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Schumacher

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Vor ein paar Monaten meldete mein Radio, er sei aus der Klinik entlassen worden. Der arme Teufel. Wenn ich an unsere erste Begegnung denke, wie gut es ihm damals ging!

Als ich erstmals bei ihm zur Tür hereinspazierte, rieb er sich lachend die Hände und rief: »Okay, Curtis, wo fangen wir an?!«

Direkt am Start, der Mann, das gefiel mir. Er trug die bekannte rote Ferrari-Kappe und wieselte unermüdlich um die Polstergarnitur in seinem Wohnzimmer, aufgestellt in Form der Rennstrecke Imola. Das gefiel mir weniger gut. »Getrieben, gute Kurvenlage, Vollgasbewusstsein« notierte ich im Kopf. Der Formel-1-Champion war soeben vom Rennsport zurückgetreten und hatte mich gebeten, ihn in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Was sollte er mit sich anfangen? Er konnte ja nicht ewig so herumtigern. Sollte man ihn im Eisschrank von Bernie Ecclestone für die Ewigkeit konservieren? Ihn ausstellen im Museum für moderne Geschwindigkeit?

Sportminister Schäuble plädierte damals dafür, den Vollgasveteran rigoros auszuwil-dern, wobei sofort klar war, wie brutal es wäre, einen Mann, dem die Rennstrecke Biotop geworden ist, Knall auf Fall in den Straßenverkehr zu entlassen. Natürlich waren ihm Verkehrsschilder und Radfahrer fremd, und dass er fortan nur eine Fahrbahnhälfte benutzen durfte, wäre ihm genauso rätselhaft erschienen wie die Forderung, nach dem Volltanken zu zahlen. Das alles galt es zu bedenken. Ich versuchte, mich vollständig in Schumacher hineinzuversetzen, und sah, dass er Wutanfälle bekommen müsste, würde er vor einer roten Ampel nicht in Pole Position stehen. Und dann noch der ungewohnte Gegenverkehr! Der Kerpener würde ihn zwangsläufig für eine Armada verrückt gewordener Mc-Laren-Mercedes-Mechaniker halten, und wie sollte er begreifen, dass er eine komplette Runde durch die Stadt drehen konnte, ohne von Mika Häkkinen angegriffen zu werden?

Es türmten sich so viele Fragen und Probleme auf, dass einflussreiche Persönlichkeiten dafür plädierten, den emeritierten Bleifußgott auf der Rennstrecke als lebendes Denkmal zu belassen. Dafür sollte er eine kostenlose Sonderausstattung bekommen, konkret einen vergoldeten Einfüllstutzen direkt am Hals plus zwei Regenreifen in Kniehöhe sowie eine Mütze mit Schiebedach.

Schumacher widerstand dem verlockenden Angebot, bzw. ich konnte ihm klarmachen, dass er Besseres verdient hätte, als den PS-Clown auf Lebenszeit zu geben. In zwei harten Arbeitswochen versah ich meinen Schützling mit dem nötigen Rüstzeug, um in der »komischen« (Schumacher) Welt da draußen bestehen zu können: Erst Stadtbilderbücher (ab 3 Jahren) durchblättern, dann zwei, drei Taxifahrten und immer wieder endlose Gespräche über Autotouren, die einen (für ihn) lachhaften Zweck hatten (»Echt einfach nur ankommen, Curtis?«).

Ja, Schumacher war durchaus willens, einer von uns zu werden. Jedenfalls lernte er fleißig und schnell und schien die Alltagsrealität einschließlich einer Vielzahl unangenehmer Schilder (»Vorfahrt achten«) vollständig zu akzeptieren.

Natürlich war das ein Irrtum, der Rennsport hatte ihn zu tief geprägt. Als ich eines Morgens ein bisschen zu früh dran war, sah ich die Bescherung. Schumacher war gerade aus dem Bett gehüpft und ins Bad gebraust.

»Langsam, Michael, und guten Morgen erst mal!«

Er ließ sich nicht bremsen. Boxenstopp in der Küche, kurzer Check des Luftwider-stands von Frau und Kindern, und ab zum Einkaufen (per Schnellbus). Seine Frau sagte, es sei jeden Morgen dasselbe. Nach dreißig Runden um die Käsetheke, komme er nassgeschwitzt nach Hause, um dann bei einem inneren Durchschnittstempo von 320 km/h im Hobbyraum zu entspannen.

Wie ich heute weiß, vergeblich. Schumachers Unruhe wurde ständig größer (»Diese ganze Lahmarschigkeit hier macht mich verrückt!«), immer häufiger tauchte er bei Formel-1-Rennen auf, um schließlich wieder in einem Boliden zu landen und ordentlich auf den Pinn zu treten. Wenig kam dabei heraus. Zu alt der Mann, hieß es, aber dass er hinterherfuhr, hatte einen anderen Grund: Schumacher war nicht mehr »rein«, die Einflüsse der Normalwelt hatten ihn gelähmt, in Silverstone rechnete er ständig damit, auf einen Zebrastreifen zu treffen (vielleicht auch auf den rotbraunen Teppich unter seiner Wohnzimmergarnitur).

Ich würde nicht sagen, dass ich an Schumacher gescheitert bin. Das Wesen eines Menschen lässt sich nicht beliebig biegen. Wir sind Gewohnheitstiere.

Das Leben ist ein Schokokönig

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