würde er im "Anhalter Hof" anrufen.
Nachdem Bilbisch sich wieder neben Anton gesetzt und eine Adresse in Charlottenburg genannt hatte, fragte er, als wäre das Gespräch erst vor Sekunden abgebrochen worden: "Und weswegen ist Balusik geflogen?"
"Balusik ist bei der Wehrmacht", gab Anton Auskunft.
"Ach nee, der auch? Na, es wird ja bald losgehn."
"Der Führer hat's bis jetzt immer ohne Krieg geschafft", provozierte Anton.
"Gerade darum. Nach so vielen Erfolgen braucht er keine Rücksichten mehr zu nehmen."
"Wieso? Wenn wir jetzt noch Danzig friedlich kriegen, haben wir doch eigentlich alles."
Bilbisch lachte amüsiert. "Der Führer hat noch mehr Ambitionen."
Die Rollen waren vertauscht. Anton spielte den Führergläubigen, dieser alte Nazi äußerte gefährliche Ansichten. Anton bekam grimmigen Spaß daran, weiter zu provozieren. "Der Führer weiß schon, was er will."
"Ja, - die Weltherrschaft."
"Wäre das so schlecht?"
"Erst haben."
"Wir werden's schon schaffen."
"Junger Mann", sagte der kleine Graue höhnisch, "Sie waren nicht im Ersten Weltkrieg. Als der Amerikaner anfing, Tanks, Schnellfeuerkanonen, Maschinengewehre und wohlgenährte Khakiboys vom Fließband nach Europa zu spucken, da ging die ganze deutsche Kriegskunst in die Binsen."
"Aber wozu überhaupt Nationalsozialismus, wenn wir nicht endlich losmachen?"
"Mit Blumensträußen winken ist oft nützlicher als immer gleich auf die Revolvertasche klopfen."
Ach so, dachte Anton, dem wird der Nazismus noch nicht ausgebufft genug betrieben. Schadenfroh erwiderte er mit Argumenten der borniertesten Nazis. "Das Plutokratengesindel pfeift auf Blumensträuße, die kuschen bloß vorm Revolver."
Bilbisch seufzte über so viel Einfalt. "Wenn's man bloß nicht so viele wären und wir mehr Revolver hätten."
"Trauen Sie unserer Rüstung nichts zu?"
"Die andern haben auch eine. Was denken Sie, wenn der Amerikaner erst ... "
"Aber wir wollen doch nichts vom Amerikaner. Wir wollen Danzig."
Sie waren da. Bilbisch stieg aus. Ehe er sich dem Haus mit dem vornehmen Portal zuwandte, sagte er zu Anton mehr resigniert als spöttisch: "Der liebe Gott erhalte Ihnen Ihre kindliche Gläubigkeit."
Die Unterhaltung hatte Anton diebischen Spaß gemacht. Es war ein interessanter Einblick in eine bestimmte Gedankenwelt gewesen. Kreise jenes Bürgertums, die den Außenhandel und die Gebrauchsgüterindustrie repräsentierten, ließen sich den nüchternen Geschäftsblick nicht durch Phrasen trüben.
Als Bilbisch nach zwei Stunden wieder in den Wagen stieg, war er zurückhaltend. Er blieb auch in den folgenden drei Tagen wortkarg. Wahrscheinlich hielt er den neuen Fahrer für einen jener Spätgebräunten, die brav und automatenhaft von sich gaben, was täglich in sie hineingetrichtert wurde. Damit verlor er für Bilbisch jedes Interesse. Anton hielt die Warnung Sendlers für angebracht. Es mochte genug "Oppositionelle" wie Bilbisch geben, die sich durch Stimmungsberichte an die Gestapo schlau den Rücken deckten.
Nach diesem anstrengenden Dienst hatte Anton einen Tag frei. Er schlief lange, frühstückte geruhsam und ging dann hinunter, um mit Jule zu telefonieren. Gewohnheitsgemäß suchte sein Blick die Überschriften am Zeitungsstand. Er blieb betroffen stehen. "Deutsch-russischer Freundschaftsvertrag!" schrie es ihm triumphierend entgegen. Kopfschüttelnd, ungläubig trat er näher und kaufte sich einen "Völkischen Beobachter". Seine Hände zitterten, als er das Blatt auf einer Parkbank entfaltete. Hastig las er den knapp gefassten Inhalt des Paktes sowie die mit breitem Behagen geschilderten üblichen diplomatischen Zeremonien. Es war wie ein Faustschlag. Ein neuer Nazibluff? suchte seine Betroffenheit einen Ausweg aus der verwirrenden Situation. Aber da war das Bild des sowjetischen Außenministers Molotow am Fenster des D-Zug-Wagens, kurz vor der Rückfahrt nach Moskau.
Langsam faltete Anton das Blatt zusammen, starrte in den Kies. Freundschaft der Sowjetunion mit den Henkern und Todfeinden der Arbeiterklasse? Wieder schlug er die Zeitung auf und las alles noch einmal. Wort für Wort.
Nüchtern betrachtet war dieser angebliche Freundschaftspakt ein Nichtangriffspakt. Einen landlüsternen Räuber mit dessen eigener Unterschrift die Hände zu binden versuchen, bewies doch keine freundschaftlichen Gefühle für den Räuber. Dass die Nazis es anders darstellten und überheblich ironisch zwischen den Zeilen ausdrückten, die Sowjets seien gezwungen, die Freundschaft der Braunen zu suchen - das war nur zu begreiflich.
Anton hatte sich nach diesen Überlegungen etwas von dem unverhofften Schlag erholt. Er ging hinüber zur Telefonzelle und rief Jule an. Dessen Nachtdienst war in einer halben Stunde beendet. Sie verabredeten, sich in einer Stunde am Kottbusser Tor zu treffen.
Unterwegs überlegte Anton die "erste Vereinbarung", konspiratives Gesetz für jeden Treff. Das hieß, für jedes Zusammenkommen harmlose Gründe parat halten, die sich auch beweisen ließen. Dass sich Jule und Anton als alte Kommunisten kannten, war heute kaum noch nachzuweisen. Solch eine Tatsache allein war der Gestapo meist Grund genug, illegale Tätigkeit anzunehmen. Deshalb würden sie ihre Freundschaft aus der Weimarer Zeit bei einem möglichen Verhör niemandem auf die Nase binden. Vielleicht war diese Geschichte brauchbar: Anton hatte Kerdelmann am Anhalter Bahnhof geholfen, einen Koffer auf die Karre zu laden. Nachdem waren sie ins Gespräch gekommen. Für das Gespräch gab es den Zeugen Bilbisch. Der hätte auch bestätigen müssen, dass der Fahrer Born forsch die offizielle Staatsmeinung vertreten hatte. Aus welchem Grund hatten sich Born und Kerdelmann danach wieder getroffen? Weil Born den Arbeitskameraden aus der Gaststättenbranche wegen einer Stellung ...? Keineswegs überzeugend. Nervös fuhr sich Anton durch das dichte Haar. Da musste man einen kleinen Roman erfinden, nur um das Zusammenkommen mit einem alten Freund abzusichern.
Aber ging es umgekehrt nicht glaubhafter? Dem älteren Kerdelmann wurden Kofferschleppen, Nachtarbeit, überhaupt das aufreibende Hotelleben zu schwer. Darum hatte er den gefälligen Jüngeren gefragt, ob er nicht eine leichtere Arbeit für ihn wisse, vielleicht als Fahrer oder so. Der hatte versprochen, sich umzutun. Da sie neulich durch die Ankunft Bilbischs keine Zeit mehr dazu hatten, wollten sie heute besprechen, wie Kerdelmann ins Fahrerfach hinüberwechseln könnte. Das würden sie, entsprechend weitergeführt, noch bei künftigen Treffs verwenden. Es war unrationell, bei jeder Zusammenkunft einen neuen Roman erfinden zu müssen.
"Jetzt haben die Banditen noch mehr Oberwasser", fluchte Jule, nachdem sie sich begrüßt hatten.
"Ja", sagte Anton, "es werden viele an den Schwindel von der Freundschaft glauben."
Sie gingen zum Café am Oranienplatz. Anton entwickelte Jule die erste Vereinbarung, und Jule war einverstanden. Der Vorgarten war jetzt am Vormittag völlig leer. Von ihrem Ecktisch aus hatten sie eine gute Übersicht. Die Serviererin verschwand, nachdem sie den Kaffee gebracht hatte. Jule kam ungeduldig auf das Thema zurück. "Mancher ehrliche Arbeiter und Genosse wird verwirrt sein, weil er die Taktik der Sowjetunion nicht begreift."
"Die Sowjetunion ist unser Halt. Wäre sie nicht, wären wir einsame, hoffnungslose Ameisen."
"Weil wir mehr sein müssen als ungefährliche Ameisen, sollten sie es uns nicht so schwer machen."
"Schwerer als neunzehnhundertdreiunddreißig konnte es die deutsche Arbeiterklasse der Sowjetunion nie machen."
"Leider wahr. Aber was nützt es uns jetzt, Anton?" Jule wurde eindringlich. "Wir müssen jetzt und hier kämpfen. Geht das mit Soldaten, die an der Notwendigkeit des Kampfes zweifeln?"
"Es wird öfter Entscheidungen geben, die zuerst nicht verstanden werden. Der Weg zum Kommunismus ist keine glatte Einbahnstraße. In normalen Zeiten kann man über solche Entscheidungen vorher diskutieren. Verlass dich darauf, Genosse Stalin und alle seine Mitarbeiter werden es getan haben. Und wir müssen verbreiten, welche Gründe die Sowjetunion hatte, den Nichtangriffspakt abzuschließen."
"Die Gründe, ja. Fang mal an." Jule schaute erwartungsvoll auf den Jüngeren.
Anton angelte umständlich eine Zigarette aus der Schachtel, angestrengt überlegend. "Realität ist ein ständig die Sowjetunion bedrohendes Hitlerdeutschland."
"Stimmt."
"Realität ist, dass die Westmächte Hitler einen Raub nach dem andern überlassen haben, in der Hoffnung, dass er ihnen dafür die Sowjetunion vom Halse schafft."
"Richtig."
"Aber jetzt sind sie die Gelackmeierten."
Jule kraulte sich die grauen Haare. "Trotzdem höre ich sie schon kreischen: Stalin Arm in Arm mit Hitler!"
"Die kreischen schon, solange die Sowjetunion existiert, Hitlers Kriegsmaschine den Weg verlegt zu haben, ist mehr wert."
"Wenn Hitler sich an den Vertrag hält."
"Wahrscheinlich, dass er ihn irgendwann bricht. Aber es geht um Zeitgewinn, deshalb wird mir immer klarer, dass Lenins Wort selten mehr Berechtigung gehabt hat als jetzt: 'Wer - wen?' Und bis jetzt war die Sowjetdiplomatie immer den andern überlegen."
"Weil wir die Wahrheit auf unserer Seite haben."
"Außerdem die bessere Methode. Wir können historisch denken."
"Wenn's man bloß auch diesmal gut geht."
"Mit tausend Wenns im Rucksack ist schlecht marschieren", spottete Anton gutmütig.
Jule war beleidigt. "Ich hab' die kleinen Wenns gemeint. In Dingen der Weltpolitik muss eine solche Frage mal erlaubt sein."
Anton sann vor sich hin. "Wenn die Genossen drüben solch einen Entschluss gefasst haben", sagte er, "dann gibt's da noch mehr Gründe." Er sah Jule plötzlich an. "Hast du Radio?"
Jule schüttelte den Kopf.
"Meine Schwester hat einen guten Apparat. Aber Moskau bei ihr hören - unmöglich", sagte Anton. Plötzlich standen ihm die Widrigkeiten seines Wohnens vor Augen.
Jule räusperte sich. "Es gibt schon noch Leute, die einen anständigen Kasten haben."
"Welche Möglichkeiten hast du?"
"Mehrere. Ich habe Fühlung mit einigen alten Genossen. Und die haben wiederum Kontakte mit anderen. Da muss was zu machen sein."
"Und wie arbeitet ihr?"
"Austausch von Nachrichten, Sammlungen für Verhaftete, Diskussionen auf Fahrten, Skatabenden, echten und angeblichen Familienfesten. Aber Material von draußen haben wir schon lange nicht mehr. Seitdem sind auch Aktionen von uns spärlich geworden. Sicher gibt's auch gut funktionierende Einheiten. Aber in meinem Umkreis nur mehr oder weniger isolierte Debattiergrüppchen. Die bestehenden Kontakte sind meist sogenannte menschliche, gerade ausreichend, dass einer nicht versackt. Es fehlt überall die zielklare Leitung."
"Eine straffe Parteiorganisation mit zentraler Leitung ist unerlässlich", sagte Anton mit kaum unterdrückter Ungeduld. "Aber jetzt muss ein Flugblatt raus über unsre Stellung zum Nichtangriffspakt. Habt ihr einen Abziehapparat?"
"Mal ja - mal nein."
"Was heißt das?"
"Du weißt, dass so ein Ding bei unverdächtigen Leuten stehen muss. Die sind nun sehr ängstlich. Grundsätzlich geht's immer erst nicht. Dann ermüdendes Tauziehen, und endlich lassen wir' s, weil die Situation überholt ist."
Überlegend nagte Anton an der Unterlippe, dann schlug er vor: "Du beschaffst die Nachrichten und Kommentare des Moskauer Senders über den Nichtangriffspakt. Am Sonntag machen wir eine Fahrt nach Grünau - vielleicht kannst du noch einen Genossen mitbringen - und entwerfen draußen das Flugblatt. Diesmal müsst ihr schaffen, es sofort abzuziehen. Später versuchen wir ein besseres Versteck zu finden."
"Angenommen", bestätigte Jule trocken, "sagen wir um achte vom Schlesischen Bahnhof, im letzten Wagen des Grünauer Zuges."
"Nun zu uns", fuhr Anton sachlich fort, "du gehst wirklich zum Arzt und besorgst dir ein Attest für den Führerschein. Das ist ein gutes Alibi. Nächstes Mal bringe ich dir die Adresse einer Fahrschule. Je vielseitiger einer von uns ist, desto besser. So oft es geht, nehme ich dich mit, fahren üben. Das ist eine gute Deckung für unsere Arbeit."
Sie zahlten und gingen. Als sie sich trennten, sagte Jule: "Alles klar." Ihm war jetzt wohler als beim Herweg.
In Anton war Ungeduld. Klar sah er den Weg. Innere Sicherheit war Voraussetzung für jede illegale Arbeit. Ein halbes Lebensalter Erziehung durch die Partei hatten ihn, Jule und die vielen jetzt Unsichtbaren mit dem unerschütterlichen Vertrauen in den Sieg des Sozialismus erfüllt. Der Sache so fest verbunden, gab es für sie kein Zurück mehr zum bürgerlichen "Leben genießen". Und so blieb nur das andere: Widerstand gegen die Barbarei, sich aufrichten, die Stirn gegen den Himmel recken. Und wenn man dafür sterben musste? Sterben ist schwer, verrecken ist unwürdig. Je weniger sich aufrichteten, desto mehr würden verrecken. Darum Mut einflößen denen, die sich noch duckten vor der Brutalität. Die Partei musste ihnen Kraft geben.
Voller Erwartung machte sich Anton am Sonntagmorgen auf den Weg. Als er in den Grünauer Zug stieg, sah er Jule in Begleitung eines blassgesichtigen jungen Mannes. Sie begrüßten sich aber erst in Grünau auf dem Weg zur Fähre, mit der sie sich nach Marienlust übersetzen ließen, um auf die Müggelberge zu kraxeln. Von der Landungsstelle ergoss sich der Strom der Ausflügler in den Wald und verlor sich. Bald stapften die drei mutterseelenallein einen sanft ansteigenden Waldweg hinauf.
"Helmut ist Setzer", leitete Jule das Gespräch ein. "Erzähl mal ein bisschen, wie es im Betrieb aussieht, Helmut."
Helmut hielt den Blick am Boden. Er mochte etwa fünf Jahre jünger sein als Anton, trug aber die Schultern leicht gebeugt. Wenn er nicht sprach, waren seine blutlosen Lippen fest zusammengepresst, die intelligenten Augen hinter der Brille schauten prüfend.
"Was ist da viel zu erzählen", begann er fast unwillig, "es ist doch alles zum Kotzen. Der DAF-Vertrauensmann war früher im Gutenbergbund, der gelben Gewerkschaft. Diese Bruchköppe hat 'n anständiger Buchdrucker nicht mit dem Hintern angeguckt. Und der damals für unseren Verband kassiert hat, kassiert jetzt für die Arbeitsfront. Der Alte war früher streng unpolitisch. Siebenunddreißig nimmt er Witterung, wird Pg und steigt bei einer Kontingentierungsstelle ein. Seitdem drucken wir hunderterlei Formulare. Der Alte hat noch den zweiten Stock dazugemietet und neue Maschinen aufgestellt. Es ist ihm nie besser gegangen als unter den Nazis. Seit Januar ist Hitlers Arbeitszeitverordnung in Kraft. Achtstundentag, aber wenn der Herr Chef es wünscht, musst du auch zwölf Stunden raxen. Überstundenverweigerung wird von Staats wegen bestraft. In den zwei Jahren trägt die Madam den dritten Pelzmantel. Der Alte fuhr erst einen Opel Olympia, dann den Kapitän, und jetzt fährt er schon den Admiral. Dafür steht er auch morgens am Eingang und kontrolliert, ob ja alle schön das Händchen heben beim Hitlergruß. Den kleineren Teil erfüllt's mit Wonne, die andern meckern heimlich, heben aber treu die Flosse."
"Bis auf einen", sagte Anton, "du hebst sie nicht."
"Doch", sagte Helmut, sein blasses Gesicht rötete sich leicht, "ich bin doch kein Idiot."
"Großartig", freute sich Anton, "da haben wir in einem ganzen Betrieb voller Idioten wenigstens einen, der keiner ist."
"Wenn du mich veralbern willst, dann ... "
"Nun mal ernst", Anton strich sich mit der Hand über das Gesicht, seine Lachfältchen verschwanden, "siehst du nicht, Helmut, dass in deiner allgemein richtigen Beobachtung ein entscheidender Fehler steckt?"
"Ich weiß, ich weiß", der Jüngere wurde erregt, "jetzt kommt die alte Walze: Um jeden beharrlich ringen ... , nicht lockerlassen ... , glauben an die Arbeiterklasse. Nein, ich glaube eben nicht mehr. Bist du im Betrieb? Weißt du, wie es aussieht? Wie war es denn? Eine prima Gruppe habe ich bald nach dreiunddreißig aufgezogen, von unsern sechsundzwanzig Männeken waren es immerhin sieben, drei Genossen und vier Sympathisierende. Laufend habe ich Geld gesammelt und immer auf Heller und Pfennig an unsern illegalen Unterbezirk abgeführt. Von dort habe ich auch ab und zu gedrucktes Material gekriegt und auf meine Gruppe aufgeschlüsselt.
Dann ging's bergab. Erst ist die UB-Leitung hochgegangen. Natürlich hab' ich weiterhin Geld gesammelt, aber langsam fingen unsre an zu fragen, warum sie nichts mehr zu lesen kriegten. Dann ist ein Genosse aufgetaucht und hat versprochen, den UB wiederaufzubauen. Der ist auch hochgegangen. Und ich saß da mit 'nem Haufen fremdes Geld in der Zigarrenkiste. Dann wurden zwei von der Gruppe zur Wehrmacht eingezogen, einer ist Rentner geworden, der vierte ist umgefallen, als er 'ne bessre Stellung gekriegt hat. Schließlich sind die beiden Letzten gekommen und haben gesagt, sie geben nichts mehr, es hätte alles keinen Zweck. Sie bleiben die Alten, aber wegen so aussichtsloser Sachen wollen sie nicht den Kopf riskieren. Vor ein paar Tagen, nach dem Freundschaftsvertrag, haben sie mich gefragt, ob ich nun endlich kuriert bin."
Helmut war immer erregter geworden. Auf seinen Wangen brannten rote Flecke. Tuberkulose, dachte Anton und hatte Mühe, sein Bewegtsein nicht zu zeigen. Er nahm Helmut sacht am Arm und fragte leise: "Und du bist der Meinung, sie haben wirklich recht?"
Helmut hob seine runden Schultern. Es war eine Gebärde der Ratlosigkeit. "Ich möcht's nicht glauben. Es ist so schwierig - man muss Klarheit haben, sonst ist's ein unerträgliches Leben."
Die beiden älteren sahen sich an, im Blick Jules las Anton die Frage: War es nicht gut, dass ich ihn mitgebracht habe?
Anton ließ sich Zeit, ehe er bedächtig begann: "Da tobt eine mörderische Schlacht, die größte der Weltgeschichte, und dazu unterirdisch. Der einzelne Soldat kann nicht alles übersehen, sieht nur, wenn es mal zurückgeht, wenn der Nachschub nicht funktioniert, wenn neben ihm welche fallen. Vielleicht wird er noch verwundet, hat Schmerzen, verflucht alle und alles. Plötzlich erfährt er, seine Seite hat einen Waffenstillstand geschlossen. Wäre es verwunderlich, wenn er den Waffenstillstand nicht versteht, und fragt: 'Wozu habe ich alles das auf mich genommen?'"
"Genau", sagte Helmut; es tat ihm wohl, dass der andere ihn so verstand.
"Ist damit gesagt, dass dieser einfache Soldat recht hat? Dass er, sagen wir mal, historisch richtig sieht? Wenn er plötzlich an der Stelle eines Generals säße, würde er sich da nicht vielleicht schämen, weil er entdeckt, dass es nichts Klügeres gab, als Waffenstillstand zu schließen?"
Helmut hatte mit wachsender Aufmerksamkeit zugehört. Jetzt zögerte er mit der Antwort. Dann sagte er hastig: "Wahrscheinlich. - Leider kommt der Soldat nie an die Stelle des Generals. Er liegt in seinem Loch, hat Schmerzen. Wer will ihm das Fluchen verübeln!"
"Das Fluchen nun auf gar keinen Fall", platzte Jule heraus, "aber wenn er fahnenflüchtig wird?"
Helmut hob wieder die Schultern. "Verstehen könnte man's auch."
"Auch von einem Kommunisten?" Anton sah ihm fest in die Augen.
"Ein Kommunist ist auch bloß ein Mensch."
"Ein Mensch und kein Tier. Ein Kommunist hat gelernt, seinen Kopf zu gebrauchen."
Helmut wischte sich kleine Schweißperlen von der Stirn. "Ihr setzt mir aber zu."
"Du musst wieder Tritt fassen", sagte Jule.
"Du sagst doch selbst", erinnerte Anton, "das ist kein Leben mit solchen Bauchschmerzen."
"Es sind schon mehr Herzschmerzen", murmelte Helmut.
"Was du erlebt hast, ist bitter", gab Jule zu, "aber gegen das, was andere hinter sich haben, war es milde. Von meinen Lappalien zu schweigen, aber frage mal Anton, wie oft der dem Totengräber von der Schippe gehopst ist. Hätte Anton nicht viel mehr Ursache, verzweifelt zu sein? Was hält ihn davon ab, sich nun in der goldenen Freiheit auszutoben, anstatt freiwillig wieder zur Front zu gehen?"
Helmut sah nachdenklich zu Boden, ohne zu antworten. Sie hatten jetzt die Steigung geschafft. Der Blick glitt über das im Sonnenschein blitzende Wasser, das eingebettet im Waldgrün unter ihnen lag.
"Nun wollen wir Helmut ein bisschen verschnaufen lassen", sagte Anton doppelsinnig, "die Groschen für den Müggelturm können wir sparen, von hier sehen wir genug."
Der schwer atmende Helmut sah Anton forschend und dankbar an. Nachdem sie den Rundblick genossen hatten, schlugen sie einen schmalen und wenig begangenen Waldweg in Richtung Müggelheim ein.
"Ich glaube, Helmut", nahm Anton das Gespräch wieder auf, "du hast dich zu lange nicht richtig mit Genossen ausgesprochen, das Herz frei geschimpft."
Helmut nickte heftig.
"Was meinst du, wie einem die Niedergeschlagenheit manchmal in der Zelle ankommt. Was bleibt einem da anderes, als sozusagen aus der eigenen Haut zu schlüpfen. Da stehen dann zwei Genossen. Der eine bringt seine ganze Wut vor, und der andere das, was der eine vor Schmerzen nicht sehen will. Wenn man dabei ehrlich ist, kriegt der Kopf langsam die Oberhand. Nach und nach kommt man mit sich ins Reine. Vielleicht ist das kein Rezept für alle. Aber irgendwas muss man finden für solche Stunden."
"Es ist ein prima Rezept", sagte Helmut.
"Meist beginnt es doch so: zuerst fängt man an über jedes Hindernis zu jammern. Dann freut man sich über ein Hemmnis, und zum Schluss trägt man sie alle auf einen Haufen zur riesenhaften Barriere. An dieser Barriere beweist man nun sich und den andern Schlappgewordenen, dass sie unmöglich zu überwinden ist."
Helmut lachte das erste Mal, verlegen und von dem Beispiel überrascht. "Genau wie mit mir und den beiden Letzten."
"Wenn man deinen Bericht ein bisschen auseinanderpolkt", Jule griente verschmitzt, "dann ist er gar nicht so tragisch. Von sieben Leuten ist in Wirklichkeit einer abgefallen. Die beiden, die noch im Betrieb sind, meutern doch bloß, weil sie sich verlassen vorkommen und weil sie den Nichtangriffspakt nicht verstehen."
"Sie werden sich wieder fangen, wenn man ihnen zeigt, wie die Lage wirklich ist", ergänzte Anton.
"Gegen den einen Abgefallenen steht nun aber etwas ganz Positives", dozierte Jule weiter. "Du hast doch das Geld gehütet wie einen Schatz, Helmut, und so lange gesucht, bis du über sieben Ecken auf Anna gekommen bist, die das Geld endlich dem richtigen Zweck zuführen konnte. So hast du wieder Verbindung bekommen und machst heute eine Partie in die Müggelberge."
"Ihr habt euch um Helmut zu wenig gekümmert", sagte Anton.
"Es war auch meine Schuld", bekannte Helmut, "ich hab' mich manchmal gedrückt, weil nur immer was verlangt wurde. Eine richtige Aussprache, so wie heute, hat es nicht gegeben."
"Sag mal, Helmut", Anton konnte seine Ungeduld, aufs Praktische zu kommen, kaum noch zügeln, "seid ihr nie auf den Gedanken gekommen, selbst Material herzustellen, wo ihr gewissermaßen an der Quelle sitzt?"
"Das sieht nur für den Laien so aus", erwiderte Helmut. "Wie willst du zum Beispiel ein Flugblatt setzen, ohne dass es dein Gassengespan merkt? Genauso steht die Frage für den Drucker."
Anton blieb hartnäckig. "Streuzettel sind manchmal wirksamer als Flugblätter. Farbige Papierabfälle gibt's in jeder Druckerei. Und eine einzige Losung lässt sich bestimmt mal heimlich absetzen."
"Und wer druckt sie?" Helmuts Frage drückte weniger Abschätzigkeit aus, als gespannte Erwartung, was der andere für Ideen haben würde.
"In den meisten Druckereien werden die Korrekturabzüge auf sogenannten Nudeln gemacht - eine mit Papier bespannte Eisenrolle, die über den Satz rollt, der auf einem Eisenfundament steht."
"Und du meinst, da kann man unbemerkt ein paar tausend Stück abziehen?"
"Natürlich nicht in der Druckerei. Solch eine Nudel müsste an einem sicheren Ort stehen."
Helmut lachte nachsichtig. "Eine Nudel klauen? Die kleinsten von der Sorte wiegen ein paar Zentner. Die kann man nicht in der Aktentasche nach Hause tragen."
"Messerscharf gefolgert, Genosse Fachmann. Aber stell dir mal vor, was solch eine Nudel oder gar eine Handtiegeldruckpresse, so ein Boston, für die Berliner Partei bedeuten würde. Wissen, wo so ein Ding steht, und dann muss man Mittel und Wege finden, es zu kaufen. Ein Abziehapparat ist zwar leichter zu transportieren, aber Druck bleibt Druck, und das bestechendste wäre die Irreführung der Gestapo. Sie müsste sämtliche Druckereien als mögliche Druckstätte annehmen und hätte trotzdem falsch getippt."
"Dass man nicht schon selbst auf so was gekommen ist", sagte Helmut, ehrlich erbost über sich, "na ja, wenn man so allein rumkrebst. Vor Verzweiflung sieht man nicht, was sich trotzdem alles gegen die anstellen lässt. Aber ihr könnt Gift drauf nehmen, ich schaue mich um."
"Hand drauf!" Anton streckte Helmut begeistert die Hand hin, und der Jüngere schlug ein.
Anton war in glänzender Stimmung. "Und nun zum Eigentlichen: Text für ein Flugblatt zum deutsch-russischen Nichtangriffspakt. Jule, was hast du für Nachrichten?"
Jule wurde verlegen. "Wenn man selbst kein Radio hat, ist das 'ne schwierige Kiste. Die Zeit war zu kurz, ich habe nichts."
"Mir ging's ähnlich", bekannte Anton. "Du siehst, wie wichtig es ist, planmäßigen Empfang zu organisieren. - Ich denke, wir lagern uns ein bisschen."
An einer Wegkreuzung streckten sie sich ins Moos. Anton zog ein Notizbuch aus der Tasche. "Ich habe schon ein bisschen vorgearbeitet", sagte er und las dann einen Entwurf vor, den er nach der ersten Unterhaltung mit Jule angefertigt hatte.
"Junge, Junge", staunte Jule, "du hast wohl 'ne Sonderverbindung zum ZK?"
"Kritik, Genossen", scherzte Anton, "keine Loblieder."
Wort für Wort wurde nun der Entwurf unter die Lupe genommen. Besonders Helmut machte - von seinen Erfahrungen im Betrieb ausgehend - Vorschläge, die sein Bemühen zeigten, alles so einfach wie möglich zu sagen. Die beiden Älteren sahen sich mehrmals anerkennend an. Anton strich und korrigierte, bis sie alle drei zufrieden waren. Dann schrieb er den Text in sauberer, kleiner Schrift ab. Es wurde ein Notizzettel voll. Er riss ihn heraus, kniffte ihn mehrfach und gab ihn Jule. "Wenn Gefahr ist, musst du ihn runterschlucken."
Sie verabredeten, Helmut bei Zusammenkünften von Jules Gruppe regelmäßig hinzuzuziehen. Anton gab darauf Jule die Adresse einer Autofahrschule. "Trag die immer bei dir, ebenfalls als Alibi. Und beruf dich dort auf Sendler, dann wirst du gut bedient."
Sie wanderten weiter, badeten später und kosteten den Sonnentag aus. Am frühen Abend fuhren sie mit dem Bus von Müggelheim nach Köpenick. Als Helmut in der Schlange vorm Schalter der S-Bahn stand, um für alle drei die Karten zu kaufen, fragte Jule Anton: "Wird er sich fangen?"
Anton sah den Freund nachdenklich an. "Auf jeden Fall weiß er jetzt: Die Partei lebt."