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Betreff: Buchprojekt Kann man ja mal machen

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Das habe ich jetzt davon. Ich hätte einfach mal schön meine Klappe halten sollen. Dann müsste ich mir jetzt keine Gedanken machen. Ich würde mich nicht fragen, was meine Kollegen wohl von mir denken. Auch nicht, ob ich gerade dabei bin, meinen Ruf bei meinen Vorgesetzten aufs Spiel zu setzen. Oder wie das überhaupt funktionieren soll: ein Buch zu schreiben. Wirklich eine beknackte Idee.

Aber ich wollte es nicht anders. Ich musste der Patientin, von der ich wusste, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann bereits einige Bücher veröffentlicht hatte, ja unbedingt erzählen, dass man in der Notaufnahme so wahnsinnig viele interessante Geschichten erlebe. Mir fehle allerdings die Zeit, das alles aufzuschreiben, sagte ich.

Die Patientin wurde geröntgt, verließ uns bald darauf wieder, ich vergaß die ganze Angelegenheit. Ein paar Wochen später drückte mir meine Kollegin Martina bei Schichtbeginn ein Kärtchen in die Hand, das an der Sichtung für mich abgegeben worden sei. Zwei Namen, eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse. Darunter die Worte Betreff: Buchprojekt.

Ich kontaktierte Julia und ihren Mann Fabian, bald darauf haben wir uns getroffen. Kann man ja mal machen, rein interessehalber. Wir waren uns schnell einig, dass so ein Projekt nur durchführbar wäre, wenn Fabian mich bei der Arbeit beobachten könnte. Er würde die Zentrale Notaufnahme kennenlernen müssen – nicht nur die Räumlichkeiten, sondern auch das Personal und die Abläufe. Nur so wäre es ihm möglich, das von mir Erzählte wirklich einzuordnen.

Damals, vor wenigen Wochen, erschien mir das alles noch unwirklich, eher wie ein Gedankenspiel. Vielleicht habe ich insgeheim sogar gehofft, dass mir die Klinikleitung Steine in den Weg legen oder dass dem Antrag auf Hospitation in der Zentralen Notaufnahme, den Fabian bei der Pflegedienstleitung stellen musste, nicht stattgegeben würde.

Und jetzt? Fabian begleitet mich bereits seit einigen Tagen. Meist hält er sich im Hintergrund, blickt mir, dem übrigen Pflegepersonal und auch den Medizinern über die Schultern, stellt Fragen, zückt sein kleines Notizheft und seinen Kugelschreiber. Manchmal lassen wir ihn den ein oder anderen Botengang erledigen oder bitten ihn, mal eben mit anzufassen. Ich weiß noch immer nicht genau, was am Ende bei alldem herauskommen wird. Aber irgendetwas muss ich mir ja davon versprechen, sonst hätte ich mich nicht darauf eingelassen. Worum geht es mir also?

Wenn unser Beruf in den Medien ist, dann meistens, um auf Unzulänglichkeiten wie mangelnde finanzielle Mittel, zu wenig Personal, die psychische und physische Belastung oder unbequeme Arbeitszeiten hinzuweisen.

Was in der Regel fehlt, ist die andere Seite der Medaille. Unser Arbeitsalltag ist anspruchsvoll und alles andere als vorhersehbar. Wir müssen hochmoderne technische Geräte ebenso beherrschen wie den Umgang mit Menschen jeden Alters, jeden Charakters und unterschiedlichster sozialer oder geografischer Herkunft. Wir übernehmen Aufgaben, die auf anderen Stationen dem ärztlichen Personal vorbehalten sind, wie das Legen von Venenverweilkanülen, Blutabnahmen oder das Anbringen von Gipsverbänden. Wir müssen spontan reagieren und trotzdem die Ruhe bewahren. Jede und jeder von uns muss sich ins Team einfügen, aber gleichzeitig in der Lage sein, im Ernstfall eigenverantwortlich zu handeln, auch wenn es um Leben und Tod geht.

Gerade in der Zentralen Notaufnahme bewältigen wir zusätzlich viel Organisatorisches. Es liegt an uns, den permanenten Zustrom neuer Patienten in geregelte Bahnen zu lenken. Wir müssen erkennen, wer sofort Hilfe braucht und wen wir zunächst zurückstellen können. Wir betreuen die Patienten im Behandlungsbereich und sorgen gleichzeitig dafür, dass der Wartebereich nicht übervoll wird.

Das alles fordert uns. Doch wenn es gelingt, ist unsere Arbeit nicht nur extrem kurzweilig, sondern auch erfüllend und zweifellos sinnvoll. Das kann man wahrlich nicht von jedem Beruf behaupten. Deshalb möchten wir auch nicht bemitleidet werden, weil wir diesen Job machen. Wir möchten dafür respektiert werden. Falls meine Geschichten dazu beitragen, bin ich mehr als zufrieden.

Vielleicht gelingt es mir außerdem, die Menschen zum Vorschein zu bringen, die in der Uniform des Pflegepersonals stecken. Denn das droht, vor lauter berechtigter Sorge um die Patienten der Zentralen Notaufnahme, oft unter den Tisch zu fallen: Wir sind alle nur Menschen. Auch Mediziner und Pflegende müssen irgendwie verarbeiten, was sie tagtäglich erleben. Wir alle haben unseren eigenen Charakter, der uns manches leicht und anderes schwer macht. Gelegentlich sind wir selbst krank, manchmal unsere Partner oder unsere Kinder. Wir haben private Sorgen und Nöte, die wir nicht immer abschütteln können, während wir bei der Arbeit für andere da sind. Aber sich wegen so etwas zurückzulehnen ist nicht drin. Wir werden gebraucht, und der Betrieb muss weitergehen – jeden Tag, jede Nacht, ohne Unterbrechung.

Weil es ohne uns nicht geht

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