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Diese Form lernt man wie beim Schneeglöckchen durch die hier skizzierte Betrachtungsweise verstehen. Hat man das Seelenleben so weit aufgehellt, dass die inneren Bewegungen und Gebärden bewusst werden, dann erfasst man mit voller Klarheit: Wie im Schneeglöckchen die Seelenform des beginnenden Erwachens, so erscheint im Krokus – als Bild – die Seelenform des Sehnens im Leben der Natur. So wird auch verständlich, weshalb Schneeglöckchen und Krokus das Gemüt so stark berühren. Sie sprechen zur menschlichen Seele, weil sie selbst Ausdruck eines Seelischen sind.

Zu diesem Seelischen gehören nicht nur Form und Gebärde der Pflanze, sondern auch ihre Farbe, vor allem die der Blüten. Das Bild des beginnenden Erwachens erglänzt weiß, das des Sehnens in verschiedenen Farben, besonders in Weiß, Violett und Gelb. Das Weiß ist mit seinem reinen, lichten Charakter, der durch nichts getrübt wird, ein Ausdruck von keuscher, leidenschaftsloser Helligkeit. Im Violett ist die Seelentiefe des Blau durchwärmt vom Rot zu religiöser Gestimmtheit. Im Gelb erscheint eine heitere, freudige Stimmung, die im Sehnen auflebt, wenn man dem Ersehnten entgegengeht. So manifestiert sich im Krokus ein rein geistiges, ein religiöses und ein freudiges Sehnen. Das Weiß des Schneeglöckchens hat eine Beziehung zu dem Beginn des Erwachens, in dem die Seele sich mit leidenschaftslosen Kräften aus dem Schlaf löst und dem hellen Bewusstsein des Tages entgegengeht.

In den Anmutungserlebnissen, von denen diese Betrachtung ausgegangen ist, klingt etwas an, was nicht nur eine subjektive, für das Erkennen bedeutungslose Reaktion auf die Eindrücke der Natur ist. Um das, was in der Anmutung lebt, zur Klarheit zu bringen, bedarf es eines neuen Anschauens, in dem die eigene Seele zum Organ des Anschauens wird. Wendet man sich mit bewusst durchdrungenen Seelenprozessen wie denen des Sehnens und des beginnenden Erwachens der Natur zu, dann wird die Natur zur «Mitwelt» (Meyer-Abich). Man findet in ihren Erscheinungen etwas, was dem eigenen Wesen tief verwandt ist. Diese Verwandtschaft liegt aber nicht dort, wo sie heute gesucht wird, im Bereich der Physis, sondern im Seelischen, wo man sie im Allgemeinen nicht einmal vermutet.


Frühlingskrokus (Crocus albiflorus)

a. Blüte, unten der kurze Blütentrieb und Fruchtknoten

b. Die Blüte erhebt sich aus der von den Scheidenblättern gebildeten Hülle

(aus W. Troll, Praktische Einführung in die Pflanzenmorphologie).

Lernt man in der Pflanzenwelt Bilder des Seelischen kennen, so entstehen neue Fragen. Die Natur selbst wird in neuer Weise zum Rätsel. Denn in ihr werden Dimensionen sichtbar, die in das bisherige Bild nicht hineinpassen. Offensichtlich geht die Natur nicht in dem auf, was man ihr an Wesenszügen zugesteht. Wir wollen auf diese Fragen erst eingehen, wenn wir durch weitere Betrachtungen eine reichere Anschauung haben.

Über die Form des Erkennens ist aber schon jetzt eine Aussage möglich. In ihr bewahrheitet sich der alte Satz, dass Gleiches mit Gleichem erkannt wird, in unserem Fall Seelisches mit Seelischem. Seelenvorgänge wie das Sehnen gehören nicht der Sinneswelt, dem materiellen Dasein an. Auch wenn sie sich im Physischen manifestieren, sind sie ihrem Wesen nach übersinnlich. Rudolf Steiner beschreibt in seinen Darstellungen über den Weg der geistigen Schulung die erste Stufe des übersinnlichen Erkennens als Imagination. Ein Kennzeichen der Imagination ist es, «in solche bildlichen Vorstellungen einzudringen, die im Sinne des Goetheschen Wortes ‹Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis› die höheren Welten darstellen».9 Die ersten Schritte auf dem Weg zur Ausbildung der Imagination geht man, wenn man die vergänglichen Formen und Farben der Pflanzen als Bild oder Gleichnis des Übersinnlichen, eben des Seelischen, erkennen lernt. Der innere Zusammenhang von Mensch und Natur, der heute gesucht wird, verlangt imaginative Naturerkenntnis. Durch diese offenbart sich das, was das Gegenstandsbewusstsein als eine bestimmte physische Pflanze auffasst, als Bild einer tieferen, übersinnlichen Wirklichkeit. Die gleiche übersinnliche Wirklichkeit trägt der Mensch auch in seiner eigenen Seele. Sie kann daher Erkenntnisorgan für jene Welt werden, die in den Bildern der Natur imaginativ zum Ausdruck kommt.

Pflanzen als Bilder der Seele

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