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Die Versammlung

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London, 07. August

Arthur Kruger stand hinter der Bar und beobachtete seine Bedienung dabei, wie sie die Snackkarten und Bierdeckelständer auf den Tischen auffüllte. Das Great Puppy lag in einem der Hinterhöfe von West End. Zwei Jahre hatte Arthur liebevolle Handarbeit in die Räumlichkeiten gesteckt und mit viel Geschick das rustikale Flair eines Kellergewölbes geschaffen. Nach weiteren drei Jahren, kurz bevor ihm das Ersparte ausging, war die Rockerbar zu einem absoluten Insidertipp geworden. Eigentlich wollte er nie mehr verdienen, als das, was er zum Leben brauchte. Arthur selbst hatte keine großen Ansprüche. Das kleine Zweizimmerapartment über dem Great Puppy und eine Harley Davidson vor der Tür. Mehr brauchte und wollte er auch nicht. Das meiste, was er darüber hinaus verdiente, steckte er in, wie er es nannte, kleine Details, mit denen er seiner Bar immer wieder einen besonderen Schliff verlieh. So veranstaltete er zum Beispiel einmal im Monat einen Actionabend, an welchem sich seine Gäste mit Bier und filmreifen Schlägereien vollkommen ihrem Adrenalinrausch hingeben konnten. Das Mobiliar an diesem Abend war nur leicht gedübelt, aber nicht geleimt, es gab Bierflaschen aus Zuckerglas und alle möglichen anderen Requisiten, die für die richtige Stimmung sorgten, ohne dass es zu Polizei- und Rettungsdiensteinsätzen kommen musste. Zweimal in der Woche Livemusik, wobei die Kneipe gerade bei den Auftritten von Destruction Crape aus allen Nähten zu platzen drohte.

„Sie war da!“ Bjorns aufgeregte Stimme riss ihn aus den Gedanken. Arthur hob den Blick und musterte das entschlossene Gesicht seines selbsternannten Ziehsohnes.

“Wer?“

“Mrs. Jones. Und da ist noch mehr“, platzte aus dem Gitarristen heraus. „Ich habe beim Sozi angerufen, und jetzt halt dich fest. Sie ist schon seit zwölf Tagen verschwunden.“

Arthur atmete tief durch und zuckte mit den Schultern. „Dann hat sie wohl einfach nur durchgedreht. Würde ich auch, bei ihrem Job.“ Er grinste breit. „Siehste, hättest du dir die Haare abgeschnitten und dich beworben, wie sie es wollte …“

Bjorn blitzte den Biker wütend an. „Das ist nicht lustig!“

Arthur wurde wieder ernst. „Nein, natürlich nicht. Aber ich weiß nicht, wieso dich das so aufregt. Wahrscheinlich ist sie auf dich losgegangen, du hast dir den Kopf angestoßen und warst k.o. Die Dame hat sicher Schiss bekommen und ist abgehauen.“

Bjorn schüttelte entschlossen den Kopf. „Sie wollte mich umbringen.“ Er überlegte, ob er dem Altrocker nicht die ganze Geschichte erzählen sollte, doch die Gefahr, dass sein Mentor ihn eventuell für völlig irre halten würde, war ihm doch zu groß.

“Ich glaube, die Jungs warten auf dich“, lächelte Arthur versöhnlich und wies mit einem Kopfnicken zur Bühne, wo die Band mit dem Aufbau begonnen hatte.


*


Als Destruction Crape zwei Stunden später die winzige Bühne betrat, die aus einigen leeren Bierfässern und Brettern bestand, wurden sie mit begeisterten Rufen empfangen, und Bjorn griff voller Leidenschaft in die Saiten. Arthur lächelte, während er mit einem leicht entrückt wirkenden Blick das Geschehen um sich herum beobachtete. Am Ende des Abends würden alle kraftlos nach Hause gehen. Alle … bis auf einen. Er lehnte sich an das Regal hinter seiner Bar und lauschte andächtig der Musik, die ihm von längst vergessenen Zeiten erzählte und sehnsüchtige Erinnerungen weckte.

„Er ist wirklich gut“, riss ihn eine rauchige Frauenstimme aus seinen Träumen.

„Vivien“, Arthur wandte sich lächelnd um. „Ich hätte nicht gedacht, dass du heute auftauchst.“

„Hatte ich auch nicht vor.“ Die schlanke Frau mit den kurzen dunklen Haaren zog einen großen Umschlag aus ihrer Handtasche und schob ihn über den Tresen.

Arthur warf einen kurzen Blick auf den Absender und nickte.

„Wird höchste Zeit.“

„Ich hoffe, du kannst ihn überzeugen. Das würde einiges für uns erleichtern. Und für ihn auch.“

Arthur nickte nachdenklich. „Er ist nicht der Mann, der es leichter haben will“, murmelte er.

„Junge“, widersprach Vivien.

„Ein Mann ohne Erinnerung an seine Lebenserfahrung“, entgegnete er. „Jedenfalls noch.“

Vivien ließ ihren Blick durch den Schankraum schweifen, beobachtete die blassen Gesichter der grölenden Menge und runzelte die Stirn. Auch der Band sah man mittlerweile eine gewisse Müdigkeit an, außer Bjorn, der jetzt erst richtig loszulegen schien.

„Der Sog ist unglaublich“, murmelte Vivien.

„Ich sagte doch: Er ist alt.“

Sie nickte nachdenklich und nippte an dem Whisky, der ihr von Arthur gereicht wurde.

Er bringt uns übrigens noch einen vierten.“

„Wer?“

„Von Falkenberg.“

Arthur runzelte die Stirn. „Seit wann interessiert sich der Snob für die Dormitoren?“

Vivien warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie den Rest des Glases hinunterstürzte und etwas zu laut auf dem Tresen abstellte.„Keine Ahnung. Aber irgendwas ist da im Busch. Jedenfalls trifft er sich immer häufiger mit Ernest.“

„Vielleicht begibt er sich doch endlich mal unters niedere Volk.“ Arthur gab sich nicht die geringste Mühe, den Spott in seiner Stimme zu verbergen.

Vivien lächelte. „Das wird sich wohl nie legen.“

Er schielte sie über den Rand seines Whiskyglases an. „Was?“

“Der Streit zwischen euch.“

„Er ist ein arroganter Arsch“, murrte Arthur.

Vivien hatte keine Lust, sich auf diese endlose Diskussion einzulassen. Statt zu antworten schulterte sie ihre Tasche und schob den Umschlag noch ein Stück weiter über die Theke.

„Ach so, du weißt es vielleicht noch nicht, aber Ernest besteht auf ein Treffen.“

„Wann?“

„Morgen Abend. Viel Glück mit dem Jungen, Arthur.“

Er griff über die Theke und hielt sie am Arm fest. „Ich muss dich noch um einen kleinen Gefallen bitten, Viv.“ Seine freie Hand holte unter der Theke einen Gegenstand hervor, der in ein fleckiges Küchentuch eingeschlagen war. „Könntest du das hier für mich zum Gut bringen? Vielleicht kann unser Nachtvogel was damit anfangen.“

Vivien nahm es entgegen. „Was ist das?“

“Bjorns Küchenmesser.“

Sie nickte und ließ das Handtuchpaket in ihrer Tasche verschwinden. Arthur zwinkerte ihr zum Abschied noch einmal freundschaftlich zu, bevor er den Umschlag an sich nahm und mit ihm in einem kleinen, spärlich eingerichteten, staubigen Raum verschwand, welchen er als sein Büro bezeichnete.


London, 08. August

Bjorn tigerte durch sein kleines Apartment und kaute nachdenklich an einem Bleistiftstummel. Er hatte wieder intensiv geträumt, wie so oft nach erfolgreichen Auftritten, und war genauso enthusiastisch aufgewacht, wie er eingeschlafen war. Was ihn zum Schreiben weiterer Songtexte anregte, war eine merkwürdige Mischung aus Adrenalinrausch und dem, was er später als innigste Liebe erkennen würde. Bjorn war süchtig. Süchtig nach jener Musik, die ihm ein Gefühl gab, welches er andernorts bisher nie gefunden hatte. Das Gefühl, zu Hause zu sein.

Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken und löschte damit jene Zeile des Textes in ihm aus, an welcher er gerade noch zwanghaft festgehangen war, noch bevor er sie zu Papier bringen konnte. Bjorn fluchte leise in sich hinein und betätigte den Knopf der Sprechanlage.

„Ja?!“, blökte er erbost.

„Ich bin‘s“, hörte er die Stimme von Arthur Kruger, und seine Wut war genauso schnell erloschen, wie sie entfacht worden war. Er drückte den Knopf und ein ächzendes Knirschen verriet ihm, dass Arthur die marode Eingangstür aufgestemmt hatte. Einen kurzen Augenblick versuchte er, seine vorherigen Gedanken zu rekonstruieren, bevor er den Bleistiftstummel zwischen den bunte Haufen aus benutztem Geschirr, Zigarettenkippen, leeren Bierflaschen und Notizen warf, der sich auf dem Küchentisch angesammelt hatte, und die Apartmenttür öffnete.

Es dauerte einige Augenblicke, bevor die muskulöse Gestalt Arthurs auf der Treppe auftauchte.

„Morgen“, begrüßte ihn Bjorn freudig und trat ein Stück zur Seite, um seinen Gast einzulassen.

„Na, Kleiner“, murmelte Arthur, während er den Jungen im Vorbeigehen mit leichtem, fast väterlichem Druck am Oberarm berührte.

„Kaffee oder Bier?“

„Kaffee!“ Arthur hob abwehrend die Hände. „Kaffee reicht, um die Uhrzeit.“

Bjorn suchte zwischen den Müllbergen auf der Küchenablage seine einzige Tasse und spülte sie aus.

Arthur räumte einige schmutzige Klamotten vom Sitz des einzigen, doch sehr wackligen Stuhls am Küchentisch beiseite und setzte sich.

„Sorry, hab nicht mit Besuch gerechnet“, murmelte Bjorn etwas zu hektisch und füllte den Wasserkocher auf.

„Kein Problem. Hat sich ja nicht viel verändert seit dem letzten Mal“, lächelte Arthur. Dass Bjorn durch seine Anwesenheit verlegen wurde, war ein gutes Zeichen.

„Ist Instantkaffee okay? Ich hab keine Maschine.“

Arthur machte eine beruhigende Geste. „Um sechs Uhr morgens trink ich alles, was Koffein enthält.“

„Ich hab weder Milch noch Zucker.“

„Bist ja auch kein Weichei“, brummte sein Überraschungsbesuch und schob einige Zigaretten­stummel beiseite, die immer wieder von dem Berg, welcher den Aschenbecher unter sich begraben hatte, herunterrollten.

Bjorn stellte die Tasse vor ihm ab und griff nach dem obersten Blatt seiner Notizen.

„Ist noch nicht fertig“, murmelte er und nahm es mit auf die verzweifelte Suche nach einem Löffel.

Arthur zog ein Taschenmesser hervor und rührte damit seinen Kaffee um, bis sich das Instantpulver vollends aufgelöst hatte. Bjorn wurde endlich fündig, warf den Löffel jedoch achtlos in die Spüle, als er das Messer bemerkte.

Der junge Musiker überlegte kurz, griff schließlich nach seinem einzigen übrigen Trinkgefäß, einem Bierkrug mit angetrockneten Schaumresten, spülte ihn kurz aus und rührte sich darin selbst einen Kaffee an.

„Ich habe noch einiges aus meinen alten Beständen im Keller“, murmelte Arthur, während er seinen kochend heißen Kaffee schlürfte. „Tassen, Gläser, ein paar Stühle und so'n Zeug. Wenn du willst, kannst du dich da mal umschauen.“

Bjorn schlürfte leicht angewidert an dem viel zu bitteren Gesöff, welches dennoch den Beigeschmack von altem Bier und schlecht abgespülter Seife nicht übertünchen konnte, und zuckte mit den Schultern.

„Wenn du’s wirklich nicht mehr brauchst, gerne“, erwiderte er und griff nach dem Tabak, den er auf dem Kühlschrank abgelegt hatte. „Aber deswegen bist du nicht hier, oder?“

„Nein, deswegen nicht“, lächelte Arthur und zog einen großen, leicht zerknitterten Umschlag aus dem Innenfutter seiner Lederjacke.

Bjorn zog die Stirn in Falten. „Was ist das?“

„Sieh es dir an.“

Bjorn schob sich die inzwischen fertig gedrehte Zigarette in den Mundwinkel, nahm den Umschlag entgegen und zog die rechte Augenbraue nach oben, als er den Absender las.

„St. George, Secondaryschool?“ Er blickte Arthur zweifelnd an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Mein voller Ernst“, erwiderte Arthur ohne eine Miene zu verziehen. „Na los, mach auf.“

Bjorn öffnete den Umschlag und hielt einen Stapel von Informationsmaterial in den Händen, zusammen mit einem Brief, der ihm die Aufnahme aufgrund eines Schreibens bestätigte, welches er selbst nie abgeschickt hatte.

„Nicht unbedingt die beste Schule, aber du könntest dort deinen Abschluss nachholen. Und es sind da noch ein paar andere in deiner Altersklasse, die Nachholbedarf haben und angenommen wurden.“

„Na toll“, Bjorn warf erbost die Unterlagen auf die Küchenablage. „Ich wäre also nicht der einzige Volldepp.“

„Wenn ich das glauben würde, wäre ich nicht hier.“

„Und was soll ich damit? Ich bin Musiker, verdammt!“ Es war das erste Mal, seit er den hartgesottenen Altrocker kannte, dass er sich nicht verstanden fühlte. Schlimmer noch. Arthur hatte ihn einfach ohne zu fragen angemeldet. Bjorn fühlte sich hintergangen!

„Genau deswegen“, erwiderte Arthur ruhig. „Du hast ein unglaubliches Talent, Junge. Aber für manche Dinge reicht das allein nicht aus.“

„Was meinst du damit?“, patzte Bjorn zurück.

„Dass es in der Musikbranche nur so von Arschlöchern wimmelt, die clever genug sind, um dein Talent in Gold zu verwandeln und dich wie eine Kuh zu melken.“ Arthur stand auf, griff nach den Unterlagen und drückte sie Bjorn unsanft vor die Brust. „Das hier ist dein Schlüssel zur Unabhängigkeit. Denk also darüber nach, welche Art von Musiker du sein möchtest. Einer, der auf alle anderen scheißen kann, oder eine missbrauchte Hure, die irgendwann auf den Müll geschmissen wird.“

Mit diesen Worten verschwand er ohne sich zu verabschieden und ließ Bjorn grübelnd in seinem Apartment zurück.


*


In stimmungsvoll gedämmtem Licht saß Ernest Bernstein am Abend in seinem alten Ohrensessel im Wohnzimmer seines Hauses, vollkommen in die melodiösen Worte Shakespeares vertieft. Er liebte den alten Meister, dessen Stücke so voller Leidenschaft schicksalhafte Ereignisse erzählten. Geschichten, in denen der Triumph des Guten mit dem tragischen Tod der Helden einherging.

„Und wessen Worte haben dich dieses Mal daran gehindert, mich zu begrüßen?“

Ernest ließ das Buch auf seinen Schoß sinken und sah auf. Nathaniel lehnte mit verschränkten Armen am Kaminsims und lächelte geduldig.

„Shakespeare, König Lear“, antwortete er andächtig

„Ah … Halt, was du verheißt – Verschweig, was du weißt – Hab mehr, als du leihst...“

„Du hast es gelesen?“

„Gesehen.“

„In meinen Augen seine beste Tragödie.“

„Die größte Tragödie ist die Schwäche des Königs.“

„Er ist nicht schwach, Nathaniel. Nur ein alter Mann, der geliebt werden möchte.“

„Macht und Liebe passen nun mal nicht gut zusammen.“

„Wie konnte ich nur annehmen, dass du das verstehst?“, schmunzelte Ernest.

Nathaniel verzog den Mundwinkel und blickte zu der großen Standuhr, die hinter Ernest mit schwerfälligem Pendel auf neun Uhr zuächzte.

„Ist es wahr, was ich gehört habe?“, fragte er leise, ohne seinen Blick von der Uhr zu wenden.

Ernest musterte ihn neugierig. „Was hast du denn gehört?“

“Einer der Dormitoren wurde von einem Schemen angegriffen?“

Der Buchhändler nickte und griff nach Pfeife und Tabak.

„Beunruhigend“, murmelte Nathaniel und Ernest stimmte durch ein erneutes Nicken zu, während er alte Tabakreste aus der Pfeife kratzte und sie über dem Aschenbecher ausklopfte. „Offensichtlich wird die Sphäre immer dünner. Das ist jetzt schon der sechste Angriff dieser Art.“

Von Falkenberg sah Ernest erstaunt an. „Der sechste?“

“In Deutschland und in Kanada gab es ähnliche Phänomene. Aber das war das erste Mal, dass sie auf einen Dormitoren los sind.“ Ernest sog an seiner Pfeife.

„Man könnte fast meinen, dass der Astralraum aus allen Nähten bricht“, warf Vivien ein, die gerade in der Tür auftauchte und die letzten Fetzen des Gesprächs mit angehört hatte.

Nathaniel begrüßte sie mit einem respektvollen Nicken.

“Was ist mit Arthur?“, wollte Ernest von ihr wissen.

“Ist auf dem Weg hierher“, entgegnete sie.

Eine halbe Stunde später waren endlich alle im Wohnzimmer versammelt, und Arthur berichtete von seinem Besuch bei Bjorn.

„Und was ist, wenn er sich dagegen entscheidet?“, fragte Vivien, als er geendet hatte.

„Das wird er nicht, glaub mir.“

„Gut.“ Ernest goss sich einen Tee ein und stellte die Kanne zurück auf den Tisch. „Dann haben wir sie ja zusammen. Albert wird sich darum kümmern, dass die beiden in der Klasse irgendwie zusammenfinden, und Vivien sorgt für die Annährung. Fehlt nur noch der Dormitor, den Nathaniel aufgespürt hat.“

„Ich werde ihn in wenigen Tagen abholen“, erwiderte Nathaniel.

„Darf ich mal fragen, seit wann du dich um Dormitoren kümmerst?“ Arthur warf Nathaniel einen heraus­fordernden Blick zu.

„Nur, wenn ich der Meinung bin, dass es sich um jemand Besonderes handelt.“

„Erzähl mir keinen Scheiß. Wenn es tatsächlich so wäre, hätte sich deine Aufmerksamkeit wohl eher auf Bjorn gerichtet.“

Von Falkenberg linste mit einem leicht spöttischen Lächeln zu Arthur hinüber. „Nur weil er irgendwann einmal ein dreckiger kleiner Häuptlingssohn aus einem Volk war, dessen Name sich unter anderem durch ihre Trinkgefäße verbreitete?“

„Was willst du damit sagen?!“

„Du redest wie ein Greis, der versucht, durch seine Enkel seine eigene ruhmreiche Jugend zurück zu holen“, erklärte Nathaniel. „Es ist nun mal nicht jeder, der in irgendeiner längst vergessenen Inkarnation zu den Nordmännern gehörte, in diesem Leben zu großen Taten bestimmt. Und um dir diese Tatsache einmal deutlich vor Augen zu führen, fällst du mir als bestes Beispiel ein.“

Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, die das stolze Feuer vergangener Zeiten brauchte, um Arthur auf die Beine zu bringen und Nathaniel den Kaffeetisch mit einem wütenden Brüllen entgegen zu schleudern. Der Bruchteil einer Sekunde, der für Ernest und Vivien vollkommen ausreichte, ihren Tee aus der Gefahrenzone zu retten.

Mit einer schlichten Geste ließ Nathaniel den Tisch in der Luft zerbersten, noch bevor er ihn erreichte. Durch die Splitterwolke hindurch schnellte Arthur ihm entgegen und packte ihn an der Gurgel.

„Das hätte ich schon viel früher tun sollen“, grollte er und drückte mit eisernem Griff zu. Doch das Lächeln Nathaniels wollte nicht verschwinden. Stattdessen schlängelten sich in dessen Augen pechschwarze hauchdünne Gebilde. Arthurs Geist verlor sich in einer immer dichter werdenden Finsternis. Jeder Muskel in seinem Körper erschlaffte, bis er kraftlos zu Boden sank. Er röchelte leise, während sich die Wirkung langsam auf seine inneren Organe ausbreitete und selbst Lungen und Herz ihren Dienst zu versagen drohten.

„Nathaniel!“ Ernest warf ihm einen scharfen Blick zu.

„Wenn du meinst“, murmelte er. Die Schwärze verschwand aus dessen Augen, und gab die Energien des Altrockers wieder frei.

Arthur atmete tief durch, bevor er überhaupt versuchte, sich wieder auf die Füße zu stellen.

„Ich denke, dieses Treffen ist damit beendet“, erklärte Ernest, „und von dir erwarte ich morgen einen neuen Tisch, Arthur.“


Von Falkenbergs Limousine parkte gegenüber dem Haus. Sein Chauffeur hatte es sich auf der Motorhaube bequem gemacht und die Mütze weit ins Gesicht gezogen. Als sich sein Arbeitgeber nährte, sprang er sofort auf und deutete mit zwei Fingern ein militärisches Salut an.

„Nathaniel!“ Vivien eilte hinter ihm her.

Von Falkenberg hielt inne. „Ja?“

„Wegen Arthur …“

„Was ist mit ihm?“

„Er ist nur so bissig, weil er dir nicht traut.“

„Das ist sein Problem.“

„Kannst du nicht einfach mal mit ihm reden? Ich meine, ohne ihn gleich zu beleidigen.“

Nathaniel wandte sich um und lächelte verächtlich. „Und dann was? Soll ich dem Hund einen Knochen schenken, damit er mit dem Schwanz wedelt, wenn er mich sieht?“

Vivien öffnete den Mund, fand jedoch keine Worte.

„Einen schönen Abend, Vivien.“

„Aber …“

Der Chauffeur ließ Nathaniel einsteigen, ohne sich seine Mütze endlich aus dem Gesicht zu ziehen.

„Er wird irgendwann vergessen, dass ihr auf derselben Seite kämpft!“, rief sie ihm beinahe flehentlich hinterher.

„Wenn es soweit ist, werde ich ihn nicht vermissen“, gab Nathaniel zurück, bevor der Fahrer die Wagentür auf sein Zeichen hin schloss und seinerseits einstieg.


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