Читать книгу Die Stimme des Atems - Ernst Halter - Страница 39

Vorausschule

Оглавление

Die Mutter hat den Vater während dessen Aktivdienstzeit zuweilen am Pult vertreten. Nun mochte es vorkommen, dass das Hausmädchen in der Fortbildungsschule war, die Geschwister ohnehin die Bank drückten, ich also allein zu Hause geblieben wäre. Dann nahm sie mich an der Hand, wir stiegen zum Schulpalast hinunter, die ausgetretenen Sandsteintreppen hoch, sie setzte mich in die leere hinterste Bank ans dritte Fenster, legte ein Bilderbuch sowie Zeichenblock und Farbstifte vor mich hin, strich mir über den Kopf und sprach: Bis lieb u braav. Der Unterricht begann.

Ich liebte diese Ausflüge, weil ich nicht zur Schule musste. Ich war der einzige im Klassenzimmer, der aus freien Stücken hier sass und tun und lassen konnte, was ihm behagte. Ich konnte aufmerksam zuhören, etwa in Schweizer Geschichte, oder zum Fenster hinaus oder in ein Buch schauen oder unser Haus und die Sonne darüber zeichnen; verboten war nur, was den Unterricht gestört hätte. Ich fühlte mich frei und leicht und bedauerte die armen Schüler, die in den Bänken vor mir herumrutschten, hie und da nach hinten schielten und ihr Gehirn zermarterten, ratlos schwiegen, die Hand aufstreckten und richtige oder falsche Antworten gaben. Dann kam ich mir vor wie der heimliche Fürst dieser Versammlung. Der Freie ist immer ein Fürst.

Einzig die Stimme der Mutter bereitete mir Unbehagen. Sie klang anders als noch auf dem Schulweg, nicht drohend oder unwillig; doch wenn sie so mit mir geredet hätte – energisch, gepresst, neutral-umsichtig –, hätte ich sie gefragt, warum sie mir böse sei. Mich verstörte, dass sie eine andre als ihre richtige Stimme brauchen musste; und was mich besonders quälte: Plötzlich tat sie mir leid. Ich hatte das Gefühl, ich müsse mich vor sie stellen und sie beschützen. Zuweilen fiel mich Angst an, sie könne nicht mehr und müsse abbrechen. Die Schule war offenbar nichts Gutes. Der Himmel vor dem grossen Fenster lag grau und bedrückend über der Sicht zum Wald hinauf, wo sich unser Haus hinter die riesige Scheinzypresse duckte.

Freiheit des KindesDer JüngsteSchulhausSchulschockSchulzimmer des Vaters

Die Stimme des Atems

Подняться наверх