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Grauzone

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Der Wind frischte auf, als sie die offene See erreichten. Der Bug des schnellen Seglers hob und senkte sich im Takt der Wellen, während schäumende weiße Gischt aufs Deck klatschte und die beiden hölzernen Masten leise ächzten und stöhnten wie unselige Geister in einer Gewitternacht. Es war mitten in der Nacht zum ersten Mai 1943, vielleicht schon gegen Morgen.

Jasper Norén umklammerte das Steuerruder und versuchte, das schwankende Schiff auf Kurs zu halten. Sie waren spät losgekommen und hatten immer noch eine weite Strecke vor sich. Torge hatte errechnet, dass sie bei gutem Wind noch gut zwei Stunden brauchen würden, bis sie den verabredeten Treffpunkt nordnordwestlich von Rügen erreichten. Bei dem immer stärker werdenden Wind und den zunehmend höheren Wogen der Ostsee würden sie vielleicht schneller vorankommen, aber Gefahr laufen, vom Kurs abzukommen.

Mehr nach Süden“, hörte er die Stimme von Sven-Ove neben sich. „Wir sind zu weit auf Ostkurs. Komm, ich helfe dir.“

Jasper nahm erleichtert wahr, wie sein Freund mit in das Steuerruder griff, das einem mit hölzernen Spitzen bestückten Wagenrad nicht unähnlich auf dem Achterdeck des Seglers dem Wetter trotzte, aber einen unbändigen Hang zum Umschlagen und sie bereits mehrfach von der geplanten Kurslinie abgebracht hatte. Torge hatte es nach der letzten Fahrt eigenhändig aus dem alten Fuhrwerk von Ole Pettersson gefertigt und angebracht.

Warum sie bei ihrer letzten Fahrt ausgerechnet kurz vor dem Treffpunkt auf die deutsche Patrouille gestoßen waren, würde wohl immer ein Rätsel bleiben. Sie hatten geflucht und so rasch wie möglich beigedreht, um in den internationalen Gewässern zu bleiben und den Deutschen keinen Grund zu geben, sie nicht für Ausflugssegler unter Flagge eines neutralen Landes zu halten.

Es war gut gegangen, so gerade eben. Der Warnschuss war dicht an ihnen vorbei gegangen und hatte glücklicherweise nur einen Teil des alten Steuerrades erwischt. Sicherlich hatte es geholfen, dass Torge, Rasmus und Sven-Ove ein paar Worte Deutsch sprachen und so dem Kommandanten des schwer bewaffneten grauen Patrouillenbootes verständlich machen konnten, dass sich ihr Kompass leider verklemmt und die falsche Richtung angezeigt habe. Eigentlich seien sie auf dem Weg von Lolland zurück zum Hafen von Ystad unterwegs und offenbar viel zu weit nach Süden gefahren.

Der Deutsche hatte es geglaubt und sie unbehelligt weitersegeln lassen, auch wenn nicht nur Jasper jeden Moment damit gerechnet hatte, von den schnell feuernden Bordkanonen unter Beschuss genommen und versenkt zu werden.

Dasselbe konnte ihnen heute auch passieren, denn die Deutschen würden auch bei diesem Wetter ordnungsgemäß ihren Dienst versehen. Sie konnten also nur hoffen, dass ihr Kontaktmann sie wie verabredet in der sogenannten Grauzone jenseits der deutschen Hoheitsgewässer erwarten würde.

Verdammt nochmal!“ hörte Jasper plötzlich eine Stimme fluchend. „Da sind schon wieder welche!“

Mit dem Feldstecher an den Augen stand Rasmus nur wenige Meter entfernt am Fuße des Großmastes und starrte angestrengt in die Dunkelheit hinaus. Der Himmel war von grauen Wolken verhängt, die das silberne Mondlicht nur ab und zu auf die Wogen der Ostsee blitzen ließen. Aber auch in der Dunkelheit konnte Rasmus mit seinen Adleraugen und dem Feldstecher voraus offenbar etwas erkennen, das Torge selbst mit dem Nachtsichtgerät und vom Ausguck am Großmast aus nicht ausmachen konnte.

Beidrehen“, murmelte Sven-Ove neben Jasper, doch es klang eher wie eine Frage. „Vielleicht lassen Sie uns in Ruhe.“

Hisst die Flagge“, drang Torges Stimme zu ihnen herunter. „Geben wir uns zu erkennen. Hier können Sie uns nichts, wenn sie sich an die Regeln halten.“

Jasper verbiss sich eine scharfe Bemerkung und vergewisserte sich mit einem kurzen Blick bei Sven-Ove, dass dieser für ein paar Augenblicke allein das Ruder würde halten können, während er die königlichen Farben – gelbes Kreuz auf türkisblau – entrollte und ein paar Meter über dem Heck in die Höhe zog.

Innerlich betend, dass die deutsche Wehrmacht den Anstand besaß, die Regeln auf See zu respektieren und nicht den menschenverachtenden Gerüchten über die in Berlin regierenden Nationalsozialisten Brennstoff zu liefern, eilte Jasper zurück zu Sven-Ove, der stöhnend das Ruder hielt. In den wenigen Sekunden, die er brauchte, fuhren ihm erneut Esthers Worte durch den Sinn.

Die Nazis‘, hatte die zierliche, dunkel gelockte Frau mit den großen veilchenblauen Augen gesagt, ‚grenzen systematisch aus, wenn man nicht in ihr Weltbild passt und nicht zu ihnen gehört. Zuerst haben sie das mit ihren politischen Gegnern gemacht, jetzt sind alle die dran, die sich nicht ihrer Ideologie unterordnen. Ich fürchte, wenn es mit dem Krieg so weitergeht, dann werden sie auch nicht davor zurückschrecken mehr zu machen als ausgrenzen. Ich bin so froh, dass ich hier bei euch sein kann.‘

Diese Worte und die Berichte aus dem englischen Radio hatten dazu geführt, dass die vier Freunde sich entschlossen hatten, ihre gemütliche Schäreninsel nahe Stockholm zu verlassen und sich im Süden des Landes dem Netzwerk anzuschließen. Solange es notwendig und Torges Schiff fahrtauglich war, würden sie helfen, Leute wie Esther und Judith und andere gefährdete Personen vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Das hatten sie geschworen, damals als Esther zu ihnen nach Björkö gekommen war.

Keine drei Jahre war es her, dass Torge die faszinierend schöne junge Frau in der Hansestadt Hamburg getroffen hatte, wo er als Matrose auf einem Schiff seiner Majestät König Gustav V. eine kurze Zwischenstation gemacht und die Stadt mit ihrer berühmten Amüsiermeile erkundet hatte.

Dass ihm auf dem Rückweg zum Schiff ausgerechnet diese zierliche junge Frau quasi vor die Füße gefallen war, grenzte schon an ein Wunder, das nur dadurch übertroffen wurde, dass er sie nach einem Jahr des Briefeschreibens in einer Nacht-und-Nebelaktion mitsamt ihrer Schwester Judith zu sich nach Schweden geholt hatte. Die Heirat mit Esther war danach zu erwarten gewesen, so sehr sich Sven-Ove und Rasmus auch um sie bemüht hatten – für sie gab es niemand außer Torge. Selbst ihre Schwester Judith war anfangs ganz im Bann von Torges Charme gewesen, den Jasper nur mit viel Geduld und sehr behutsam hatte aufbrechen können. Auch wenn sie zugegebenermaßen kaum halb so viel Liebreiz besaß wie Esther, so war jedoch Judith für ihn die Frau, die er sich für den Rest seines Lebens an seiner Seite vorstellen konnte. Bisher hatte er sich jedoch nicht getraut, sich ihr zu offenbaren. Was, wenn sie seine Gefühle nicht erwiderte? Andererseits musste sie bemerkt haben, wie er in ihrer Gegenwart zu stammeln begann und sich sein Puls beschleunigte. Warum sonst schenkte sie ihm immer ein Extra-Lächeln, wenn sie sich begegneten?

Einen Moment ganz in seinen Gedanken an ihre schönen kornblumenblauen Augen in dem blassen, ebenmäßigen Gesicht unter kohlrabenschwarzen Locken versunken, bemerkte Jasper nicht, wie Sven-Ove sich krampfhaft bemühte, das Ruder herumzureißen und das Großsegel aus dem Wind zu nehmen.

Was ist denn?“ schimpfte er und rammte Jasper den Ellenbogen in die Seite. „Träum nicht, sondern hilf mir lieber. Hast du Rasmus nicht gehört?“

Jasper zuckte zusammen und realisierte erst jetzt, dass sowohl Rasmus als auch Torge wild gestikulierend voraus deuteten, wo die weiß schäumenden Wogen gegen mehrere seltsame dunkle Umrisse klatschten.

Der Bug war kaum drei Schritt weit von dem ersten Ding entfernt, als Jasper begriff, um was es sich handelte. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihm, Sven-Ove zu helfen. Nur einen Augenblick später drückte eine Windböe sie nach Südwest und damit an den matt schwarz glänzenden Wasserminen vorbei. Sie hatten die Grauzone, den Sperrgürtel vor der deutschen Bucht, und damit den Treffpunkt erreicht. Doch außer ihnen war kein einziges Schiff weit und breit zu sehen.

*****

Unruhig wandert Moritz auf und ab. Der Vorraum der Mensa ist um diese Zeit beinah menschenleer. Einige wenige Nachzügler schlurfen durch den Eingang in Richtung ihrer Vorlesungen und Seminare davon, während von Basti keine Spur zu entdecken ist. Dabei nutzen sie schon seit Anfang des Semesters die Lücke in ihrer beider Curriculum, um in Ruhe und nach dem großen Ansturm zu essen.

Ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend, bleibt Moritz in der Tür stehen und wirft erwartungsvolle Blicke hinaus in den Basti-freien Innenhof. Er ist kurz davor, sein Smartphone aus der Tasche zu holen und seinem besten Freund eine erneute Nachricht auf die Mailbox zu sprechen. Doch da sieht er endlich den ersehnten blonden Wuschelkopf um die Ecke biegen.

„Hey, sorry“, ruft Basti schon von weitem, „musste ewig auf Professor Heyse warten wegen meiner Versuchsreihe. Lebst du noch?“

„Gerade so“, murmelt Moritz mit einem schiefen Grinsen und hält Basti die Tür auf. „Hoffe, es ist noch Lasagne da.“

„Oh ja“, seufzt Basti, „ich habe einen Mordshunger. Ach, übrigens, Maja wird uns am Flughafen abholen. Wir fahren dann mit dem Auto eines Wochenendbewohners von Björkö, der am Flughafen arbeitet, zum Fährhafen.“

Moritz nickt, während er sich einen Teller mit Lasagne füllt und zur Kasse geht. Er überlegt kurz, ob er Basti in seine Überlegungen um Lotta weiter involvieren soll; nach einem prüfenden Blick auf seinen besten Freund, der in Vorfreude auf Maja regelrecht leuchtet, entscheidet er sich dagegen. Stattdessen nimmt der Vorsatz, Lottas beste Freundin anzurufen und um Rat zu bitten, mehr und mehr Gestalt in ihm an.

Es dauert jedoch noch bis zum Ende der freien Zeit vor dem nächsten Kurs am Nachmittag, bis er sich dazu durchringt, mithilfe seines Smartphones nach der Nummer der Werbeagentur zu suchen, in der Susanna Eberhardt arbeitet. Kurz vor Beginn des Kurses wählt er und lässt sich zu Sanna durchstellen. Sie ist kurz angebunden, offenbar sehr gestresst, gibt ihm aber doch ihre Mobilnummer und bittet ihn, sich am Abend nach einundzwanzig Uhr noch einmal zu melden.

„Okay“, antwortet Moritz, stellt dann aber doch die Frage, die ihm seit Wochen Sorgen bereitet: „Weißt du, was mit Lotta los ist?“

„Uh“, macht Sanna entrüstet, „das musst ausgerechnet du fragen? Was hast du denn mit ihr gemacht?“

Moritz ist perplex und kann einen Moment lang nicht antworten. Aber er spürt, wie sich Wut und Empörung in ihm aufzutürmen beginnen; dahinter ist jedoch noch etwas anderes: Angst. Was weiß Sanna, das er nicht weiß?

Ein leiser Ton sagt ihm, dass Sanna das Gespräch beendet hat. Sprachlos starrt Moritz auf das abgedunkelte Display seines Smartphones, auf dem ein Foto von Lotta zu erkennen ist: einen Tag vor Weihnachten auf Borkum, strahlend und mit leuchtenden haselnussfarbenen Augen. Damals ist noch alles in Ordnung gewesen. Im Nachhinein klingt es beinah wie ein Märchen, dass Moritz sich für einen Augenblick fragt, ob es wirklich geschehen ist.

Ein Räuspern und das Verstummen seiner Kommilitonen ringsum zeigt ihm an, dass Professor Rickenstorff seine Vorlesung beginnen möchte. Moritz schluckt und seufzt leise, während er Stift und Collegeblock aus seiner Umhängetasche zieht und sich startklar macht. Doch, obwohl Rickenstorff ein guter Redner ist und selbst trockene Theorie gut zu vermitteln vermag, fällt es Moritz heute schwer sich zu konzentrieren.

Die gesamte Vorlesung über drehen sich seine Gedanken einzig und allein um Lotta, sodass er nicht mitbekommt, was der Professor über Elementare Zahlentheorie sagt, noch dass es Anfang Mai eine schriftliche Teamarbeit geben wird. Wie Moritz es auch dreht und wendet, seine Unbekannte heißt Lotta. Warum reagiert sie nicht auf seine Anrufe? Was hat er ihr nur getan?

Fragezeichen um Fragezeichen malt er auf seinen Collegeblock, während er im Geiste alle Szenen mit Lotta Review passieren lässt, an die er sich aus jüngster Vergangenheit erinnern kann: wie sie vor ihm zurückgeschreckt und ihm ausgewichen ist, sodass er sich zum Schluss kaum mehr getraut hat, sich ihr auf mehr als zwei Schritte zu nähern. Wie, in aller Welt, sollen sie zusammen eine Woche auf einer schwedischen Insel überleben?

Als Professor Rickenstorff den leise summenden Beamer ausschaltet und sich verabschiedet, zuckt Moritz erschrocken zusammen, während sein genervter Sitznachbar bereits dabei ist, über seine ausgetreckten langen Beine zu steigen.

Moritz beeilt sich, seine Sachen zusammen zu sammeln und ebenfalls den Hörsaal zu verlassen. Draußen im Innenhof des Kollegiengebäudes findet er eine ruhige Ecke und wählt mit zitternden Fingern die Nummer von Lottas Wache in Hamburg. Es klingelt zweimal, bevor abgehoben wird.

„Polizeikommissariat 21 in Hamburg“, meldet sich eine männliche Stimme, die Moritz bekannt vorkommt. „Sie sprechen mit Oberkommissar Herms.“

„Moritz Guth hier“, antwortet Moritz gefasst, als er die Stimme am anderen Ende als die von Lottas Kollegen erkennt. „Ist Lotta Strandt da? Ich muss sie sprechen, es ist dringend.“

„Ach, hallo Herr Guth“, erwidert der Polizist eine Spur freundlicher, „tut mir leid, aber Lotta ist gerade auf Einsatz. Kann ich was ausrichten?“

„Nein“, murmelt Moritz leise, um dann mit leichter Besorgnis fortzufahren: „Sie ist im Einsatz? Ganz allein, ohne Sie?“

„Da wäre ich nur im Weg“, grinst Herms am anderen Ende der Leitung, „ich war leider etwas ungeschickt beim Skilaufen im März und trage derzeit ein Gipsbein spazieren. Lotta ist aktuell mit einem anderen Partner unterwegs, ein neuer Kollege aus Berlin: Oberkommissar Maximilian Bohse.“

„Ach so, ja, natürlich“, murmelt Moritz rasch, um sich seinen Schock nicht anmerken zu lassen. „Vielleicht richten Sie ihr einfach aus, dass sie mich zurückruft, wenn sie wieder da ist? Danke.“

„Geht klar“, antwortet Herms und verabschiedet sich.

Während Moritz das rote Auflegen-Symbol berührt, spürt er, wie sich der harte Boden unter ihm plötzlich in Treibsand verwandelt. Alles dreht sich um ihn, als es ihm eiskalt über den Rücken läuft. Ein neuer Kollege aus Berlin, warum hat Lotta denn nichts davon gesagt?

Mühsam schleppt sich Moritz hinüber zu einem großen grauen Stein, der unter einer schlanken Platane auf dem Rasen in dieser Ecke des Innenhofes liegt. Mit einem schweren Seufzer lässt er sich auf die kalte, harte Oberfläche sinken und versucht minutenlang vergeblich, seinen Puls zu beruhigen.

Mit einiger Überwindung startet er den Browser auf seinem Smartphone und tippt „maximilian bohse oberkommissar polizei berlin“ in die Suchmaske ein. Das kleine Lade-Icon dreht und dreht sich, bevor eine lange Trefferliste auf dem Display erscheint. Schon beim ersten Überfliegen wird Moritz klar, dass Lottas neuer Kollege ein Sport-Ass und ein Polizist mit etwas unkonventionellen Methoden sein muss.

„Verhaftung zweier Terror-Verdächtiger am Flughafen Berlin-Tegel“, liest Moritz, „Verbindung zu Jesim Bakr, Top Drei der international gesuchten Terroristen, nicht ausgeschlossen“, dazu „Auszeichnung für Berliner Oberkommissar“, und weiter unten: „Anschlag auf Berliner U-Bahn vereitelt – aufmerksamer Polizist stellt nach Verfolgungsjagd zu Fuß gesuchten Neo-Nazi.“

Der Artikel über die Auszeichnung bietet beim Draufklicken auch ein Foto, auf dem ein hochgewachsener, sportlich schlanker Mann Mitte Dreißig zu sehen ist, der neben einem trotz Zivilkleidung offiziell wirkenden Mann steht und dem neuen Bürgermeister von Berlin die Hand schüttelt.

Moritz zoomt heran und betrachtet das kantige Gesicht von Bohse, dessen stahlblaue Augen leuchten, während sein kurz geschnittenes dunkles Haar verwegen zum Seitenscheitel geteilt ist. Das strahlende Lächeln wirkt offen und keineswegs gestellt. Dennoch spürt Moritz, dass er diesen Mann aus tiefster Seele hasst.

Er scrollt noch ein bisschen weiter und findet ein Gruppenfoto, auf dem Lotta umringt von ihren Kollegen vom PK 21 abgebildet ist. Es muss ein neues Foto sein, denn Jacob Herms, der links von Lotta auf einem Stuhl sitzt, lässt unterhalb des rechten Knies den Rand eines Gehgipses erahnen.

Doch Moritz fühlt seinen Blick beinah magnetisch angezogen von dem großen, gut aussehenden Mann, der rechts der zierlichen Lotta in die Kamera strahlt. Aus der Perspektive des Fotos ist es nicht genau zu erkennen, aber es sieht so aus, als ob Maximilian Bohse seinen linken Arm um Lottas schmale Schultern gelegt hat. Moritz spürt ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust.

„‚Max Böse‘“, knurrt er leise, „du wirst mir Lotta nicht wegnehmen. Du nicht.“

Aber was kann er einem gefeierten Verhafter von Terroristen und Neo-Nazis entgegen setzen? Der Kerl ist ein Held, und auf sowas stehen Frauen doch. Das gilt bestimmt auch für Lotta. Und was hat er ihr schon zu bieten? Er ist doch nur ein unbedeutender Student im letzten Semester, der zwar seine Prüfungen stets mit Auszeichnung bestanden hat, aber noch ein Staatsexamen und das Referendariat absolvieren muss, bevor er als Lehrer für Mathematik und Sport an irgendeiner höheren Schule angestellt wird. Vielleicht reicht es irgendwann für eine Verbeamtung, aber im Vergleich zu… Wie soll er Lotta nur halten?

*****

Die Spur des Austernfischers

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