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I. Signaturen des 16. Jahrhunderts I: Der Mensch im Aufbruch

1. Der Beginn einer neuen Zeit

Uns Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts erscheint das sechzehnte oft sehr fremd, obwohl es nach landläufiger Meinung am Beginn der „Neuzeit“ Europas steht, jener Epoche, der wir selbst noch angehören. Um das sechzehnte Jahrhundert in seinen fremden und den vertrauten Zügen besser zu verstehen, macht man sich daher am zweckmäßigsten klar, was eigentlich „Neuzeit“ bedeutet und was damit gesagt sein soll, dass diese Neuzeit „beginnt“. Die Zeiten ändern sich ja nicht selbst, wenn eine neue Zeit beginnt, sondern Menschen fangen an, ihre Welt und ihre Zeit mit anderen Augen zu sehen, sich selbst anders zu verstehen und nach neuen Maßstäben zu handeln. Am Anfang sind es vielleicht nur wenige, die nach diesen neuen Maßstäben und Vorstellungen leben, und sie werden deswegen verachtet oder gar nicht wahrgenommen. Die Anfänge von etwas Neuem erkennt man kaum, weil das Alte oder Traditionelle, das Hergebrachte übermächtig ist. Und selbst die wenigen Menschen, die es wagen, neue Vorstellungen auszuprobieren, krempeln damit nicht unbedingt ihr ganzes Leben um, sondern bleiben in vielem ebenso traditionell und dem Alten verhaftet wie ihre Mitmenschen. Deshalb fällt es so schwer, den Beginn einer neuen Zeit, die man dann auch eine Epoche nennt, eindeutig festzulegen. Das Neue kommt nicht auf einmal, sondern schubweise, und manchmal dauert es Jahrhunderte, bis die nachlebenden Generationen merken, wann und womit eine neue Epoche begonnen hat.

Im 16. Jahrhundert hatten schon die Zeitgenossen den Eindruck, in einer Umbruchszeit zu leben, entweder am Beginn einer neuen Epoche oder am Ende einer alten oder gar am Ende der Weltgeschichte überhaupt. Der gelehrte Ritter Ulrich von Hutten (1488–1523) jubelte über sein neues saeculum, das einen solchen Aufschwung der Wissenschaften mit sich gebracht habe. Der Mönch Johannes Trithemius (1462– 1516) hingegen konnte in der neuen Erfindung des Buchdrucks nichts als Verfall, ja sogar Sittenverderbnis erkennen, weil so viele unnütze Bücher gedruckt würden, die nichts zum Heil der Seele beitrügen. Und Martin Luther (1483–1546), der im populären Geschichtsbild so sehr als ein der Zukunft zugewandter religiöser Reformer weiterlebt, sprach und schrieb oft darüber, dass nach seiner Auffassung nicht nur eine Epoche, sondern die ganze Weltgeschichte bald zu Ende gehen werde: Der Jüngste Tag, der Tag des Gerichts Gottes über die Welt, stehe bevor, und nur mithilfe des Glaubens an Gott könne die Menschheit die gegenwärtigen und kommenden Schrecken überstehen. Den Umbruch spürten schon die Zeitgenossen, aber erst spätere Generationen erkannten darin den Beginn ihrer eigenen Zeit, der „Neuzeit“.

Worin aber besteht das „Neue“ an der „Neuzeit“? Am leichtesten lässt sich das wahrscheinlich auf einer sehr abstrakten Ebene begreifen: Die Menschen, für die die Neuzeit begann, gewannen Abstand zum Gewohnten – zur Welt oder zu sich selbst – und zugleich einen festen Standpunkt, von dem aus sie von da an das Leben insgesamt oder einige seiner Aspekte betrachteten und beurteilten. Dieses Gewinnen distanzierter Standpunkte schuf und prägte die europäische Neuzeit, schubweise und immer wieder auf anderen Gebieten, über Jahrhunderte hinweg – wobei es unerheblich ist, ob die Menschen selbst die jeweils neue geistige Errungenschaft als ihre eigene Leistung, als göttliche Offenbarung oder als zwingende Notwendigkeit empfanden. Die europäische Neuzeit begann nicht mit einem Schlag zu einem bestimmten Datum, sondern sie setzte ein, als Menschen – erst einzelne, dann viele – durch Distanzierung zu festen Standpunkten gelangten. Am deutlichsten lässt sich das an drei Veränderungen zeigen, die schon vor dem 16. Jahrhundert begonnen hatten, es aber noch prägten und zu seiner Dynamik beitrugen. Diese Veränderungen sind: die Durchsetzung der Zentralperspektive in der Kunst der Renaissance, die Entwicklung eines distanzierten, „quellenkritischen“ Blicks auf profane und heilige Texte in Humanismus und Reformation und schließlich in der politischen Welt ein Schub von Machtkonzentration, den man mit einem treffenden Ausdruck von Peter Moraw „Herrschaftsverdichtung“ nennt.

Habsburgs europäische Herrschaft

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