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Das Gefängnis: Den Hass auf den anderen ausbrüten

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Im Werdegang der jungen Dschihadisten aus den Vorstadtgettos spielt das Gefängnis eine maßgebliche Rolle – nicht so sehr, weil man sich dort radikalisiert, sondern weil dort der Hass auf den Anderen wie nirgends sonst heranreifen kann. Die täglichen Beziehungen sind von Reibereien mit dem Wachpersonal und der Haftanstalt als Institution geprägt. Sobald er gegen die im Gefängnis geltenden Regeln verstößt, erinnern die Sanktionen den Gefangenen an die Existenz eines Systems, dem er jede Legitimität abspricht. Darum finden die meisten Jugendlichen im Gefängnis nur noch mehr Gründe, die Gesellschaft zu hassen.

Im Gefängnis macht der junge Straftäter zudem die Erfahrung der Geringschätzung des Islam in ihrer institutionalisierten und depersonalisierten Form. Die Institution Gefängnis nimmt nicht immer groß Rücksicht auf Muslime: der Mangel an Imamen, kollektive Freitagsgebete, die, wenn überhaupt, dann unter Bedingungen stattfinden, die vom Argwohn gegenüber den Teilnehmern zeugen, Verbot von Gebetsteppichen im Hof … Der wachsende Einfluss der Salafisten auf inhaftierte Muslime vertieft den Bruch. Salafisten sind keine Dschihadisten, aber sie predigen eine sektiererische Version des Islams, die zur Desozialisierung der jungen Anhänger beiträgt, indem sie einen unüberwindbaren Graben nicht nur zwischen Gläubigen und Ungläubigen aufreißt, sondern auch zwischen guten Muslimen, die ihren Glauben gewissenhaft ausüben, und schlechten Muslimen, die es mit den religiösen Vorschriften und Verboten nicht so genau nehmen.

Wer islamistische Neigungen hat, wird durch die Haft, die Härten des Gefängnisalltags und die unausgefüllte Zeit, mit der man nichts Rechtes anzufangen weiß, noch anfälliger für die Sirenengesänge, die zur heiligen Gewalt aufrufen. Verwirrten Gemütern verheißt der radikale Islamismus eine Umkehrung der Rollen. Der junge Mann ist verurteilt worden, man hat ihn ins Gefängnis geschickt – aber künftig wird er es sein, der diese Gesellschaft ohne Erbarmen verurteilt, künftig wird er die Rolle des Richters übernehmen und als Ritter des Glaubens wider die Ungläubigen kämpfen. Der Gefangene gewinnt infolgedessen neues Vertrauen in sich selbst als jemand, der berufen ist, das göttliche Urteil zu vollstrecken.

Radikalisierung

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