Читать книгу Die Stimme des Atems - Ernst Halter - Страница 37

Erste Heimlichkeit

Оглавление

Tief, übermannshoch und dicht ist die Buchshecke, ein dunkelgrüner Fremdkörper; sie trennt uns vom Nachbarn im Westen; gegenseitig unsichtbar, leben wir nebeneinanderher. An ihrem Fuss, bei den Wurzeln, wo der Grus von Jahren als modriger federnder Teppich liegt, läuft hangabwärts ein Betonkännel. Meist liegt er trocken, und dürres Laub sammelt sich darin. Zuweilen fülle ich einen Kübel mit Wasser und spüle ihn rein; neben der raschelnden Wasserwoge her renne ich den Kiesweg hinab und erwarte sie, die unter ihrer Fracht allmählich träger wird und beinahe verschwindet, am schmiedeeisernen Tor zu unsrem Garten neben dem Dolendeckel. Dringe ich in die Hecke ein, zwänge mich durch die zähen Zweige und das sperrige Totholz, verstärkt sich der herbe Buchsgeruch und schlägt mich an heissen Sommertagen in seinen schwarzgrünen Brodem. Sitze ich innen und blicke nach aussen, verflicht und verfilzt sich dürres Geäst schwarz vor dem Himmel; die äussere Laubhülle verwehrt den im Licht Stehenden den Einblick, mir im Finstern dagegen stört sie kaum die Sicht.

Eines Nachmittags kauere ich dort drin und verrichte meine Notdurft. Das Gefühl, etwas Unerlaubtes zu tun, ist so mächtig, dass sich das Herzklopfen erst legt, als ich heraustrete; es verbindet sich mit dem Buchsgeruch. Einen Sommer lang mache ich Gebrauch von dieser genussvollen Erleichterung ausser Haus; immer habe ich Glück, und ich komme mir vor wie auf einer Bergwanderung, wo der Vater das Toilettenpapier verwaltet, das in handgrosse Blätter zerrissene «Zofinger Tagblatt». Dennoch bleibt das Gefühl des Unerlaubten.

Die Mutter erwischt mich und und stellt mich zur Rede. Eine Bestrafung erfolgt nicht; um so röter ist meine Scham darüber, dass der Mensch, den ich am liebsten habe, mein Vergehen aufdeckt und ich auf die Frage, warum?, schweigen muss, denn das Argument, es reiche immer für die zwanzig Schritt bis zum nächsten Abort, sticht.

Zum ersten Mal finde ich mich allein im öden Land ausserhalb des überwachten elterlichen Bezirks, das die Mutter mir am liebsten verbieten würde. Ich verspreche ihr, dies eine – ausser auf Alpenwanderungen – tatsächlich Verbotene nie mehr zu tun. Doch das graue Land nie zu betreten, das die lichte Welt unsrer Familie umschliesst und durch das Abendgebet Ängeli chumm, mach mi frumm, dasi zuder iHimel chumm gebannt wird, das kann ich ihr nicht versprechen. Seine Macht ist stärker als ich.

Ich habe mit ihr darüber nie gesprochen.

AasEltern-TabuKind und ÖffentlichkeitPatriarchat und innere Emigration

Die Stimme des Atems

Подняться наверх