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1. Einleitung

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„Leben Sie jetzt die Fragen.

Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu bemerken,

eines fernen Tages in die Antworten hinein.“

R. M. Rilke,

Briefe an einen jungen Dichter

Schon in frühen Kinderjahren stellte ich Fragen nach dem lieben Gott, die meine Mutter geduldig und fürsorglich beantwortete. Ihre Antworten faszinierten mich, und ich wollte mehr Antworten und stellte mehr Fragen. Eines Tages sagte meine Mutter:

„Du kannst entweder glauben oder wissen. Wenn du dich für das Wissen entscheidest, wirst du deinen Glauben verlieren.“

Diese Warnung erschreckte mich, und ich gab für längere Zeit die Fragen auf, um weiterhin glauben zu können.

Als Jugendlicher beschäftigte ich mich intensiv mit den Geheimnissen des Lebens, dachte über sie nach, schrieb über sie, las psychologische Fachliteratur und begann zu meditieren. Von diesen ungewöhnlichen Aktivitäten ihres heranwachsenden Sohnes beunruhigt, warnte mich meine Mutter mehrfach:

„Man experimentiert nicht mit seiner Seele – denn der Mensch versuche die Götter nicht und begehre niemals zu schauen, was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen!“

Immer wieder bemühte ich mich, einfach nur zu glauben und das Fragen und Suchen ruhen zu lassen; vergeblich. Es ließ mich nicht ruhen.

Im Alter von 31 Jahren packte mich an einem Wochenende ein erstes Gewitter von Selbsterkenntnis. Es hatte eine derart verwirrende und gleichzeitig befreiende Wirkung auf mich, dass ich von da an nur noch zwei Dinge wirklich wollte: die Wahrheit erkennen und ihr gemäß leben.

15 Jahre später begegnete ich dem Grauen, das die Wahrheit verdeckt. Ich irrte monatelang darin herum, bis ich den Weg fand, der hinausführt. Nach einer kurzen Erholungspause entschloss ich mich, in einer kleinen Holzhütte zu leben und dort so lange zu meditieren, bis der Durchbruch zur Wahrheit geschafft sei. Dabei begegnete ich der Nacht, jener Finsternis, die ebenfalls die Wahrheit verdeckt. Wieder irrte ich darin herum, bis ich den Weg fand, der hinausführt.

Das Erkennen der Wahrheit vollzog sich in meinem Fall schrittweise. Es entfaltete sich von meiner Kindheit an bis heute und wird auch weiterhin seinen Lauf nehmen. Das Gewitter der Selbsterkenntnis, die Konfrontation mit dem Grauen und die Begegnung mit der Finsternis waren nur einzelne herausragende Ereignisse in einer Kette von Ereignissen, die durch alle Jahre hindurch immer mehr Wahrheit enthüllten. Kein einziges, kein noch so geringes Glied dieser Kette hätte fehlen dürfen.

Die Warnungen meiner Mutter waren berechtigt, denn zum einen habe ich den Glauben an meine Illusionen verloren, dafür aber Gewissheit gewonnen. Zum anderen wurde ich mit all dem konfrontiert, worin die Götter sich selbst verhüllen.

Rückblickend kann ich sagen, dass ich meinen Weg nicht aus eigenem Entschluss gewählt hatte. Ich musste ihn einfach gehen. Aber er entsprach mir voll und ganz – und tatsächlich machte er mir auch Spaß. Ich empfand Freude, ihn zu gehen, und erlebte dabei den tiefsten Sinn meines Lebens.

Nach meiner Rückkehr aus der Hütte wurde dieses Buch geschrieben. Es erinnert die Leser daran, dass sie nicht das Ich sind, für das sie sich halten, sondern weit mehr: unpersönliches Dasein, absolut bewusst, intelligent und schöpferisch.

Wie alle Dinge in unserer dualen Welt, so hat auch diese Erkenntnis zwei Seiten. Sie ist in höchstem Maß befreiend, bedeutet jedoch gleichzeitig den Abschied von all den gewohnten Illusionen, die wir uns über uns selbst und das Leben machen. Obwohl wir in regelmäßigen Abständen unter unseren falschen Vorstellungen leiden, weil sie zwangsläufig immer wieder mit der lebendigen Realität kollidieren, fällt uns der rigorose Verzicht auf lieb gewonnene Überzeugungen nicht leicht.

Dieses Buch gibt meine Erfahrungen und Einsichten wieder. Manchmal schildere ich sie in groben Zügen, manchmal detailliert. Meine Absicht ist es, den Leserinnen und Lesern ein Wiedererkennen dessen zu ermöglichen, was sie schon selbst ähnlich erlebt haben. Ich möchte sie ermuntern, den eingeschlagenen Weg trotz gelegentlicher Zweifel und Ängste fortzusetzen. Es lohnt sich.

Die vorliegende Neuauflage ist eine gründliche Überarbeitung und sorgfältige Aktualisierung des ursprünglichen Textes. Sie dient als Orientierungshilfe für unterwegs. Das Wissen über den Weg und das Ziel ist jedoch vollkommen unbrauchbar, wenn der Leser nicht selbst geht – und das bedeutet paradoxerweise: im wachen Bewusstsein der eigenen Anwesenheit stehen zu bleiben.

Grenzenlose Erleichterung

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