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Abwässer

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Umweltschutz – kein Mensch hatte davon gehört. Unser aller Kot und Abfall floss stellenweise offen dahin und stach in die Nase.

Die chemischen wie die Farb und Düngerwerke hinter den Bahngleisen wurden im Süden und Westen von einer Mauer umschlossen, die sich über einer Böschung hinzog, ein kleiner Kanal an ihrem Fuss wurde vom Stadtbach gespeist. Das Wasser quoll aus einem Düker etliche Meter über dem Niveau der Bahnhofsunterführung, welche die Quartiere Henzmann und Brühl mit der Stadt verbindet. Wenn die Sonne es durchleuchtete, unterschied man Menschenkot, Papier, Blutgerinnsel und andern organischen Abfall, der träge kreiselnd dahintrieb. Hundert Schritt weiter bog der Kanal um die Ecke der Umfassungsmauer nach Norden ab, und nun überblickte man eine Anzahl dünner Stahlrohre, die in regelmässigen Abständen die Böschung am Fuss der Mauer durchstiessen und ihre Abwässer in den Kanal schütteten. Jedes Rohr führte eine andere Farbe. Es tröpfelte oder rann gelb, rot, grün, blau, orangefarben. Ob der schwache Anilingeruch aus diesen Röhren quoll oder im Räuchlein enthalten war, das zwei bleistiftschlanke blitzende Stahlkamine hinter der Mauer ausstiessen, war nicht zu entscheiden. Ich atmete ihn gierig.

Dann hatte man das Areal der Farben- und Lackfabrik sowie der chemischen Werke hinter sich, doch die Betonmauer setzte sich fort. Hinter ihr duckte sich nunmehr die Pestküche des Industrieviertels, eine Düngerfabrik. Über ihren Schuppen hing bei schönem, windstillem Wetter eine gelbliche Glocke Gestank; die Mauer musste ekelerregende Geheimnisse verbergen. Wehte die Bise, schlug einem scharfer Faul- und Fäkalbrodem ins Gesicht, bei Westwind presste er sich durch die Fensterritzen in die Wohnungen des Bündtenquartiers: das Plumpsklo im Schlafzimmer.

Ein Ruck an der Hand des Vaters, dass er stehenbleibt, denn die Mauer verbirgt nicht alles. In schwer abschätzbarer Distanz, vielleicht im Hof der Knochen- und Abfallmühle, dreht sich langsam ein haushohes Rad und schlenkert fetziges triefendes Gemengsel, Lumpen, Pflanzen, Fleisch und Fellreste durch die Luft, eine primitive Mischvorrichtung. Ich vermute heute, dass es sich durch ein Becken, gefüllt mit verrottendem Müll, gedreht und dafür gesorgt hat, dass die Brühe durchlüftet und die Faulgärung befördert wurde.

Das Rad war der Ort der Umkehr. Das Kanalwasser hatte nun eine ölige Mischfarbe, es schillerte bläulichbraunrot und schäumte uringelb hinter angeschwemmten Hindernissen. Der Graben verlor sich in der Talebene. Die Giftfracht hat mich nie gestört; sie war einfach da, schon seit Urzeit, und mir vertraut. In meiner Vorstellung bin ich auf dem Damm über dem fett schillernden Abwasserkanal zwischen versengten Grasböschungen weitergegangen, bis er sich in die Wigger, mit der Wigger in die Aare, mit der Aare in den Rhein und endlich ins Meer ergoss. Dort bezeugten feinverteilte bläulichbraunrote Schlieren, dass es uns, die stinkende Fabrikkleinstadt im unschuldigen Hinterhof Europas, gab.

AasBrändeFabrikgerücheGestankDer GeruchTinte

Die Stimme des Atems

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