Читать книгу Die Stimme des Atems - Ernst Halter - Страница 42

Schulschock

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Die Katastrophe, der Bruch, die Erkenntnis, dass ich sogar von der Mutter verschachert werde – unter Vorwänden, deren Refrain lautet: Es wird dir guttun, es geschieht zu deinem Besten.

Ich finde mich neben der Mutter in einem Schulzimmer; den Wänden entlang Stühle, darauf Kinder und Mütter. Jemand ruft die Knirpse bei Vor- und Nachnamen. Knaben und Mädchen treten vor und werden in eine der Zimmerecken gewiesen. Selbst dann noch hoffe ich, mein Name fehle auf der Liste, ja, ich bin beinahe sicher, dass zuletzt ich und die Mutter als einzige an der Wand sitzen werden und die Lehrerin uns mit der Bemerkung entlassen wird: Entschuldigen Sie, ein Irrtum; Ihr Bub muss nicht zur Schule.

Aber ich, um den herum das Bärlein, Murmeln, Holz und Blechtiere, ein Elefant, ein Haus und ein Garten schützend versammelt sind, der weiss, wo Afrika ein Horn und einen Stirnbuckel hat, der auf einer Burg residiert und vor dem Einschlafen unter der Bettdecke eine Fabrik surren lässt, ich bin wie alle, stehe bereits in einer Ecke unter einem Haufen Kinder und blicke mit zusammengepressten Lippen durch einen Tränenschleier zur Mutter hin.

Nach ungefähr einer Stunde ist der Spuk vorüber, und wir werden entlassen bis morgen, da wir allein anzutreten haben. Mir bleibt noch ein halber Tag Freiheit, dann geht das Licht aus. An diesem Nachmittag und Abend läuft die Sanduhr der Freiheit aus und mir schneidet zum ersten Mal die Verzweiflung durchs Gemüt, die man Galgenfrist nennt, obwohl es nur um die Einschulung geht. Es dauert Wochen, bis ich nicht mehr auf dem ganzen Schulweg weine und mir vor der Schulzimmertür die letzten Tränen abwische.

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Die Stimme des Atems

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