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Externe Effekte

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Externe Effekte liegen vor, wenn die ökonomische Lage eines Wirtschaftssubjektes durch Aktionen eines anderen Wirtschaftssubjektes positiv oder negativ beeinflusst wird, ohne dass Gegenleistungen (Bezahlungen, Entschädigungen) erfolgen.19 Entsprechende externe Effekte treten in einer Unzahl von Konstellationen im Wirtschaftsleben auf und bedeuten jeweils, dass Marktpreise, die diese externen Effekte nicht berücksichtigen, als gesamtwirtschaftlich ineffizient und verzerrend zu sehen sind. Auch für die Geld- und Bankenpolitik stellen externe Effekte, analog zu Kosten-Nutzen-Überlegungen, eine zentrale Herausforderung dar. Dies gilt sowohl für die Makro- wie für die Mikroebene.

Auf der Makroebene kann etwa die im vorigen Abschnitt erwähnte Diskussion um „Nebenwirkungen“ der Geldpolitik analytisch als Erfassung der externen Effekte einer ausschließlich an Preisstabilität orientierten Geldpolitik gesehen werden. Führt ein langfristig niedriges Zinsniveau etwa neben dem angestrebten Ziel einer Erhöhung der Inflationsrate auf einen angestrebten Preisstabilitätswert zu externen Effekten im Bereich der Finanzmarktstabilität, die dann wieder in entsprechende Kosten-Nutzen-Überlegungen eingehen müssten? Ein zentrales Thema der geldpolitischen Diskussion ist etwa, wie weit ein niedriges Zinsniveau nicht nur den erwünschten Effekt hat, zu höheren Investitions- und Konsumausgaben zu führen, sondern infolge der Suche nach höheren Erträgen („search for yield“) auch zu einer gesamtwirtschaftlich problematischen Erhöhung der Risikobereitschaft führt. Dies kann auch etwa zur Bildung von „Blasen“ (bubbles) auf Aktien- oder Immobilienmärkten führen.

Die Geldpolitik steht damit vor zwei Fragen: Gibt es empirisch die Gefahr solcher Blasenbildungen und falls ja, gibt es Instrumente, solche externe Effekte aufzuheben (zu „internalisieren“)? Beides waren und sind zentrale Diskussionspunkte in geldpolitischen Entscheidungsgremien. Empirisch ist es nicht einfach zu unterscheiden, ob bestimmte Marktbewegungen als Elemente eines „normalen Aufschwungs“ oder als „Blasenbildung“ zu interpretieren sind, wobei Notenbanken ja vorausblickend agieren müssen, das heißt, es geht um die Frage des rechtzeitigen Erfassens potenziell gefährlicher Entwicklungen.

Extreme Marktliberale wie etwa der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan vertraten die Ansicht, eine Notenbank könne niemals klüger sein als die Märkte, es sei ihr daher nicht möglich, „Blasen-Bildungen“ rechtzeitig zu erkennen oder zu beeinflussen. Sie sollte sich deshalb darauf beschränken, nach Platzen der Blase „die Scherben zusammenzukehren“, das heißt die gesamtwirtschaftlichen Schäden abzufangen. Das war etwa genau das, was die amerikanische Notenbank nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000 in Form einer aggressiv expansiven Zinspolitik machte – was aber in der großen Finanzkrise 2007/2008 nicht mehr ausreichend funktionierte. Nicht zuletzt, weil hier von den ursprünglichen Problemen in den USA rasch massive negative Effekte auf die Weltwirtschaft ausgingen.

Ein alternativer Ansatz besteht darin, Geldpolitik in ihrer vollen Dynamik wirken zu lassen, in Bereichen, wo negative Nebeneffekte (negative externe Effekte) wirtschaftlich oder gesellschaftspolitisch besonders problematisch sein können, diese Nebeneffekte aber durch zusätzliche regulatorische Instrumente zu neutralisieren oder zumindest abzuschwächen. Diese Strategie der „makroprudenziellen Maßnahmen“ wird heute von den meisten Notenbanken und Regulatoren verfolgt – von der Öffentlichkeit und zum Teil auch von Gerichten aber nicht immer voll verstanden.

Beispiele makroprudenzieller Maßnahmen in Bezug auf Immobilienmärkte sind etwa Obergrenzen der Kreditfinanzierung (loan-to-value ratios), Obergrenzen der Schuldendienstbelastung eines Haushaltes (debt service to-income-ratio) oder, ansetzend auf der Bankenseite, höhere Eigenkapital-Unterlegspflichten für Immobilien-Kreditvergaben. Für einen europaweiten Überblick wurde der „European Systemic Risk Board“ (ESRB) geschaffen, der auch allfällige Risikowarnungen ausgeben kann. Es ist wohl noch zu früh, ein endgültiges Urteil über die Wirksamkeit der makroprudenziellen Instrumente abzugeben. Gerade wo es etwa um private Wohnraumbeschaffung geht, ist mit dem Einsatz restriktiver makroprudenzieller Instrumente vielfach, wie ich auch aus eigener Erfahrung weiß, eine politische Diskussion verbunden, da restriktive Maßnahmen es speziell wirtschaftlich schwachen Familien erschweren können, zu erschwinglichem Wohnraum zu gelangen. Allerdings hat gerade die „sub-prime Krise“ in den USA, das heißt die Vergabe von Wohnbaukrediten an Menschen mit sehr niedrigem Einkommen, gezeigt, dass es extrem problematisch ist, Kreditvergaben als Ersatz für Sozialpolitik einzusetzen (was in den USA deutlich ideologischen Hintergrund hatte).

Eine zentrale Bedeutung hat das Phänomen „externer Effekte“ auf der Ebene der Bankenentwicklung bekommen. Eine der wichtigsten Lehren der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre und auch des Zusammenbruches des Bankhauses Lehman Brothers im Jahr 2008 ist die Erkenntnis, dass vom Zusammenbruch einer einzelnen Bank massive negative Effekte auf das ganze Bankensystem und letztlich auf die Gesamtwirtschaft ausgehen können. Die negativen externen Effekte können durch finanzielle Verbindungen („Mitreißen in den Konkurs“) oder durch psychologische Effekte („Verlust des Vertrauens in andere Banken“) verursacht werden. Im Fall Lehman war es vor allem der gegenseitige Vertrauensverlust der Banken untereinander, der zeitweise zu einem weitgehenden Zusammenbruch der internationalen Geldmärkte und damit zu einem „Austrocknen“ der Bankenliquidität führte. Um Entwicklungen wie in den 1930er-Jahren zu vermeiden, haben die Notenbanken in weltweiter Koordinierung in dieser extrem gefährlichen Situation die Geldmärkte durch unbegrenzte Liquiditätszufuhr funktionsfähig gehalten – ein (leider seltenes) Beispiel, dass Entscheidungsträger in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen.

Die nächsten Schritte in der Stabilisierung des Finanzsystems waren zunächst die Stabilisierung von Einzelbanken und dann Maßnahmen, um Bankensysteme insgesamt dauerhaft krisenfester zu machen. Die Stabilisierung von Einzelbanken bedeutete, dass wichtige, „systemrelevante“ Banken auch bei Schieflage nicht in Konkurs geschickt wurden, um negative externe Effekte („Ansteckungseffekte“) zu vermeiden. Als etwa in den USA, um nicht „Geld der Steuerzahler“ einzusetzen, Lehman in Konkurs geschickt wurde, zwangen die horrenden gesamtwirtschaftlichen Kosten dieser kurzsichtigen Maßnahme dann die politischen Entscheidungsträger, die durch die Folgen der Lehman-Pleite gefährdeten Institute (zum Beispiel AIG, den damals weltgrößten Versicherungskonzern) mit ungleich größeren Kosten zu retten. In praktisch allen Staaten Europas kam es in der Folge zu massiven Rettungsaktionen für Banken, sei es durch direkte Verstaatlichung, staatliche Haftungen und/oder staatlich gestützte Sonderinstitute („bad banks“). Dabei zeigte sich rasch, dass in einer Phase der allgemeinen, extremen Unsicherheit auch die Pleite einer relativ kleinen Bank massive negative externe Effekte auslösen kann, sodass in den schwierigen Jahren der Krise praktisch jede Bank in Europa als systemrelevant einzustufen war.

Die EZB hat diese Gefahr kumulierender negativer externer Effekte klar gesehen. Ihr damaliger Präsident, Jean-Claude Trichet, hat sich – meines Erachtens zu Recht – massiv dafür eingesetzt, in der damaligen kritischen Situation Banken auch durch Einsatz von Steuergeld zu retten. In allen wirtschaftspolitischen Entscheidungsgremien Europas hat er leidenschaftlich – und letztlich mit Erfolg – gegen die in der Politik 2010 entstandene Tendenz gekämpft, „Problembanken“ in Konkurs gehen zu lassen.20 Diese klare Linie hat – neben einer zunächst stark expansiven Geld- und Fiskalpolitik – zweifellos ein Abgleiten in eine europäische Wirtschaftskrise, die die Dramatik der 1930er-Jahre hätte erreichen können, verhindert.

Diese Strategie war freilich auch mit massiven fiskalischen Kosten verbunden. Obwohl es ja hier um eine Stabilisierung der Gesamtwirtschaft ging, wurden entsprechende Maßnahmen in der Öffentlichkeit vielfach nur als „Rettung der Banken“ gesehen und damit zu einer schweren politischen Belastung. Wie bei vielen wirtschaftspolitischen Maßnahmen waren die Kosten der Rettungsmaßnahme klar sichtbar, die Nutzen der Vermeidung einer Katastrophe waren aber für Politik und Öffentlichkeit nicht vergleichsweise exakt bezifferbar und daher schwieriger zu vermitteln.

Nach der Phase der unmittelbaren Krisenbewältigung verlagerte sich das Schwergewicht der bankenpolitischen Diskussion auf eine bessere Krisenfestigkeit der Einzelbanken und des Bankensystems insgesamt. Hier sind seither auf europäischer und weltweiter Ebene große Fortschritte erzielt worden, sowohl in Bezug auf Stärkung von Eigenkapital, wie auf Sicherung von Liquidität. Für den Euro-Raum ist der große Schritt der Übergang zur Bankenunion, die man als Strategie der Internationalisierung zur Vermeidung negativer externer Effekte interpretieren kann.

Um für die Zukunft einen Einsatz von Steuermitteln zur Bankenrettung („bail-out“) zu vermeiden, wurde ein komplexes System der Einbeziehung der Eigentümer und bestimmter Gläubigergruppen („bail-in“) entwickelt. Auch dies ist zu interpretieren als das Bemühen, negative externe Effekte zwischen Bankensektor und Steuerzahlern zu vermeiden. Die Heranziehung der Gläubiger hat aber zusätzlich auch den Lenkungseffekt der höheren Sichtbarkeit eingegangener Risiken (anstelle der bisher bestehenden, implizierten und kostenlosen Staatsgarantie). Die Grundüberlegungen für diese „Abwicklungsverfahren“ als zweite Säule der Bankenunion sind zweifellos berechtigt. Ob dieses komplizierte Verfahren auch bei größeren Bankenstrukturen unter dem enormen Zeitdruck einer Krisensituation die gewünschten Ergebnisse bringen wird, wird die Praxis zeigen.

Meines Erachtens wird bei sehr großen und komplexen Bankenstrukturen im Krisenfall letztlich ein Einsatz des Staats in seiner Funktion als „Versicherer der letzten Instanz“ nicht zu vermeiden sein. Der wesentliche bankenpolitische Effekt ist freilich in den vorbeugenden Maßnahmen zur stärkeren Stabilität und Krisenfestigkeit des Bankensystems zu sehen. Darüber hinaus kommt den Notenbanken in Bezug auf Liquiditätsversorgung weiterhin die traditionelle Aufgabe des „lenders of last resort“ zu, das heißt der Vergabe von „Notkrediten“ an „an sich gesunde“ („solvente“) Banken bei speziellen Gefährdungen, zum Beispiel einem „bank-run“. Für die EZB geschieht dies in Form der „Emergency Liquidity Assistance“, das heißt einer Notfalls-Liquiditätsbereitstellung durch und auf Risiko der jeweiligen nationalen Notenbank. Trotz mancher Kritik halte ich dieses einfache und schnell verfügbare Instrument in seiner heutigen Ausgestaltung für sinnvoll und nützlich.

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