Читать книгу TIONCALAI - Esther-Maria Herenz - Страница 16

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Wahre Geschichten

Irgendwann war die Woche vorbei und Deor kam wieder, um sie zu unterrichten.

„Ravela, Neolyt“, begrüßte er sie. „Wir hatten das Thema zwar beendet, aber ich dachte, wir könnten noch einmal die ganze Theorie um die Einhörner mit Fakten belegen.“

Neolyt machte große Augen. Sie wusste, dass Schüler die Drachen und Einhörner der Erwachsenen nur selten und dann auch nur aus der Ferne zu Gesicht bekamen und war erstaunt über Deors Angebot. Natürlich nickte sie begeistert. Sie gingen durch die Lehrergänge, die für Schüler normalerweise streng verboten waren, zu den Stallungen der Einhörner. Aus hellem, gut gepflegtem Holz waren die großzügigen und sauberen Boxen gefertigt, doch kein Einhorn war darin zu sehen.

„Sie sind wohl gerade auf der Weide“, meinte Deor und führte sie weiter durch den langen Gang, bis sie schließlich durch ein ebenfalls hölzernes Tor nach draußen traten.

„Oh!“, sagte Neolyt nur. „Sie sind so schön!“

Deor lächelte und nickte. In der Tat waren die Wesen, die dort auf der Wiese standen und von denen einige neugierig zu ihnen hinüberschauten, ausgesprochen schön. Das meist graue, hin und wieder auch weiße Fell schimmerte gepflegt im Sonnenlicht. Einige waren zierlich, andere kräftig, und jedes von ihnen hatte ein langes Horn auf der Stirn, was ihnen zusätzlich Anmut, Erhabenheit und den Eindruck von Weisheit verlieh.

Ein weißes Einhorn näherte sich ihnen und blieb einen Schritt vor Neolyt stehen, um sie neugierig zu betrachten. Es neigte kurz das Horn und Deor bedeutete ihr, ebenfalls den Kopf zu neigen.

„Bist du Neolyt?“, fragte es, ohne die Lippen zu bewegen.

Deor hatte davon erzählt, dass sie die Laute durch Magie erzeugen konnten.

Neolyt nickte.

„Mein Name ist Aviom. Ich gehöre sozusagen zu Wadne.“

„Ist sie noch nicht da?“, erkundigte sich Deor.

„Doch“, ertönte Wadnes Stimme von hinten und Neolyt fuhr erschrocken herum. „Ravela.“

„Ravela“, grüßten auch Neolyt und Deor.

„Dann lass ich euch mal ein paar Frauengespräche führen“, meinte Deor und wandte sich zum Gehen.

„Was heißt das? Frauengespräche?“, fragte Neolyt Wadne.

„Er meinte damit, dass Frauen über Einhörner besser Bescheid wissen als Männer, und um Einhörner soll es jetzt ja gehen, oder?“

„Ja.“ Neolyt strahlte.

„Kannst du denn schon sagen, ob Aviom ein echtes Einhorn ist oder nicht?“

Neolyt betrachtete Aviom eingehend. Die Fellfarbe und der typische Glanz stimmten, ein Horn war auch da und die Augen waren tatsächlich wunderbar tiefgrüne Teiche.

„Ja, er ist echt“, meinte sie darum.

Aviom nickte leicht lächelnd.

„Deor hat gesagt, es gäbe nur noch ganz wenige echte Einhörner.“

„Das stimmt leider. Deswegen dürfen wir uns glücklich schätzen, dass Aviom, aber auch Adád, der mit Valria hier ist, unter uns weilen wollen.“

„Es gibt eben doch noch einige Menschen, die Selay genug ähneln, um von uns erwählt zu werden“, erklärte Aviom und zwinkerte Wadne scherzhaft zu.

„Ich würde sagen, wir machen einen kleinen Spaziergang und plaudern dabei ein bisschen“, schlug Wadne vor und Neolyt nickte. Nachdem sie die Weide hinter sich gelassen hatten, begann Aviom, sie über ihr bisheriges Wissen auszufragen.

„Was weißt du über die Entstehung der Einhornreiter, Neolyt?“

Sie wiederholte getreu alles, was sie aus dem Unterricht behalten hatte. Als sie fertig war, schwiegen ihre beiden Begleiter eine Weile, nur Aviom schnaubte dann und wann und sah Wadne seltsam an.

„Das hat Deor dir also beigebracht“, meinte diese schließlich und lächelte.

„Stimmt es denn nicht?“

„Doch, nur einige Details sind nicht ganz richtig. Natürlich weiß Deor, wie es wirklich war, aber er muss dir das beibringen, was in seinem Lehrplan steht.“

Neolyt runzelte die Stirn. „Warum steht es nicht richtig in dem Plan?“

„Weil unsere geschätzten Hochräte und Königin Ivin glauben, die Wahrheit wäre … unangemessen für Kinder im Ausbildungsalter.“

Neolyt nickte langsam. Irgendwie glaubte sie, dass Wadne nicht das meinte, was sie sagte, und diese Angewohnheit der Menschen war manchmal wirklich lästig.

„Und wie ist es wirklich gewesen? Oder darfst du mir das nicht erzählen?“

„Nein, eigentlich darfst du es erst nach der Prüfung erfahren. Aber wir werden es dir jetzt erzählen. Es wird dir wahrscheinlich unbedeutend vorkommen, es ist auch nicht viel, aber es ist trotzdem wichtig, dass du es weißt.“

Abermals nickte Neolyt. Sie hatte das Gefühl, als würde gerade etwas viel Bedeutenderes passieren, als sie verstehen konnte.

„Erst einmal ist Selay nicht von einer anderen Küste gekommen, sie kam aus einer anderen Dimension“, begann Aviom und Neolyt machte große Augen. Bisher hatte sie nur gehört, dass andere Dimensionen wahrscheinlich existierten, und Yewan hatte erzählt, man müsse sehr, sehr mächtig sein, um eine davon zu besuchen. Allerdings verstand sie tatsächlich nicht, warum es so wichtig sein sollte, wo Selay hergekommen war.

„Dann hat nicht das älteste der Einhörner, sondern jenes sie erwählt, das sie im Traum gespürt und auf sie gewartet hat. Und anfangs wurden sogar einige Männer erwählt, bis zweihundert Jahre später einer von ihnen das Tor zur Dimension der Drachen öffnete und die Drachen darauf bestanden, nur Männer zu tragen. Man einigte sich darauf, dass im Gegenzug die Frauen das Privileg erhielten, von Einhörnern getragen zu werden.“

„Und die Kriege? Haben sie wirklich stattgefunden?“

„Ja, zu unserer aller Schande.“

„Warum?“

„Die Ursache ist bis heute nur wenigen bekannt. Manche behaupten gar, Selay selbst hätte sie provoziert.“

„Und stimmt das?“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht.“

„Und hat man wirklich damit angefangen, Einhörner mit Pferden zu kreuzen, damit es genug für alle gibt, die Magie benutzen können?“

„Ja, auch das stimmt leider. Viele meiner Schwestern und Brüder darf ich kaum mehr so nennen, weil sie zu so großen Teilen Pferde sind, dass ihnen jeglicher Verstand der Einhörner abhandengekommen ist.“

„Die Armen“, sagte Neolyt, wofür sie erstaunte Blicke erntete. „Na ja, sie können ja nichts dafür, dass sie nur so aussehen, als wären sie Einhörner, und in Wirklichkeit Pferde sind. Das kann doch kein schönes Leben sein, wenn man immer wie in einer Verkleidung lebt.“

Wadne nickte und lächelte. „Das hast du sehr gut erkannt.“

Sie blieben bis zum Mittag im Wald. Wadne demonstrierte Neolyt, wie gut die Verbindung zwischen Einhorn und Reiter war, indem sie Aviom weit vorausschickte und ihm dann zielsicher folgte. Allerdings benötige eine solche Verbindung einige Zeit, bevor sie reife und am Anfang würde man nur wahrnehmen können, wie der andere sich fühle, wenn man ihn berühre, erklärte sie. Doch je länger die Verbindung währte und je mehr sich Reiter und Einhorn vertrauten, desto stärker würde sie werden.

Irgendwann schweifte das Gespräch ab und Wadne brachte Neolyt dazu, von ihrem Rudel zu erzählen, obwohl das bei ihr immer starkes Heimweh verursachte.

Nach diesem Tag setzten sie den Unterricht im Freien fort. Neolyt war Deor dankbar, dass er nicht darauf bestand, im Bau zu bleiben, denn der Wald tat ihr sehr gut.

Fast glaube ich es selbst, doch wie sollte das sein?

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