Читать книгу Die Ring Chroniken 1 - Erin Lenaris - Страница 5
Оглавление2. Kapitel
Beim Blick auf die Uhr schrecke ich auf. Schon so spät! Ich muss noch am Sammelpunkt Wasser holen. Schnell halte ich meinen Rauring an das Lesegerät neben unserem Nachrichtenschirm, um unseren Kontostand aufzurufen. Er ist auf dreißig Liqui gefallen. Ich lade den ganzen Betrag auf meinen Ring.
Danach nehme ich Mutters rostbraunen Schutzoverall vom Haken. Der steife Kunststoffanzug widersetzt sich hartnäckig, als ich meine Beine hineinzwänge und die Arme in die engen Ärmelschläuche winde. Ich ruckle an dem verrosteten Reißverschluss, bis er sich knirschend bewegt. Die klobigen Stiefel reichen mir bis zum Knie. Sie miefen ekelhaft, aber sie sind notwendig. Ich könnte schließlich auf eine Sandviper treten. Früher, als es hier noch geregnet hat, lebten diese Giftschlangen in Büschen und Wäldern. Heute dagegen verhalten sich sie entsprechend ihrem Namen. Sie graben sich in den Sand ein, um auf Springmäuse zu lauern. So sind sie praktisch unsichtbar, können jedoch pfeilschnell zubeißen. Ihre Opfer sterben binnen weniger Minuten.
Aufmerksam klappe ich die Knieverstärkung des Anzugs über die Stiefelschäfte, klette sie fest und ziehe die Handschuhe an. Jetzt ist das Ganze auch skorpiondicht. Fehlt nur noch die Schutzbrille. Zum Schluss klappe ich die Kapuze hoch und zurre sie am Kinn zusammen. Das hasse ich, weil ich durch die dicke Plastikplane kaum etwas höre. Ich fühle mich taub, wie unter einer Taucherglocke. Aber ohne Kopfbedeckung verfilzen meine Haare komplett.
Mit dem Wasserkanister stapfe ich zur nächsten Schleuse, die an die Oberfläche führt. Ich lasse die Innentür hinter mir zugleiten und passe auf, dass sie dicht abschließt. Danach betätige ich den Öffner für das schwere Außentor. Sofort fährt mir heißer Staub in die Lunge.
Trocken huste ich. Ein Staubsturm! Das hat mir gerade noch gefehlt. Hastig krame ich in der Tasche des Anzugs nach dem Atemschutz. Ich drücke ihn auf meinen Mund und binde ihn mit zitternden Fingern fest, bevor mir die Luft ganz wegbleibt.
Der Tag hat kaum begonnen, aber die Kälte der Nacht ist bereits verpufft. In einer halben Stunde wird die Hitze unerträglich sein. Wir leben schließlich im Kontinentalland mit seiner Steppenwüste, die sich vom dreißigsten bis zum sechzigsten nördlichen Breitengrad rund um den Globus zieht. Dieser Wüstenring ist so lebensfeindlich, dass wir ihn Rauring nennen, wie unseren Registerarmreif. Raues Klima, raues Leben.
Der böige Westwind heult mir um die vermummten Ohren. Mit aller Kraft stemme ich mich dagegen und schwanke dennoch wie eine Betrunkene. An der Oberfläche ist es hier echt nicht auszuhalten. Weiter südlich, in der Region, die wir Unland nennen, soll es noch schlimmer sein. Dort kann man selbst unter der Erde nicht mehr wohnen.
Mit meinen schweren Stiefeln stampfe ich in die Richtung, wo der Tankwagen sein muss. Normalerweise könnte man am Ende des Tals den Kraftwerksturm 48Delta erspähen, wo sie rund um die Uhr nach Gas bohren, heute allerdings kann man bloß ein paar Meter weit schauen. Staub, Sand und Erde prasseln gegen den Synthetikstoff meiner Kapuze.
Der Staub ist eine echte Plage.
Er ist einfach überall. Er kriecht durch die trübe Schutzbrille meiner Mutter, die bei mir nicht richtig sitzt. Schleicht sich unter die Kapuze, egal, wie eng ich sie festknote. Krallt sich in die Haare und schleift jeden Glanz heraus, bis sie matt und strohig sind. Und alles knackt und knirscht.
Vor dem Tankwagen stehen die Wasserholer bereits Schlange. Als ich dran bin, öffne ich den Klettverschluss am rechten Handgelenk, schiebe den Stoff zurück, bis mein Rauring freiliegt, und halte den Register-Chip zum Bezahlen an den Scanner. Was, zwanzig Liqui? Gestern hat die Ration noch achtzehn gekostet. Da wurde Sarks Preiserhöhung blitzschnell umgesetzt. Noch mehr Ärger steigt in mir hoch, sobald ich bemerke, dass der Kanister nicht ganz bis zum Strich aufgefüllt ist. Aber Reklamieren bringt nichts. Schlecht eingeschenkt wurde hier schon immer.
Auf dem Rückweg spüre ich plötzlich eine Hand auf der Schulter. Eine vermummte Gestalt winkt mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum. An der plattgedrückten blonden Strähne, die aus der Kapuze lugt, und dem fröhlichen Funkeln in den Augen, die unter der Schutzbrille herausblitzen, erkenne ich Felix Omen, meinen besten Freund aus dem Nachbartrakt. Er ruft irgendetwas, doch wegen des fauchenden Sturms kommen bei mir nur dumpfe Laute an.
„Was?“ Ich deute auf meine verdeckten Ohren.
Felix lehnt sich ganz nahe zu mir und schreit gegen den Wind an. „Der – Theorietest. – Hast – du – auch – bestanden?“
Ich nicke und hebe einen behandschuhten Daumen hoch. Felix ballt eine Siegerfaust und streckt mir die Hand entgegen. Als ich einschlage, kann ich mir das breite Grinsen unter den Lamellen seines Mundschutzes lebhaft vorstellen.
Gemeinsam laufen wir weiter. Der Wasserkanister hat meinen rechten Arm schon so lang gezogen, dass ich die Seite wechseln muss. Felix lässt sich von der Anstrengung nichts anmerken und nutzt seine freie Hand für allerlei pantomimische Darstellungen. Er kann einfach nie den Mund halten. Wenn er wie jetzt mal für kurze Zeit nicht quatschen kann, ist das eine richtige Qual für ihn. Also redet er sozusagen mit den Händen. Er deutet einen schwirrenden Kopf und ein explodierendes Gehirn für den Theorietest an und streckt sich zu einer Heldenpose, vermutlich im Takt der WERT-Fanfare.
„Ziemlich überdreht“, stoße ich seufzend hervor. Er kann mich ja nicht hören.
Überaktiv steht in seinem Gesundheitspass. Die Ärzte empfehlen Medikamente, aber die nimmt Felix nicht, denn seine Eltern stehen voll und ganz hinter ihm. „Unser Felix ist schon richtig, so wie er ist“, sagt seine Mutter immer, wenn sich jemand über ihn beschwert.
Jetzt stellt sich Felix auf die Zehenspitzen und reckt das Kinn. Ich erkenne die gestelzte Gestik von Senator Sark. Felix beugt sich zu mir, seine Finger krabbeln von meinen Ohren über meine Arme herunter. Er spielt damit auf das Lügenfeuer an und fragt, ob es bei Sarks Auftritt erneut entflammt ist. Ich nicke.
Wenigstens einer versteht mich.
Endlich taucht die Silhouette unseres Siedlungshügels im Staubwirbel auf. Wir marschieren auf das Tor in seinem Nordhang zu und betreten zusammen mit drei anderen die Schleuse. Nachdem sich die schwere Tür geschlossen hat, bläst uns der Reinigungsföhn an. Wie schwerfällige Tänzer drehen wir uns vor dem kräftigen Luftstrom, klopfen den Staub aus unseren Schutzanzügen und trampeln den Sand aus dem Profil unserer Stiefel.
Kaum stoppt der Föhn, reißt sich Felix den Mundschutz vom Gesicht. „Bah, was für ein Dreck“, bricht es aus ihm heraus. „Wir haben mehr Wüste mitgebracht als Wasser.“ Niemand antwortet ihm. Öffentliche Beschwerden über die Zustände im Rauring sind wirklich nicht ratsam.
Ich suche jede Falte meiner Schutzkleidung nach Skorpionen ab. Die giftigen Viecher werden höchstens fünf Zentimeter lang und nehmen von glasig-transparent über beige, braun und rot alle Farben der Wüste an. Mit ihrer perfekten Tarnung sind sie leicht zu übersehen.
„Na, alles krabbelfrei?“, fragt Felix und wuschelt sich den Staub aus den widerspenstig abstehenden Haaren. Als ich niesen muss, lacht er und lässt seinen Talisman vor meiner Nase baumeln. Den glitzernden Weltkugel-Anhänger von der Größe eines Tischtennisballs hat er immer dabei. Er benutzt ihn als Glücksbringer, rubbelt daran und küsst ihn, wenn er ein Spiel gewinnen will, oder flüstert ihm zu, was er sich wünscht. Ziemlich schrullig, doch irgendwie auch süß.
Jetzt reflektiert der glänzende Miniatur-Globus das Neonlicht der Schleuse. Er zeigt erstaunlich grüne Kontinente, wie sie in meinem Geschichtsbuch abgebildet sind. Vor zweihundert Jahren war in unserer Heimat nördlich der Alpen wirklich noch alles grün. Es gab schattige Wälder, Flüsse mit Schiffen darauf, sogar Seen zum Baden. Heute sind da nur noch Sand und Steine, soweit das Auge reicht. Nicht zu vergessen natürlich die Skorpione und Schlangen. Die einzige gute Klimazone, die wir heimlich Regenring nennen, war früher komplett mit Eis bedeckt. Die weiße Polkappe glitzert auf dem Erdball in Felix‘ Hand. Unvorstellbar.
Zurück in der Wohnung begrüßt mich meine Mutter mit den neuesten Nachrichten. „Dein Termin für die praktische Prüfung ist gekommen. Du bist Punkt zehn Uhr dran, sollst dich an der Pforte des Verwaltungstrakts melden.“
„Danke, ich werde mich beeilen.“ Das muss ich wirklich, denn ich habe nur noch zwanzig Minuten.
Meine Mutter wiederholt die offizielle Ansage in bemüht ruhigem Ton. „Wenn du bestehst, holt dich gleich im Anschluss ein Schnelltransporter ab und bringt dich ins Trainingszentrum nach Polaris. Du sollst keine persönlichen Gegenstände mitbringen, WERT wird dich rundum versorgen.“
Mir wird die Kehle eng. Falls ich den Test schaffe, kehre ich lange nicht mehr zurück. Ich spüre einen Kloß im Hals und heißen Druck auf den Augen. Bloß nicht weinen. Ich schlucke und versuche, meine zitternde Stimme zu kontrollieren. „Danke, Mama“, ist alles, was ich herausbringe, bevor ich mich an unseren kantigen Esstisch setze.
Meine Mutter füllt eine Schale mit Bohnenbrei und nimmt mir gegenüber Platz. Neben meine Esspappschachtel legt sie mir die Tagesration Vitaminpillen. Unsere frischen Paprika müssen wir verscherbeln, dafür pumpen wir uns mit billiger, von WERT gesponserter Vitamin-Chemie voll.
Anstatt die Tabletten einzuwerfen, ordne ich sie nach der Farbe. Gelb. Orange. Rot. Violett. Die ganze Zeit lastet der Blick meiner Mutter auf mir. Sorge, Wehmut und ein Schimmer Hoffnung spiegeln sich darin wider. Immer wieder holt sie Luft, als wollte sie etwas sagen, schweigt dann aber doch.
Um der drückenden Stimmung zu entfliehen, stehe ich auf und wende mich meinem Chamäleon zu. Ich öffne die Abdeckung des Terrariums, und Emil greift mit seinen Klammerzehen nach meiner Hand. Flink klettert er auf meinen Arm. Emil dreht ein Auge zu mir und das andere zu meiner Mutter, fast so, als wüsste er, wer ihn ab sofort füttert. Zum Abschied lässt er sich sogar über den stacheligen Rückenkamm streicheln, wobei sich die Schuppen unter meinen Fingern verfärben. Seine Seitenstreifen werden erst gelb, dann orange und nehmen schließlich ein leuchtendes Rot an. Als er mich aus seinen Kugelaugen anschaut, spüre ich neue Kraft. Ich schaffe das.
Ich schaffe das. Ich schaffe das.
Draußen vor der Tür höre ich Felix pfeifen. Schon fünf vor zehn! Hastig lasse ich Emil runter, umarme meine Mutter und drücke sie. Sie wendet sich ab, damit ich ihre Tränen nicht sehe.
Ich spurte hinter Felix her. Auf dem Weg zum Verwaltungstrakt laufe ich schnaufend neben ihm, während er über die möglichen Prüfungen spekuliert. „Vor ein paar Jahren haben sie Altrussisches Roulette nachgestellt“, behauptet er, „mit elektromagnetischen Pistolen. Die Chancen stehen eins zu sechs, dass die Waffe scharf ist.“
„So ein Quatsch. Das glaubt doch niemand.“
„Dann glaubst du es halt nicht. Aber gefährlich sind die Prüfungen immer.“
Mein Magen zieht sich zusammen. Da hat er recht. Das erzählt jeder.
„Wir müssen uns zusammentun“, meint Felix. „Als Team sind wir unschlagbar.“ Seinen Optimismus möchte ich haben.
Felix schlägt Pfeifzeichen zur geheimen Verständigung vor. Eine ansteigende Tonleiter gilt als Hilferuf, eine fallende bedeutet „Mach‘s wie ich“, und drei konstante Pfiffe heißen „Keine Ahnung“. Bittend blickt er mich von der Seite an.
„Okay, okay“, stimme ich seufzend zu. Irgendeinen Plan sollten wir haben. Dummerweise weist uns ein Angestellter des Testbüros sofort in getrennte Warteräume ein. Wir können nur noch schnell unsere Rauringe aneinanderklicken. „Das bringt Glück“, erklärt Felix noch schnell, bevor uns die Testleiter in unsere Kabinen bugsieren.
So viel zu unserem fantastischen Plan.
Während ich allein in dem kleinen Raum sitze, schaue ich mich aufmerksam um. Ein Regal mit diversen Gerätschaften füllt die gegenüberliegende Wand des schmalen Zimmers. Neben gläsernen Scanner-Röhren in unterschiedlichen Größen, den dazugehörigen Stativen, Ladestationen und Eingabepads liegen auch Integralhelme verschiedener Größen darin aufgereiht. In dem schummrigen Licht sehen sie aus wie eine Armada von Geisterkriegern, die nur darauf warten, zum Leben erweckt zu werden. Mein Gesicht spiegelt sich grotesk verzerrt in den Visieren der Helme.
Energische Schritte schrecken mich auf. Sie gehören zu einem athletischen Mann, der mit seinem dünnen schwarzen Overall aus dem Regenring stammen muss. So etwas Schickes trägt hier niemand.
„Emony Keller?“ Er spricht, wie er geht, schnell und zackig.
„Ja.“
Nach einem kurzen Blick auf seine Liste tritt er zum Regal und reicht mir einen Helm.
„Was ist das?“
„Ein Gehirnstrommesser. Aufsetzen.“
Ich hebe den erstaunlich leichten Helm hoch und senke ihn mit zittrigen Fingern über meine heiß glühenden Ohren. Sofort beschlägt mein Atem die Innenseite des Visiers. Das Zimmer um mich herum erscheint verzerrt. Ich kneife die Augen zusammen und kämpfe gegen ein aufsteigendes Schwindelgefühl an.
„Ich kann so schlecht sehen.“ Meine Stimme hallt dumpf in dem engen Helm wider.
„Das kommt von der Wölbung des Glases“, erwidert der Overallträger mit blecherner Stimme. Meine Haut juckt unter dem Helm, und sein Metallverschluss drückt mir an den Kehlkopf. Mir ist schlecht. Hoffentlich muss ich nicht gleich kotzen.
Der Testleiter bedeutet mir, vor die Tür an der Stirnseite der Wartekammer zu treten. Plötzlich öffnet sie sich, und ich kippe vor Schreck fast um.
Vor mir klafft ein quadratischer Betonschacht. Er ist so dunkel und tief, dass man den Boden kaum erkennt. Ich wusste nicht, dass unterhalb unserer Wohnetagen noch so weit hinuntergegraben wurde. Den Schacht überbrückt ein schmaler, rostiger Gittersteg.
„Auf den Steg treten.“
Das hatte ich befürchtet. Vorsichtig setze ich einen Fuß darauf. Das Metall quietscht und gibt nach. Ich atme tief ein und ziehe das zweite Bein nach.
Nur nicht runterschauen, ermahne ich mich.
Am anderen Ende der schmalen Brücke öffnet sich eine zweite Tür. Eine Gestalt, die ebenfalls einen Helm trägt, zuckt vor dem Abgrund zurück, blickt sich noch einmal um und betritt zögerlich den Steg. Mein Gegenüber ist genauso angezogen wie ich, allerdings größer, kräftiger, männlicher. Er guckt in die Tiefe und schwankt leicht. Unsicher bewegt er sich auf mich zu. Während er näher kommt, atme ich erleichtert auf, denn hinter dem spiegelnden Visier erkenne ich Felix.
Ich pfeife drei monotone Töne, die unter der Kopfbedeckung widerhallen, doch Felix reagiert nicht. Vorsichtig winke ich ihm zu. Anstatt auf unseren Geheimcode zu reagieren, starrt er mich nur ausdruckslos an. Ihm ist noch übler als mir, schätze ich.
„Der Auftrag lautet: den Gegner vom Steg werfen“, verkündet der Testleiter.
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Wie bitte? Was???
Ich kann Felix doch nicht in den Abgrund werfen! Diesen Sturz überlebt niemand. Wollen sie uns etwa zu Mördern ausbilden? Wir bewerben uns als Kraftwerksarbeiter, nicht als Auftragskiller. Ich schaue mich nach dem Overallträger um, allerdings ist der nicht mehr da und hat die Tür hinter mir schon geschlossen.
Felix ist wie versteinert. Das Kinn vorgereckt, horcht er auf weitere Erklärungen. Bestimmt denkt er das Gleiche wie ich: Das können die nicht ernst meinen. Da dürfen wir nicht mitmachen! Er wird mir nichts tun, ich ihm auch nicht. So gibt es keine Verletzten, keine Verlierer. Und auch keinen Sieger. Damit sind wir durchgefallen. Beide.
Felix tritt einen Schritt auf mich zu und hebt die Hände. Mein Kopf ruckt hoch. Was soll das werden? Ich kann mich auf ihn verlassen – oder? Er wird doch nicht …
Sein harter Stoß gegen meine Brust trifft mich völlig unvorbereitet. Panisch schreie ich auf. Kralle mich reflexartig an ihm fest. Verliere das Gleichgewicht, reiße ihn fast mit mir, lasse allerdings nicht los. Wir schwanken gemeinsam auf dem schmalen Steg. Mein Griff ist fast wie eine Umarmung. Ich will meinen Kopf drehen, um ihm in die Augen zu schauen. Vergebens. Er weicht meinem Blick aus. Stattdessen spüre ich, wie sich seine Muskeln verkrampfen.
„Felix!“, schreie ich. „Bitte! Tu das nicht!“
Mit einer schnellen Armdrehung hebelt er meinen Griff aus und kickt mir die Beine weg. Angst schießt wie ein brennender Pfeil durch meinen Körper, bevor ich krachend auf dem Rücken lande. Der Aufprall auf dem harten Gitter presst mir die Luft aus der Lunge. Ein unkontrolliertes Rasseln kommt aus meinem Hals.
„Felix, bitte!“ Mein jämmerliches Krächzen würde einen Stein erweichen. Aber nicht meinen besten Freund. Der starrt nur mit leerem Blick auf mich herunter. Ein stummer Fremder.
Stumm? Da ist doch was faul. Keine Pfeifzeichen. Keine Reaktion. Der Angriff. Das Brennen in meinen Ohren. Ich schnappe nach Luft. Nichts hier ist real! Weder Felix noch der Schacht. Die Testleiter verarschen uns. Sie täuschen uns vor, unsere Freunde würden uns angreifen. Hetzen uns gegeneinander. Lügen uns an, treiben perverse Psychospiele mit uns. Die verfluchten Schweine!
Als ich dem falschen Felix in sein wächsernes Gesicht schaue, kocht die Wut in mir hoch. Zornig trete ich meinem Kontrahenten gegen das Schienbein. Der fliegt mit einem dumpfen Brüllen vom Steg. Ich rapple mich auf, mein Atem geht stoßweise.
„Hinterherspringen“, befiehlt der Testleiter.
Ohne zu zögern, mache ich einen Schritt ins Leere.