Читать книгу Der Fall Maria Okeke - Eva Ashinze - Страница 8

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Zurück in meiner Wohnung mochte ich nicht einmal mehr meine letzte rituelle Zigarette vor dem Schlafengehen rauchen. Ich sank auf meine Matratze und war sofort weg.

In dieser Nacht träumte ich von meinem Vater. Er sass auf einem Holzstuhl in einem Innenhof, dessen Mauern von Bougainvillea überwuchert waren. Sein ebenholzfarbenes Gesicht war nicht mehr aufgedunsen wie früher, sondern schmal und faltig. Er trug eine Agbada, ein weites Gewand mit folkloristischem Muster. Auf seiner Schulter sass ein bunter Vogel. Mein Vater schaute finster drein. Sein strenger Blick galt mir.

«Es gibt keine Zufälle», sagte er. «Es gibt nur Gelegenheiten, die zu ergreifen man zu dumm ist, und Zusammenhänge, die wir nicht sehen.» Seine Stimme war tiefer, als ich sie in Erinnerung hatte und sein Akzent stark. «Moira, ergreife diese Chance. Bald hast du keine mehr.» Der Vogel erhob sich krächzend von seiner Schulter und flog hoch in die Luft.

Ich wachte schweissgebadet auf. Draussen war es heller Tag. Nun übernahm mein Vater den Part des allwissenden Weisen in meinen Träumen. Verdammt. Mit mir ging es bergab. Im wirklichen Leben hatte er es nicht weiter gebracht als zum Trinker und Taugenichts. Ich hatte meinen Vater vor 24 Jahren zum letzten Mal gesehen. Er war abgehauen, als ich fünfzehn war. Meine kleine Schwester war dreizehn. Sie heisst Maria. Maria und Moira. Meine Mutter musste die Namen im Vollrausch ausgewählt haben. Oder sie waren eine subtile Strafe für unsere Existenz. Schwestern Vornamen zu geben, die sich nicht nur ähnlich anhören und schreiben, sondern auch den gleichen Ursprung haben – Moira ist die gälische Form von Maria – ist, gelinde gesagt, speziell.

Irgendwie kann ich meinem Vater im Nachhinein keinen Vorwurf mehr machen, dass er Leine zog. Das Leben mit meiner Mutter war die reinste Hölle. Meine Mutter ist Alkoholikerin. Seit ich denken kann, hält sie in der einen Hand ein Glas mit einer berauschenden Flüssigkeit – Wein, Whiskey, Gin, alles läuft ihr gleich gut die Kehle runter. Meine Mutter wollte immer jemand anderer sein, als sie tatsächlich war. Wir wollen alle jemand anderer sein. Und manchmal schaffen wir es, uns selbst davon zu überzeugen. Aber dieser Zustand ist nie von Dauer. Am Ende kommt unser wahres, gebrochenes, vernarbtes Ich zum Vorschein.

Meine Mutter konnte in beliebige Rollen schlüpfen – treusorgende Ehefrau, liebende Mutter, galante Gastgeberin. Doch wir alle wussten, dass sie die Rollen nur spielte, und es brauchte nicht viel und schon war sie wieder die verbitterte und missgünstige Egoistin, als die wir sie kannten. Ein Schluck Alkohol zu viel oder zu wenig, und wir alle mussten uns in Acht nehmen vor ihrer scharfen Zunge und ihrer harten Hand. Sie scheute auch nicht davor zurück, unseren Vater zu schlagen, wenn sie wieder einmal bitter enttäuscht war von ihm, vom Leben. «Niemals hätte ich einen Afrikaner heiraten dürfen!», schrie sie bei jedem Streit. «Der isst mit den Händen und schläft mit seinen Ziegen in derselben Hütte. Und arbeiten kann er auch nicht, Mr. Afrika. Sieh mal, wie fett er geworden ist vom Nichtstun.» Mein Vater liess die Attacken über sich ergehen und spülte mit Whiskey nach. Dass er unglücklich war, konnte ich akzeptieren. Aber dass er schwach war, dafür verachtete ich ihn.

Meine Mutter stammte aus einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater war ein vermögender Holländer, der sich in der Schweiz niedergelassen und eine Industriellentochter geheiratet hatte. Mutter verachtete alle, die ihr Geld verdienen mussten. Neben ihrem Vermögen hatte sie auch eine herrschaftliche Villa an der Seidenstrasse geerbt; da fand unser Familienleben statt. Noch heute lebt meine Mutter dort, wenn gleich das Haus mittlerweile sehr heruntergekommen ist. Sie war von dem von ihren Eltern vorgegeben Lebensweg nicht abgewichen, bis sie 22 Jahre alt war. Dann liess sie ihrer ganzen angestauten Rebellion freien Lauf und heiratete meinen Vater, einen Nigerianer, der sich zu Studienzwecken in London aufhielt, wo sie ihn während eines Sprachaufenthaltes kennengelernt hatte. Diese Liaison sollte meine Mutter später bitter bereuen. Sie gab meinem Vater die Schuld daran, dass sie nicht die Grande Dame der lokalen Gesellschaft war und auch sonst keine nennenswerten Erfolge vorweisen konnte.

Mein Vater arrangierte sich mit den Gegebenheiten, so gut er konnte. Im Gegenzug für ihre Gemeinheiten gab er ihr Geld mit vollen Händen aus und hatte eine Geliebte nach der andern. Glücklich war auch er nicht. Eine Tages hatte er genug, packte seine Koffer und verliess meine Mutter und mit ihr meine Schwester und mich und ging zurück nach Nigeria. Die ersten Monate nach seinem Verschwinden erhielt ich immer wieder Briefe von ihm, in denen er sich zu erklären versuchte. Ich machte sie nicht auf. Irgendwann hörten die Briefe auf, und ich hörte gar nichts mehr. Bis vor ein paar Jahren, da erhielt ich eine Postkarte mit seiner Telefonnummer darauf. Der Mobilemarkt hatte Afrika erreicht, Halleluja. Sonst stand da nichts. Nur die Nummer und sein Name. Ich rief natürlich nicht an. Es interessierte mich nicht. Er interessierte mich nicht. Mich interessierte nur, dass er uns mit Mutter alleine gelassen hatte. Ich wünschte mir jahrelang, er möge eines qualvollen Todes sterben. Mittlerweile habe ich mit ihm abgeschlossen. Ich verstehe, dass er gegangen ist. Aber ich verstehe bis heute nicht, dass er Maria und mich zurückgelassen hat. Das kann ich ihm nicht vergeben.

Drei Jahre, nachdem mein Vater uns verlassen hatte, verschwand meine kleine Schwester. Niemand sah Maria je wieder.

Der Fall Maria Okeke

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