Читать книгу Tausche Alltag gegen Alpaka - Erik Kormann - Страница 26

AUSGESTOPFT.

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Wenn ich mir so vorstelle, wie es damals wohl zugegangen ist, dann stimmt mich das Ende dieser Geschichte doch etwas versöhnlich. Ich sehe die Leichtigkeit, mit der die Hunde vor mir durch den Schnee fetzen. Manchmal schnappt einer flüchtig ins kalte Weiß. Wie kraftvoll sich die Hunde bewegen. Unglaublich.

Im guten Fahrradtempo sind wir auf festen Waldwegen unterwegs. Unter den Reifen knirscht der Schnee, und weil der Wagen eine Lenkung hat, lässt er sich vom Gespann ohne größeren Kraftaufwand selbst durch enge Kurven ziehen. Noch ein paar Meter, und schon sind wir zurück auf den Hof.

Obwohl ich nichts gemacht habe, bin ich außer Atem. Ich setze mich etwas abseits auf eine Bank und trinke Kaffee, sehe zu, wie die Tiere gefüttert werden und Elmar für mich ein kleines Gespann zusammenstellt. Für einige Meter, nur einmal den Hügel hoch übers Feld und wieder zurück, werde ich auf dem kleinen Schlitten stehen, der aus Holz und Leder besteht. Man könnte glauben, er käme direkt aus Lappland und wäre schon mehrmals am Nordpol gewesen. Weit gefehlt. Ein bayrischer Hersteller hat das schmale Gefährt vor gut vierzig Jahren gebaut, mit dem ich heute eine kleine Fahrt machen darf.

Ich stehe hinter dem sitzförmigen Packteil auf den Kufen, die durch rutschfeste Profile sicheren Stand versprechen. Zwischen den Kufen, ähnlich einer Matte, ist die Bremse. Hier muss ich mit einem Bein kräftig drauftreten, wenn ich den Schlitten anhalten will, und hier stehe ich drauf, bevor es losgeht.

So weit die Theorie. Die dünne Schneedecke ist das Problem. Wollten die Hunde losrennen, könnte ich den Schlitten nicht halten, weil bei dieser Witterung die Bremse nicht richtig greift. Wenn man, so wie ich, keine Erfahrung mitbringt, ist das einfach zu riskant. Aus diesem Grund wird es heute nur ein erster Versuch auf dem Feld. Gerade hoch und gerade runter. Schon bald werde ich wiederkommen und eine längere Tour mit einem Trainingswagen fahren. Heute nehme ich etwas Begeisterung, ein schönes Foto und die Erinnerung an einen echten, von vier Hunden gezogenen Schlitten mit nach Hause.

Interessiert betrachte ich die Konstruktion. Entdecke die Bänder, die das geschwungene Holzgestell flexibel zusammenhalten. Wie viele Kilometer der wohl auf den Kufen hat? Er ist, verglichen mit dem vierrädrigen, autoähnlichen Wagen, federleicht, und natürlich hat er keine Lenkung.

»Du trittst kräftig vor einer Kurve mit einem Bein auf die Erde und beschleunigst so die Außenbahn der gewünschten Fahrtrichtung. Also wenn du linksherum fahren willst, holst du mit dem rechten Bein zusätzlichen Schwung und verlagerst zusätzlich das Gewicht auf die Innenbahn. Dann geht der Schlitten ganz leicht um die Kurve. Alles Erfahrung und Übung.«

Aufgeregt wie ein Schulkind begrüße ich jeden der vier Hunde einzeln, die Elmar aus den Zwingern holt. Für meine Schnupperfahrt darf die Seniorengruppe ran: gemütlich, erfahren, weniger wild und trotzdem voller Tatendrang. Wir passen zusammen. »Stell dich mal auf den Schlitten. Einen Fuß fest auf die Bremse, damit die nicht losrennen.« Elmar spannt alle Hunde an. Nanuk, fünfzehn Jahre alt, wird das Gespann führen. »Bleib auf der Bremse!« Ich steh doch auf der Bremse!

Saskia öffnet das Tor. Elmar steigt aufs Rad. Fuß hoch, und schon geht es los. Was für ein unbeschreibliches Gefühl. Ich habe meinen Helm vergessen. Ich habe keine Handschuhe an. Ich weiß überhaut nicht, was ich zuerst empfinden, denken, sagen soll. Durch einen verschneiten Winterwald so zu gleiten, gleichmäßig voran, muss absolut berauschend sein. Die Kufen machen ein kratzendes Geräusch, und es dauert nur Sekunden, bis wir über die Anhöhe hinter dem Grundstück gefahren sind. Gemeinsam drehen wir das Gespann, dann geht es geradeaus wieder zurück. In einigen Tagen, wenn der Schnee weg ist, werde ich wiederkommen. Dann geht es auf Rädern durch den Wald, von Schlittenhunden gezogen. Vorfreude auf den März.


Bis dahin wird sich viel verändern. Alles wird anders. Für einige Tage mischt sich die Sorge um den neuen Arbeitsplatz in den Alltag. Werden Busfahrer jetzt noch gebraucht? Was, wenn niemand mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren möchte? Ich versuche, derartige Gedanken schnell zu verscheuchen.

Der Vordereinstieg ist von einem Tag auf den anderen für Fahrgäste gesperrt. Ein Absperrband soll verhindern, dass die Leute zu mir vorkommen. »Sophia, komm mal weg von da vorn. Da vorn ist das Corona. Hast du gehört!« Doch Sophia hört nicht, warum sollte sie auch? Bei der Größe läuft man unter dem Absperrband durch. »Du-u u u u, bist du das Corona?« – »Nein, ich bin der Busfahrer.« Sophia geht nach hinten und erklärt der Mutter, was sie grad gelernt hat: »Mama, das ist der Busfahrer.« – »Ich weiß. Aber bleib mal lieber hier bei mir.«

Fortan kassieren wir nicht mehr, und es dauert nur noch ein paar Tage, bis in allen Bussen eine große Folie mit eingearbeiteter Reißverschlusstür den direkten Kontakt mit den Fahrgästen verhindert. Eine Schutzmaßnahme, die mir für den Moment sehr entgegenkommt. Die Ruhe und Abgeschiedenheit der so entstandenen Kabine hilft mir, mich besser auf das Fahren zu konzentrieren. Meine Bögen werden enger, immer seltener gerate ich mit den Reifen im Haltestellenbereich an den Bordstein und drehe schon bald mit schlafwandlerischer Sicherheit meine Runden.

Jetzt nur nicht übermütig werden, lautet mein selbst gewähltes Motto, und weil mich die Sonne so schön in der Nase kitzelt, rufe ich wieder bei Freizeit mit Huskies an, verabrede mich und fahre hinaus in einen freien Tag. Schlittenhunde, Ruppiner Heide und der Sielmann-Hügel. Landluft und Natur schnuppern. Ein Tag ohne Sorgen.

»Weißt du, neulich hat das so gut geklappt. Du fährst gleich mit dem großen Wagen. Für die erste Trainingsrunde nehmen wir sechs Hunde, und dann probieren wir, ob auch mehr gehen.« Gesagt, getan. Zusammen mit Elmar leine ich mein erstes Gespann auf dem Vorplatz an. Lege Zug-Geschirre an, kraule Ohren und Bäuche. Sechs etwas jüngere Hunde werden das Gespann ziehen. Vorn, als Leithunde, Tula und Pekka. Pekka mit den verschiedenfarbigen Augen. Es ist ein kurzes Tandemgespann, und trotzdem muss ich alle Bremsen ziehen, bis Elmar das Tor geöffnet hat und aufs Rad gestiegen ist. Einmal kurz »voran« gerufen, und schon stürmen die Hunde los. Über die Wiese hinterm Haus führt der Weg leicht ansteigend auf die Waldkante zu. Elmar gibt mir Zeichen, wenn ich den Wagen abbremsen soll, oder deutet in die Richtung, in die wir fahren.

»Tula! Pekka! Links!« Das Gespann folgt den Anweisungen sofort. Wohl auch, weil dies ein häufig gefahrener Weg und Elmar auf dem Rad neben uns ist. Ich halte den Wagen noch etwas gerade und ziehe erst etwas später hinterher. Das ist wie Busfahren umgekehrt. Während die Hunde scharf ums Eck biegen, bin ich auf dem Wagen der Überhang. Schööön gerade bleiben und dann in die Kurve wie’n Mann.

Tausche Alltag gegen Alpaka

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