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4.Die Welt der Wissenschaft
ОглавлениеWährend meines gesamten beruflichen Wirkens habe ich mich stets primär als Wissenschafter gesehen, freilich als Wissenschafter, der zeitweise innerhalb und zeitweise außerhalb der Institutionenwelt der Wissenschaft lebt. Ein bisschen wie ein Mönch, der zeitweise im Kloster und zeitweise außerhalb wirkt – wobei ich die Analogie nicht zu weit führen will. Mein Fachgebiet ist die Volkswirtschaftslehre, die ich als Teil der Sozialwissenschaften sehe. Der deutsche Begriff „Volkswirtschaftslehre“ ist aber eher veraltet, und die englische Bezeichnung „economics“ lässt auch mehr Spielräume für die Beachtung internationaler Aspekte und den Bezug zu anderen Wissenschaftsbereichen wie Soziologie, Geschichte und Mathematik bis hin zur Philosophie. Im Kern gilt noch die klassische Definition, die Alfred Marshall in seinen grundlegenden „Principles of Economics“ 1898 gab: „Political economy or economics is a study of mankind in the ordinary business of life; it examines that part of individual and social action which is most closely connected with the attainment and with the use of the material requisites of wellbeing.“
Heute ist die Wissenschaft der Ökonomie in eine Vielzahl von Spezialgebieten aufgegliedert, wobei mein wissenschaftliches Interesse primär dem Bereich der Makroökonomie, das heißt dem Verhältnis wirtschaftlicher Gesamtgrößen, und hier wieder den Fragen der Geld- und Fiskalpolitik gilt. Gerade in diesen Bereichen ist die Verbindung zu politischen Fragestellungen besonders eng, und es ist hier daher besonders wichtig, bei der wissenschaftlichen Arbeit zwischen faktenorientierter Analyse und wertbezogenen Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Da ich selbst ja lange Zeit gleichzeitig Universitätsprofessor und Politiker war, war mir diese Unterscheidung stets besonders wichtig und wurde auch von meinen Studentinnen und Studenten so verstanden.
Mein Interesse für die Welt der Wirtschaft war, wie gezeigt, schon früh geweckt, wobei es sich zunehmend auf den Bereich der Volkswirtschaft und nicht der Betriebswirtschaft bezog. Wegen des volkswirtschaftlichen Schwerpunktes entschied ich mich, an der Universität Wien und nicht an der Hochschule für Welthandel zu studieren. Mitentscheidend war freilich auch mein Unbehagen mit dem politischen Geist, der damals nach meiner Einschätzung noch bei manchen Professoren und Teilen der Studentenschaft an der Hochschule herrschte. Eine dramatische Bestätigung meines Misstrauens ergab sich 1965 mit der Affäre Borodajkewycz. Borodajkewycz entstammte dem „katholisch-nationalen Lager“ und „würzte“ seine Vorlesungen an der damaligen Hochschule für Welthandel mit antisemitischen und Nazi-affinen Zwischenbemerkungen, unter großer Zustimmung vieler seiner Hörer.
Der Student (und spätere Finanzminister) Ferdinand Lacina zeigte eine entsprechende Mitschrift seinem Freund (und späteren Bundespräsidenten) Heinz Fischer, damals Sekretär im sozialdemokratischen Parlamentsklub. Fischer wies in einem Artikel auf das skandalöse Verhalten von Prof. Borodajkewycz hin, wurde von diesem geklagt und vor Gericht verurteilt. Er hatte sich nämlich geweigert, den Verfasser der Mitschrift zu nennen, da Lacina zu dieser Zeit noch studierte und negative Reaktionen gegen ihn auf der Hochschule befürchten musste. Heinz Fischer war also bereit, eine Verurteilung in Kauf zu nehmen, um einen Freund nicht zu gefährden – was für einen jungen Juristen am Beginn seiner Berufslaufbahn ein überaus mutiges und nobles Verhalten darstellt.
Ich habe diese Entwicklungen als Student mit höchstem Engagement mitverfolgt und schätze seit dieser Zeit Heinz Fischer, inzwischen einen meiner besten Freunde, als ehrlichen, zuverlässigen und mutigen Menschen. Nachdem Lacina sein Studium beendet hatte, konnte Heinz Fischer das Verfahren wieder aufnehmen, was dann letztlich zu einer Versetzung in den Ruhestand (mit um einen Prozent gemindertem staatlichem Ruhegenuss) von Prof. Borodajkewycz führte. Vorher hatte es eine gewaltige Demonstration gegen Borodajkewycz gegeben. Was für mich alarmierend und erschreckend war, war der Umstand, dass es als Reaktion darauf (unter dem Vorwand des Schutzes der „Freiheit der Lehre“) zu massiven Gegendemonstrationen rechtsgerichteter Studenten kam, was dann bei Zusammenstößen zum Tod eines betagten Demonstranten führte – das erste Opfer einer politischen Gewalttat in der Zweiten Republik.
Es ist aber auch wert hervorzuheben, dass die Verbreitung und Akzeptanz von Denkweisen in oft bedenklicher Nähe zu Nationalsozialismus und Antisemitismus bis auf kleine Restbestände heute aus Österreichs Hochschulen verschwunden sind. Zwar gibt es etwa noch schlagende Verbindungen, die auch durchaus beachtlichen Einfluss in Rechtsparteien haben – im Universitätsleben spielen sie aber keine Rolle mehr. Dies gilt auch für den „Ring Freiheitlicher Studenten“ (RFS), vielfach als ein Sammelbecken rechter Gruppierungen gesehen. War noch Mitte der 60er-Jahre der RFS an vielen Universitäten, speziell im Bereich Technik und Wirtschaft, größte oder zweitgrößte Studentengruppe, so ist sein Anteil bei den jüngsten Hochschülerschaftswahlen nur mehr minimal. Besonders freut mich diese Entwicklung bei „meiner“ Universität, der Wirtschaftsuniversität. Heute hat der RFS an dieser Universität überhaupt kein Mandat mehr in der Hochschülerschaft – ein klarer und vielleicht zu wenig beachteter Fortschritt und für mich ein Zeichen dafür, dass es sich lohnt, für eine humane und offene Demokratie einzutreten.
Ich begann jedenfalls 1962 mein Studium an der Fakultät für Rechtsund Staatswissenschaften an der Universität Wien. Diese Fakultät war historisch ja die Wirkungsstätte der großen Ökonomen der „ersten Schule der Österreichischen Nationalökonomie“ gewesen – hatte wie das österreichische Universitätswesen insgesamt durch die „Vertreibung der Intelligenz“ in den Jahren 1934 bis 1945 aber an wissenschaftlicher Qualität und internationaler Reputation massiv verloren. Dennoch begegnete ich dort immerhin einigen eindrucksvollen Forscherpersönlichkeiten und vor allem ambitionierten jungen Assistenten, zu denen ich dann gute Kontakte finden konnte.
Es gab an den österreichischen Universitäten (bis auf Innsbruck) noch kein eigenständiges Studium der Volkswirtschaftslehre, und so musste ich Rechts- und Staatswissenschaften studieren, um mich dann im dritten Abschnitt zur Nationalökonomie „durchzubeißen“. Ich hatte dadurch später etlichen Nachholbedarf, aber das Jus-Studium hat mir doch ein Verständnis für institutionelle Strukturen vermittelt und mir von der technischen Seite her in meiner Arbeit als Politiker und im Bankwesen durchaus genutzt. Es war damals ein leichtes Studium, immer wieder unterbrochen durch „Bummel-Semester“. Ich hatte daher Zeit für meine Arbeit im ÖGB und für meine politischen Anfänge, worüber ich noch berichten werde.
Daneben war ich noch einer ganz anderen Welt verbunden, nämlich der „Akademischen Vereinigung für Außenpolitik“ (AVA) als der Jugendgruppe der Österreichischen Liga für die Vereinten Nationen. Für mich war die Mitgliedschaft in dieser Vereinigung ein Weg, meinem Interesse für internationale Fragen in der damals noch recht abgeschotteten österreichischen Welt folgen zu können. Es gab hier ein nettes Büro in bester Lage in der Bösendorferstraße, wo auch der Präsident der Liga, ein früherer Präsident der Österreichischen Industriellenvereinigung, quasi seinen Pensionssitz hatte. Er kontrollierte genau, ob die jungen Leute im Zimmer neben seinem Büro auch korrekt angezogen waren – hatte aber bei dieser Gruppe, die sich als junge Diplomaten fühlten, selten etwas auszusetzen. Interessanterweise gab es unter diesen „Kindern aus gutem Hause“ einige, die sozialdemokratischem Denken sehr nahestanden. Ich wurde dann zum stellvertretenden Vorsitzenden dieser Vereinigung gewählt, und einige Teilnehmer und Teilnehmerinnen der damals durchaus hitzigen Diskussionen zählen bis heute zu meinen besten Freunden.
Studienmäßig habe ich ein tieferes Verständnis für den Bereich der Wirtschaftswissenschaft aber erst gefunden, als ich nach wenig anregenden Studienjahren an der Universität Wien und einem Aufenthalt am Institut für Höhere Studien Assistent bei Prof. Kurt Rothschild an der Universität Linz wurde. Ich kam hier in eine in vieler Hinsicht spezielle, positive Ausgangsposition: Kurt Rothschild hatte in den Jahren seiner erzwungenen Emigration in Großbritannien studiert und dort die „keynesianische Revolution“ unmittelbar miterlebt. Er war der im Ausland bestbekannte und meist publizierende Ökonom Österreichs. An Österreichs Universitäten – gerade im Bereich der Volkswirtschaftslehre, damals ein Hort konservativer Mittelmäßigkeit – bekam er allerdings lange keinen Lehrstuhl, da er als „linker Keynesianer“ gesehen wurde.
Rothschild arbeitete – durchaus zufrieden – als Referent für Außenwirtschaft im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Die Berufung an die neugegründete Universität Linz gab ihm aber die Möglichkeit, seine angelsächsisch geprägten Vorstellungen einer Universität in die Praxis umzusetzen. Das bedeutete harte und intensive Arbeit mit seinen Assistenten, die er ermunterte, früh und unter ihrem Namen zu publizieren. Dies sehr im Gegensatz zu meinen bemitleidenswerten Kollegen an den Wiener Universitäten, deren Arbeiten vielfach vom jeweiligen Professor unter seinem Namen veröffentlicht wurden und die sich darüber hinaus mit eigenen Publikationen zurückhielten, aus Angst vor ihren überaus kritikfreudigen – aber selbst nicht publizierenden – Kollegen.
An unserem Institut in Linz lernten wir dagegen, in zwei Linien des wissenschaftlichen Ansatzes zu arbeiten. Zum einen die empirisch fundierte, problemorientierte Analyse im Stil des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung, deren Monatsberichte ich schon in meiner Studentenzeit laufend verfolgt hatte. Ziel war – und ist – eine, in heutiger Terminologie, „evidenzbasierte“ Politik zu ermöglichen. Zum anderen Theorie-orientierte Arbeit auf Basis der jüngsten, speziell angelsächsischen Literatur, wobei stets auch das Kriterium der praktischen Relevanz zu beachten war. Zwei entsprechende Leitsätze Rothschilds haben mich stets in meiner Arbeit als Wissenschafter begleitet und mich bei Themen- und Methodenwahl12 bestimmt: „Es ist besser, eine wichtige Frage zu stellen, als eine unwichtige zu beantworten.“ Und: „Es ist besser, eine Frage ungefähr richtig, als präzise falsch zu beantworten.“
Für sich selbst und für andere war Rothschild von einem strengen Arbeitsethos und Leistungsprinzip beseelt – dies galt auch gegenüber den Studierenden, deren Betreuung wir sehr ernst nahmen, wo Rothschild uns aber auch ermahnte, strenge Prüfer zu sein. Nach dem Studium, erklärte er, spielten Protektion und Familienbeziehungen ohnehin wieder eine große Rolle, daher seien strenge allgemeine Leistungskriterien für Kinder aus nicht-privilegierten Familien das einzige Mittel, sich positiv zu differenzieren.
Zu dem inspirierenden Arbeiten in meiner unmittelbaren wissenschaftlichen Umgebung kam das einmalige Erlebnis, an der Gestaltung einer neuen Universität mitwirken zu können. Die Errichtung der Universität war ein jahrhundertealtes Anliegen des Landes Oberösterreich, des wohlhabenden Kernlandes der österreichischen Industrie. Land und Stadt waren daher bereit, großzügig zu investieren, sei es im Anwerben exzellenter Lehrender, sei es im Aufbau eines wunderschönen Campus in einem alten Schlosspark. Als ich nach Linz kam, war das neue Gebäude der Universität noch gar nicht bezugsfertig, wir konnten mit den Architekten gemeinsam planen, und es entstand so eine enge Beziehung zu der weitblickenden Gruppe von Persönlichkeiten, die gegen viele Widerstände die Errichtung der Universität durchgesetzt hatten.
Auf der Universität selbst herrschte durch ihre – damals – geringe Größe auch eine enge Beziehung zwischen den einzelnen Wissenschaftsbereichen, aus denen sich Freundschaften entwickelten, die bis heute anhalten. Es hat sich hier eine Freundschaftsgruppe entwickelt, die über Fach- und politische Grenzen weit hinausgeht. Bis heute besteht hier ein starkes Gemeinschaftsgefühl in Oberösterreich, aber auch in Wien, wo sich unsere „Linzer Gruppe“ regelmäßig trifft. Gemeinsam hat uns alle die große Persönlichkeit von Kurt Rothschild geprägt, wobei meine Frau und ich auch das große Glück einer lebenslangen persönlichen Freundschaft mit ihm und seiner klugen und hilfsbereiten Frau Vally hatten.
Auch zu den Studierenden ergab sich ein enges und vertrauensvolles Verhältnis. Die soziale Struktur der Studierenden unterschied sich deutlich von dem, was ich aus Wien kannte. Viele der Studierenden kamen aus Familien, wo es bisher noch nie einen Akademiker gegeben hatte, viele etwa aus kinderreichen Familien aus dem Mühlviertel. Diese Studentenschaft war insgesamt erfüllt von einer Kultur der Arbeitsamkeit, der intensiven Bereitschaft zur Aufnahme von Wissen und neuen Lebensformen – und auch der Ehrlichkeit und Geradlinigkeit. Schwindeln gab es nicht, und auch kein Feilschen um Noten in den Sprechstunden, wie ich es später an der Wirtschaftsuniversität in Wien intensiv erlebt habe. Der spätere Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, auch er erster Akademiker in einer Familie aus dem Mühlviertel, hat in seinen Memoiren diese Welt aus der Sicht eines ehemaligen Studenten beschrieben.13 Mit vielen meiner ehemaligen Studenten ergaben sich gute weiterführende Kontakte – zwei von ihnen standen mir später als Finanzminister gegenüber.
Insgesamt, vielleicht ein bisschen verklärt im Rückblick – es war eine Lust, Wissenschafter zu sein.
Rothschild drängte uns sehr, an internationalen Kongressen teilzunehmen, und ich hatte auch schon einiges im Ausland publiziert. Bei einem Seminar in Salzburg im Schloss Leopoldskron, heute Salzburg International Seminar, mit dem ich weiter in guter Verbindung stehe, traf ich Professor Fritz Machlup, der schon in den 1930er-Jahren dem bedrückenden geistigen Klima Österreichs entflohen war und nun als weltweit führender Experte für internationale Währungsfragen an der Universität Princeton lehrte. Nach Ende des Seminars wollte er nicht alle seiner Bücher wieder in die USA mitnehmen und schenkte mir eines mit der Widmung: „Ewald, get out of Austria.“ Meine Antwort: Gern, aber wie? Machlup arrangierte dann, dass ich an dem harten Bewerbungsprozess um ein „American Learned Societies Fellowship“ teilnehmen konnte. Ich bekam letztlich dieses renommierte Fellowship für einen Aufenthalt am Ökonomie-Department der Harvard Universität.
Es war ein sehr großzügiges Fellowship. Ich konnte mit meiner Frau für die Jahre 1971/72 in die USA fahren, und es brachte mir einen Höhepunkt nicht nur meines wissenschaftlichen Lebens. In Harvard war ich mit zwei Professoren speziell eng verbunden: mit dem im amerikanischen Sinn „liberal“, also eher sozialdemokratisch orientierten Prof. Richard Musgrave, dem führenden Finanzwissenschafter seiner Zeit, und mit Prof. Martin Feldstein, einem republikanisch orientierten Makroökonomen und unter Präsident Nixon Vorsitzender des Council of Economic Advisors. Es war eindrucksvoll zu sehen, wie zwei Wissenschafter von unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Orientierung respektvoll und wissenschaftlich seriös miteinander umgingen. Ich habe den Kontakt mit Harvard ja bis heute erhalten und dort auch immer wieder Vorträge und Seminare gehalten. Der sehr wirtschaftsliberale und (ich sage ausdrücklich nicht aber) menschlich hervorragende Prof. Feldstein kam dann über viele Jahre zu Vorträgen und Opernbesuchen zu uns nach Wien.
Was mich immer wieder an der Wissenschaft fasziniert, ist die große internationale Offenheit und Gemeinschaft. Es ist ein Austausch unter Menschen mit gleichen Interessen in ihren jeweiligen Fachgebieten, sie ermöglicht durch die weltweite Vernetzung eine Fülle von Anregungen und Kooperationen. Es ist eine Welt, in der ich mich sehr wohl fühle. Ich hatte das Glück, in meinem Fachgebiet relativ früh Teil des internationalen Netzwerkes zu werden, und ich habe mich stets sehr bemüht, jungen Wissenschaftern, speziell meinen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auch Zugänge zu dieser anregenden Welt der internationalen Wissenschaft zu verschaffen.
Die Zeit meines Aufenthaltes in Harvard fiel zusammen mit einer tiefgreifenden Umwälzung im internationalen Währungssystem. Noch im letzten Jahr vor Ende des Krieges hatten die siegreichen Staaten im amerikanischen Kurort Bretton Woods ein neues Weltwährungssystem entwickelt, um ein Chaos wie in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu verhindern. Es ging einerseits um Aufbauhilfen im Wege der neu gegründeten „Weltbank“ und andererseits um ein System stabiler Wechselkurse unter der Ägide des „Internationalen Währungsfonds“ (IWF). Angelpunkt dieses Systems war der US-Dollar als Währung der damals einzigen leistungsfähigen Volkswirtschaft. Der US-Dollar war wieder in einem festen Umtauschkurs zum Gold von 35$ pro Unze definiert. Heute liegt der Goldpreis bei rund 1.800 $ pro Unze – mit steigender Tendenz. Ausländische Notenbanken (und nur sie!) konnten die Ausfolgung von Gold gegen die Einzahlung in Dollar verlangen. Dieses „Bretton-Woods-System“ hat auch in der Tat dazu beigetragen, dass die wirtschaftliche – und auch politische – Entwicklung der Teilnahmestaaten ungleich besser verlief, als das nach dem Ersten Weltkrieg der Fall gewesen war.
Mit dem raschen Aufstieg der europäischen Wirtschaft erwiesen sich freilich nach einiger Zeit der Dollar als überbewertet beziehungsweise die europäischen Währungen als unterbewertet. Dies galt speziell für Deutschland, wo die unterbewertete DM das „Exportwunder“ massiv stützte, gleichzeitig aber über die Importseite inflationäre Tendenzen befürchten ließ. Diese Entwicklung führte in Deutschland zu schweren Konflikten zwischen Regierung und Bundesbank hinsichtlich der Notwendigkeit, beziehungsweise Wünschbarkeit einer Aufwertung der DM gegenüber dem US-Dollar.
Auf der internationalen Ebene eskalierte dieses Dilemma mit der immer intensiveren kriegerischen Involvierung der USA in Vietnam. Wie jeder Krieg führte das zu inflationären Tendenzen, zu massiven Leistungsbilanz-Defiziten und damit zu einer Abschwächung der Position des US-Dollar. Einige europäische Notenbanken, speziell die Frankreichs, waren nun nicht mehr bereit, immer mehr Währungsreserven in Dollar zu halten, sondern verlangten stattdessen die Lieferung von Gold zum historisch festgesetzten Preis. Um nun ein „Ausrinnen“ der amerikanischen Goldreserven zu verhindern, beendete die amerikanische Regierung unter Präsident Nixon am 15. August 1971 einseitig die Umtausch-Verpflichtung in Gold. Dieses „Schließen des Goldfensters“ bedeutete den Zusammenbruch des bisherigen Bretton-Woods-Systems und den Übergang von einem System fester Wechselkurse zu dem heute bestehenden Weltwährungssystem flexibler Wechselkurse. Man kann sich leicht vorstellen, dass solche dramatischen Entwicklungen von intensivsten wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionen begleitet und zum Teil mitgestaltet waren. Harvard war ein Zentrum dieser Überlegungen. Wir jungen Ökonominnen und Ökonomen hatten die Gelegenheit, laufend mit Professoren, die zwischen Harvard und Washington pendelten, zu diskutieren und mitzuerleben, wie es bei weitgehender Unsicherheit über ihre Effekte schrittweise zu Entscheidungen von größter Tragweite kommt.
Für meine Frau und mich war der Aufenthalt in den USA auch von der persönlichen Seite her überaus spannend und befriedigend. Mit unserem VW-Camper fuhren wir quer über den Kontinent von Harvard nach Berkeley, wo ich einen Vortrag hielt. Dazwischen ein Abstecher nach North Dakota in die Nähe der Hauptstadt Bismarck, einem Ort, wo noch keiner meiner Harvard-Freunde je gewesen war. Entfernte Verwandte meiner Frau, die aus dem Burgenland stammten, zeigten uns dort ihre riesige Ranch, gelegen an einem See, der den Namen der Familie meiner Frau trägt. Vorher hatten unsere freundlichen Gastgeber uns aber noch dringend ersucht, unser Auto, an dessen Stoßstange ein Harvard-Aufkleber prangte, rasch in ihre Garage zu stellen, damit niemand sehen könne, dass sie Besuch aus dieser verruchten Ost-Küsten-Institution hätten.
Bei der Rückfahrt, bei einem Zwischenaufenthalt an der Universität in Princeton, fasste ich beim Einsteigen in mein Auto plötzlich den Beschluss, das Thema meiner Habilitation, an der ich arbeitete, radikal zu ändern. Ich war mit einem finanzwissenschaftlichen Thema nach Harvard gekommen. Dort – und vor allem auch am benachbarten MIT – wurde ich konfrontiert mit der intensiven ersten Welle der Umweltdiskussion, ausgelöst speziell durch den „Bericht des Club of Rome“ über die „Grenzen des Wachstums“. Es war für mich überaus spannend, diese Aspekte mit Fragen der Finanzpolitik zu verbinden. Ich veröffentlichte in diese Richtung einige Aufsätze und schließlich meine Habilitationsschrift „Wirtschaftspolitik und Umweltschutz“.14
Es war für den deutschen Sprachraum die erste systematische Analyse speziell von Emissionsabgaben und Pfandlösungen unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten, einschließlich eines längeren Kapitels über „Probleme von Umweltschutzsteuern im Konsumgüterbereich: Analyse der Vorschläge zur steuerpolitischen Erfassung der von Automobilen ausgehenden Emissionen“. Die Arbeit hatte großen Erfolg, trug mir etliche Auszeichnungen ein (unter anderem gleichzeitig den Theodor Körner Preis und den Kardinal Innitzer-Preis für die beste Habilitationsschrift) und führte zu Berufungen an die TH (jetzt TU) Darmstadt und die Universität Trier.
Im Laufe der Zeit ging freilich mein Interesse an diesem Thema deutlich zurück. Zum einen, weil ich damals wenig Chancen der wirtschaftspolitischen Anwendung sah, an der mir stets viel liegt. Zum anderen, ehrlich gesagt, weil mich dieses Thema in engen Kontakt mit einer Gruppe von naturwissenschaftlich orientierten Ökologinnen und Ökologen brachte, die mit apokalyptischen Untertönen ihre Modelle präsentierten und wo der Gedanke von Korrekturen durch Lenkungseffekte des Preissystems bisweilen auf wenig Verständnis stieß. Eben diese Lenkungseffekte – konkret: zunächst deutlich gestiegene Energiepreise – haben ja etwa dazu geführt, dass die propagierte Katastrophe der Energieknappheit nicht eingetreten ist, sondern im Gegenteil Tendenzen eines weltweiten Energie-Überangebotes bestehen. Auch das für Ökonomen zentrale Denken in Kosten/Nutzen-Kategorien war bei Diskussionen mit Vertretern von Katastrophen-Szenarien nicht leicht vermittelbar. Insgesamt handelt es sich bei der Frage der umweltpolitischen Herausforderungen zweifellos um kurz- wie langfristig höchst relevante Problemstellungen. Letztlich geht es hier für mich aber um die bekannte Max Weber’sche Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Die Gesinnungsethik stellt ab auf ein bedingungsloses Handeln unter moralischem Primat. Verantwortungsethik bemüht sich, die längerfristigen Gesamtfolgen der getroffenen Maßnahmen zu berücksichtigen – entspricht demnach im weiteren Sinn einem gesellschaftspolitischen Kosten-Nutzen-Denken. Erfreulicherweise hat in den letzten Jahrzehnten die Umweltökonomie insgesamt ja eine Entwicklung zu tieferer analytischer ökonomischer Fundierung eingeschlagen – vielleicht war ich hier zu ungeduldig.
Ich übernahm dann letztlich den Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der Universität Linz, verbunden mit der Funktion als Mitglied, später Präsident, des Verwaltungsrates der Österreichischen Postsparkasse, der ich seit meiner Mitarbeit an der Entstehung des neuen Postsparkassen-Gesetzes verbunden war. In Linz veröffentlichte ich neben meiner Lehrtätigkeit Aufsätze in international anerkannten Fachjournalen. Als einer der ersten – und bis jetzt nicht sehr zahlreichen – europäischen Ökonomen konnte ich in einem Fachjournal der American Economic Association eine umfangreiche Analyse über Besteuerung und Inflation publizieren.15 Diese Arbeit fand große Resonanz und wurde in mehrere Sammelbände aufgenommen. Mein Lehrbuch „Der öffentliche Sektor“, das erstmals 1987 im wissenschaftlichen Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg, erschien, erlebte mehrere Auflagen und erhebliche Bekanntheit in der deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaft.
Neben den Arbeiten in den Bereichen der Geld- und Finanzpolitik habe ich mich auch über längere Zeit mit dem Bereich der Regionalökonomie beschäftigt und auch ein Buch zu diesem Thema publiziert.16 Die Anregung dafür hatte ich von Kollegen bekommen, die mit Prof. Hajo Riese von der Universität Basel nach Linz gekommen waren, und die vorher auch am „prognos-Institut“ in Basel, dem damals führenden Zentrum für empirische Regionalforschung, mitgearbeitet hatten. In Übernahme von „prognos“-Methoden verfasste ich 1969 mit meinem Freund und Kollegen Bela Löderer die Studie „Oberösterreich 1980“,17 die erste zukunftsorientierte und umfassende Regionalstudie dieser Art in Österreich. Beim heutigen Wiederlesen dieser Studie habe ich gemischte Gefühle. Insgesamt war sie sehr stark getragen vom manchmal vielleicht übertriebenen Wachstumsoptimismus der 1960er- und 1970er-Jahre, aber sie erfasste doch gut den tiefgreifenden Strukturwandel gerade etwa eines Bundeslandes wie Oberösterreich, das sich in seinem politischen Bewusstsein erst mit Verzögerung vom Agrar- zum Industrieland entwickelte.
In dieser Arbeit war auch das erste Mal eine wissenschaftliche – und auch kritische – Analyse der Finanzwirtschaft eines Bundeslandes enthalten, was mich dann zu einer intensiveren Befassung mit Fragen des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden führte. Der „Finanzausgleich“ regelt die Aufteilung des Steueraufkommens zwischen den einzelnen Ebenen des Bundesstaates Österreich und ist damit eine der wichtigsten, aber auch kompliziertesten Grundlagen der öffentlichen Finanzwirtschaft. Im Reformeifer dieser Epoche wurde später einmal von den Finanzausgleichspartnern eine Expertenkommission zur Neugestaltung im Sinne eines „funktionalen“ Finanzausgleiches gebildet, der auch ich angehörte. Es gab viele und sehr interessante Sitzungen mit Top-Experten aus Rechts- und Wirtschaftswissenschaft – eine Übernahme der Ergebnisse durch die Politik konnte aber nicht erreicht werden.
Durch meine regionalökonomische Aktivität wurde ich auch hineingezogen in konkrete Fragen der Raumplanung. Es wurde damals von den Gemeinden verlangt, als Voraussetzung für Mittelzuweisungen längerfristige Entwicklungspläne aufzustellen, was auch Annahmen über die wirtschaftlichen Perspektiven und den entsprechenden Raumbedarf inkludierte. Ich wurde hier immer öfter um Gutachten angefragt und habe dann mit einigen Mitarbeitern außerhalb der Universität eine eigene Studiengruppe für diese Aufgaben eingerichtet. Als ich später Abgeordneter wurde, habe ich diese Arbeitsgruppe an meinen engsten Mitarbeiter weitergegeben.
Es war eine interessante Arbeit mit sehr erheblicher langfristiger Wirkung für die betroffenen Menschen und Wirtschaftsbereiche. So gab es etwa bei Gemeinden im oberösterreichischen Zentralraum zwischen Linz und Wels lange und schwierige Diskussionen mit Bürgermeistern und anderen Gemeindepolitikern. Diese Region war in den 60er-Jahren noch weitgehend agrarisch geprägt und politisch entsprechend dominiert. Es war mir aber klar, dass dies eine zentrale Wirtschaftsachse Österreichs werden könnte, und so bedurfte es langer Gespräche, um die Bereitschaft zu erlangen, entsprechend große Flächen für gewerbliche und industrielle Nutzung in der Planung vorzusehen. Heute ist diese Region in der Tat eine überaus dynamische Kernregion der österreichischen Wirtschaft, wo Tausende Menschen gut bezahlte Arbeit finden.
Zu Beginn der 1970er-Jahre geriet Österreich auch verstärkt ins Visier internationaler Immobilieninvestoren. Aufgrund meiner Kontakte mit Wirtschaftstreuhändern und Beratungsunternehmen wurde ich auch unter diesen Aspekten und meiner – damals noch seltenen – Fähigkeit, Gutachten in englischer Sprache zu erstellen, eingeladen, für entsprechende Investitionsentscheidungen Studien zu erwartbaren, längerfristigen Entwicklungen zu erarbeiten. Ich erinnere mich zum Beispiel mit Vergnügen an Diskussionen, als es darum ging, in Wien ein Bürohochhaus jenseits des Donaukanals zu errichten. Für internationale Investoren war dies damals eine exotische und höchst riskante Gegend, und sie verlangten umfassende Gutachten über die längerfristigen wirtschaftlichen Perspektiven – letztlich wurde der „Galaxy-Tower“ gebaut.
Als Notenbank-Gouverneur hatte ich viele Jahre später das schöne Erlebnis, in diesem – inzwischen mehrfach erweiterten – Bürohaus an der Eröffnung der Weltbank-Niederlassung in Wien teilzunehmen. Die unmittelbare Erfahrung der großen Bedeutung einer langfristig ausgerichteten und sorgfältigen Raum- und Infrastrukturplanung für Bevölkerung und Wirtschaft war für mich auch sehr hilfreich bei meiner späteren Tätigkeit in der Europäischen Investitionsbank.
1978 hat mich die Einladung – oder eher Aufforderung – erreicht, ein Nationalratsmandat zu übernehmen, wovon ich später berichten werde. Ich habe dann 20 Jahre parallel meine Aufgaben als Professor und als Nationalrat ausgeführt. Es war mir extrem wichtig, meine Tätigkeit an der Universität – wenn auch mit reduzierter Lehrverpflichtung (und Gehalt) – gewissenhaft zu erfüllen. Ich wurde in dieser Hinsicht auch recht genau von der Kollegenschaft und den Studierenden beobachtet – ohne dass es ein einziges Mal zu Klagen über mangelnden Einsatz gekommen wäre. Diese Doppeltätigkeit hatte übrigens auch einen disziplinierenden Effekt auf meine politische Arbeit: Ich achtete genau darauf, in meinem „politischen Leben“ nie etwas zu sagen, wofür ich mich in meinem „wissenschaftlichen Leben“, speziell gegenüber meinen Studierenden, hätte schämen müssen.
Dieses, in jedem Bereich intensive, doppelte Engagement war allerdings ein organisatorischer, geistiger und letztlich auch physischer Kraftakt, den ich dann – aber erst nach 20 Jahren – wieder beendete. Ich meine aber, dass diese Doppeltätigkeit sowohl für meine Aufgabe als Professor wie für meine politische Aufgabe inhaltlich von Vorteil war. Es gab zu dieser Zeit einige Universitätsprofessoren im Parlament, wobei mich insbesondere mit dem von mir sehr geschätzten Juristen Prof. Felix Ermacora ein kollegiales, ja freundschaftliches Verhältnis verband – trotz unterschiedlicher Parteizugehörigkeit. Ich bin fest davon überzeugt, dass es jeweils zumindest einige Abgeordnete geben sollte, die Politik nicht hauptberuflich betreiben, sondern im stetigen persönlichen Kontakt mit einem „normalen“ Berufsleben bleiben – wobei dies zugegebenermaßen bei manchen Berufen einfacher ist als bei anderen.
1981 folgte ich dann einer Berufung auf den Lehrstuhl für Geld- und Finanzpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Mein Amtsvorgänger Prof. Stephan Koren verließ anlässlich seiner Wiederbestellung zum Präsidenten der Oesterreichischen Nationalbank endgültig die WU und unterstützte massiv meine Berufung als seinen Nachfolger. Er war mit den Verhältnissen an der damaligen Wirtschaftsuniversität und speziell im Fachbereich Volkswirtschaftslehre sehr unzufrieden und erhoffte sich von mir Initiativen zu höherer wissenschaftlicher Qualität und größerer Internationalität. Gemeinsam mit einem anfangs noch kleinen Team ist uns das in der Tat gelungen, erleichtert auch durch die Möglichkeit, freigewordene Professuren durch qualifizierte, externe junge Wissenschafterinnen und Wissenschafter – und nicht wie früher fast durchgehend durch Hausberufungen – zu besetzen.
Auch die Universität insgesamt hat durch eine Reihe aktiver, reformorientierter Rektoren einen deutlichen Modernisierungsschub erfahren. Als ich an die Wirtschaftsuniversität kam, war diese Institution zweifellos eine anerkannte, praxisorientierte Ausbildungseinrichtung, entsprach aber noch sehr dem alten Typus der Handelshochschule mit teilweise geringer wissenschaftlicher Fundierung. Im Laufe der Zeit ist es dann gelungen, wissenschaftliche Präsenz und Internationalität deutlich anzuheben, ohne dabei die für die WU spezifische, fundierte Praxisorientierung aufzugeben. Nach meiner Rückkehr aus Luxemburg, wo ich als Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank tätig war, wurde ich vom überaus aktiven „Reform-Rektor“ Christoph Badelt, einem Freund und Fachkollegen, gebeten, das Amt eines Vizerektors für Finanzen zu übernehmen.
Als Vizerektor war ich Teil eines starken, durch kluge Steuerung seitens des Rektors auch harmonischen Teams und habe die Herausforderungen kennengelernt, die sich für das Management einer großen Universität (ich vermeide den Begriff „Massenuniversität“), der größten Wirtschaftsuniversität Europas mit über 20.000 Studierenden, ergeben. Zu diesen Herausforderungen speziell für mein Ressort zählten auch grundlegende Änderungen der Hochschulgesetzgebung, die für die Universitäten die „Entlassung in die Unabhängigkeit“, einschließlich der wirtschaftlichen Selbstständigkeit brachten. Das machte etwa eine eigenständige Finanzplanung notwendig, aufbauend auf Leistungsvereinbarungen mit dem Wissenschaftsministerium, einem neu entwickelten Rechnungswesen und eigenverantwortlicher Personalplanung. Es war harte Arbeit „an der Front“, wobei ich aber darauf bestanden hatte, weiterhin, wenn auch wieder mit erleichterter Lehrverpflichtung, als Professor an meinem Institut zu arbeiten.
Wie bei meinem politischen Engagement half mir diese „Doppelgleisigkeit“ sehr, den Kontakt zum „Geschehen vor Ort“ und damit auch das Vertrauen der Kollegenschaft zu erhalten. Ich habe meine Lehrtätigkeit immer gerne ausgeübt und dafür auch relativ viel Zeit investiert. Auch den nach den damaligen Studienstrukturen recht großen Zeitaufwand für mündliche Prüfungen habe ich nicht nur als Belastung, sondern als Teil des pädagogischen Wirkens gesehen. Auch heute noch werde ich immer wieder von ehemaligen Studentinnen und Studenten darauf angesprochen, wie wichtig das Gespräch, das ich im Fall eines negativen Prüfungserfolges mit ihnen führte, für ihr weiteres Studien- und Arbeitsleben war. Ein System fast ausschließlich schriftlicher Prüfungen, noch dazu vielfach in Form mechanisch leicht auswertbarer „multiple choice“ Formulare, ist bei großen Studierendenzahlen leider oft unvermeidbar. Aber dieses System kann den wichtigen Rückkoppelungseffekt eines persönlichen Gesprächs natürlich nicht erfüllen.
Universitätsmanagement ist angesichts der Vielfalt von Interessen und der häufig sehr ausgeprägten Individualität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der verschiedenen Mitbestimmungsgremien oft nicht einfach. Aber die Gespräche und Verhandlungen in den ja recht zahlreichen Gremien waren doch stets von einer größeren Rationalität und Kollegialität gekennzeichnet, als ich es in anderen Lebensbereichen erfahren habe. Dies galt für Vertreter des wissenschaftlichen wie des nicht-wissenschaftlichen Personals, und auch für die Vertreter der Hochschülerschaft. Einem eloquenten und auch paktfähigen Vorsitzenden der WU-Hochschülerschaft namens Harald Mahrer bin ich dann später in seinen Funktionen als Wirtschafts- und Wissenschaftsminister und noch später als Präsident des Generalrates der Oesterreichischen Nationalbank wieder begegnet.
Eine so große Universität wie die WU hat ja in ihrer Professorenschaft eine Vielzahl von höchstrangigen Expertinnen und Experten, und ich war stets erfreut – und auch erleichtert –, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Kolleginnen und Kollegen ihr – sonst oft hoch bezahltes – Wissen für Aufgaben der Universität bereitstellten. Dies hat sich speziell auch bewährt, als die Universität das große Projekt eines neuen und architektonisch anspruchsvollen Campus begann. Nicht zuletzt durch hauseigene Expertise in Vertragsgestaltung, Projektmanagement, Steuerrecht etc. ist es gelungen, den eindrucksvollen neuen Campus voll im Zeit- und Kostenplan zu errichten. Dies entspricht meinem Bild der Universität als „Universitas“, als Vereinigung von qualifizierten Persönlichkeiten für eine gemeinsame Aufgabe, und ich freue mich, dass ich dies nach meinen guten Linzer Erfahrungen auch an einer großen Universität wie der WU-Wien erleben konnte. Ich selbst habe übrigens in meiner späteren Funktion als „Krisenmanager“ der Bawag-PSK ebenfalls von diesem Netzwerk profitieren können, wo ich von Kollegen vielfach wertvolle freundschaftliche Hinweise und Hilfen bekam.
Nach Ende meiner Tätigkeit als Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank wurde ich eingeladen, wieder eine Vorlesung an „meiner“ Wirtschaftsuniversität zu halten. Ich bin dieser Einladung gerne nachgekommen, war aber leider von den „Corona“-bedingten Einschränkungen des Lehrbetriebes betroffen. Bei meinem kontinuierlichen Kontakten mit der Wirtschaftsuniversität bin ich aber stets beeindruckt von der Qualität der Studierenden und der positiven Weiterentwicklung dieser Universität unter der Führung der energischen Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger. Die WU ist sowohl bei Lehrkörper und Studierenden eine internationale Universität geworden, durchgehend zweisprachig. Auch meine Vorlesung – den aktuellen Gegebenheiten geschuldet findet sie überwiegend online statt – halte ich auf Englisch. Sie ist aber nicht nur eine Universität der gegenwärtigen und zukünftigen „Globalisierungs-Gewinner“, sie ist auch Vorreiter in Forschung und Lehre über Fragen der Verteilung und Entwicklung von Lebenschancen, speziell auch von Menschen aus sozial benachteiligten Milieus. Als mir die Nationalbank, wie beim Abschied üblich, freundlicherweise Forschungsmittel zur Vergabe zur Verfügung gestellt hat, habe ich diese Mittel verwendet, um – freilich in bescheidenem Ausmaß – sozial benachteiligten Studierenden Studienaufenthalte im Ausland zu ermöglichen.
Es gibt in Österreich erfreulicherweise keine unmittelbare finanzielle Barriere für ein ordentlich durchgeführtes Studium – sehr wohl aber deutliche finanzielle Barrieren für das Erlangen jener wichtigen Zusatzqualifikationen – wie Auslandsaufenthalte, Spezialkurse und vor allem interessante Praktika – die für einen weiteren Karriereverlauf oft von größter Bedeutung sind. Hier sehe ich die Gefahr, dass es auch im Bereich der akademischen Ausbildung zu einer Zweiklassengesellschaft kommt; zwischen einer bestens ausgebildeten, international mobilen und vernetzten Elite und den „normalen“, lokal orientierten Absolventinnen und Absolventen. Ich habe speziell im Finanzbereich gesehen, dass bei Postenvergaben auch nach objektiven Kriterien diese Elite einen meist nicht aufholbaren Vorsprung hat – und damit indirekt wieder eine Form der sozialen Selektion auftritt. Bezüglich der Berücksichtigung von Minderheitengruppen arbeiten amerikanische Universitäten – vielfach durchaus umstritten – mit Quotensystemen, und es gibt auch großzügige Stipendien für Doktorandinnen und Doktoranden. Im europäischen Kontext wird dieser Aspekt einer sozialen Chancengleichheit im gehobenen Ausbildungsbereich – etwa auch beim Zugang zu teuren Top-Business Schools – zwar diskutiert, ich kenne aber noch wenige konkrete Bemühungen, dieses Problem zu entschärfen.
12Vgl.: Egon Matzner, Ewald Nowotny (Hrsg.): Was ist relevante Ökonomie heute? Festschrift für Kurt W. Rothschild. Metropolis, Marburg 1994.
13Reinhold Mitterlehner: Haltung: Flagge zeigen in Leben und Politik. Ecowin, Salzburg 2019.
14Ewald Nowotny: Wirtschaftspolitik und Umweltschutz. Rombach, Freiburg im Breisgau 1974.
15Ewald Nowotny: Inflation and Taxation. Reviewing the Macroeconomic Issues. In: Journal of Economic Literature 1980, Vol. 18: 1025ff.
16Ewald Nowotny: Regionalökonomie – Eine Übersicht über Entwicklung, Probleme und Methoden. Springer Verlag, Wien-New York, 1971.
17Béla J. Löderer, Ewald Nowotny: Oberösterreich 1980 – Eine Untersuchung der Entwicklung von Bevölkerung, Wirtschaft und Landesfinanzen. Europa Verlag, Wien, 1969.