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3.

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Hanna war müde, sie schlief schlecht, nahm fast immer Tabletten, ehe sie sich hinlegte. Meist fiel es ihr leicht einzuschlafen. Aber nach kurzer Zeit erwachte sie mit einem Ruck. Sie hatte dann geträumt. So fühlte es sich zumindest an, aber sie konnte sich nie an den Traum erinnern. Vielleicht war es am ehesten ein Gefühl ohne Traumbilder, ein Erlebnis von schrecklicher Einsamkeit, von drohender Gefahr.

Sie versuchte, nicht noch mehr Tabletten zu nehmen, aber es war schwer, weil sie ja halfen. Sie sollte neue Rezepte von Rina bekommen, die mit einem Arzt befreundet war. Es kam vor, dass Hanna sich auch über andere Kontakte Tabletten beschaffte. Und doch kostete es einiges, fünfhundert für eine Dose mit hundert Tabletten. Aber das spielte keine Rolle. Manche Menschen gaben ihr Geld für Alkohol aus, andere rauchten eine Schachtel Zigaretten am Tag. Hanna kaufte Tabletten.

Sie nahm sich ein paar Tage frei und machte das Handy aus. Sie wollte allein sein, sich ausruhen. Aber die Ruhe wurde zu Einsamkeit und nagender Rastlosigkeit.

Hanna rief Sara an und bat sie, nach der Schule zu kommen; sie konnten doch etwas zusammen unternehmen. Es war ein Dienstag. Sara hatte in letzter Zeit nicht geschwänzt. Sie hatte sich selbst versprochen, zumindest zu versuchen, der Schule eine Chance zu geben. Obwohl es genauso langweilig war wie immer. Die meisten Lehrer waren Idioten und ihr Klassenlehrer war am schlimmsten von allen. Nur ihr Kunstlehrer war okay.

Sie benutzte Hannas Kamera ziemlich oft. Die Filmrollen ließ sie irgendwo mitgehen. In der Hornsgata gab es ein gutes Geschäft. Die Rollen lagen vorne. Am Hötorg lag ein anderes Geschäft, in dem es auch ziemlich ungefährlich war, eine Rolle zu nehmen. Aber für die Entwicklung von Farbfilmen brauchte Sara Geld. In der Schule gab es nur eine Dunkelkammer für Schwarzweiß.

Der Kerl aus dem Klackaväg hatte wieder angerufen. Sara sagte, dass sie keine Zeit habe. Der Kerl entgegnete, dass sie vierhundert bekommen würde. Sara ging hin, bereute es jedoch, als sie das Geld bekommen hatte, und entschloss sich, nicht wieder hinzugehen. Das sagte sie auch Marika.

»Ich weiß«, sagte Marika. »Ich habe genauso gedacht. Aber man muss ja an Geld kommen.«

»Man könnte vielleicht das Geld nehmen und abhauen.«

»Du meinst, man scheißt drauf, es zu tun, und nimmt nur das Geld?«

»Ja.«

Sie waren sich darüber einig, dass die Idee gut war. Sie sprachen noch eine Weile darüber, die eine könnte drinnen im Wohnzimmer mit dem Kerl reden und die andere könnte in die Küche schleichen und das Geld nehmen, und dann könnten sie weglaufen.

»Wenn er nächstes Mal eine von uns anruft, dann machen wir es so«, sagte Marika.

Sie trennten sich vor der Schule. Sara nahm den 142er Bus zum Telefonplan. Sie klingelte bei Hanna, wollte nicht warten und nahm den Schlüssel heraus, um aufzuschließen, aber in dem Moment machte Hanna auf.

Sie sah müde aus. Sara dachte, dass ihre Schwester vielleicht geweint hatte. Es sah fast so aus. Ihre Augen waren ein wenig geschwollen. Aber Sara fragte nicht, wie es Hanna ging.

Sie tranken Tee. Hanna hatte nur Brot zu Hause, keine Plätzchen; sie war offensichtlich nicht in der Stadt gewesen.

»Wollen wir irgendwohin gehen?«, fragte Sara.

»Ja, wir können einen Spaziergang machen.«

»Oder in die Stadt fahren, ein bisschen einkaufen.«

»Tja, vielleicht auch das.«

»Oder ich weiß was«, sagte Sara. »Ich kann dich fotografieren. Wir fahren in die Stadt und dann mache ich ein paar Bilder von dir.«

Hanna zögerte, aber Sara überredete sie. Sie nahmen ein Taxi und Sara hatte wieder Gelegenheit festzustellen, dass ihre Schwester vermutlich reichlich Geld hatte.

Am Nybroplan stiegen sie aus. Es war immer noch hell. Sie folgten dem Strandväg in Richtung Djurgården und gingen auf den Kai hinaus.

»Hier ist es gut«, sagte Sara. »Vor dem Segelschiff da, das wird hübsch.«

Es war ein Dreimaster mit schwarzem Rumpf und dunkelblauem Deckshaus. Hanna stand direkt an der Reling, einen Schritt von der Kaikante entfernt. Sara machte mehrere Bilder. Jetzt lächtelte Hanna ein bisschen, es war ihr erstes Lächeln an diesem Nachmittag.

Sie gingen weiter, passierten Reihen von vertäuten Kähnen, Segelschiffen, kleinen Booten, die meisten in der Winterruhe, mit verschlossenen und abgedeckten Kajüten. In einigen größeren Motoryachten brannte Licht hinter den Scheiben des Deckshauses. Auf einem Vordeck saß ein schwarzer Pudel.

Sara machte noch ein Bild von Hanna vor dem Boot mit dem Pudel.

Dann gingen sie über die Brücke nach Djurgården, weiter vorbei am Nordiska museet und wieder hinunter zum Wasser bei Liljevalchs konsthall. Der Himmel war wolkenlos, es war überhaupt nicht kalt und immer noch so hell, dass Sara fotografieren konnte.

»Bist du schon müde?«, fragte Hanna.

»Nein, wir machen noch ein paar Bilder, dann hätte ich gerne was zu essen.«

»Ja klar, wir finden schon ein Lokal in der Nähe.«

Sie betraten das Werftgelände rechts vom Vasamuseet. Einige sehr große Motoryachten lagen an einem der Anlegestege vertäut.

»Vor dem Boot da«, meinte Sara.

Hanna stellte sich vor den Steven des Bootes. Das Boot war weiß, vielleicht dreißig Meter lang, hatte mehrere Etagen und eine verglaste Kommandobrücke. Die Scheiben waren getönt. Auf den verschiedenen Decks gab es Einlagearbeiten aus Holz. Der Handlauf der Reling und die Geländer waren ebenfalls aus Holz. Hier und dort glänzte Messing.

Neben dem großen Boot lag eine andere Yacht von ähnlicher Art, und etwas weiter weg eine, die noch größer war. Sara machte mehrere Bilder. Sie ging ein wenig in die Hocke, um ein Bild zu bekommen, das zeigte, wie groß das Boot war.

»Ein nettes Boot hast du«, sagte Sara.

Hanna lachte zum ersten Mal an diesem Tag.

»Ist es zu verkaufen?«, fragte Sara.

Während Hanna immer noch lachte, schüttelte sie gleichzeitig den Kopf und versuchte auszusehen wie eine Millionärin.

Sara senkte die Kamera. Sie war fertig mit Knipsen.

»Darf ich auch ein Bild von dir machen?«, fragte Hanna. Sie tauschten die Plätze. Als Sara für einen Moment zur Seite schaute, sah sie, dass Leute an Bord des dritten Bootes waren. Auf dem Achterdeck, in ihre Richtung gewandt, stand ein Mann.

Hanna machte ein Bild. Es war Zeit, den Anlegesteg zu verlassen. Sie gingen den Landungssteg zurück, der den Anlegesteg mit dem Kai verband.

In dem Moment rief jemand. Hanna und Sara wandten sich um. Es war der Mann, den Sara auf dem hinteren Boot gesehen hatte. Er stand immer noch auf dem Achterdeck des Schiffes, aber jetzt winkte er und rief noch einmal.

»Ist das jemand, den du kennst?«, fragte Sara.

»Ich glaube schon«, meinte Hanna.

Die Schwestern gingen zurück und auf den Mann zu. Er stand noch auf dem Deck, kam aber auf sie zu. Jetzt winkte er wieder.

»Er heißt Paul«, sagte Hanna, »ein Bekannter von mir.« Nun waren sie bei dem großen Boot angekommen. Es lag mit dem Heck zum Anlegesteg vertäut. Der Mann war vorne an die Reling getreten.

»Hallo Paul«, sagte Hanna.

»Was für eine Überraschung«, antwortete der Mann.

»Ja, wirklich«, meinte Hanna. »Das hier ist meine Schwester Sara.«

»Hallo Sara«, sagte Paul.

Er klappte eine Tür in der Reling zur Seite und reichte Sara die Hand. Sie beugte sich zu dem Mann hinüber und begrüßte ihn, auch Hanna gab ihm die Hand.

»Ihr seht euch wirklich ähnlich«, meinte Paul.

»Ja, das sagen viele«, sagte Hanna.

»Wollt ihr eine Weile an Bord kommen?«

Hanna schaute Sara mit einem fragenden Blick an; sie selbst war sich nicht ganz sicher, ob sie wollte, dass Sara Paul traf.

»Ich will gerne das Schiff sehen«, sagte Sara.

Damit war die Sache entschieden. Hanna und Sara gingen an Bord. Paul reichte ihnen wieder die Hand, half ihnen und schloss das Tor hinter den Schwestern.

»Ich habe einen Besucher«, sagte Paul. »Ihr sollt ihn kennen lernen.«

Er ging vor, wies ihnen den Weg, wandte sich um und öffnete eine Tür. Sie traten in ein Deckshaus, einen warmen und gemütlichen kleinen Raum mit Teppichboden, dunklen Holzwänden und Ledermöbeln.

In einem Sessel saß ein Mann. Er stand auf, als die Gesellschaft hereinkam. Seinem Aussehen nach war er in den Sechzigern. Er war grauhaarig, braungebrannt und mager.

»Ich heiße George«, sagte der Mann.

Paul stellte Hanna und Sara vor. Sie setzten sich. Paul fragte die Schwestern, was sie zu trinken wünschten. Für einen Moment wurde es still, keiner von ihnen fiel ein, was sie trinken könnten, so plötzlich kam es.

»Ich glaube, ich weiß, was du haben willst, Hanna«, sagte Paul. »Und du Sara, willst du vielleicht eine Coca Cola haben?«

»Ja gern, danke«, sagte Sara.

Paul ging zu einer Theke hinüber, hantierte kurz mit Flaschen und Gläsern und kam mit einem runden Tablett zurück. Er servierte Hanna einen Dry Martini und Sara ein Glas Coca Cola mit Eis.

»Was hat euch hierher geführt?«, fragte Paul.

»Wir sind ein bisschen spazieren gegangen«, antwortete Hanna. »Sara hat Fotos von mir gemacht, wir fanden, dass die Umgebung hier schön ist.«

»Du fotografierst also«, sagte Paul.

»Ein bisschen«, antwortete Sara. »Ich versuche es zu lernen.«

Sie nahm die Kamera hoch, wog sie in der Hand und schaute Paul an. Er lächelte sie an.

»Ja, deine Schwester ist bestimmt ein gutes Modell«, sagte er.

Sara zuckte mit den Schultern und nippte an ihrem Glas.

»Wir müssen bald weiter«, meinte Hanna.

»Ich verstehe«, sagte Paul. »Das war wirklich ein unerwarteter Besuch.«

Der Mann, der sich als George vorgestellt hatte, hatte immer noch nichts gesagt. Er lächelte die ganze Zeit, sah interessiert aus und nickte dann und wann zustimmend. Aber er war still.

Hanna änderte ihre Sitzstellung im Sessel, ein Anzeichen dafür, dass sie sich anschickte aufzubrechen. Sie wäre gerne geblieben, aber es war nicht gut, mit Sara und diesen beiden Männern hier zu sitzen. Sara war erst vierzehn. Sie sah älter aus. Hanna merkte, dass Sara die Blicke der Männer auf sich zog.

Sie erhob sich. Die Männer erhoben sich ebenfalls. Sara blieb sitzen, trank das Glas aus, dann stand auch sie auf. Sie standen sich gegenüber, der schweigsame Mann reichte Hanna die Hand, um auf Wiedersehen zu sagen.

In dem Moment kam Sara eine Idee. Sie tippte an den Blitzknopf der Kamera, hob die Kamera und knipste.

Alle fuhren zusammen. Hanna lachte, Paul lächelte. Der schweigsame Mann lächelte nicht, oder aber er versuchte zu lächeln, ohne dass es ihm gelang.

Paul begleitete die Damen hinaus. Er küsste Hanna auf die Wange und gab Sara die Hand. Er stand noch immer auf dem Achterdeck, als die Schwestern wieder auf den Kai kamen. Nun fing es an zu dämmern.

»Hast du gesehen, wie das Boot heißt?«, fragte Hanna.

»Lady Star«, anwortete Sara. »Es stand hinten drauf, und es stand auch auf dem Glas.«

Bleierne Schatten

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