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Krieg

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Vater, Mutter, Besucher, Tante Rosa, Tante Sängerin, die Nachbarn, die Waschfrau, der Metzger, die Ladeninhaberin, alle reden vom Krieg. Seit ich mich erinnern kann, ist Krieg, offenbar der Normalzustand der Welt, obwohl jedermann darob unglücklich ist, denn dieser Krieg ist der scheusslichste und grausamste aller Kriege. Kein Tag ohne Hiobsbotschaften und Alarmsirenen, obwohl der Krieg einen Bogen um uns herum macht. Und zuweilen versteckte Zufriedenheit: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.

Die Stuttgarter Innenstadt ausgebrannt, Ulm in Flammen, die Krupp-Werke eine Mondlandschaft, Köln gibt es nicht mehr, der Dom steht noch aufrecht, Feuersturm in Hamburg. Zahlen werden genannt, Hunderttausende, Millionen, vielleicht Tote oder Ermordete oder Kriegsgefangene. Wo ist das Bombardement heut früh um zwei niedergegangen? Die Basler fahren ins Berner Oberland. Wie, unser Schaffhausen ist angegriffen worden? Wir sind doch neutral! Schweres Bombardement über Mailand, die Eltern sehen einander an, offenbar bedeutet ihnen Mailand viel. Le Havre und Caen ein Trümmerhaufen. Die Deutschen sind zum Siegen zurückgekehrt. Ardennenoffensive. Doch die Amerikaner werden dafür sorgen … Zauberwort «Amerikaner». In Warschau steht kein Stein mehr auf dem andern, Würzburg, das Grab am Main, Berlin eine Geisterstadt, die Russen in Schlesien und Ostpreussen, Schweinfurt ausradiert, Frankfurt Schutt und Asche, Nürnberg eine riesige Fackel, Friedrichshafen voll getroffen, Bombenhölle Dresden, Menschenfackeln, Werwolf wütet. Später wieder: Friedrichshafen; der Name lädt sich auf mit den Vorstellungen von Finsternis und Feuerringen des Kriegs. Für immer.

Es ist Vormittag, die Mutter im Haus oder Garten beschäftigt, Geschwister und Vater in der Schule. Ich schütte den Inhalt meines Tecto-Holzbaukastens auf den Esstisch und spiele Krieg. Ich bin die Deutschen und rüste auf, niedrige Hallen, Hochkamine, Bahnhöfe. Die Stadt heisst Essen. Unter einer Glocke von süsslichem Duft, Laugengestank, Kohlenrauch, ätzenden Stickstoffdünsten dehnen sich Fabriken, Häuser, Kamine bis zum Horizont. Gegen die Tischmitte sind die chemischen Werke angesiedelt, gleich daneben werden in riesigen finstern Hallen Bomben produziert, weiter Panzer, Flugzeuge, Kanonen. Die Deutschen sind bereit loszuschlagen.

Ich atme tief durch. Unter diesigem Spätherbsthimmel stehen kahl die Wälder herein. Und jetzt bin ich die Amerikaner und komme den Deutschen zuvor. Ich höre meine Bomber im Anflug; das Geräusch geht mir durch die Kehle, nicht anders als in der Nacht, wenn die Geschwader von Süden her die verdunkelte Stadt überfliegen, ein tiefes Dröhnen und Schüttern, dass die Scheiben am Geschirrschrank klirren. Zielgebiet erreicht. Bomben ausklinken! Von allen Seiten schlagen Volltreffer in die Stadt Essen, das Haus zittert schwach. Nach jedem Abwurf begutachte ich die Zerstörung. Noch steht die Giftgasküche. Auch in der Panzerfabrik wird weitergearbeitet. Mir sind die Bomben ausgegangen. Ich suche nach Blindgängern unter den Trümmern und bestücke die Fliegenden Festungen neu. Wjuuuwumm! Quamm! Buurrumm! Alles kaputt. Ein wirres, von Bombenkratern aufgepflügtes Ruinenfeld. Ich höre die Bomber nicht mehr. Die Luft ist seltsam rein, still, hell, als ob die Sonne durchbrechen müsste.

Wann immer ich heute ein chemisches Werk sehe – Stahlkamine, Gasbehälter, Druckzylinder, Nitrieranlagen, Rohrorgeln, Tanklager und puffende Ventile –, bombardiere ich es in meiner Vorstellung, bis die Flammen tausend Meter in die Nacht emporlodern.

Alarmsirene und SchlachthausAmeisen – TodesspielErstickenHochkamine und Sirenen

Die Stimme des Atems

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