Читать книгу Im Dunkeln lauert die Angst - Eva Breunig - Страница 17
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Daria kratzte sich nachdenklich an der Nase. Da hatte Leni ihr einen schönen Floh ins Ohr gesetzt! Stimmte es, dass er sie im Miracle Forest beobachtete? Vielleicht sogar schon seit längerer Zeit? War er womöglich gar Eldina, Mithras’ Gefährtin? Daria überlegte. Eldina hatte sich Mithras ungefragt angeschlossen, so viel stand fest. Sie war immer wieder »zufällig« dort aufgetaucht, wo Mithras gerade nach Abenteuern suchte. Irgendwann war ihre Anwesenheit fast selbstverständlich geworden. Mehr als einmal hatte sie Mithras das virtuelle Leben gerettet, ihn mit hilfreichen Tipps, wertvollen Informationen und notfalls auch Geld versorgt. Und – Daria zuckte innerlich zusammen, als ihr das einfiel – sie hatte Mithras schon mehrmals nach seiner »Real Life«-Existenz gefragt! »Bist du im RL ein Mann oder eine Frau?«, hatte Eldina wissen wollen. »Was machst du? Studierst du? Warum spielst du so oft Miracle Forest?« Und so weiter. Daria hatte die meisten Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, sich nichts dabei gedacht. Schließlich hatte sie nichts zu verbergen, oder? Aber jetzt, wo sie die Möglichkeit erkannte, dass ihr eigener Freund sie heimlich ausspionierte, war ihr das irgendwie unangenehm.
»Eldina …«, murmelte Daria vor sich hin. »Alle Buchstaben von ›Leni‹ sind in ›Eldina‹ enthalten. ›Eldina‹ ist ein Anagramm von ›Leni da‹ …?«
Nein – das sah ihrem Leni nicht ähnlich, mit subtilen Wortspielen versteckte Hinweise zu legen. Er war ein geradeaus gestrickter Naturwissenschaftler, kein Sprachwissenschaftler. Auch kein Geheimagent oder Anhänger von Verschwörungstheorien. Sicher war diese Buchstabengleichheit ein Zufall!
Daria betrachtete Eldina, die unschlüssig in der Dämmerung im Sumpf auf ihrem Bildschirm herumstand und anscheinend darauf wartete, dass Mithras irgendwas tat. Eldina war ein Leprechaun, also ein Kobold, der aus der irischen Feenwelt stammte: klein, rothaarig, sommersprossig, mit einem grasgrünen Wams und ebensolchen Hosen bekleidet. Nur ihr Umhang war rot (und biss sich farblich mit ihren Haaren), denn die Umhangfarbe zeigte das jeweilige Level des Spielers an. Würde Leni sich ausgerechnet einen Leprechaun als Spielfigur aussuchen? Einen irischen Kobold? Da musste Daria eher an Kieran denken, der nicht nur auch im »Real Life« rothaarig war, sondern außerdem eine irische oder schottische Mutter hatte.
Aber dass Kieran sie bespitzelte, das erschien ihr doch äußerst unwahrscheinlich. Warum sollte er? Außerdem war er ein frommer Junge, er würde so was nicht machen. Daria seufzte. Dieses Grübeln verdarb ihr fast schon den Spaß am Spiel!
Über Eldinas Kopf erschien eine Sprechblase. »Was ist? Willst du hier mitten im Sumpf stehen bleiben? Es wird bald dunkel!«
Von Ferne war ein Geheul wie von Wölfen zu hören.
»Du hast recht. Gehen wir!« Mithras setzte vorsichtig einen Fuß auf das nächste Grasbüschel. Fester Boden. Er verlagerte sein Gewicht und zog den zweiten Fuß nach.
»Lass mich vorangehen«, schlug Eldina vor. »Ich bin leichter!«
Mithras ließ sie vor. Eine Zeit lang wanderten sie schweigend durch die nebelige Sumpflandschaft. Schließlich fasste Daria sich ein Herz.
»Sag mal, was machst du eigentlich so im RL?«, fragte Mithras.
Es dauerte ein paar Sekunden, ehe Eldina antwortete. »Studieren.«
»Und was?«
Eldina zögerte. »Englisch und Geschichte, Lehramt«, kam dann.
»Bist du ein Mädchen?«, wagte Mithras-Daria sich weiter vor.
»Natürlich! Sieht man doch!« Eldina schüttelte ihre roten Leprechaun-Locken.
»Ich meine, im RL.«
»Ja, auch, klar.«
Das kann wahr sein oder von vorn bis hinten erfunden. Ich habe nicht den Hauch einer Möglichkeit, das rauszufinden!
»Warum spielst du so oft Miracle Forest?«, fragte Mithras, um mehr über seine Mitspielerin (falls es wirklich eine »sie« war) zu erfahren.
»Macht Spaß!«
»Ich meine: Was treibt dich an? Lust auf Abenteuer? Willst du neue Gebiete erforschen? Möglichst viele Fähigkeiten erwerben? Das höchste Level erreichen? Was ist deine Motivation?«
»Rache.« Diesmal kam die Antwort schnell.
Rache? Die spielt aus Rache ein Computerspiel???
»Rache wofür?«
Diesmal dauerte es ein bisschen mit der Antwort.
»Meine Schwester Ruala wurde von heimtückischen Halblingen oder Gnomen angegriffen, obwohl sie wehrlos war, und schwer verletzt. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Übeltäter zu finden und ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten!«
Mensch, wie sehr kann man sich eigentlich in so ein Spiel reinsteigern? Ob die Person, die hinter »Eldina« steckt, die Grenze zwischen Realität und Spiel wohl noch erkennt?!
»Ich meinte eigentlich im RL!«, präzisierte Mithras-Daria. »Was motiviert dich, gerade dieses Spiel zu spielen?«
Eldina zögerte. »Spaß – Entspannung – Neugier«, sagte sie schließlich. »Und du? Warum spielst du?«
»Weißt du doch! Erstens weil ich eine Seminararbeit darüber schreibe, und zweitens als Ideenbringer für Pfadi-Geländespiele.«
»Ah, die Geländespiele … Planst du schon wieder eins?«
»Ja, fürs Pfingstlager.«
»Welches Thema?«
»Vielleicht was mit Umwelt. Die Leprechauns müssen den Wald vor der Abholzung retten oder so.«
»Richtig – du und deine Schwester, ihr habt ja immer so ›pädagogisch wertvolle‹ Themen!«, bemerkte Eldina.
Daria zuckte zusammen. Du und deine Schwester? Woher wusste Eldina, dass sie eine Schwester hatte?! Hatte sie das mal erwähnt? Sie konnte sich nicht daran erinnern, aber vielleicht hatte sie es bloß vergessen … Eldinas letzte Meldung verunsicherte sie. Wenn Leni hinter Eldina steckte, dann wusste er natürlich von Miriam. Allerdings würde zum Beispiel Kieran es auch wissen, falls er Eldinas Player war. Oder wer …?
Machte sich jemand in Eldinas Koboldgestalt bewusst an Daria heran, um sie zu stalken, zu bespitzeln, auszuhorchen?
Aber wer kannte denn überhaupt ihren Spielernamen?
Leni natürlich, dem hatte sie ihn verraten.
Und jeder andere, dem Leni es weitererzählt hatte.
Der Gedanke war unheimlich – auch wenn Daria sich beim besten Willen keinen Grund denken konnte, warum jemand versuchen sollte, sie auszuspionieren!
Außer … Na ja, vielleicht wollte Leni sie unerkannt ausfragen, was sie wirklich über ihn dachte, ob sie ihm treu war oder dergleichen …?
Das war aber doch wirklich kindisch! Nein, das traute sie ihm nicht zu!
Oder doch …?
Sie nahm sich vor, keinesfalls irgendwas Abfälliges über ihren Freund zu Eldina zu sagen. Nur so zur Sicherheit.
Aber saublöd war das Ganze doch. Sie hatte jetzt eigentlich gar keine Lust mehr weiterzuspielen. Allerdings wollte sie nicht, dass Eldina – wer auch immer nun dahintersteckte – Verdacht schöpfte; und außerdem konnte sie ihren Mithras nicht mitten im Sumpf stehen lassen, während es Abend wurde. Wenn sie jetzt offline ging, würde er die Nacht nicht überleben – und das wäre dann doch schade! Wo er doch bereits Level Orange erreicht hatte …