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II. Freiheit Flachmaler Siegrist

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Im Auftrag von Herrn Laug, dessen Malergeselle er ist, laugt Herr Siegrist das dunkelbraune Haus ab, das wir bezogen haben. Er wird, sagt die Mutter, den kratzend scharfen Gestank des Salmiakgeists entschuldigend, die natürliche Holzfarbe ans Licht holen und die Balken mit einem Firnis schützen. Für mich braucht der Gestank keine Entschuldigung, denn ich liebe und bewundre Herrn Siegrist; jeden Morgen erwarte ich sehnlich sein Kommen. Er pfeift oder singt auf der Leiter, die er von der Hausterrasse über die Veranda hinweg an die Südfront gelehnt hat. In Schwaden Salmiakgestanks weit oben zwischen den Fenstern der Schlafzimmer schrubbt er mit Schwamm und Bürste.

Kaum stehe ich unten auf der Terrasse und schaue zu ihm hinauf, hält er inne, dreht sich um und ruft: Grüss dich, Ernstli, hast du gut geschlafen? – Ja, gebe ich zur Antwort, doch wissen Sie, ich bin schon lange auf. Haben Sie auch gut geschlafen, Herr Siegrist? – Wunderbar, sagt er, heute ist so recht Kinderfestwetter, da schafft einer doppelt so gern. – Aber das Kinderfest ist schon vorbei, gebe ich zur Antwort, und Mutti bittet Sie in einer halben Stunde zum Znüüni. – Oh! – Herr Siegrist schnalzt mit der Zunge –, merci, und richte deiner Mama aus, wir werden bis dahin den Giebel heruntergewaschen haben. Er wendet sich wieder der Wand, Schwamm, Bürste und Kessel zu und produziert, «Vo Lozäärn gäge Wäggis zue» oder «Im Aargöi sind zwöi Liebi» pfeifend, kratzend scharfen Gestank.

Ich stehe unschlüssig am Fuss der Leiter in der Sonne. Mir ist klar, dass ich nicht dürfte, doch ebensowenig hat es mir jemand verboten. Ich steige auf die unterste Sprosse, setze den linken, dann den rechten Fuss auf die zweitunterste; der Sprossenabstand ist riesig, doch es geht. Sobald ich mit beiden Füssen fest stehe, löse ich eine Hand, greife über den Kopf, kralle sie um die nächsthöhere Sprosse, die andre Hand folgt, dann ziehe ich die Füsse nach.

Der Gestank wird ätzend, ich möchte husten, könnte mich übergeben, doch der Stolz obsiegt, Schwindel empfinde ich keinen. Schon hänge ich auf der Höhe des ersten Obergeschosses und blicke durch ein geschlossenes Fenster in die Höhle des väterlichen Studierzimmers. Wenn die Mutter mich sehen könnte! Wenn sie mich nur nicht sieht! Ich klettere weiter.

Als ich hinter den Fenstern im zweiten Obergeschoss mein eigenes Bett unterscheiden kann, wird mir mulmig. Gut, dass die Marschschuhe des Flachmalers mich stoppen. Her Sigrischt, lueget Si! Er hört auf zu pfeifen und dreht sich um. Jesses Gott! ruft er halblaut. Chumm, mer stiiged ietz schöön süüferli abe, und hebdi fescht ade Säigel, i mues äinewääg noomische. Gemächlich, einer hinter dem andern, er seinen Kessel samt Schwamm und Bürste in der Hand, steigen wir ab. Als wir auf den Granitplatten vor der Tür zur Waschküche stehen, beugt er sich plötzlich zu mir herab und hebt mich hoch: Gäll, znööchschtemool gömmer mitenand. Er schüttelt mich leicht, halb lachend, halb eindringlich ernst, dann stellt er mich auf die Füsse.

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