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Denken in Nutzen und Kosten

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Oskar Wilde spottete, „ein Ökonom ist jemand, der von allem den Preis, aber von nichts den Wert kennt“. Nun gibt es eine – generell in der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ zwar lange, wenn auch nicht sehr fruchtbare – Diskussion über die Zusammenhänge von Werten und Preisen. In der Praxis ist es freilich richtig, dass bei Nutzen/ Kosten-Überlegungen überwiegend auf Preise (zum Teil auch auf konstruierte „Schattenpreise“) abgestellt wird. Zentral ist aber jedenfalls für Ökonomen, bei Vorschlägen stets beide Seiten – Nutzen und (!) Kosten – zu betrachten. Meine politischen Erfahrungen zeigen dagegen, dass die gesellschaftspolitische Dynamik dann am größten ist, wenn sie sich in der öffentlichen Diskussion nur auf die Nutzenseite einer Maßnahme bezieht und die Kostenseite außer Acht lässt oder bagatellisiert. Dies führt dann zur Positionierung „es gibt keine Alternative“ beziehungsweise „das muss wohl noch drin sein“. Nun ist es speziell über lange Zeiträume hinweg zweifellos oft schwierig, umfassend „Nutzen“ beziehungsweise „Kosten“ zu quantifizieren – aber es hilft zweifellos für eine rationale Diskussion, sich um eine umfassende Analyse der entsprechenden Zusammenhänge zu bemühen. Dies reicht von „großen Fragen“, wie etwa der Umweltpolitik, bis zu „kleinen Fragen“, wie etwa der Schaffung einer neuen Stelle in der öffentlichen Verwaltung.

Für Notenbanken stellen sich „Kosten/Nutzen-Überlegungen“ sowohl bei den „großen Fragen“ der Geld- und Währungspolitik, wie auch bei den vielfältigen Aspekten der Regulierung und Bankenaufsicht. Es gab und gibt in der Tat eine intensive Diskussion etwa von Nutzen und Kosten einer Politik niedriger Zinssätze. Dabei gibt es Übereinstimmung, dass eine solche Politik zur unmittelbaren Krisenbekämpfung notwendig und sinnvoll war und ist. Nicht so eindeutig sind freilich die Nutzen/Kosten-Bewertungen bei langfristiger Fortführung einer solchen Politik. Dabei gibt es innerhalb einer Institution meist eine – überwiegend „Modell-bestimmte“ – „herrschende Lehre“, sodass die entsprechenden Diskussionen weniger innerhalb einer Institution, als eher zwischen einzelnen Institutionen stattfinden. Konkret in den vergangenen Jahren etwa zwischen der EZB, als Vertreterin einer expansiven Geldpolitik, und der BIZ, der „Bank der Zentralbanken“ in Basel, deren Ökonomen vor zunehmenden „Nebenwirkungen“, das heißt volkswirtschaftlichen Kosten einer expansiven Geldpolitik warnen. Hier ist es für Entscheidungsträger, konkret Gouverneurinnen und Gouverneure, m. E. wichtig, sich selbständig zu informieren und eine eigene Meinung zu bilden – was freilich entsprechende wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse erfordert. Problematisch erscheint es mir aber, wenn solche Überlegungen Gegenstand von Gerichtsverfahren werden, wie dies beim deutschen Bundesverfassungsgericht der Fall war, worauf in Kapitel 15 noch eingegangen wird.

Ein weiteres – aus meiner Sicht aber oft unterschätztes – Feld von Nutzen/Kosten Fragen ergibt sich im massiv ausgeweiteten Bereich der Regulierung des Banken- und Finanzbereiches. Es ist heute unbestritten, dass eine zu weitgehende „Deregulierung“ des Finanzsektors eine wichtige (wenn auch nicht die alleinige) Ursache der 2007/2008 ausgebrochenen Finanzkrise war. Es war daher auch richtig und erwartbar, dass es dann als eine der „Lehren aus der Krise“ zu einer massiven Welle der „Re-Regulierung“ kam. Weltweit wurde diese neue Regulierung, ausgehend von den „G20“ – der Gruppe der führenden Industriestaaten –, getragen, wo als wichtigster Umsetzungsbereich der „Basler Ausschuss“ wirkte. In jedem der großen Wirtschaftsräume kam es zu weitgehenden neuen Banken-Regulierungen, in den USA etwa im „Dodd-Frank Act“, in der EU in der Umsetzung des „Basel III-Rahmenwerkes in Form der Capital Requirements Regulation“ (CRR) und des „Capital Requirements Directive“ (CRD).

In den Grundzügen sind diese Regulierungen zweifellos wichtig und richtig. Es gibt meines Erachtens allerdings die Gefahr, dass es durch immer weitere und detailliertere Regelungen im Zeitablauf zu einem „sinkenden Grenznutzen der Regulierung“ kommt und damit die direkten und indirekten Kosten der Regulierung von größerer Bedeutung werden. In der regulierungspolitischen Praxis wird dem meist insofern entsprochen, als für Regulierungsvorschläge „impact assessments“, das heißt gesamtwirtschaftliche Nutzen/Kostenschätzungen erstellt werden. In der Praxis haben nach meiner Beobachtung diese impact assessments aber fast nie dazu geführt, dass es zu großen Änderungen bei den Vorschlägen gekommen ist, die vorher von Komitees der Aufseher erarbeitet worden waren.

Und in der Tat sind diese Expertenkomitees ja in einer schwierigen Lage: Es geht darum, bestehende oder erwartbare Risiken im Bankensystem zu reduzieren, wobei man massivem Gegenwind vonseiten mächtiger Banken-Lobbys ausgesetzt ist, die vor allem dann erheblichen Einfluss haben, wenn – wie es in der Regel der Fall ist – die entsprechenden Vorschläge einer parlamentarischen Beschlussfassung bedürfen. Was nach meiner Erfahrung in diesen „großen Kämpfen“ oft untergeht, sind die praktischen Kostenwirkungen der Umsetzung einzelner Maßnahmen. Sowohl Regulierungsbehörden, Parlamentarier wie auch Lobbyisten, haben in der Regel keine praktische Bankenerfahrung und damit wenig Einblick in die Kosten der praktischen Umsetzung.

Meine eigene praktische Bankenerfahrung als Krisenmanager einer Bank war nur relativ kurz – sie hat mich aber jedenfalls gelehrt, dass neue Regulierungen oder die Änderung bestehender Regulierungen oft mit erheblichen technischen Kosten für die betroffenen Kreditinstitute und ihre Kunden verbunden sein können, sodass hier eine Nutzen/Kosten-Analyse sehr wohl legitim ist. Ob man etwa für einen Immobilienkredit jedes Jahr oder alle zwei Jahre ein externes Schätzgutachten verlangt oder wie oft Computerprogramme umzustellen sind, sind in Regulierungsausschüssen oft wenig behandelte Details, bei denen aber jeweils zu fragen wäre, ob die Nutzen tatsächlich die Kosten übersteigen. Ich habe hier als Gouverneur und auch als Stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der österreichischen Finanzmarkt-Aufsicht oft entsprechende Fragen gestellt – in der Regel ging es aber um bereits international akkordierte Regelungen aus den Tiefen eines der zahlreichen Regulierungsgremien, die de facto nicht mehr zu ändern waren. Bei so komplexen Gebilden und so vielen Akteuren, wie wir sie etwa im Bereich der Bankenaufsicht finden, liegt die entscheidende Gestaltungsmacht oft bei der kleinen Gruppe, die den ersten Entwurf verfasst, wobei diese „technische Gruppe“ oft aus jungen, klugen, aber eben auch unerfahrenen internationalen Bürokraten bestehen kann. Ich habe mich vielfach darum bemüht, dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Notenbank Zugang zu solchen Arbeitsgruppen finden, was aber für ein kleines Land oft nicht leicht ist.

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