Читать книгу Die Teufelin - Фэй Уэлдон - Страница 6
4
ОглавлениеBobbos Mutter Brenda schlich außen um das Haus ihres Sohnes, Nightbird Drive Nr. 19, herum. Sie neigte zu neckischen Streichen, eine Veranlagung, die sie ihrem Sohn nicht vererbt hatte. Brenda wollte Ruth überraschen, indem sie plötzlich ihre Nase gegen das Küchenfenster drückte. »Huhu, da bin ich«, würden ihre Mundbewegungen durch das Glas hindurch ausdrücken. »Das Monster, die Schwiegermutter!« So konnte sie gleich den Stachel ziehen, was ihre problematische Rolle in der Familie anbelangte, und, wie sie glaubte, dem Abend zu einem guten Start verhelfen; jede eventuell vorhandene Spannung würde sich in Gelächter auflösen.
Brendas kleine Absätze bohrten sich in die gepflegte Rasenfläche, was beiden nicht bekam. Das Gras war frisch gemäht. Ruth machte es Spaß, den Rasen zu mähen. Mit kräftiger Hand konnte sie den Rasenmäher schieben; die Arbeit war rasch und mühelos getan, während ihre kleineren Nachbarinnen schwitzten und jammerten und sich mit Gras abplagten, das sie aus dem allwöchentlich widerlegten Glauben heraus, Rasenmähen wäre Männersache, hatten zu hoch wachsen lassen.
Bobbos Mutter spähte durch das Küchenfenster, wo die dampfende Pilzsuppe auf einen Schuß Sahne und Sherry wartete, und nickte beifällig. Sie mochte es, wenn ordentliche Arbeit geleistet wurde – so lange es ein anderer tat. Sie schaute durch die offenen Verandatüren ins Speisezimmer, wo der Tisch für vier Personen gedeckt war und die Kerzen in ihren Haltern steckten, wo das Silberbesteck poliert und die Anrichte abgestaubt war und seufzte vor Bewunderung. Ruth verstand sich aufs Putzen. Sie brauchte nur mit ihren kraftvollen Fingern einmal drüberzureiben, und schon verschwanden alle Flecken. Brenda war auf eine elektrische Zahnbürste angewiesen, wenn sie ihr eigenes Silber auf Hochglanz bringen wollte – eine langwierige, ermüdende Sache –, und das war vielleicht auch das einzige, worum sie Ruth beneidete: ihr Geschick im Silberputzen.
Bobbos Mutter beneidete Ruth nicht um deren Ehe mit Bobbo. Brenda liebte Bobbo nicht, hatte ihn nie geliebt. Sie mochte Bobbo ganz gern, mochte auch ihren Gatten ganz gern, aber auch da waren ihre Gefühle recht flüchtiger Natur.
Die Luft war angefüllt vom Duft der Nachtschattengewächse.
»Wie hübsch sie alles macht«, sagte Bobbos Mutter zu ihrem Mann Angus. »Bobbo hat wirklich Glück gehabt!« Angus war auf dem Weg stehengeblieben und wartete darauf, daß sich die neckische Laune seiner Frau legen und sie aufhören würde, in Fenster zu spähen. Brenda trug ein beiges Seidenkleid und goldene Armreifen und gab sich gerne zeitlos. Angus trug einen bräunlich karierten Anzug, ein ockerfarbenes Hemd und eine Krawatte mit blauen Punkten. Ganz gleich, wie reich oder arm sie gerade sein mochten, Brenda sah stets eine Spur zu elegant und Angus ein bißchen absurd aus. Brenda hatte eine kleine Stupsnase und weit auseinanderstehende Augen, Angus eine große fleischige Nase und eng zusammenstehende Augen.
Bobbo trug graue Anzüge und weiße Hemden und farblose Schlipse, stets darauf bedacht, ernsthaft und neutral zu wirken, seine Zeit abzuwarten und seine Macht zu verbergen. Seine Nase war gerade und kräftig, und seine Augen hatten genau den richtigen Abstand.
Brenda schaute in das Wohnzimmer, wo die beiden Kinder vor dem Fernsehapparat saßen. Die Reste eines frühen Abendessens standen auf dem Tisch. Die Kinder waren gewaschen, gekämmt und bereit fürs Bett. Sie schienen glücklich, aber reizlos, doch was konnte man bei einer Mutter wie Ruth schon erwarten?
»Sie ist eine so gute Mutter«, flüsterte Brenda und winkte Angus näher heran, damit er die Kinder ebenfalls bewundern konnte. »Man muß einfach Respekt vor ihr haben.«
Brenda streifte die Erde von ihren Absätzen und ging zur Waschküche herum, wo Bobbo gerade ein gebügeltes gefaltetes Hemd von einem ordentlichen Stapel nahm. Er stand in Unterhemd und Unterhose da, aber hatte Brenda ihn nicht oft genug gebadet, als er noch ein kleiner Junge war? Kann eine Mutter vor der Blöße ihres Sohnes zurückschrecken?
Die hübschen kleinen Bißwunden am Oberarm ihres Sohnes bemerkte Brenda nicht; oder vielleicht tat sie es und hielt sie für Insektenstiche. Ganz sicher konnten sie nicht von Ruths Zähnen stammen, die groß, schwer und regelmäßig waren.
»Sie ist so eine gute Ehefrau«, sagte Bobbos Mutter, fast zu Tränen gerührt. »Sieh nur, wie sie gebügelt hat!« Bobbos Mutter bügelte nur im äußersten Notfall. In guten Zeiten lebten sie und Angus gern in Hotels, aus dem schlichten Grund, weil es dort einen umfassenden Service gab. »Und was für ein guter Ehemann Bobbo doch geworden ist!« Falls sie ihren Sohn für narzißtisch hielt, weil er so lange in den Spiegel starrte, so behielt sie das für sich.
Doch Bobbo schaute in den Spiegel, betrachtete seine klaren, edlen Augen, seine intelligente Stirn und die leicht zerbissenen Lippen, ohne sich selbst wirklich wahrzunehmen: Er sah nur den Mann, den Mary Fisher liebte.
Während Bobbo sich ankleidete, arbeitete er in seinem Kopf eine Geldskala für den Liebesakt aus. Er fühlte sich wohler, wenn er einen finanziellen Maßstab an die Dinge anlegen konnte. Nicht, daß er geizig gewesen wäre: Er gab mit Vergnügen Geld aus. Er hatte lediglich das Gefühl, daß Leben und Geld ein und dieselbe Sache waren. Sein Vater hatte ihm das oft genug zu verstehen gegeben.
»Zeit ist Geld«, pflegte Angus zu sagen und trieb seinen Sohn aus dem Haus in die Schule. »Leben ist Zeit, und Zeit ist Geld.« Manchmal mußte Bobbo laufen, weil das Geld für den Bus fehlte. Manchmal fuhr er im Rolls-Royce mit Chauffeur.
Im Laufe von Bobbos Kindheit hatte Angus zwei Millionen verdient und drei verloren. Ein Leben voller Höhen und Tiefen für einen heranwachsenden Knaben! »In der Zeit, die du dafür brauchst«, pflegte er zu dem Kleinen zu sagen, der sich mit ungeübten Fingern abmühte, seine Schnürsenkel zu binden, »könnte ich tausend Pfund verdienen.«
Wollte man die Liebe geldmäßig erfassen, dachte Bobbo, so müßte man die Summe der durch Liebe verlorengegangenen Arbeitszeit plus verbrauchte Energie dem genossenen Vergnügen plus erneuerte Kreativität gegenüberstellen. Der Koitus eines Kabinettsministers, wie mickrig auch immer, konnte sich auf ungefähr 200 Dollar belaufen, während eine Hausfrau es, ganz gleich wie energiegeladen sie zu Werke ging, lediglich auf kümmerliche 25 Dollar bringen würde. Ein Schäferstündchen mit Mary Fisher, die nicht nur gut verdiente, sondern auch eine leidenschaftliche Geliebte war, wäre ungefähr 500 Dollar wert. Mit seiner eigenen Frau ließ es sich auf 75 Dollar einstufen, aber da es relativ häufig dazu kam, ergab sich unglücklicherweise eine Wertminderung. Je öfter man mit einer bestimmten Person ins Bett ging, so glaubte Bobbo, desto weniger war es wert.
Bobbos Mutter zog erneut ihre Absätze aus dem gepflegten Rasen, winkte ihrem Gatten und machte sich mit ihm zusammen zum Hauseingang auf. Sie warf einen Blick in den Salon und erblickte Ruths mächtigen Rücken über einen Plattenspieler gebeugt; sie stellte gerade eine Auswahl an Musik für die Zeit vor und nach dem Essen zusammen.
Ruth richtete sich auf und knallte mit dem Kopf gegen den Eichenbalken über dem Kamin. Das Haus war für kleinere Bewohner entworfen worden.
Gerade als Ruths Schwiegermutter ihre Nase gegen die Scheibe pressen und ihr Späßchen treiben wollte, drehte sich Ruth um. Selbst durch die verzerrende Fensterscheibe hindurch konnte man deutlich erkennen, daß sie geweint hatte. Ihr Gesicht war aufgedunsen und ihre Augen verschwollen. »Der Vorstadt-Blues!« murmelte Brenda Angus zu. »Selbst die Glücklichsten leiden darunter!« Sie beobachteten, wie Ruth die Hände heftig ringend gen Himmel hob, als flehe sie irgendeine furchtbare Gottheit an, durch die seegrüne Zimmerdecke herniederzusteigen.
»Ich glaube, sie ist ein bißchen aufgeregter als sonst«, sagte Bobbos Mutter mißbilligend. »Hoffentlich behandelt Bobbo sie gut.« Und damit setzten sie und Bobbos Vater sich auf die niedrige Bank vor dem Haus, starrten in die über Nightbird Drive hereinbrechende Nacht und unterhielten sich ziellos über ihr eigenes und anderer Leute Leben.
»Lassen wir ihr Zeit, sich zu beruhigen«, sagte Bobbos Mutter. »Dinnerparties können, auch wenn bloß Familienmitglieder dabei sind, ganz schön anstrengend sein!«
Bobbos Mutter hatte für jeden Anlaß ein paar beruhigende, beschwichtigende Worte und Gedanken parat. Kein Mensch konnte begreifen, woher Bobbos rastloses, ehrgeiziges, wehleidiges Wesen stammte. Bobbos Vater teilte die Fähigkeit seiner Frau zu positivem Denken; zu 66,66 Prozent war eine solche Denkweise auch durchaus berechtigt. Die Dinge wenden sich oft genug zum Guten, wenn man nur fest daran glaubt; man mußte nur alles seinen gerechten Gang gehen lassen, ohne einen Finger zu rühren. Doch anders als seine Eltern überließ Bobbo nur äußerst ungern etwas dem Zufall. Bobbos Ehrgeiz lief auf eine hundertprozentige Erfolgsrate im Leben hinaus.
Bobbo kleidete sich fertig an. Für ihn war es selbstverständlich, daß stets sauber gefaltete, gebügelte Kleidung bereitlag. War er bei Mary Fisher, so kümmerte sich der Diener Garcia um diese Dinge; auch das war für Bobbo eine Selbstverständlichkeit.
»Was gibt es wohl bei Mary Fisher zum Abendessen?« fragte sich Bobbo, so wie es seine Frau schon zuvor getan hatte und wünschte sich, eines jener köstlichen Häppchen zu sein, die seine Geliebte in ihren Mund schob. Ah, völlig verschlungen, einverleibt zu werden! Ein Scheibchen Räucherlachs, ein Stück Orange, ein Schluck Champagner!
Das waren Köstlichkeiten, die Mary Fisher gerne aß. Anspruchsvolle, unmögliche Mary Fisher! »Ein Stückchen Räucherlachs«, pflegte sie zu sagen, »kostet auch nicht mehr als eine große Dose Thunfisch. Und schmeckt wesentlich besser.«
Das war zur Hälfte Lüge, zur Hälfte Wahrheit – wie so vieles andere auch, was Mary Fisher sagte und schrieb.
Bobbo ging in den Salon, wo seine zu groß geratene Frau mit den Händen in der Luft herumfuchtelte.
»Warum heulst du?« fragte er.
»Weil ich mir den Kopf angeschlagen hab«, sagte sie, und er nahm diese Lüge hin, weil seine Eltern jeden Moment eintreffen konnten; abgesehen davon interessierte es ihn ohnehin kaum noch, was seine Frau sagte oder tat oder weshalb sie weinte. Er vergaß Ruth und fragte sich, wie so oft in letzter Zeit, in welcher Beziehung wohl Mary Fisher zu ihrem Diener Garcia stand. Garcia schnitt den Lachs auf, entkorkte den Champagner und putzte die großen Fenster im Erdgeschoß von innen und außen. Andere untergeordnete Haushaltsarbeiten überließ er den Hausmädchen. Garcia erhielt 300 Dollar die Woche, das Doppelte von dem, was Bobbos andere Klienten für gewöhnlich ihren im Haus lebenden Dienern zahlten. Garcia brachte seiner Herrin kleine Kännchen mit Kaffee, die er auf dem großen Glastisch abstellte, auf dem Mary Fisher ihre Romane schrieb, mit klarer roter Tinte auf sehr, sehr dünnem Papier. Ihre Handschrift war spinnwebfein und winzig. Garcia war groß und muskulös und dunkel und jung; seine Finger waren lang, und manchmal fragte sich Bobbo, wo sie überall herumwanderten. Garcia war fünfundzwanzig, und allein sein Gesichtsausdruck lenkte Bobbos Spekulation in Richtung Sexualität.
»Aber Bobbo«, sagte dann Mary Fisher, »du wirst doch nicht etwa eifersüchtig sein! Garcia ist jung genug, um mein Sohn zu sein.«
»Ödipus war auch ziemlich jung«, lautete Bobbos Antwort, womit er Mary Fisher zum Lachen brachte. Wie hübsch ihr Lachen klang, und wie leicht es ihr über die Lippen kam. Nur er allein sollte dieses Lachen hören, das wünschte er sich. Doch wie konnte er ständig um sie sein? Gewiß gab es keine andere Möglichkeit, sie ganz für sich zu behalten und sich ihre Treue zu sichern, als bei ihr zu bleiben. Doch Bobbo mußte Geld verdienen, mußte arbeiten, seinen Kindern ein Vater sein und seiner Frau, mochte sie auch noch so plump und verheult und langweilig sein, ein Ehemann. Er war eine Ehe eingegangen; er würde es durchstehen. Und weil er dabei litt, sollte auch Ruth leiden.
Seine Frau erschien ihm unermeßlich groß, und seit er ihr seine Liebe zu Mary Fisher gestanden hatte, schien sie noch größer geworden zu sein. Er fragte sie, ob sie zugenommen hätte, und sie verneinte das und stellte sich zum Beweis dafür auf die Waage. 89 Kilo, sogar ein Pfund weniger als sonst! Dann war es also pure Einbildung, daß sie noch drohender vor ihm aufragte.
Bobbo legte eine Platte auf. Er hoffte, daß darin das Geheul seiner Frau untergehen würde. Er wählte Vivaldi, um sich selbst und sie zu beruhigen. ›Die Vier Jahreszeiten‹. Er wünschte, sie würde nicht weinen. Was erwartete sie von ihm? Er hatte nie behauptet, sie zu lieben. Oder doch? Er konnte sich nicht mehr recht daran erinnern.
Ruth verließ den Raum. Er hörte, wie sie den Backofen öffnete. Ein kleiner Aufschrei, ein Knall. Sie hatte sich die Finger verbrannt. Die Vol-au-vents lagen auf dem Fußboden, das wußte er. Dabei war es doch wirklich nur ein kleines Stückchen vom Ofen zum Tisch!
Bobbo stellte den Plattenspieler lauter und ging in die Küche, wo sich Huhn, Sahnesauce und Pasteten auf den Linoleumfliesen mischten; Hund und Katze machten sich bereits darüber her. Er scheuchte die Tiere in den Garten, stieß Ruth auf einen Stuhl und schärfte ihr ein, die Kinder nicht aufzuregen, die durch ihr Verhalten ohnehin schon aufgeregt genug waren. Dann kratzte er alles so methodisch und hygienisch wie nur irgend möglich zusammen; auch wenn es ihm nicht gelang, einzelne Pasteten nachzuformen, so gelang ihm doch die Andeutung einer einzigen, großen, mit Hühnerfleisch gefüllten Form. Der Hygiene halber ließ Bobbo eine dünne Essensschicht auf dem Fußboden zurück, deren Wert er mit ungefähr 2 Dollar veranschlagte.
Er brauchte Hund und Katze, um die Schicht aufzulecken, doch die schmollten beide draußen und wollten nicht mehr hereinkommen. Statt dessen setzten sie sich auf das Mäuerchen, dicht neben seine Eltern und warteten genau wie jene auf einen häuslichen Stimmungsumschwung.
»Hör endlich auf zu weinen«, bat Bobbo in der Küche. »Weshalb machst du wegen allem und jedem so ein Theater? Schließlich kommen bloß meine Eltern zum Essen. Sie erwarten keinen solchen Aufwand. Mit einer einfachen Mahlzeit wären sie vollkommen zufrieden.«
»Wären sie nicht. Aber deswegen wein’ ich auch gar nicht.«
»Weshalb dann?«
»Das weißt du ganz genau.«
Ah, Mary Fisher. Das wußte er in der Tat. Er versuchte es mit Vernunftgründen.
»Als ich dich heiratete, hast du doch nicht erwartet, daß ich mich nie in irgendeine andere Frau verlieben würde?«
»Genau das hab ich erwartet. Jede Frau erwartet das.«
Sie fühlte, daß sie betrogen worden war.
»Aber du bist nicht wie andere Frauen, Ruth.«
»Du meinst, ich bin ein Monster.«
»Nein«, sagte er vorsichtig, freundlich. »Ich meine, wir sind alle Individuen.«
»Aber wir sind verheiratet, wir sind ein Fleisch.«
»Wir haben doch wohl mehr aus Bequemlichkeit geheiratet, meine Liebe. Ich denke, das war uns beiden damals klar.«
»Bequem für dich.«
Er lachte.
»Worüber lachst du?«
»Du denkst und redest nur in Klischees.«
»Mary Fisher vermutlich nicht?«
»Natürlich nicht. Sie ist eine kreative Künstlerin.«
Die Kinder, Andy und Nicola, tauchten in der Küchentür auf, er klein und schmal, sie breit und groß. Genau verkehrt herum. Er erschien mädchenhafter als sie. Bobbo gab Ruth die Schuld daran, daß sie die Kinder in falscher Reihenfolge zur Welt gebracht hatte. Er hatte das Gefühl, sie habe es absichtlich getan. Sein Herz blutete für die Kleinen. Kinder haben empfindliche Nerven, die sie sich jeden Tag schmerzhaft anstoßen. Obwohl er sie liebte, wünschte er, sie wären nie geboren worden. Sie standen zwischen ihm und Mary Fisher, und er träumte seltsame Träume, in denen sie ein trauriges Ende fanden.
»Kann ich einen Krapfen haben?« fragte Nicola. Auf häusliche Krisen reagierte sie, indem sie nach Essen verlangte. Sie hatte reichlich Übergewicht. Die zu erwartende Antwort »Nein« erzeugte bereits beim Aussprechen einen Gegenreiz und ersparte so ihren Eltern weiteren Kummer. Sie wären dann so beschäftigt, sie auszuschimpfen, daß sie ganz vergaßen, sich gegenseitig zu beschimpfen; zumindest nahm sie das fälschlicherweise an.
»Ich habe einen Splitter im Fuß«, sagte Andy. »Schaut mal, ich hinke!«
Er führte es vor, marschierte durch die Essensreste auf dem Fußboden, hinkte weiter ins Wohnzimmer, wobei er Sauce in den Teppich trat. Der Teppich war herbstgrün, gut abgestimmt auf die avocadofarbenen Wände und die seegrüne Decke. Bobbo schätzte, die fettigen Tritte würden die Reinigungsrechnung um weitere 30 Dollar erhöhen. Bei der jährlichen Generalreinigung würde der Teppich nun einer Spezialreinigung unterzogen werden müssen.
Draußen entschieden Angus und Brenda, daß Ruth mittlerweile ihre Fassung wiedergewonnen haben mußte. Sie verließen ihr Bänkchen, gingen den Gartenweg hoch und klingelten an der Haustür. Ding-dong!
»Bitte erspare mir jede Peinlichkeit in Gegenwart meiner Eltern«, bat Bobbo, worauf Ruth um so heftiger zu weinen begann. Sie stieß gewaltige würgende Schluchzer aus, wobei ihre gigantischen Schultern zuckten. Selbst ihre Tränen wirkten größer und wasserhaltiger als die anderer Leute. Mary Fisher, dachte Bobbo, vergießt niedliche kleine Tränen, die eine höhere Oberflächenspannung haben als die seiner Frau und die auf dem offenen Heiratsmarkt sicherlich höher eingestuft wurden. Gäbe es so was, er würde Ruth, ohne zu zögern, sofort auf den Markt werfen.
»Kommt rein«, sagte er an der Haustür zu seinen Eltern. »Kommt nur rein! Wie schön, euch zu sehen! Ruth hat Zwiebeln geschält. Ich fürchte, sie sieht noch ein bißchen verheult aus.«
Ruth rannte hoch in ihr Zimmer. Wenn Mary Fisher rannte, dann waren ihre Schritte leicht und beschwingt. Ruths Gewicht schwankte von einem massiven Bein aufs andere; jedesmal wurde das Haus erschüttert, wenn sie aufstampfte. Die Häuser in Eden Grove waren nicht nur für kleinere, sondern auch für leichtere Personen gedacht.