Читать книгу Habsburgs europäische Herrschaft - Esther-Beate Körber - Страница 12
3. Aufbrechende Bewegung
ОглавлениеWie viele Übergangszeiten war jenes Jahrhundert auch die Zeit einer erstaunlichen und bis dahin nicht gesehenen Mobilität. Die Entdeckungs- und Eroberungsfahrten seit dem 15.Jahrhundert machten eine neue Mobilität von Menschen und Gütern im Raum möglich, die Europa buchstäblich in Bewegung brachte und zuweilen in Erstaunen versetzte. Portugiesische und kastilische Seefahrer entdeckten Wege rund um die Erde – deren Gestalt als „Globus“ damit empirisch bewiesen war. Gold aus Mexiko, später Silber aus Peru gelangten nach Spanien und von dort nicht nur in die fürstlichen Kunstkammern, sondern auch vermünzt in die Taschen von Söldnern, Kriegsunternehmern, Waffenschmieden und in die Guthaben italienischer und spanischer Banken, bei denen die spanischen Herrscher sich verschuldet hatten. Im Handel mit den begehrten Gewürzen, besonders mit Pfeffer, der in der feinen Küche der Zeit sehr geschätzt wurde, konnte man große Gewinne machen. Entsprechend hoch war das Risiko, Gut und Geld durch Schiffbruch zu verlieren, und auch der Seeraub entwickelte sich zum einträglichen Geschäft. Vom Überseehandel profitierten besonders die westeuropäischen Hafenstädte Cadiz, Lissabon, Toulon, Antwerpen und London. Banken und internationaler Handel entwickelten sich, die Börse von Antwerpen (1531 errichtet) ist das gebaute Zeichen dafür. Kaufmannsfamilien wurden zu Herren europaweiter Unternehmen wie die Fugger in Augsburg. Die Städte Mitteleuropas verfügten nicht nur über Geld infolge ihrer Handelsverbindungen, sondern auch über geschickte Handwerker. Möbel, Uhren, geschliffene Gläser, geschnitzte Altarbilder, steinerne oder erzene Brunnen des 16. Jahrhunderts rufen heute noch Bewunderung hervor, fast unabhängig davon, ob sie im traditionellen spätgotischen Stil gearbeitet sind oder in den neu aufkommenden Stilrichtungen von Renaissance bis Frühbarock. Geschick und gute Auftragslage ließen Handwerker zu Wohlstand kommen. Landwirtschaftliche Produkte erzielten zumindest in der ersten Hälfte des Jahrhunderts noch gute Preise. Grundbesitzer, die ihre Produktion dem Markt anpassten, profitierten von dieser Agrarkonjunktur, vor allem Adlige. Aber auch Bauern hatten nach Abzug von Abgaben und Steuern gelegentlich noch Überschüsse zu verkaufen und erwarben Geld in bisher ungesehenem Maße. Vielerorts suchten so genannte Kleiderordnungen zu verhindern, dass Bürger und Bauern ihren neu erworbenen Reichtum sichtbar zur Schau stellten oder sich für großen Aufwand bei Festen und in der Kleidung sogar verschuldeten. Das Kapital konnte als Mittel dienen, gesellschaftliche Mobilität zu erreichen oder zumindest durch Demonstration von Reichtum den Anspruch auf eine höhere Stellung anzumelden.
Aber nicht nur das Kapital machte mobil. Die entstehenden Konfessionen brauchten humanistisch gebildete Prediger und Pfarrer, die den neu gewonnenen oder zu erringenden konfessionellen Standpunkt überlegt vertreten konnten – bürgerliche Theologen ergriffen die Karrieremöglichkeit. In der Reformation erreichte der Buchdruck zum ersten Mal ein nach Tausenden zählendes Publikum; wirksam komponierte Traktate, Flugschriften, politische und konfessionspolitische Lieder konnten eine bisher ungeahnte Massenwirkung haben. Der Dienst für den Herrscher eines werdenden Staates bot bürgerlichen Juristen Aufstiegschancen, den Adligen unter Umständen Möglichkeiten zu politischer Mitsprache, die über die traditionelle ständische Mitwirkung hinausgingen. Bei der Kriegführung mit Söldnertruppen konnten begabte militärische Anführer sich auszeichnen, gelegentlich stiegen sie noch selbst zu Herrschern auf wie die Sforza in Mailand, die sogar eine Dynastie begründeten. In der Regel aber mussten sie sich in den Dienst eines regierenden Fürsten begeben; die Machtmittel der Söldnerführer fielen hinter die der werdenden Staaten weit zurück.
Fast alle Lebensäußerungen des 16.Jahrhunderts machen den Eindruck gesteigerter Kraft, über das gewohnte Maß ausbrechender Energie. Sie konnte auch zu Aggressivität und Brutalität werden, im Kleinen wie im Großen. In seinen alltäglichen Umgangsformen gilt das 16. Jahrhundert als Zeitalter des „Grobianismus“. Unflätige Beschimpfungen und grobe Beleidigungen gehörten selbstverständlich zum Gespräch, deftige Bildwitze zu einem gelungenen Flugblatt – Götz von Berlichingen äußerte sich nach den Maßstäben seiner Zeit zwar unmanierlich, aber nicht ungewöhnlich. Auch Fürsten und Staatsverbände sahen es wie Einzelpersonen als eine Sache ihrer Ehre an, Gewaltbereitschaft zu zeigen und Gewalt auch auszuüben, nur notdürftig zurückgehalten durch die Lehre vom „gerechten Krieg“. Wer es konnte, suchte seine Herrschaft zu vergrößern, sei es in Übersee, sei es in Europa, sodass das 16. Jahrhundert in der Politik zwischen den werdenden Staaten eine besonders kriegerische Epoche wurde. Für Bündnisse galt die Regel des Skatspiels: Der Stärkste handelt allein, die Schwächeren müssen sich verbünden, um sich gegen ihn zu behaupten. Auf diese Weise entstanden annähernd gleich starke Mächtekonstellationen, die militärische Lage glich fast immer einem Patt, und die Kriege endeten meistens erst bei beiderseitiger Erschöpfung – die rasch eintreten konnte, denn Geld für Söldner hatte niemand genug. Kriege wurden mit mehr Energie geführt, nämlich mit Feuerwaffen, die sich seit dem 15. Jahrhundert auf den Schlachtfeldern Europas durchgesetzt hatten, und mit stärker konzentrierter Heeresmacht. Das mittelalterliche Aufgebot der Ritter, das von Söldnern nur gegebenenfalls verstärkt wurde, wich nun endgültig dem Söldnerheer, dem nur gegebenenfalls Truppen aus dem jeweiligen Lande zur Seite traten.
Mit gewissem Recht könnte man das 16. Jahrhundert als Zeit des Durchbruchs zur Neuzeit bezeichnen: Veränderungen, die sich lange vorbereitet hatten, wurden in diesem Jahrhundert so deutlich sichtbar, dass sie die Zeit zu prägen begannen: die Zentralperspektive, die Impulse zur Traditionskritik, die aus dem Humanismus kamen, und die spätmittelalterliche Herrschaftsverdichtung. Sie alle lösten weitere Veränderungen aus: Die räumliche Darstellung wurde in Künsten und Wissenschaften erprobt und gemeistert; aus diffusen Kirchenreform-Bestrebungen entwickelte sich die umwälzende Bewegung der Reformation und Konfessionsbildung; Fürsten kämpften um die Intensivierung, Ausdehnung und Konzentration ihrer Herrschaft energisch, zielstrebig und mit bisher unerhörter Gewalt, sodass man diese Bemühungen gelegentlich als „Frühabsolutismus“ bezeichnet hat. Am Ende des Jahrhunderts überwogen schon die Zeichen der Neuzeit gegenüber dem Alten und Hergebrachten.
Absolutismus
Für die Tendenz zur Herrschaftskonzentration und Distanzierung wurde und wird der Begriff „Absolutismus“ gebraucht. Er ist durch die Darstellung Nicholas Henshalls fraglich geworden, der zeigte, wie wenig der Staat der Frühen Neuzeit auf die unteren Ebenen durchgriff. Peter Baumgart möchte den Begriff dennoch als „Leitbegriff und Tendenz einer Geschichtsepoche“ beibehalten, allerdings vor allem für die Zeit nach 1648.
Die Familie der Habsburger (in frühneuzeitlicher Ausdrucksweise: das „Haus Habsburg“) war wohl in alle entscheidenden Konflikte der Zeit verwickelt und erwarb sich infolgedessen eine hervorragende Stellung im Gefüge der werdenden europäischen Staaten. Den Schritt zum Neuen tat Kaiser Friedrich III. (Kaiser 1440–1493) – in gewisser Weise war es der Schritt zur habsburgischen Vormachtstellung in Europa. Kaiser Friedrich verhandelte die Heirat seines Sohnes Maximilian, des „letzten Ritters“ (geb. 1459, Kaiser 1493–1519), mit der Erbin von Burgund, Maria. 1477 wurde die Ehe geschlossen. Sie brachte Habsburg in Verbindung mit den enormen Reichtümern des damaligen Herzogtums Burgund, bescherte den Habsburgern aber auch einen Dauerkonflikt mit Frankreich, der letztlich die gesamte Frühe Neuzeit bis zu den Kriegen Napoleons kennzeichnen sollte. Maximilian knüpfte die dynastischen Verbindungen mit Spanien und Böhmen und festigte die Erbrechte der Habsburger in Ungarn. Damit legte er den Grund für das ungeheure Erbe, das Karl V. schon in jungen Jahren antreten konnte oder auch musste. Welche Folgen diese Eheschließungen einmal haben sollten, ließ sich freilich damals noch nicht absehen. Aber der Grund zur habsburgischen Großmachtstellung wurde in jenen Jahren gelegt. Wie andere Herrscher Europas bauten auch die Habsburger im 16.Jahrhundert auf Voraussetzungen auf, die das vorausgegangene Jahrhundert oder noch frühere Zeiten geboten hatten.
Die Darstellung der Ereignisgeschichte in diesem Buch wird die europäische Geschichte des 16. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt auf dem Habsburger Reich schildern, gegebenenfalls einschließlich der Voraussetzungen aus dem späten 15. Jahrhundert. Die Konflikte, in die das Haus Österreich innerhalb der europäischen Herrscherfamilien und werdenden Staaten geriet, bilden den Stoff der Darstellung. Sie gliedert sich deshalb nach Ländern; ein „Land“ ist dabei allerdings nicht in erster Linie als territoriale Einheit zu verstehen, sondern als politisches Beziehungsgeflecht von Fürst (oder Regent) und Ständen. Den politischen Aggregatzustand der werdenden Staaten kann man auf diese Weise am besten beschreiben. Keines dieser Gebilde freilich war in sich abgeschlossen und von anderen isoliert, sondern stand wiederum mit anderen, ähnlich strukturierten Gebilden in freundlichen oder feindlichen Beziehungen. Jedes Länderkapitel enthält darum auch die Darstellung spezifischer europäischer Konflikte, die sich meist aus der geografischen Lage oder den wirtschaftlichen Bedingungen der einzelnen Länder ergaben.
Keiner dieser Konflikte wurde endgültig gelöst, aber in den Jahren um 1600 ergab sich eine Reihe von Zwischenlösungen, die die Konflikte sozusagen suspendierten: 1598 wurde zwischen Spanien und Frankreich Friede geschlossen, 1604 zwischen Spanien und England, 1606 zwischen den deutschen Habsburgern und dem Osmanischen Reich, 1609 kam es zum Waffenstillstand zwischen Spanien und den Niederlanden. 1606 und 1608 erreichten die ungarischen und böhmischen Stände die Anerkennung ihres Konfessionsstandes und damit als letzte konfessionell-politische Gruppe im Habsburgerreich eine neue Balance in den konfessionellen Konflikten der Zeit. 1614 wurde ein aufbrechender konfessionell-politischer Konflikt im Reich noch einmal beigelegt und der große Krieg in letzter Minute verhindert, obwohl europäische Mächte rings um das Reich sozusagen schon auf seinen Ausbruch lauerten. Um diese Zeit wird die Darstellung dieses Buches schließen. Denn obwohl der konfessionelle und politische Friede gefährdet war, sah es einige Jahre lang so aus, als könnte sich auf der Grundlage der erreichten Konflikt-Suspensionen ein Zustand einigermaßen dauerhaften Friedens erhalten lassen. Der große Krieg, der kurze Zeit später wirklich ausbrach und zum Dreißigjährigen Krieg werden sollte, entsprang eher dynastischen und politischen Zufällen als einer Zwangsläufigkeit. Der Verlauf des Kriegs aber und seine Folgen sollten erweisen, dass keine der ausgehandelten Lösungen die politisch Tätigen wirklich zufrieden gestellt hatte.