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Schneekönigin

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Ein sulztrüber Winternachmittag, tiefer Schnee. Am Steilhang hinter dem Eisweiher verändern wir die Landschaft. Wir pressen Bälle, werfen sie in den Schnee und rollen sie voran. Lage um Lage wickelt sich um die Kugeln, kleine Walzen entstehen, werden mächtiger, schwerer, reissen im Bergabrollen die ganze Schneeschicht ab, spulen sie auf wie dickes Moltontuch. Endlich können wir sie nur noch mit vereinten Kräften und dank der Steilheit des Hangs ein paar Schritt weiter wälzen. Zuletzt sitzt jeder von uns atemlos und heissgearbeitet mit frostgeröteten Händen auf seiner Walze und blickt hangaufwärts auf eine grüne Grasbahn, die sich breit unter seinem Gefährt hervorschält und sich nach zehn, zwanzig Schritt im Schnee verliert. Peter ist Winnetou, Fritzi Manitus Grosser Büffel, Thomi der Adler des Zeus, und ich bin der Steinbock der Schneekönigin, denn unser Werk gehört ihr; auf Steinböcken reitet sie durch ihr eisiges Reich.

Am folgenden Morgen müssen die drei in der Schule die Köpfe ducken, nur ich lebe noch in Freiheit. In der Nacht hat sich ein schwerer Reif niedergeschlagen, der Nebel sich weggehoben, und wie ich gegen zehn Uhr vormittags in Windjacke, Wollmütze und Fäustlingen unser kleines Tal hinaufstapfe, um das Werk für die Schneekönigin zu besuchen, ergiessen sich die Buchenkronen des Waldrands als glitzernde Eisfälle aus der Tiefe des blauen Himmels. Mein Glück ist so mächtig, dass ich stehenbleibe und mich langsam und süss füllen lasse, um nicht zu zerspringen. Der Eisweiher liegt, grau eingedeckelt und mit der wirren Kurvenschrift der Schlittschuhläufer graviert, im Gebüsch. Funkenglitzernde Stille, Atemwölkchen. Vier Schneerugel stehen auf halber Höhe des Hangs. Vom eigenen Gewicht in den Boden gepresst, sind sie im Frost versteinert. Ich klettere und springe auf ihnen herum. Die krustig gefrorenen Oberflächen schneiden messerscharf wie Glassplitter. Ich bin allein, der Fröschenhof am gegenüberliegenden Hang verschwindet beinahe unter den Schneelasten. Ich besteige die grösste Walze und recke die Arme zu Hörnern hoch; ich bin der Steinbockkönig, stosse kurze scharfe Schreie aus, rufe, rufe die Schneekönigin herbei ins Glück der lichtsprühenden Welt. Januar 1945.

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Die Stimme des Atems

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