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5.

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Margret war auf dem Weg zum Odenplan und stand an der roten Ampel vor der Stadtbibliothek, als ihr Handy klingelte. Ihr Dezernatschef Lennart Philipsson war dran. Er fragte, wie es gelaufen sei, ob sie die Zeugin angetroffen habe, die sie am Vormittag aufsuchen wollte.

»Ich habe sie vernommen«, antwortete Margret, »und es hat einiges ergeben.«

»Gut«, meinte Philipsson. »Leider muss ich dich bitten, auch noch einen anderen Fall zu übernehmen.«

»Aha?«

»In der Bondegata, unsere Leute sind schon da. Es handelt sich um einen Todesfall. Kannst du hinfahren?«

»Jetzt sofort?«

»Ja, es geht nicht anders.«

Margret bekam die Adresse und fuhr um den Odenplan herum, zurück zum Sveaväg, dann durch den City-Tunnel, hinauf zum Medborgarplats und in die Folkungagata. Am Vortag hatte sie eine Ermittlung, an der sie einige Zeit gearbeitet hatte, beiseitelegen müssen, weil ein Kollege krank geworden war. Margret musste ein Verhör übernehmen, eine schwere Körperverletzung in der U-Bahn. Und jetzt noch dieser neue Fall, um was auch immer es dabei gehen mochte.

Das Ermittlungsdezernat der Bezirkskriminalpolizei litt wie immer an Personalmangel. Und in den letzten Tagen war viel passiert: Gewalt im Bandenmilieu in Salem, eine Reihe von Fällen mit schwerer Körperverletzung in der City und in Västerort, bewaffnete Raubüberfälle auf Gärdet und in Enskede, Auseinandersetzungen zwischen Kriminellen im Drogenmilieu mitten in der Stadt. Margret hatte an einem Fall von ungewöhnlich brutalem Mobbing an einem Gymnasium in Alby gearbeitet. Eltern hatten Anzeige erstattet; es ging um Bedrohung sowohl von Schülern als auch von Lehrern mit vielen Beteiligten. Dann musste sie die Ermittlung ihres kranken Kollegen übernehmen. Jetzt hoffte sie darauf, dass der Todesfall in der Bondegata kein Verbrechen war. Die allermeisten Todesfälle im eigenen Heim hatten ja natürliche Ursachen. Sie wollte die Fälle, die sie schon hatte, abschließen und nicht gezwungen sein, noch eine weitere Ermittlung aufzunehmen.

Sie hatte Schwierigkeiten, die Hausnummern zu erkennen, als sie in die Bondegata abbog, aber dann entdeckte sie ein geparktes Polizeiauto und wusste, dass sie am Ziel war.

Die Wohnung lag im Hinterhaus im zweiten Stock. Margret klopfte an, öffnete die Tür, trat ein und begrüßte ihre beiden uniformierten Kollegen, die in der Diele standen, mit einem Kopfnicken. Es handelte sich um eine junge, recht große Polizistin und einen älteren Polizisten, der ebenso groß wie die Frau war.

»Olle Sjögren«, stellte der Polizist sich vor.

Margret nannte ihren Namen und auch das Dezernat, von dem sie kam.

»Cecilia Bauer«, sagte die Polizistin.

»Wann seid ihr angekommen?«, fragte Margret.

»Wir sind um fünf nach elf gekommen«, antwortete der Kollege.

»Also vor gut einer Stunde«, meinte Margret.

Dann ging sie in die Küche. Der Tote lag vor dem Herd, den Kopf in einer Blutlache.

Es war unordentlich in der Küche. Leere Gläser und leergetrunkene Flaschen standen auf dem Tisch, neben dem Toten auf dem Fußboden lag eine zerbrochene Flasche. Auf dem Küchentisch stand ein Aschenbecher, gefüllt mit Zigarettenkippen und anderen Dingen, die dort gelandet waren: eine halbe Gurkenscheibe, zwei Flaschenverschlüsse, eine Reihe abgebrannter Streichhölzer, ein verkohlter Korken.

Einiges an Müll, das sich vielleicht auf dem Weg in den Aschenbecher befunden hatte, war über Tisch und Boden verteilt. Am Rand der Blutlache lag neben dem Kopf des Toten eine mit Blut vollgesogene Zigarette.

Es roch schlecht in der Küche, ungelüftet, muffig, obwohl das Fenster auf Kipp stand.

»Stand das Fenster offen, als ihr gekommen seid?«, fragte Margret.

»Wir haben natürlich nichts angefasst«, sagte die Polizistin namens Cecilia.

»Nein, das ist klar«, sagte Margret. »Ich meinte eher, dass es merkwürdig ist, dass es so miefig riecht, obwohl das Fenster offen ist.«

»Mir ist es auch aufgefallen«, meinte Cecilia. »Es sitzt wohl in den Wänden, vielleicht so eine Art Altmännergeruch.«

»Ja, vielleicht«, sagte Margret.

»Brauchst du uns noch?«, fragte Olle Sjögren.

»Nein, ich kümmere mich jetzt darum«, antwortete Margret. »Vielen Dank euch beiden.«

Die beiden uniformierten Polizisten gingen. Margret blieb in der Küche stehen, nahm ihr Handy, rief beim Technischen Dezernat der Bezirkskriminalpolizei an, musste warten, rief eine andere Nummer an und erwischte jemanden, der dafür sorgen wollte, dass geeignete Techniker informiert wurden.

»Bitte sie um Rückruf«, sagte Margret.

Sie hoffte, dass es nicht so lange dauern würde. Sie sollten innerhalb der nächsten Stunde kommen; sie wollte nicht bei dem Toten bleiben.

Dann begann sie sich umzusehen. Sie schaute sich alle Gegenstände in der Küche genau an, versuchte sich ein Bild davon zu machen, was geschehen sein konnte, wie viele Personen dagewesen waren, was diese Personen getan haben konnten.

In der Küche hatte ein Fest stattgefunden, ein Saufgelage, vielleicht ein Streit, Sachen waren durch die Gegend geflogen, mehrere Gläser waren zerbrochen, Spritzer waren über Tisch und Boden verteilt.

Sie hockte sich neben dem Toten hin. Sein Gesicht war nicht verletzt, aber auf der einen Seite des Kopfes, ein Stück über dem Ohr, war eine Wunde, aus der wohl das Blut gelaufen war.

Hatte jemand auf den Mann eingeschlagen, ihn umgestoßen? Oder war er selbst im Suff gestürzt und hatte sich den Kopf am Herd, der Spüle oder der Tischkante angeschlagen?

Margret suchte nach Spuren an den Stellen, auf die der Mann gefallen sein konnte. An der Herdecke war vielleicht etwas; jedenfalls sah es so aus. Aber das mussten die Techniker herausfinden.

Margret fühlte sich unsicher. Nach einer kurzen Kontrolle konnte man nicht sagen, ob das hier ein Unfall oder ein Verbrechen war. Aber es hatten sich mehrere Menschen in der Küche aufgehalten, der Tote war nicht allein gewesen. Nun galt es also, diese alle ausfindig zu machen, die Gäste des Toten, die Saufkumpane.

Die Techniker kamen nach fast zwei Stunden. Bis dahin hatte Margret Zeit genug gehabt, um die Bücherregale des Toten durchzuschauen, einige Schreibtischschubladen zu öffnen, einen Stapel ungeöffnete Post, unbezahlte Rechnungen und Reklame durchzugehen. Auf einem Zettel vom Hausverwalter stand eine Mitteilung, wonach die Rohre in allen Badezimmern des Hauses überprüft werden mussten. Die Mitarbeiter einer Sanitärfirma sollten am Dienstag, den 5. Februar, vor der Mittagszeit kommen.

Das war das heutige Datum. War es jemand von der Sanitärfirma gewesen, der den Toten gefunden hatte?

Aus Briefen und Unterlagen, die Margret fand, erfuhr sie, dass der Tote Lars Gunnar Bergman hieß, dass er zweiundsechzig Jahre alt war und Journalist im Vorruhestand.

Sie hatte auch einen Umschlag mit Fotos gefunden, auf denen Bergman mit bekannten Leuten von Sveriges Television zusammenstand. Hatte er vielleicht dort gearbeitet?

Als Margret zurück in ihr Büro bei der Bezirkskriminalpolizei auf Kungsholmen kam, hoffte sie immer noch, dass Bergman in der Bondegata aus Gründen gestorben war, die die Polizei lediglich zu den Akten nehmen musste. Aber ihr war klar, dass das vermutlich Wunschdenken war. Voraussichtlich musste sie sich in der nächsten Zeit auch mit diesem Fall beschäftigen, während sie gleichzeitig die anderen Ermittlungen nicht vernachlässigen durfte.

Sie blieb bis nach sechs Uhr sitzen, weil sie mit dem Papierkram, den sie zu erledigen hatte, fertig werden und einige Notizen für sich selbst machen wollte.

Der Gedanke an die Fotos von Sveriges Television ließ sie nicht los. Es waren keine neuen Aufnahmen. Einige der Personen, die die Fotos zusammen mit Bergman zeigten, waren bekannt, eine Moderatorin, ein bärtiger Reporter, die heute wohl um die sechzig sein müssten. Auf dem Bild waren sie Anfang vierzig. Das war zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Jahre her. Kannte nicht Verner jemanden vom Fernsehen aus dieser Zeit?

Sie hatte sich eine ganze Weile nicht bei Verner gemeldet. Jetzt beschloss sie ihn anzurufen.

Er war nicht zu Hause. Und er hatte keinen Anrufbeantworter und kein Handy. Er war altmodisch, wollte nicht gestört werden, er war der einzige von Margrets Bekannten, der nicht jederzeit zu erreichen war.

Als sie sich kennen lernten, hatte sie Zettel in seinen Briefkasten gelegt. Das war vor zwei Jahren gewesen, als er ihr half, Nordin zu finden, den Rächer von Älvsjö. Nun ja, sie hatte auch Verner geholfen.

Seitdem hatten sie sich gelegentlich getroffen und ziemlich oft telefoniert. Das letzte Mal war ungefähr einen Monat her.

Spät an diesem Abend ging Verner ans Telefon. Margret rief aus ihrer Wohnung in Årsta an; sie wollte Verner diesmal unbedingt erreichen.

Er freute sich und sagte, dass er sie auch hatte anrufen wollen.

»Arbeitest du?«, fragte Margret.

»Ich gebe Seminare für angehende Wachleute.«

»Da kann man mal sehen.«

»Arbeit ist Arbeit.«

»Du, Verner, ich hatte heute einen Todesfall, ein älterer Mann in der Bondegata wurde tot in seiner Küche gefunden. Er war ein alter Journalist, hat offenbar für das Fernsehen gearbeitet. Sein Name war Lars Gunnar Bergman. Sagt dir das was?«

Es wurde still. Verner antwortete nicht. Margret war sich sicher, dass er ihre Worte gehört hatte, und begriff, dass die Stille bedeutete, dass Verner etwas wusste. Sie wartete. Es vergingen nur einige Sekunden, aber sie kamen ihr lang vor.

»Ich kannte ihn«, antwortete Verner schließlich. »Ich habe vor einiger Zeit noch mit ihm gesprochen. Wie starb er?«

»Er lag auf dem Boden mit einer tiefen Wunde am Kopf. Die Techniker können wohl in ein paar Tagen etwas sagen, und dann müssen wir mit den Gerichtsmedizinern sprechen. Ich konnte nicht entscheiden, ob es ein Unfall war oder etwas anderes.«

»Lasse Bergman«, sagte Verner langsam.

»Wie gut kanntest du ihn?«

»Es ist lange her, aber wir haben früher recht viel miteinander verkehrt, und wir hatten einen gemeinsamen Bekannten.«

»War er ein gewöhnlicher ehrenwerter alter Mann?«

»Absolut, Lasse war ein guter Mensch. Man konnte sich auf ihn verlassen. Aber er trank ziemlich viel. Ich will gerne wissen, was ihr herausbekommt. Ruf mich doch an, sobald du mehr weißt. Vielleicht kann ich euch behilflich sein.«

»Ich rufe an. Und wenn wir es zu den Akten legen, rufe ich trotzdem an; es wäre schön, wenn wir uns treffen könnten.«

»Unbedingt, Margret, wir hören voneinander.«

Bleierne Schatten

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