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Herzschlag

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Der schmächtige Körper war als solcher kaum noch zu erkennen. Die Brandmale und blutigen Striemen zeichneten ein geradezu künstlerisches Muster auf die blasse Haut, die an vielen Stellen aus der zerfetzten Kleidung hervorblitzte. Wo die Haut weder verbrannt noch aufgeplatzt war, schillerten die Abdrücke von Schlägen und Tritten in allen Farben des Regenbogens.

Der Mann, der sich ‚Eiswolf‘ nannte, trat zurück und betrachtete sein Werk. Er hatte nicht geglaubt, dass der kleine Bursche so zäh war und so lange durchhalten würde. Mehrmals hatte er ihn mit einem Schwall kalten Wassers ins Gesicht aus der Ohnmacht wecken müssen. Er hatte all sein Können eingesetzt, alle zur Verfügung stehenden Werkzeuge genutzt – die Antwort auf seine Frage war immer dieselbe gewesen.

Ob er sich irrte und der Kleine wirklich nicht…? Nein, das stand außer Frage, er hatte sich noch nie geirrt.

Ich frage dich jetzt noch einmal“, knurrte der Mann leise und warf dem an den gefesselten Händen und ausgekugelten Armen hängenden Körper einen prüfenden Blick zu. „Du weißt, was ich mit dir mache, wenn du nicht antwortest.“

Die zugeschwollenen Lider in dem geprügelten Gesicht flackerten, während die aufgeplatzten Lippen weiterhin zitterten. Es kam kein Laut aus der Kehle des Jungen, nur ein schwaches Röcheln. Er war offenbar so schwach, dass er nicht einmal mehr den Kopf schütteln konnte.

Der Mann seufzte lautlos. Ein Nicken hätte ihm schon gereicht. Sie hatten das moderne Mobiltelefon überprüft. Die PIN zum Entsperren des Bildschirms hatte der Kleine ihnen schon in der ersten Stunde verraten. Er hatte geantwortet, als ‚Polarwolf‘ seine Frage gestellt hatte. Aber auf eine Frage hatte er sich bisher immer geweigert zu antworten. Und ausgerechnet diese Frage war es, die sie unbedingt beantwortet haben mussten – um jeden Preis.

Sie mussten sicher sein. Der ‚Steppenwolf‘ würde es nicht dulden, wenn sie unachtsam an die Sache herangingen. Dazu war zu viel schief gelaufen in letzter Zeit. In den USA waren zwei Schwestern im Geiste verhaftet worden; ebenso die einige Brüder in Deutschland, die unvorsichtig genug gewesen waren, sich von einem einfachen Streifenpolizisten verhaften zu lassen.

Der Mann seufzte und warf einen Blick auf den zweiten Mann, der am Tisch saß und über einem Grundrissplan brütete. Auf die Entfernung war zu erkennen, dass mehrere rote Kreuze Stellen markierten, die definitiv nicht infrage kamen. Zwei dünne grüne Linien hingegen, die sich scheinbar kompliziert über den Plan schlängelten, das war etwas anderes…

Mit fest zusammen gepressten Lippen wog der Mann, der sich ‚Eiswolf‘ nannte, den mittelschweren Hammer in der Hand und überlegte, mit welcher neuen Taktik er den Widerstand des Jungen brechen konnte und endlich die Antwort auf seine Frage zu bekommen. Er sammelte sich und fuhr mit einem „Ich frage dich…“ herum.

Doch der Rest seiner Frage blieb ihm im Hals stecken. Der Hammer glitt zu leise zu Boden, als er auf den schmalen, lang gezogenen Körper zutrat und zögernd den auf die Brust gesunkenen Kopf anhob. Erschrocken zuckte er zurück, als er unter seinen Fingern am Hals des Jungen etwas fühlte – nichts.

Der Mann schluckte und musterte sein Opfer abschätzend, bis ihm klar wurde, dass hier selbst eiskaltes Wasser nicht mehr helfen konnte. Nun kam es darauf an, aufzuräumen und weiterzumachen. Und es war wohl mal wieder Zeit, den ‚Steppenwolf‘ um einen Gefallen zu bitten.

Der andere Mann sah auf, als der ‚Eiswolf‘ an den Tisch trat und sein modernes Smartphone mit Prepaidkarte aufnahm. Ein fragender Blick ließ ihn innehalten und sich erklären. Der andere Mann nickte und nahm seinerseits ein ähnliches, modernes Smartphone mit Prepaidkarte aus der Tasche seiner schwarzen Hose. Er tippte ein paar Zeilen und drückte auf ‚send‘.

Der Mann, der sich ‚Eiswolf‘ nannte, beobachtete den Anderen. Er hatte das ungute Gefühl, dass sie den Bogen überspannten. Was würde ‚Steppenwolf‘ von ihnen – nein, von ihm(!) – verlangen für diesen neuerlichen Gefallen? War das Abkommen in Gefahr? Etwas zögerlich ließ er sich auf den zweiten Stuhl sinken und streckte die Beine von sich, während sie auf Antwort warteten.

Er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, Spuren beseitigen und dabei endlich seine Rache bekommen, auf die er so lange gewartet hatte. Er wusste genau, was er zu tun hatte. Langsam wandte er den Kopf und sah sich in der Lagerhalle um. Er brauchte etwas Passendes zum Verbergen, denn wenn man den Jungen zu früh fand, würde sein Plan nicht so aufgeben wie er es wünschte. Sein Blick fiel auf die unordentlichen Reifenstapel, unter denen so etwas wie Abdeckplane hervorlugte.

Er ging hinüber und befreite das milchig helle Plastik von den wankenden Kautschukstapeln. Es würde ausreichen, mehr als das. Es würde kaschieren und aussehen wie ein zusammen gefaltetes Segel, nur dass darin ein Inhalt sein würde.

Sein Herzschlag, der kurzzeitig in die Höhe geschnellt war, hatte nun wieder Normalfrequenz erreicht. Und er spürte, wie sich ein zufriedenes Lächeln über seine Züge breitete, als die Antwort von ‚Steppenwolf‘ eintraf.

Der andere Mann nickte und rollte den Plan zusammen, während sie sich auf den heimlichen Besuch der ‚Prinsessan Leia‘ vorbereiteten. Sie sprachen nicht miteinander, sie verstanden sich ohne Worte. Sie waren sicher. Niemand würde sie jetzt noch aufhalten.

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Die Spur des Austernfischers

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