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Konflikte

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Da die Linke seit Langem die Trickle-down-Theorie kritisiert, wäre es nur naheliegend, eine linkspopulistische Gegenreaktion auf die stagne-quality gefolgt von Maßnahmen zur Einkommensumverteilung zu erwarten. Diese Prognose wurde zum Teil durch die jüngsten Ereignisse bestätigt, wie sie in Tabelle E.1 zusammengefasst sind. Bernie Sanders ging beinahe als Sieger aus den innerparteilichen Vorwahlen der Demokraten in den USA hervor, obwohl er sich früher als Sozialist bezeichnete und als Sozialdemokrat für das Präsidentenamt kandidierte. Im Vereinigten Königreich ist der Chef der Labourpartei, Jeremy Corbyn, der am stärksten links stehende Parteivorsitzende seit dem Zweiten Weltkrieg, der eine reelle Chance hat, die Wahlen zu gewinnen; linke Bewegungen in Frankreich und Italien haben außergewöhnliche politische Erfolge erzielt.

Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass faschistische oder ultranationalistische Bewegungen immer dann an die Macht gekommen sind, wenn das soziale Gefüge zerfaserte. Mit dem Versprechen, Wohlstand für die Massen zu fordern, nicht von den Reichen, sondern von einem externen Feind oder einem internen »Anderen«, einer verwundbaren Minderheit, kehren reaktionäre Bewegungen ihre Wut häufig nach außen und bedrohen die internationale Stabilität. Obwohl sie durch den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg eine Zeit lang in Verruf geraten waren, gibt es besorgniserregende Anzeichen für ihr Wiederaufleben.

Wie Tabelle E.1 zeigt, haben rechte Bewegungen stärker an den Wahlurnen und beim Erreichen ihrer politischen Ziele zugelegt als linke Bewegungen.19 In den USA, dem Vereinigten Königreich und Russland haben diese Bewegungen entweder die Regierung übernommen, erheblichen Einfluss auf die Regierung gewonnen oder konkrete politische Ziele erreicht. In Frankreich und Italien standen sie kurz davor. Man muss weit in der Geschichte dieser Länder zurückgehen, um einen vergleichbaren Fall zu finden. In Japan, Frankreich, Deutschland, Italien und Australien haben ähnliche Bewegungen Erfolge in einem Ausmaß erzielt wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Obwohl die USA auf eine lange Tradition des Populismus zurückblicken, ist Donald Trump der erste echte populistische Präsident, ein Mann ohne irgendeine Erfahrung in einem politischen oder militärischen Amt. Während des Wahlkampfes und im Amt attackierte Trump fundamentale politische Institutionen mit einer aufrührerischen Sprache, was kein anderer Präsident außer vielleicht Andrew Jackson je zuvor getan hat.20

Rechtspopulistische Bewegungen sprechen historisch dominante Bevölkerungsgruppen an, die gemessen an ihren Erwartungen ökonomisch abgehängt wurden: schlecht Ausgebildete, Menschen auf dem Land und Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz aufgrund internationaler Handelsströme verloren haben.21 Die Rufe der Anführer rechtspopulistischer Bewegungen nach Handels- und Zuwanderungsbeschränkungen stoßen auf offene Ohren. Aber anstatt explizit an Klassenidentität oder Verteilungsgerechtigkeit zu appellieren, appellieren die Anführer rechtspopulistischer Bewegungen an das ethno-nationalistische Credo von »Blut und Boden«. Diese Gruppen blicken nostalgisch auf eine Vergangenheit zurück, in der Menschen wie sie größere wirtschaftliche Absicherung und einen höheren Status genossen.

Rechtspopulistische Bewegungen bringen die grundlegenden Probleme mit den von ihnen infrage gestellten Systemen an den Tag. Sie spiegeln den hohen Grad an politischer Polarisierung wider, verstärken ihn zugleich und bedrohen damit die politische Stabilität demokratischer Länder.22 Die Bewegungen machen kaum realistische politische Vorschläge, von denen ihre Mitglieder und die breite Öffentlichkeit profitieren würden; sie protestieren gegen das Versagen bestehender politischer Systeme, anstatt als positive Kraft zu wirken.23 Der Aufstieg dieser Bewegungen spiegelt also das Versagen demokratischer Institutionen wider, das Gemeinwohl zu fördern und Konflikte zwischen verschiedenen sozialen Gruppierungen zu lösen.

LAND LINKE BEWEGUNG JÜNGSTE WAHLERGEBNISSE RECHTE BEWEGUNG JÜNGSTE WAHLERGEBNISSE HISTORISCHE VORLÄUFER
USA Bernie Sanders Beinahe-Sieg bei den Vorwahlen der Demokraten Donald Trump Präsidentschaft Beispiellos mindestens seit dem Bürgerkrieg
Japan keine Nationalismus und Militarismus innerhalb der Regierungspartei Premierminister hat enge Beziehungen zur extremen Rechten Beispiellos seit dem Zweiten Weltkrieg
Deutschland keine Alternative für Deutschland (AfD) drittstärkste Partei Beispiellos seit dem Zweiten Weltkrieg
UK Jeremy Corbyns Laborpartei Beinahe-Sieg bei den Parlamentswahlen 2017, in Umfragen führend Brexit, UK Independence Party (UKIP), Theresa May nationales Referendum gewonnen, die Conservative Party ist enger auf deren Kurs eingeschwenkt Beispiellos seit dem Zweiten Weltkrieg
Frankreich La France Insoumise Vierter Platz in der ersten Runde der Präsidentschafts wählen Front National (FN) Zweiter Platz bei den Präsidentschaftswahlen Beispiellos seit dem Zweiten Weltkrieg
Italien Fünf-Sterne-Bewegung In aktuellen Umfragen führend Fünf-Sterne-Bewegung, Lega Nord drittstärkste Kraft in jüngsten Umfragen Beispiellos seit dem Zweiten Weltkrieg
Kanada keine keine
Südkorea keine keine
Russland keine Wladimir Putin Kontrolliert den Staat seit Ende der 1990er Jahre Leonid Breschnew Anfang der 1980er Jahre
Australien keine Pauline Hansons One Nation Viertstärkste Partei Beispiellos

Tabelle E.1: Anti-Establishment-, antiliberale und populistische Bewegungen in den zehn größten Volkswirtschaften der Welt mit überdurchschnittlichem Lebensstandard, in absteigender Reihenfolge nach dem nominalen Bruttoinlandsprodukt des Internationalen Währungsfonds 2016.

Die heutigen rechten Bewegungen geraten in Konflikt mit denjenigen, die deren eng definierte Identität nicht teilen. Die Einkommen der männlichen, weißen Arbeiterklasse in reichen Ländern stagnieren, während Frauen, ethnische und rassische Minderheiten sowie Menschen in den Entwicklungsländern ihre Lage im Vergleich dazu verbessern konnten.24 Rechtsgerichtete Führer machen den wirtschaftlichen Erfolg von Minderheiten für die Probleme verantwortlich, die weißen Männern aus der Arbeiterklasse zu schaffen machen, und versprechen, eine »Rückeroberung« des zunehmenden Wohlstands armer Länder werde diese Probleme lösen.

In wohlhabenden Ländern fordern Bewegungen die Rechte von Frauen und einer Vielzahl von Minderheiten ein. In Entwicklungsländern gewinnen nationalistische Bewegungen anderer Art an Zulauf. Zahlreiche aufstrebende Mächte (China, Indien, die Türkei, Mexiko) verzeichnen eine zunehmend autoritäre und nationalistische Stimmung, in vielen Fällen befeuert von Führern, die westlich dominierte internationale Institutionen beschuldigen, ihre Länder in ihrer Entwicklung zu hemmen. Zwischen den Forderungen nach wirtschaftlichem Fortschritt in den Entwicklungsländern und der zunehmend nationalistischen Politik reicher Länder scheint sich eine Kollision abzuzeichnen.

Viele dieser innen- und außenpolitischen Konflikte haben mit der Schwierigkeit zu tun, auf demokratische Weise Probleme zu lösen, die die elementaren Sorgen von Minderheiten gegen die weniger dringenden Interessen der Mehrheitsbevölkerung ausspielen. Diese Fragen haben zwar wichtige wirtschaftliche Grundlagen, sind aber häufig in einer sozialen und kulturellen Sprache formuliert, die die Wortführer der Rechten auf die Seite einer bestimmten Gruppe stellt.

In den USA zum Beispiel sind das Waffenrecht, Religionsfreiheit und die Wahlkampffinanzierung durch Reiche die Themen der Rechten, während sich die Linke auf die Identitätspolitik von Minderheiten und bürgerliche Freiheitsrechte konzentriert. Versuche, diese Fragen zu lösen, landen oftmals in den Händen der Justiz. Die Richter gehören jedoch der Elite an und haben zumeist den Bezug zum Leben normaler Bürger verloren. Anstatt den Konflikt beizulegen, heizen ihre Entscheidungen häufig einen Kulturkampf an.

Auf internationaler Ebene gelten Institutionen wie die Welthandelsorganisation und die Europäische Union – die zur Lösung von Spannungen zwischen nationaler Souveränität und internationaler Ordnung geschaffen wurden – zunehmend als unrechtmäßig, schwerfällig und unfähig, einen Interessensausgleich zwischen reicheren und ärmeren Ländern herbeizuführen. Governance-Institutionen auf der ganzen Welt befinden sich kurzum in einer Legitimationskrise.

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