Читать книгу Im Dunkeln lauert die Angst - Eva Breunig - Страница 7
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Zwei Straßen weiter saß Max Lenauer, genannt Leni, in einem barocken Lehnstuhl mitten auf dem Gehsteig. Das trug ihm erstaunte Blicke der Passanten ein, denn auch wenn am heutigen Tag manch seltsam verkleidete Gestalt umherzog, so hatte doch kein anderer seine Möbel dabei! Fröstelnd zog Leni seinen roten Umhang fester um die Schultern. Die Wölfe hatten es gut, die durften dicke Mäntel tragen! Der Gehrock aus rotem, golddurchwirktem Brokat und die weiße Rüschenbluse wärmten nicht wirklich, obwohl er ein T-Shirt darunter trug. Vervollständigt wurde sein Outfit durch eine Kniebundhose, weiße Strümpfe und Schuhe mit goldenen Spangen, die er in der Verkleidungskiste des Pfadfinderheimes gefunden hatte. Lenis strohblonde Haare waren zu zwei spitzen Ohren hochgebürstet und mit schwarzen Streifen aus Faschingshaarspray durchsetzt. Gelb-schwarz geschminkte Streifen im Gesicht und lange, aufgeklebte Schnurrbarthaare machten vollends klar, dass es sich hier um Graf Schnurro von Fangzahn, das Oberhaupt der Tigersippe, handelte.
Die Kinder wagten sich erst näher, als jeder ein Büschel Katzenminze in der ausgestreckten Hand vor sich hertrug. Leni drückte sich ins entfernteste Eck seines Thronsessels und hob ihnen abwehrend die Handflächen entgegen.
»Was wollt ihr denn mit dem Gemüse?«, fragte er herablassend in näselndem Tonfall. »Keine Sorge, ich fresse euch schon nicht! Ich hatte gerade eine kleine Antilope zum Abendessen. Ich bin satt!« Wie um sich selbst Lügen zu strafen, leckte er sich die Lippen und ließ dabei ein Paar spitze Reißzähne sehen. Die Kinder quiekten. Leni setzte noch ein blutrünstiges Grinsen drauf. »Und was wollt ihr?«, fuhr er fort. »Wartet – lasst mich raten: Cousine Samtpfote hat mal wieder einen Elefanten mit zu hohen Cholesterinwerten gebissen, und jetzt ist ihr übel? Muahaha!« Das hinterhältige Gelächter hatte er zu Hause vor dem Spiegel geübt.
»Nein!«, kicherten die Kinder.
»Wir wollen, dass ihr mit den Wölfen Frieden schließt!«, stieß Emil hervor.
»Waaas?« Leni sprang auf die Sitzfläche des Stuhles, richtete sich zu voller Größe auf, wobei er darauf achtete, dass sein Umhang majestätisch um ihn wallte, und donnerte: »Niemals! Wölfe sind primitive, verachtenswerte Kreaturen ohne jede Lebensart!«
»Aber es gibt eine Tigerin, die sich in einen Wolf verliebt hat«, wandte Sandra ein.
»Eine schlimme Verirrung!«, dröhnte Graf von Fangzahn. »Noch nie haben wir edlen Tiger uns mit diesen stinkenden Hunden verbrüdert! Sie sind roh und animalisch! Haben keine Manieren und keinen Stil! Wie die schon angezogen sind, in ihren vergammelten Fellmänteln! Und potthässlich sind sie noch dazu. Da könnte meine Nichte Catzerina ja noch lieber eine Kakerlake nehmen!«
»Hast du denn schon mal mit einem Wolf geredet? Vielleicht sind sie nett und klug!«, schlug Antonia hoffnungsvoll vor.
»Geredet?! Das wäre ja noch schöner! Mit so einem dreckigen Köter spricht ein Graf von Fangzahn doch nicht! Wo kämen wir denn da hin?!«
»Und wie willst du dann jemals wissen, ob sie nett sind?«, fragte Lukas frech.
»Will ich ja gar nicht!«, bemerkte Leni hoheitsvoll und setzte sich wieder. »Und jetzt verschwindet und nehmt euer Gemüse gefälligst mit! Wirklich ein Glück, dass ihr wenigstens keine Knoblauchschokolade mitgebracht habt! Die ist so lecker … Von der werden wir Tiger ganz schwach im Kopf … Womöglich würde uns die so verwirren, dass wir doch noch auf euren unverschämten Wunsch eingehen würden. Und das darf nie geschehen!«
Die Kinder sahen einander an. Knoblauchschokolade – das war ihr Stichwort!
»Wiedersehen, Herr Graf!«
»Nichts da, Wiedersehen«, fauchte Leni und fletschte die Reißzähne. »Denkt dran – das nächste Mal könnte ich hungrig sein!«