Читать книгу Tausche Alltag gegen Alpaka - Erik Kormann - Страница 25

KNALL

Оглавление

und brems und Mist verfluchter. Da war er ab, der Außenspiegel vom Lkw, der auf dem rechten Fahrstreifen stand. Kann mir mal einer sagen, warum auf so einer großen Straße ein Bus nicht an einem Lkw vorbeipasst? Mir rutscht das Herz in die Hose, und Stunden später schleiche ich schuldbewusst auf den Hof.

Alles halb so wild. Das kommt vor. Niemand, der mir den Kopf abreißt. Im Gegenteil. Weiter. Mit der Praxis kommt die Sicherheit. Seit der letzten Februarwoche bin ich allein unterwegs. Fahre früh mit einem Bus vom Hof oder bringe am Abend einen zurück.

Schon bald beherrsche ich alle Linien, die wir vom Hof L aus bedienen. Mit dem 256er von Lichtenberg nach Wartenberg, dem 108er nach Waldesruh oder im 240er einmal quer durch den Friedrichshain. Ich kassiere, mache meine Abrechnungen und sauge wie ein Schwamm jede Information auf, die mir wichtig erscheint. Die ersten freien Tage nutze ich, um die Linienkenntnisse zu ergänzen. Erst jetzt, da die Anspannung der letzten Wochen langsam weicht, merke ich, wie sehr mir der Sinn nach einem kleinen Ausflug in die Natur steht.

Der Busfahrer muss mal in den Wald. Hinaus in den Winter, der kalt auf der Landschaft liegt. Einer erstarrten Landschaft, deren Farben ein starker Kontrast bestimmt. Weiß auf dunklem Grund. Die Äste und Blätter wie Schatten darunter. Als hätte jemand einen Filter über ein Foto gelegt. Ein scharf gezeichnetes Bild aus kalten Konturen. Viel Schnee ist es nicht. Doch es reicht, um mich in eine freudige Winterstimmung zu versetzen.

Zeitig bin ich aufgebrochen und über die A10 bis Neuruppin gefahren. Im ersten Kreisverkehr links weg in Richtung Löwenberg/Rheinsberg, bis nach wenigen Kilometern ein Schild den Weg nach Rägelin und Frankendorf weist. Bald darauf klingele ich bei Freizeit mit Huskies in Storbeck-Frankendorf. Ein Gebell aus unzähligen Hundekehlen erwartend, bin ich überrascht, wie ruhig es bleibt. Schlittenhunde sind keine Wachhunde. Die bellen erst, wenn es losgeht. Was ich hier höre, ist die Ruhe vor dem Sturm.

Der Dezember war zur Hälfte verstrichen, als der Graue Biber mit Klukutsch und Mitsah den Mackenzie hinaufzog. Den Schlitten, der mit gekauften oder geborgten Hunden bespannt war, kutschierte er selber, den anderen, kleineren, dessen Gespann aus jungen Hunden bestand, lenkte Mitsah. Dieser Schlitten war mehr ein Spielzeug, aber Mitsahs ganzer Stolz und ganze Freude, weil er fühlte, er beginne damit, in der Welt die Arbeit eines erwachsenen Mannes zu verrichten. Auch lernte er dabei, während die jungen Tiere eingefahren wurden, sie abrichten und lenken. Außerdem hatte der Schlitten seinen Nutzen; trug er doch fast zweihundert Pfund an Gerätschaften und Lebensmitteln. Wolfsblut hatte gesehen, wie die Hunde der Indianer im Gespann gingen, also nahm er es nicht übel, als man ihn zum ersten Mal anspannte.

(Jack London, Wolfsblut, 5. Kapitel)


Im Garten hinterm Haus stehen mehrere Zwinger mit vielen Hunden darin. Fünfundzwanzig Sibirische Huskys insgesamt. Die hatte ich mir größer vorgestellt. Fasziniert betrachte ich die verschiedenen Hundegesichter. Bernsteinfarbene Augen funkeln hier und da im Sonnenlicht auf. Das eisig-wässrige Blau, was auch recht häufig vorzukommen scheint, wird abgründig in dem Moment, in dem man hineinschaut. Friedfertig und gelassen die einen, freudig aufgeregt die anderen. Sie wissen, Besuch bedeutet Arbeit. Arbeit bedeutet Bewegung und damit Spaß. Steigende Aufregung. Bald geht es los. Neugierig werde ich von einigen betrachtet, während andere scheinbar keine Notiz von mir nehmen. Überrascht von der Stille, stecke ich meine Hände voller Begeisterung in ein dichtes, weiches Fell, kraule einen kräftigen Hals und entdecke zwei unterschiedlich gefärbte Augen. Links ein Bernstein, rechts ein Eiswürfel. Wärme und Kälte in einem Blick.

Seit sie wissen, dass wir in Kürze aufbrechen, ist die Bude angefüllt mit Leben. Schwanzwedelnde Aufregung bei allen, die draußen angeleint werden. Hektik bei denen, die in ihren Zwingern sind und gerne mitwollen. Halsbänder, Zug-Geschirre, eine lange Leine und dazu ein großer, robuster Wagen auf vier Rädern. Er ist lenkbar, hat Bremsen und bietet Platz für viel Gepäck und zwei Passagiere. Wie viele Hunde man wohl brauchen wird, um damit über weite Strecken zu fahren? Acht? Zehn? Mehr?

Für eine erste Tour werde ich nur der Passagier sein und mich fahren lassen. Als Zeichen des Aufbruchs ertönt ein vielstimmiges Heulen. Die himmelwärts gerichteten Schnauzen bilden einen Chor aus Bellen und Jaulen, der so plötzlich aufhört, wie er begann.

Ich bekomme einen Helm, nehme sitzend Platz – hinter mir steht Wagenlenkerin Saskia, die hier auf dem Hof arbeitet –, und wie auf ein geheimes Signal hin bäumen sich die Hunde kurz auf. Kraftvoll stemmen sie ihre Hinterbeine in den Boden, wie Nebel steigt ihr Atem auf – und von jetzt auf gleich rast der Wagen über das Feld auf den Waldrand zu. Natürlich sind wir heute ganz andere Geschwindigkeiten gewohnt und könnten leicht viel schneller unterwegs sein. Doch der stete Vortrieb, die Nähe zur Umgebung und die spürbare Unmittelbarkeit des Bodens begeistern mich durch und durch.

»Rechts«, »links«. Auf die Kommandos folgt prompt der Richtungswechsel. Kontinuierlich, ohne Unterlass geht es vorwärts, als gäbe es kein Halten. Die Hunde stürmen voran, die Waldlandschaft fliegt an mir vorüber. Pudriger, trockener Schnee wirbelt auf. Die kalte Luft des Fahrtwindes kriecht mir unter die Kleidung.

Roald Amundsen kommt mir in den Sinn, und mich befällt ein Frösteln. Amundsen hatte sich während seiner Fram-Expedition dem Südpol mit Hundegespannen genähert. Zwei Jahre lang, von 1910 bis 1912, in eisiger Kälte und im Wettstreit mit den Briten. Immer wieder brachen kleinere Expeditionsgruppen auf, um in verschiedenen Entfernungen vom Basislager Depots mit Vorräten anzulegen. Monate vergingen, bis die Witterungsverhältnisse am 8. September 1911 endlich einen Start erlaubten. Acht Männer, neunzig Hunde und sieben Schlitten. Und wieder fielen die Temperaturen, musste der Versuch, den Südpol zu erreichen, abgebrochen werden. Tiere gingen verloren, unter den Männern gab es Streit. Viel zu früh war man gestartet, und noch einmal vergingen mehrere Wochen, bis Mitte Oktober die Temperaturen auf konstant minus zwanzig bis minus dreißig Grad geklettert waren. Das Wort Erderwärmung war damals noch nicht erfunden. Der zweite Anlauf startete am 20. Oktober. Fünf Männer, vier Schlitten und fünfzig Hunde. Vorräte, die nur bis zum ersten Depot reichen würden. Langsam, mit Pausen, kämpften sich die Männer von Depot zu Depot vorwärts. Zahlreiche Hunde starben oder wurden von den Männern getötet. Kein Opfer schien zu hoch. Am 13. Dezember, nach rund 1400 Kilometern, war endlich das Ziel erreicht. Man pflanzte ein Fähnchen, führte zahlreiche Messungen durch und ließ ein Zelt mit einem Brief an König Haakon VII. zurück. Sollte ihnen auf dem Rückweg etwas zustoßen, könnte vielleicht der Brite Robert F. Scott die Botschaft überbringen.

Der Gedanke offenbart das ganze Elend. Die Norweger kamen Ende Januar glücklich wieder im Basislager an. 99 Tage waren sie unterwegs gewesen und hatten dabei mehr als 3000 Kilometer zurückgelegt. Von den Hunden hatten elf die Expedition überlebt. Die Terra-Nova-Expedition des Briten Scott hingegen endete in einer Katastrophe. Ein heftiger Schneesturm hielt die Männer auf, keine drei Tagesreisen von einem Nahrungsmitteldepot entfernt. Mehrere Tage waren sie in einem winzigen Zelt gefangen und fanden wohl Ende März 1912 darin den Tod.

#

Traurige Geschichten für Menschen und Tiere. Ob es wohl jemals glückliche Schlittenhunde gab? Gab es Schlittenhundeführer (Musher), die gut zu ihren Tieren waren?

Im Central Park in New York steht eine Bronze als Erinnerung an einen wahrhaft berühmten Schlittenhund: Balto lief zusammen mit seinem Musher Gunnar Kaasen die letzte Etappe eines wichtigen Rennens und sorgte dafür, dass ein dringend benötigter Impfstoff gegen Diphtherie die Kleinstadt Nome in Alaska erreichte. Balto wurde berühmt, kam mit einigen anderen Hunden in den Zoo und wurde zu guter Letzt

Tausche Alltag gegen Alpaka

Подняться наверх