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1. Rundgang: Das Kapitol Der Tempel des Iuppiter Capitolinus
ОглавлениеDie bedeutendere der beiden durch einen Sattel, das sogenannte Asylum, voneinander getrennten Anhöhen des Kapitols war in politischer und religiöser Hinsicht zumindest seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. die südliche, das Capitolium. Auf dieser Anhöhe erhob sich das zentrale Heiligtum des römischen Staatskults, der Tempel der kapitolinischen Trias: Iuppiter Optimus Maximus, Iuno Regina und Minerva. Das im Laufe des 6. Jahrhunderts v. Chr. ausgeführte Bauvorhaben der etruskischen Dynastie der Tarquinier ist ein beredtes Zeugnis für die Absicht dieser Herrscher, das politische Zentrum des Latinerbundes nach Rom zu verlegen: Das neue Jupiterheiligtum sollte wohl das ältere gemeinsame Heiligtum des Bündnisses auf dem Mons Albanus (dem heutigen Monte Cavo) ersetzen, das durch seine Nähe zur ursprünglichen Hauptstadt Alba Longa auf deren Bedeutung verwies. Der Tempel und das vor ihm liegende Areal (Area Capitolina) waren der institutionalisierte Schauplatz einiger der bedeutendsten römischen Staatszeremonien: der Auspizien, die der Beamte vor dem Aufbruch zu einem Feldzug einholte, der feierlichen Opfer siegreicher Feldherren zum Abschluss der Triumphzüge usw. Im Gebäudeinnern wurden in einem steinernen Behälter die Libri Sibyllini aufbewahrt. Sie wurden in schweren Krisensituationen von einem eigens dafür eingerichteten Priesterkollegium zu Rate gezogen, das ursprünglich aus zwei Männern bestand, allmählich aber auf fünfzehn erweitert wurde (quindecemviri sacris faciundis). Eine nach dem Brand des Jahres 83 v. Chr. neu zusammengestellte Sprüchesammlung wurde schließlich von Augustus in den Tempel des Apollo Palatinus verbracht.
Die Reste des Tempelunterbaus sind noch sichtbar: die östliche Ecke der Südseite in der Via del Tempio di Giove; Reste des rückwärtigen, nördlichen Teils vor dem Gärtchen am Piazzale Caffarelli; insbesondere aber ein beträchtliches Mauerstück des Mittelteils in den Kapitolinischen Museen, in der Exedra des Mark Aurel. Die Grundfläche des entlang einer Nord-Süd-Achse ausgerichteten Gebäudes ist beachtlich, sie beträgt ca. 53 × 63 m.
Am Material (Cappellaccio, sehr spröder Tuff der obersten Gesteinsschicht aus der Gegend um Rom) sowie an der Bauweise ist erkennbar, dass der Tempel aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. stammt und keineswegs – wie ebenfalls vermutet wurde – eine nicht weiter bezeugte Neuerrichtung des 4. Jahrhunderts v. Chr. ist. Es handelt sich somit um den größten bekannten Tempel tuskischer Ordnung aus archaischer Zeit.
Da keine aufgehenden Teile erhalten sind (vom ursprünglichen Bau ist bis auf einen in den Kapitolinischen Museen aufbewahrten bemalten Ziegel nichts übrig geblieben), ist es schwierig, das Erscheinungsbild des Gebäudes zu rekonstruieren. Es ist jedoch durchaus möglich, dass es teilweise von dem idealtypischen Modell des bei Vitruv beschriebenen tuskischen Tempels abwich. Allem Anschein nach erstreckten sich die drei jeweils einem Gott bzw. einer Göttin zugeordneten cellae nicht über die gesamte Breite des Podiums, sondern nur über einen Teil desselben, befanden sich an den Längsseiten Kolonnaden (aus jeweils sechs Säulen?) und war die Rückwand (dem am weitesten verbreiteten italischen Brauch gemäß) fensterlos. Für die Fassade waren wahrscheinlich sechs Säulen charakteristisch, zwischen denen und den cellae sich zwei weitere Säulenreihen befunden haben müssen, um die Balken des extrem tiefen Pronaos zu tragen. Aus den literarischen Quellen und den erhaltenen Darstellungen ist bekannt, dass die mittlere cella Iuppiter Optimus Maximus, die rechte Minerva und die linke Juno geweiht war.
Den First des ältesten Baus schmückte ein großartiges Akroterion: eine bemalte, von Künstlern aus Veji gefertigte Terrakottaquadriga. Dieselbe Werkstatt, die unter der Leitung eines Meisters stand, der nach der Überlieferung von Plinius dem Älteren (Naturalis Historia [Naturgeschichte], XXXV, 157) Vulca hieß, fertigte auch die ebenfalls aus Terrakotta bestehenden Kultstatuen sowie den restlichen Tempeldekor. Von all diesen Kunstwerken ist nichts erhalten, doch dank eines erfreulichen, Anfang des 20. Jahrhunderts in Veji gemachten Fundes können wir uns eine Vorstellung davon machen. Denn aus derselben Werkstatt des Vulca gingen womöglich die (im Museo Nazionale Etrusco di Villa Giulia in Rom aufbewahrten) großen Skulpturen (Akroteria) hervor, die den First des Tempels von Portonaccio – bei Veji – schmückten, darunter der berühmte Apollo. Die Terrakottaquadriga wurde später, 296 v. Chr., durch eine Bronzequadriga ersetzt, die (neben einer Bronzewölfin am Comitium) von den kurulischen Ädilen jenes Jahres, den Brüdern Ogulnius, in Auftrag gegeben worden war. Das aufgehende Mauerwerk des Gebäudes wurde mehrfach durch die großen Brände, die das Kapitol verheerten, zerstört (83 v. Chr. sowie 69 und 80 n. Chr.). Bereits der erste Nachfolgebau soll aus Marmor gewesen sein, denn wie Plinius der Ältere überliefert, verwendete Sulla dafür angeblich die großen Säulen vom Tempel des Olympischen Zeus in Athen (Naturalis Historia [Naturgeschichte], XXXVI, 45). Mit diesem Nachfolgebau wurde ein Anhänger Sullas betraut, Quintus Lutatius Catulus; verwirklicht wurde er von einem römischen Architekten, einem gewissen Lucius Cornelius – so bezeugt es dessen Grabinschrift. Die Arbeiten zogen sich in die Länge, sowohl wegen ökonomischer Schwierigkeiten, in denen der Staat in jenen Jahren steckte, als auch wegen politischen Widerstandes (beispielsweise versuchte Caesar dem Lutatius Catulus den Auftrag für den Neubau zu entziehen). Die Weihe erfolgte erst 69, die Kultstatuen wurden sogar noch später fertiggestellt, um 65 (nach Cicero De divinatione [Über die Wahrsagung], 11, 46). Wir kennen auch den Namen des Bildhauers, Apollonios von Athen. Es ist vielleicht derselbe „Apollonios, Sohn des Nestor“, der den berühmten Torso vom Belvedere signiert hat, der in den Vatikanischen Museen aufbewahrt wird. Das Erscheinungsbild der riesengroßen, chryselephantinen (d. h. aus Gold und Elfenbein gearbeiteten) Jupiter-Statue ist bekannt, da davon Nachbildungen für die Nachbauten des Tempels des Iuppiter Capitolinus in Munizipien und Kolonien angefertigt wurden. Sie entspricht dem Typus des Zeus von Otricoli (der heute in den Vatikanischen Museen steht).
Tempel des Iuppiter Capitolinus. Grundriss und hypothetische Rekonstruktion der Fassade.