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1077 Ein König muss büßen: Heinrich IV. geht nach Canossa

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Annus glatialis – zwei magere lateinische Worte: ein eisiges Jahr. Das ist die Bilanz des Chronisten der Benediktinerabtei Notre-Dame in Mouzon für die zwölf Monate des Jahres 1077. Aber wenn man die Quellen befragt, braucht es kaum mehr als diese sparsame Formulierung, um eine Vorstellung von der unbarmherzigen Kälte zu bekommen, die vom Spätherbst 1076 bis zum Frühling 1077 das Leben und die Natur zum Stillstand zwang – manches Mal für immer. Ein außergewöhnlich kalter Winter hatte weite Teile Europas fünf Monate lang in seinem Klammergriff und konnte nahezu ungehindert seinem zerstörerischen Werk nachgehen. Die armseligen Hütten der Bauern boten dem Frost keinerlei Widerstand, und selbst die meterdicken Steinmauern von Klöstern und Burgen, die hölzernen Fensterläden, die wollenen Wandbehänge und das dick auf dem Boden eingestreute Stroh konnten die durch alle Ritzen kriechende Kälte nicht abwehren. Armut und Entbehrungen, ein Leben von der Hand in den Mund, das war für die meisten Menschen des Mittelalters die tägliche Realität. Aber diese bedrohlichen, lebensfeindlichen Temperaturen brachten Krankheiten, Hunger und Tod nicht nur, solange sie andauerten, sondern auch in den Monaten danach, wenn zur bitteren Gewissheit geworden war, dass die erfrorene Saat niemanden satt machen würde.

Die Not und das Elend dieser endlosen Wochen hatten den Schreiber des Klosters bei Reims also förmlich sprachlos gemacht. Die Ältesten unter seinen Mitbrüdern konnten sich vielleicht noch an vergleichbare Wetterextreme erinnern: Vierzig Jahre zuvor, im Jahr 1036, soll der Winter so hart gewesen sein, dass die Bäume vertrockneten und die Aussaat abstarb. Nur sechs Jahre später hatte sich der Frost fast drei Monate in die Erde und das Wasser eingenistet, hatte das Eis mannsdick anwachsen lassen, sodass man in den Nürnberger Mühlen kein Getreide mehr mahlen konnte. Nur kurz hatte das Klima den Menschen eine Atempause gegönnt, bevor 1044 wieder ein harter Winter folgte, der die Reben erfrieren ließ, die Aussaat zerstörte und in der Folge eine bittere Hungersnot brachte. Im Jahr 1047 war es erneut sehr kalt, der Schnee soll in Nordengland Häuser und Hütten bis zu den Dächern bedeckt haben, wie die Annalen des Klosters in Durham berichteten. Fast dreißig Jahre lang waren schließlich moderate Jahreszeiten aufeinandergefolgt, bis die zum Jahreswechsel 1074/75 einsetzenden Minusgrade die Flüsse bis auf den Grund frieren ließen und eine Ahnung von dem vermittelten, was noch folgen sollte.

Während sonst also das Leben und Sterben von Äbten und Erzbischöfen, Päpsten und Königen die Pergamentseiten der Klosterannalen füllte, beherrschte im Jahr 1077 ein außergewöhnlicher, ja, ein Jahrhundertwinter die Aufzeichnungen: Für Würzburg zum Beispiel werden ungeheure Schneemengen überliefert, Aufzeichnungen aus dem Umkreis des Augsburger Domkapitels erzählen davon, dass sogar Bäume abstarben. In den Niederschriften des Klosters Laubach bei Lüttich wird der andauernde Frost von November bis Mitte März beklagt, und in den Jahresberichten des Klosters Iburg bei Osnabrück weiß man zu berichten, dass bis Mitte April alle Flüsse zugefroren waren.

Heinrich der Salier hätte also kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können, um Ende des Jahres 1076 von Speyer nach Italien aufzubrechen. Wenn er denn eine Wahl gehabt hätte. Für den deutschen König aber ging es um Alles oder Nichts: um seinen Führungsanspruch, sein Königtum und um das Heil seiner Seele. Schon vier Jahre lang schwelte ein Streit zwischen ihm und dem Papst. Heinrich betrachtete die Einsetzung von Bischöfen als ein seit den ottonischen Herrschern geltendes Vorrecht der weltlichen Macht, der Könige – als sein ureigenes Privileg also. Die Weigerung des Papstes, dieses Gewohnheitsrecht widerspruchslos zu akzeptieren, ignorierte Heinrich mit der Selbstgewissheit des gesalbten Monarchen, der niemanden außer Gott zu fürchten hatte. Das aber sollte sich als dramatischer Irrtum erweisen. Dass Papst Gregor VII. im Jahr 1075 ganz offiziell von ihm Gehorsam und Demut in dieser Sache verlangt hatte, schien den König nach seinem unmittelbar vorangegangenen Sieg über die Sachsen weniger beeindruckt als verärgert zu haben. Seine Antwort nach Rom machte deutlich, wie unerhört er diese Forderung fand. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und verlangte seinerseits von Gregor, den er respektlos als falso monacho bezeichnete, den sofortigen Rücktritt von seinem hohen Amt. Es braucht keine fundierten Lateinkenntnisse, um an dieser Stelle die Titulierung ‚falscher Mönch‘ heraushören zu können. Diese ehrverletzende Beleidigung gelangte mit Sicherheit auch nicht ohne Heinrichs Wissen in das Schreiben nach Rom, denn der König konnte Latein lesen und verstehen.

Nun aber geschah etwas ganz und gar Unglaubliches, etwas, das niemand jemals für möglich oder auch nur vorstellbar gehalten hätte: Der Papst verhängte über Heinrich den Kirchenbann – das heißt, er verstieß ihn aus der Gemeinschaft der Christen! Laut Bischof Bonizo von Sutri, einem Anhänger Gregors VII., der das nun folgende politische Erdbeben kommentieren sollte, erzitterte unser ganzer römischer Erdkreis!1 Nicht genug damit, setzte der Papst Heinrich auch als König ab und löste seine Untertanen von ihrem Treueid. Heinrich, erschüttert und ungläubig zugleich, erklärte seinerseits den Papst für gebannt, doch diese mechanische Reaktion verpuffte ohne Konsequenzen. Die deutschen Bischöfe dagegen zeigten sich zutiefst beeindruckt von der neuen päpstlichen Autorität und zogen sich nach und nach vom König zurück. Man ahnte, dass ein so stark und unerbittlich auftretender Papst der Sache des hohen Klerus durchaus dienlich sein konnte.

In jedem Fall hatte der Adel des Reiches auf eine solche Gelegenheit nur gewartet: Im Sommer 1076 verbündeten sich die drei mächtigsten Herzöge im Süden des Reiches, die von Schwaben, Bayern und Kärnten, zu einer Phalanx gegen den ungeliebten, zunehmend isolierten König. Mit der Verhängung des Banns war endgültig ein unsichtbarer Damm gebrochen, und nun wurden schwere Geschütze aufgefahren. Zu lange schon schwelte der Groll gegen Heinrichs selbstherrlichen Regierungsstil und seine zuweilen brutale Art der Kriegführung. Man prangerte – ohne sie detailliert aufzuführen – von Heinrich verursachte Missstände an und stellte ihm auf der Basis dieser schwammigen Vorwürfe ein Ultimatum: Bis zum Jahrestag des Banns, also im Januar 1077, musste er dessen Aufhebung erwirken, sonst drohte ihm die Absetzung. Keiner der Fürsten glaubte ernsthaft an eine erfolgreiche Rehabilitierung des Königs, denn zur selben Zeit luden sie den Papst für den Februar 1077 nach Augsburg ein, um dort mit ihm einen neuen Kandidaten für die Königswahl zu bestimmen. Der päpstliche Bann diente ihnen offenkundig als Vehikel für ihren Plan, sich ihres Königs zu entledigen.

Heinrich IV. blieb Ende des Jahres 1076 also nur noch wenig Zeit: Der diplomatische Weg war versperrt, schließlich hatten gerade seine unbeherrscht formulierten Briefe zum Zerwürfnis mit dem Papst geführt. Es galt nun, mit kühlem Kopf vorzugehen – und Heinrich entschied sich für die direkte, aber auch gefährlichste Strategie. Kurz vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1076 brach der König mit Frau, Kind und kleiner Gefolgschaft nach Italien auf, um den Papst, der bereits auf dem Weg nach Augsburg war, abzupassen und persönlich um Gnade zu bitten. Für das, was er vorhatte, brauchte er seine Familie an seiner Seite, allen voran seinen kleinen Sohn und Mit-König Konrad. Die Begleitung seiner Frau und seines Erben würde ein wichtiges Signal an alle sein, die ihn als König infrage stellten. Er würde dem Papst nicht nur sich selbst als reuigen Sünder, sondern auch den nächsten deutschen König präsentieren und damit alle Lügen strafen, die das Geschlecht der Salier am Ende sahen. Nicht ohne Grund hatte er seine Reise über die Alpen in Speyer beginnen lassen, wo die sterblichen Überreste seines königlichen Vaters und Großvaters in der Krypta des Doms begraben ruhten. Seine Nachfolge, sein Testament, das musste er in der Person seines Sohnes mit sich führen – und damit alles riskieren. Wenn er den Papst nicht zur Aufhebung des Kirchenbanns bewegen konnte, dann war das Königtum für seine Nachkommen verloren. Sein Weg der Buße begann mit seinen Ahnen und endete mit der Präsentation seines designierten Nachfolgers.

Der König wusste, dass jeder Reisende den Wintereinbruch fürchtete, war er doch selbst ein Nomade, der übers Jahr rastlos von Pfalz zu Pfalz zog, um ein unsichtbares Netz zu weben, das den Zusammenhalt im Reich wahrte und seine Macht festigte. Aber im Winter nahm jeder, der es konnte, ein festes Quartier und wartete auf die Schneeschmelze im Frühling, auf länger werdende Tage, auf das erste sprießende Gras für die Last- und Reittiere. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich sogar Räuber und Wegelagerer in ihre Schlupfwinkel zurückzogen, und eine Reise zu dieser Jahreszeit wenigstens relative Sicherheit vor Überfällen versprach. Morastige Ebenen und sumpfige Flusstäler waren nun so durchfroren, dass man für Pferde und Wagen überall festen Untergrund zum Reisen vorfand. Das Land war dünn, aber flächendeckend besiedelt, und so konnte man darauf vertrauen, in regelmäßigen Abständen auf menschliche Behausungen zu stoßen. Außerdem wiesen alle Flüsse, einschließlich des Rheins, eine tragende Eisschicht auf, die es den Reisenden ersparte, Furten mit eiskaltem Wasser passieren zu müssen. Man bewegte sich im Jahr 1077, das bedeutete: ohne Karten und auf kaum markierten Wegen mit einem ungewissen Verlauf. Die alten römischen, gepflasterten Heerstraßen hatte man verfallen lassen – aus gutem Grund, denn über die Jahrhunderte war immer wieder der Feind auf solchen Wegen komfortabel ins Land eingefallen. 1077, das bedeutete auch eine Reise durch große zusammenhängende Waldgebiete, in denen hungrige Wölfe und vielleicht auch ausgehungerte Menschen streunten.

Irgendwann Mitte Dezember des Jahres 1076 verließ eine kleine Reisegesellschaft, bestehend aus einer überschaubaren Anzahl an Edelleuten zu Pferd, Wagen für die Frauen sowie einigem Fußvolk, die Stadt Speyer. Man hielt sich linksrheinisch – eine Überquerung des Flusses war also nicht notwendig – und schlug den Weg nach Straßburg ein. Geht man von einer damals durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von etwa dreißig Kilometern pro Tag aus, dann sollte dieses Ziel, an dem ein Aufenthalt des königlichen Trosses bezeugt ist, nach ungefähr drei bis vier Tagen erreicht worden sein. Eine weitere Woche war nötig, um in das etwa zweihundert Kilometer entfernte Besançon zu gelangen, wo bei Graf Wilhelm, einem Vetter der Königinmutter, Kaiserin Agnes, das Weihnachtsfest gefeiert wurde. Doch König Heinrich war rastlos und zeigte wenig Neigung, mehr Zeit für Besinnung, innere Einkehr und körperliche Erholung aufzubringen, als unbedingt nötig war: Bereits nach nur einem Tag Aufenthalt musste die Reise fortgesetzt werden. Mit Besançon verließ der König aber auch Ländereien, die sich im Besitz seiner Blutsverwandten befanden, und damit vertrautes Terrain. Ab jetzt betrat er Einfluss- und Herrschaftsgebiete der Familie seiner Frau Bertha. Die mindestens sechs Tagesreisen nach Gex bei Genf führten gegen Ende durch die Täler des Hoch-Jura und gaben damit schon einen Vorgeschmack auf die strengen klimatischen Bedingungen, die man im Hochgebirge auf dem Weg zum Pass am Mont Cenis zu erwarten hatte. In Gex hatten sich bereits Mutter und Bruder seiner Frau, Adelheid und Amadeus von Turin, erwartungsvoll eingefunden. Nicht unbedingt aus verwandtschaftlicher Liebe und Hilfsbereitschaft, sondern vielmehr, weil sie handfeste Eigeninteressen verfolgten. Heinrich war gut unterrichtet über die strategische und wirtschaftliche Bedeutung des Passes am Mont Cenis, dessen Zugang ihm die Familie seiner Frau ermöglichen konnte. Denn der bequeme und relativ sichere Weg über den Brenner, der das ganze Jahr über passierbar war, war ihm im Gegensatz zu Papst Gregor versperrt – dafür hatten Berthold von Kärnten, Welf von Bayern und Rudolf von Schwaben gesorgt. Diese Blockade brachte den König in eine Abhängigkeit, die sich die Turiner teuer bezahlen lassen wollten. Die nächsten Verwandten seiner eigenen Frau erpressten ihn mit der Unverfrorenheit und Selbstverständlichkeit von Menschen, die sich im Vorteil wussten, Familie hin oder her. Doch auch unter Zeitdruck bewies Heinrich die Nervenstärke, hart und auf Augenhöhe zu verhandeln: Statt der geforderten fünf italienischen Bistümer trat er letztendlich nur eine, allerdings ertragreiche Provinz in Burgund ab.

Der Pass am Mont Cenis war einer von zehn Zöllen, über die große Mengen englischer Wolle, Flachs, Hanf und Zinn von Burgund nach Italien gebracht wurden. Auch wenn es im Winter unvorstellbar schien, herrschte hier in den Sommermonaten ein reges Kommen und Gehen: trotz der Sümpfe in den Tälern, trotz der Gerölllawinen und des launenhaften Wetters, trotz der wilden Tiere und wilden Menschen, vor denen man sich stets in Acht nehmen musste. Die unbefestigten Wege an den Hängen boten nur Platz für Träger und Saumtiere, an einen Transport mit Wagen war nicht zu denken. Wegweiser gab es keine, und wenn, dann gaben sie sich nur den Führern aus den ansässigen Bergvölkern zu erkennen. Ohne diese ortskundigen Spurenleser war man in dieser so ganz anderen, feindseligen Natur verloren – man konnte sich aber auch nie wirklich sicher sein, ob diese Helfer Freund oder Feind waren. Immerhin gab es überall reines Wasser aus Quellen, an denen man seinen Durst löschen konnte, zum Essen das eine oder andere Wild oder auch Fische aus einem der zahlreichen Alpenseen. Klöster und Hospize boten vor und hinter den Pässen Schutz, Unterkunft und Verpflegung.

Bertha von Savoyen, Tochter Graf Ottos von Savoyen und Adelheids von Turin, Gemahlin König Heinrichs, kauerte auf einer eiskalten Rinderhaut und klammerte sich an deren Ränder, als sie vorsichtig einen vereisten Abhang hinabgelassen wurde.2 Keiner von denen, die sich unter größten Anstrengungen zum Pass des Mont Cenis durchgeschlagen hatten, sprach auch nur ein Wort. Man hörte nur das keuchende Atmen aus vielen Kehlen und das Knirschen der sich mühsam durch den verharschten Schnee quälenden Füße. Der in Eis und Schnee erstarrte Berg hatte alle Mitglieder der königlichen Reisegruppe für kurze Zeit zu gleichgestellten Leidensgenossen gemacht. Die Füße in den ledernen Schuhen waren kaum zu spüren, und die wollene Kleidung hatte sich vollgesogen mit der eiskalten Nässe, die der eigene, noch warme Körper aus dem Schnee geschmolzen hatte. Ihre Heirat mit Heinrich war – natürlich – arrangiert worden. Bereits im Jahr 1055, als Kinder von vier und fünf Jahren, waren sie verlobt worden, und sie, das kleine Mädchen, war unter der Obhut von Heinrichs Mutter Agnes aufgewachsen. Neun Jahre später hatte dann die Heirat stattgefunden. Aber aus dem scheuen, vaterlosen Jungen von zwölf Jahren, den Erzbischof Anno von Köln 1062 mittels eines perfiden Plans aus der Pfalz in Kaiserswerth entführt und seiner Mutter entfremdet hatte, war ein verschlossener und undurchschaubarer junger König geworden, dessen Verhalten Anlass zu einigen Sorgen gab. Heinrich hatte ihr gegenüber von Anfang an eine unerklärliche Abneigung, ja, fast Abscheu an den Tag gelegt. Er konnte ihre Gegenwart kaum ertragen, ging ihr so gut als möglich aus dem Weg. Dabei war es ihre wichtigste Aufgabe, einen legitimen Nachfolger zur Welt zu bringen. Viele Jahre und noch viel mehr Tage vergingen, in denen ihr der König kalt und abweisend begegnete. Schließlich ließ man sie wissen, dass Heinrich die Scheidung wollte und dies damit begründete, dass er die Menschen in seiner Nähe nicht länger über seine wahren Gefühle täuschen wolle, dass er die Ehe mit ihr nicht ertrage und sie beide glücklicher ohne einander sein würden. Immerhin, dachte sie mit Bitterkeit, hatte der König öffentlich festgestellt, dass er ihr, seiner Frau, keine Verfehlung vorwerfen könne. Die deutschen Bischöfe hatten jedoch gezögert, das Sakrament einer rechtmäßig geschlossenen Ehe zu verletzen. Deshalb war ihre Erleichterung unendlich groß gewesen, als Papst Alexander II. seine Einwilligung zu dieser Demütigung verweigert hatte. Nun war sie fünfundzwanzig Jahre alt und hatte vier Kinder geboren, von denen drei noch lebten. Sie wurde gezwungen, mitten in einem der strengsten Winter seit Menschengedenken das Hochgebirge zu überqueren. Der Einsatz für Heinrichs Kampf um das Königtum war das Leben seines zweijährigen Sohnes Konrad – und das ihre. Bertha wünschte, das Schreien der Pferde, denen man die Beine an den Fesseln zusammengebunden hatte, um sie auf diese brachiale Weise über die vereisten Hänge nach unten zu ziehen, nicht mehr hören zu müssen.

Doch alles ging gut. Einmal in Oberitalien angekommen, gab Heinrich die Zügel nicht mehr aus der Hand. Er erhielt regen Zulauf von Gegnern des Papstes, was diesen, der bereits auf dem Weg nach Augsburg war, eingeschüchtert auf die Burg Canossa trieb. Wie ein Adlerhorst lauerte diese uneinnehmbare Festung auf dem Plateau eines steilen Felsmassivs, erreichbar nur durch einen einzigen schmalen Zugang. Gregor VII. war nicht sehr erfreut von Heinrichs Überrumpelungstaktik, viel lieber hätte er eine Begegnung mit diesem umgangen und das Gespräch mit den deutschen Fürsten gesucht. Aber nun war ein Patt entstanden und so nahmen zahlreiche Vermittler und Fürsprecher ihre schwierige diplomatische Tätigkeit auf, um eine Einigung zwischen Papst und König zu erzielen. Doch Heinrich, der pragmatisch dachte und unter enormem Zeitdruck stand, ging das alles nicht schnell genug. Er ergriff kurzerhand die Initiative und erschien am 25. Januar 1077 bei klirrender Kälte barfuß im härenen Büßergewand vor den Toren der Burg. Ein klug gewähltes Datum, denn an diesem symbolträchtigen Tag soll einst auch der Apostel Paulus bekehrt worden sein. Der Papst fühlte sich erpresst, musste aber schließlich einlenken, wollte er nicht als unversöhnlich und unnötig grausam erscheinen. Heinrich versprach als Gegenleistung für die Aufhebung des Banns die Aussöhnung mit der deutschen Geistlichkeit und den Fürsten des Reichs. Doch es war ein trügerischer Frieden, der in Canossa geschlossen wurde. Nur drei Jahre später fiel der König erneut in Ungnade – und der darauf verhängte Bann wurde zu seinen Lebzeiten nicht mehr aufgehoben. Die Fronten blieben so verhärtet und das Verhältnis so unversöhnlich, dass der Leichnam Heinrichs IV. erst im Jahr 1111, also fünf Jahre nach seinem Tod, in der geweihten Erde des Speyrer Doms beigesetzt werden durfte.

Das Zerwürfnis zwischen Papsttum und Königtum konnte nicht mehr gekittet werden. Weil sich der Bannspruch zu einer gern und häufig eingesetzten Disziplinierungsmaßnahme entwickelte, verlor er genau aus diesem Grund seine anfänglich welterschütternde Wirkungskraft. Heinrich V., Friedrich Barbarossa oder auch Friedrich II., sie alle lernten mit dem Stigma des Banns zu leben, zu herrschen – und auch zu sterben. Und sie mussten dafür nicht barfuß durch den Schnee stapfen.

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