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2.Frankfurter Hof, Thomas Mann-Suite. Wofür ich arbeite

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Nach langen und oft mühsamen Sitzungen in der Europäischen Zentralbank war mein Refugium meist das altehrwürdige Hotel Frankfurter Hof. Ich schätze dieses solide und gut geführte Hotel. Vom ersten Augenblick an war mir besonders die bequem eingerichtete Bibliothek sympathisch, ebenso die „Autoren-Bar“, ein traditionelles Zentrum der Frankfurter Buchmesse. Etwas provokant fand ich, dass vor dem Hotel regelmäßig ein Bentley mit Kennzeichentafel der berüchtigten Schweizer Steueroase Zug parkte.

Im Lauf der vielen Jahre hatte sich eine vertraute Beziehung mit manchen der freundlichen und aufmerksamen Mitarbeiter ergeben. Im Besonderen galt dies für den legendären Concierge Jürgen Carl. Ich hatte auch sein sympathisches Buch „Der Concierge: Vom Glück, für andere da zu sein“ gelesen, ihn darauf angesprochen, und so entstand ein geradezu freundschaftliches Verhältnis. Dies führte dann auch dazu, dass er mich von Zeit zu Zeit, wenn sie gerade frei war, als „Upgrading“ in der Thomas Mann-Suite des Hotels einquartierte. Die Thomas Mann-Suite, inzwischen durch Renovierungen nicht gerade verbessert, bestand aus mehreren großen Räumen mit Blick auf den schönen Vorplatz des Hotels (und den eindrucksvollen Turm der Commerzbank), möbliert im „Wirtschaftswunder-Stil“ der 60er-Jahre und versehen mit einer Bibliothek, in der selbstverständlich sämtliche Werke des von mir hoch verehrten Thomas Mann vertreten waren. Man konnte sehr gut das Lob Thomas Manns in einem Brief an seinen Bruder nachvollziehen. Dieser Brief, der in Faksimile im Eingangsraum zu lesen war, war, vielleicht mit kleinen Abstrichen, auch für mich gültig: „Was ein wirkliches Grand Hotel ist, habe ich erst in Frankfurt wiedergesehen, im ‚Frankfurter Hof‘. Da weiß man doch, wofür man zahlt, und thuts mit einer Art Freudigkeit.“

In diesen stimmungsvollen Räumen, in die ich mich nach den Sitzungen der EZB zurückziehen konnte, entstand die Absicht, ein Buch zu schreiben, das nicht vom Zwang zu Objektivität und Wissenschaftlichkeit geprägt ist, sondern in dem ich mir ein subjektives Erzählen, ein gemütliches Erinnern erlaube. Also kein weiteres Buch der von ehemaligen Notenbankern und Politikern gern gepflegten Serie „Wie ich die Welt/Europa/den Euro rettete“ – was in meinem Fall auch nicht sehr glaubwürdig wäre. Es ist einfach ein Bericht aus einem arbeitsamen Leben. Ich schöpfte dabei aus dem seltenen Glück, in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens Erfahrungen sammeln zu können – als Wissenschafter, als Politiker und als Banker im nationalen wie im internationalen Rahmen.

Meine Freude, in der Thomas Mann Suite zu logieren, beruhte auf meiner lebenslangen Verbundenheit mit dem Werk und der Persönlichkeit von Thomas Mann. Mein Lieblingsbuch ist der „Zauberberg“. Wenn ich Entspannung suche, lese ich mit immer neuem Vergnügen seine Novellen. Das Leben und Werk von Thomas Mann ist der Weg vom Beobachter des Bürgerlichen über den dummen Nationalismus hin zu einem kultivierten, aber wo erforderlich, auch kämpferischen, bürgerlichen Demokraten – wie ich es sehe: zu einer weltoffenen, sozialdemokratischen Perspektive. Dies ist verbunden mit seiner Bewunderung für das Wirken von Franklin Delano Roosevelt, dem er wohl in seiner „Josephs-Trilogie“ ein Denkmal gesetzt hat.

Heute gehört Thomas Mann zu den Autoren, die bekannt, aber kaum mehr im geistigen Leben präsent sind. Seine Sprache ist der Generation meiner Kinder und erst recht meiner Enkelkinder nicht mehr nahezubringen – und damit leider auch nur mehr sehr schwer der Geist einer kultivierten, aufgeklärten und verantwortungsbewussten „bürgerlichen Sozialdemokratie“. Er ist von seiner Geisteshaltung eng verbunden mit dem großen Ökonomen John Maynard Keynes, der mich nicht nur als Wirtschaftstheoretiker entscheidend beeinflusst hat, sondern als Verkörperung einer Lebenshaltung, die für Werte des Humanismus einsteht. Dies im Gegensatz zur sozial-darwinistischen Grundhaltung des wirtschaftlichen Liberalismus, wie er von Friedrich August von Hayek und den Anhängern der heutigen „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ vertreten wird – wobei sich dies sehr unterscheidet von den „klassischen Vertretern“ der „Österreichischen Schule“, wie den eminenten Ökonomen Carl Menger, Eugen Böhm von Bawerk und Friedrich Wieser. Als „Entsprechung“ zu meinen Leitbildern Thomas Mann und John Maynard Keynes habe ich in meinem Lebensweg zwei Persönlichkeiten gefunden, die mir unmittelbar Vorbild und Lehrer wurden: Als Politiker Bruno Kreisky und als Ökonom Kurt W. Rothschild – zu beiden später mehr.

Ich hatte als Student lange briefliche, etwas verspielte Diskussionen mit einem Freund, der in Berlin studierte, bei denen es um eine Gegenüberstellung von Thomas Mann und Bertolt Brecht ging. 1968 besuchte ich diesen Freund in Berlin, der in einer Kommune in einem abbruchreifen Haus in einer ehemals eleganten Wohnung lebte, wo aber der Fußboden im großen „Berliner Zimmer“ schon so schief war, dass ein Sessel, wenn man aufstand, hinunterrutschte. Ich hatte für die politischen Anliegen der Studentenbewegung viel Sympathie, war aber von der hemmungslosen Emotionalität und dem für mich „sehr deutschen“, autoritären Verhalten abgestoßen. Erst später habe ich auch für Bertolt Brecht Verständnis und Sympathie gefunden und entdeckt, wie viel Menschlichkeit hinter seinem Zynismus steckt. Als ich dann bei einem Besuch im Berliner Brecht-Haus in der Chausseestraße 125 entdeckte, dass seine aus Wien stammende Frau Helene Weigel für den Brecht’schen Frühstückstisch schönes österreichisches Augarten-Porzellan verwendete, war ich mit Brecht vollends versöhnt. Sein Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ möge ein Leitmotiv dieses Buches sein. Geht es doch darum, wie sehr auch der Erfolgreiche aufgebaut und umgeben ist von den Mühen vieler Menschen.

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