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«Moira, kannst du vorbeikommen? Kannst du jetzt vorbeikommen?» Die Stimme von Asim hatte einen drängenden Unterton. Dem war jedoch nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Bei Asim war es immer dringend. Ob es darum ging, mir ein paar honigsüsse Melonen vorzusetzen, einen seiner Angestellten aus dem Gefängnis zu holen oder Einsprache gegen eine Parkbusse zu erheben – ich sollte immer jetzt, sprich sofort, vorbeikommen.

Erstmal zog ich an meiner Zigarette und inhalierte den Rauch, so tief es nur ging. Leider stellt sich seit langem kein Tabak-Flash mehr ein; mein Körper ist zu sehr an das Nikotin gewohnt. «Was ist los?», fragte ich Asim, während ich den Rauch wieder ausstiess.

«Du rauchst», meinte Asim vorwurfsvoll.

«Na und? Du rauchst doch auch. Ich kann es hören.»

«Ich bin alt. Du bist jung. Du sollst leben, nicht sterben.»

«Asim, lass den Quatsch. Rufst du mich um Mitternacht an, um mich auf die Gefahren des Zigarettenkonsums aufmerksam zu machen? Das hätte auch bis morgen früh warten können.»

«Natürlich nicht. Natürlich rufe ich nicht deswegen an. Du musst vorbeikommen. Wir müssen reden.» Er zögerte. «Es geht um Mord.»

Asim und ich kennen uns schon lange, eine gefühlte Ewigkeit. Mit Anfang zwanzig war ich lebensmüde und deprimiert und derart pleite, dass sogar mein Zigarettenkonsum darunter gelitten hatte. Deprimiert bin ich noch immer oft. Angepisst von der Welt. Pleite nur noch sporadisch, wenn meine Mandanten kein Geld haben, um meine Rechnungen zu begleichen. Was aber auch nicht gerade selten vorkommt.

Auf jeden Fall hatte mich ein wohlmeinender Freund in Asims Restaurant, das angesagte «Alibaba», eingeladen. Ich turtelte – zum Ärger meines Begleiters – ein bisschen mit dem gut fünfzehn Jahre älteren Asim, und der Abend endete für mich unverhofft mit einem Nebenjob als Kellnerin bei Asim. Die Bezahlung war in Ordnung, der Chef ebenfalls, mein dringendstes Problem also gelöst. Meine Episode als Kellnerin dauerte zwar nicht allzu lange – ich konnte mich nicht überwinden, freundlich zu den Gästen zu sein – aber seither führen Asim und ich eine Art Freundschaft. Da war nie mehr. Keine Küsse, kein Sex. Anziehung ist zwar vorhanden, aber wir widerstehen ihr in stillschweigender Übereinkunft. Weshalb etwas Gutes gefährden? Selten bin ich so einsichtig wie in meiner Beziehung zu Asim. Uns verbindet die Schweigsamkeit. Asim und ich können die halbe Nacht zusammensitzen, zwei oder mehr Flaschen Rotwein leeren und eine Packung Zigaretten teilen. Eine rege Unterhaltung findet nicht statt. Von Asims Privatleben weiss ich nur, dass er zweimal geschieden ist und seit Jahren eine feste Freundin hat, eine Halbinderin namens Yasmina. Anscheinend gibt es in Pakistan auch einen erwachsenen leiblichen Sohn, zu dem er aber keinen Kontakt pflegt. Sowieso ist Asims Vergangenheit ziemlich undurchsichtig. Weshalb und auf welchen Wegen er vor über dreissig Jahren hierhergekommen ist – darüber schweigt er sich aus. Trotzdem vertraue ich Asim. Was ich sonst nicht von vielen Menschen behaupten kann. Wenn ich ein Problem habe, gehe ich zu Asim. Ein gravierendes Problem selbstredend. Mit Liebeskummer zum Beispiel muss ich ihm nicht kommen.

«Such dir einen Neuen», hat er mir auf meine Klage einmal geantwortet. «Du siehst gut aus. Wo ist das Problem?» Für solche Banalitäten hat er kein Verständnis. Aber bei Geldproblemen, Verzweiflung, wüsten Drohungen von Ex-Liebhabern ist er meine Anlaufstelle. Oder einfach nur um gemeinsam einen Abend lang ein paar Flaschen Wein zu trinken. Und seit ich als selbstständige Anwältin arbeite, versorgt Asim mich mit Mandanten aus seinem Umfeld. Mandanten, die meist nicht zahlungskräftig sind, dafür umso verzweifelter. Aber Mord, Mord war bisher nicht dabei.

«Was meinst du mit Mord?», fragte ich vorsichtig.

«Was ich mit Mord meine?», er klang irritiert. «Gibt es da mehrere Auslegungen? Mord, es geht um Mord. Ich brauche dich. Also beweg dich hierher.» Sein Akzent klang stärker durch als üblich; Asim musste ziemlich aufgeregt sein. Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er aufgelegt. Missmutig starrte ich den Hörer an. Ich hatte mir bereits meine üblichen abendlichen Gläser Wein genehmigt, also lag Auto fahren nicht drin. Entweder musste ich mich in den Fahrradsattel schwingen oder ein Taxi nehmen. Mürrisch wog ich die beiden gleichermassen unattraktiven Alternativen – mitternächtliche sportliche Betätigung oder zusätzliche Kosten – gegeneinander ab. Auch den Anruf einfach zu ignorieren erwog ich kurz, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Asim brauchte mich, das war etwas noch nie Dagewesenes. Das durfte ich nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Der Fall Maria Okeke

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